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Praktiker gibt Einblick: So macht der Handel den Gemüseanbau kaputt

Der deutsche Gemüseanbau steht vor einem gravierenden Strukturwandel. Die Kosten und der extreme Druck aus dem Handel machen den Anbau fast unmöglich. Ein Landwirt packt aus.

Lesezeit: 5 Minuten

Für Verärgerung unter Gemüsebauern sorgte am Montag das Bundesstatistikamt mit einer Mitteilung, dass die Erzeugnisse des Gemüse- und Gartenbaus im September 2021 gegenüber dem Vorjahresmonat um 6,6 % gestiegen seien. Unter anderem machte sich ein Gemüsebauer aus der Nähe von Lübeck mit einer Sprachnachricht in den Sozialen Netzwerken Luft.

Wir sprachen mit dem Betriebsleiter, der hier namentlich nicht genannt werden möchte. Er warnt, dass der deutsche Gemüsebau unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr lange in der heutigen Form überleben kann. Das erklärte er uns genauer.

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Betriebsspiegel: Der 49-Jährige bewirtschaftet gut 300 ha an der Ostsee - 50 ha Erdbeeren, 60 ha Zucchini, 40 ha Porree, 20 ha Möhren, Rest Ackerbau. Neben drei festangestellten Mitarbeitern unterstützen ihn und seine Frau in der Hochzeit bis zu 180 Saisonarbeitskräfte.

Handel nutzt Marktmacht schamlos aus

Der Unternehmer erklärt die Dramatik an einem Beispiel: Den Porree in verschiedenen Sortimenten und Handelsklassen verkauft der Schleswig-Holsteiner an den Großmarkt und Lieferprogramme des LEH für 40 bis maximal 55 Ct/kg. Das sei aber nur die eine Seite der Medaille, wie sie das Bundesstatistikamt erfasst.

Durch Mindestlohn, steigende Kosten für Dünger, Strom, Diesel, Wasser etc. belaufen sich die Vollkosten dagegen auf 75 Ct/kg. Die Erzeugerabrechnung des Handels offenbart die kuriosen Details, die zudem in Abzug gebracht werden: So muss der Porree z.B. in 5 kg Europoolkisten geliefert werden. Der Handel verlangt hier pauschal zunächst eine „Abnutzungsgebühr“ von 60 bis 70 Ct pro Kiste. D. h. der Bauer verliert schon allein durch die Vorgabe des Handels zum Kistentyp 10 Ct/kg Porree.

Anders als bei der Europalette ist zudem ein Kistentausch in diesem System nicht möglich. Die Pfandgebühr beträgt zwischen 4,3 und 5 €/Kiste. Für diese dann an den Großhandel ausgeliehenen Kisten muss der Landwirt zusätzlich eine „Bewegungsgebühr“ abtreten. Für das Stapeln und Einlagern der Kisten im Handelslager werden weitere 40 Ct bis 1 € fällig.

Weiteres großes Ärgernis ist die sehr späte Auszahlung der Vergütung durch den Handel. Hat man z.B. im Sommer 10 t Zucchini geliefert und steht eigentlich mit einem Plus beim Handelspartner in den Büchern, so schlagen sich die Pfand-, Abnutzungs- und Bewegungsgebühren für die Kisten direkt negativ beim Lieferanten nieder. Einem Warenwert von 2.000 € können so schnell 5.000 € Kapital entgegenstehen, auf die der Landwirt vorübergehend nicht zugreifen kann.

„Man steht beim Handel somit immer mit Forderungen gegenüber, die Auszahlung der Lieferung kommt erst Monate später. Während die Landwirtschaft hier zwischenfinanzieren muss, kann der Handel in Ruhe mit dem Bauernkapital arbeiten“, ärgert sich der Praktiker.

Drohung des Handels entlarvt Scheinheiligkeit

Dazu kommen die weiteren Umstände: Jahrelang war der Porreepreis zwar leicht gestiegen auf 65 bis 85 Ct, nun sinkt der Preis aber wieder. Angeblich sei zuviel Ware auf den Feldern, sagt der Handel. „Mir wird offen gesagt, wenn ich nicht jetzt liefere, könne man auch in Belgien Gemüse bestellen“, berichtet der Mann gegenüber top agrar weiter.

Dass er und seine Berufskollegen aber Gemüse nach höchsten Ansprüchen, mit wenig Pflanzenschutzmitteleinsatz und aufwändiger regelmäßiger Beprobung liefern, spiele dann offenbar keine Rolle mehr. Er zweifelt an, dass ausländische Ware ähnliche Qualitätsansprüche habe.

„Mich stört auch das Wort Regionalität. Das sagt nichts weiter als „aus der Region“; auch ganz Deutschland kann als Region gelten, und wie passt dann die Drohung mit dem Kauf im Ausland dazu?“, fragt der Firmeninhaber und zitiert einen Einkäufer: „Das Geld wird im Einkauf verdient.“ Dies zeige das wahre Gesicht, dass der LEH den Bauern auch in Zukunft weiter schröpfen wird.

Parallel zu diesem Druck wächst für alle Betriebe die Kostenseite. Da sind die Bestimmungen der Coronaverordnung, er muss neue Container aufstellen, Genehmigungen einholen, das Hygienekonzept umsetzen, Personalkosten zahlen, Saisonarbeiter finden und anwerben usw. „Ein Saisonarbeiter kann in der Stunde gar nicht soviel Ernten, um die ganzen Kosten auszugleichen“, zeigt sich der Gemüsebauer ernüchtert. Für ihn ist klar, dass er die von der Koalition diskutierte Anhebung des Mindestlohns nicht stemmen könnte.

„Jede Branche kann ihre Mehrkosten an den Kunden weitergeben, nur bei uns Bauern drückt der Handel weiter und setzt auf billig“, sagt der Fachmann, der auch die Maßnahmen von Bundesagrarministerin Klöckner, das zu ändern, für wirkungslos hält.

Düstere Aussichten

Die Zukunft des Gemüsebaus sieht der Marktkenner düster. Er glaubt, dass künftig nur noch die Kleinbetriebe mit Direktvermarktung und die ganz großen, die auf Augenhöhe mit dem LEH verhandeln können, übrig bleiben. Das ganze Mittelfeld, er spricht von 90 % Familienbetriebe dazwischen – werde das Spiel nicht mehr gewinnen können. „Das kann so nicht mehr funktionieren, das ist ganz bitter.“

Der Schleswig-Holsteiner selbst ist Mitglied in den drei großen verbliebenen Erzeugergenossenschaften im Norden. Sie sind zwischengeschaltet und sollen selbst die Ware nur durchschieben und nichts selbst verdienen, berichtet der Lieferant. Lediglich eine Verwaltungsgebühr von 6,5 % auf den Bruttowarenwert dürfen sie abgreifen. Damit ist die Auswahlmöglichkeit für die Erzeuger begrenzt – zumal auch die EZGs genauso unter Druck gesetzt werden von den fünf großen Einzelhandelsketten in Deutschland. Der Hamburger Großmarkt fällt als Alternative auch aus, weil die Preise dort in der Regel noch geringer sind.

Unter dem Strich bleibt also festzuhalten, dass der deutsche Gemüseanbau vor einem dramatischen Strukturwandel steht. In der Politik scheint dies noch nicht angekommen zu sein.

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