Matthijs Bremer ist Marktanalyst bei DCA Market Intelligence. Er ist spezialisiert auf die weltweiten Märkte für Rinder und Rindfleisch und kann die Aktuelle Marktlage sehr gut beurteilen. DCA Market Intelligence ist eine sogenannte Price Reporting Agency (PRA), ein Analyse- und Preisberichterstat-tungsdienst für Agrar- und Lebensmittelmärkte. DCA erstellt eigene Benchmark-Preise und Indizes und veröffentlicht Analysen.
Herr Bremer, Sie analysieren die weltweiten Rindfleischmärkte. Warum gehen die Preise derzeit so durch die Decke?
Bremer: Ganz einfach: Es gibt zu wenig Fleisch. Die Rinderbestände sind weltweit stark geschrumpft und haben das Angebot verknappt – gleichzeitig bleibt die Nachfrage stabil. Vor allem seit dem letzten Jahr kommt weltweit weniger Rindfleisch auf den Markt. Hinzu kommt, dass auch die Zahl der Kühe, die für den Aufbau der Rinderherden gebraucht werden, in vielen Regionen ebenfalls stark zurückgegangen ist. Wir sehen also eine strukturelle Unterversorgung. Ich nenne Ihnen nur zwei Zahlen für die USA: Dort standen 2020 noch 94,4 Mio. Rinder, heute sind es nur noch 87,2 Mio. Tiere.
2022 hatten wir eine ähnliche Preisentwicklung, die dann aber abrupt endete und zu fallenden Preisen führte. Was ist diesmal anders?
Bremer: Das ist überhaupt nicht vergleichbar. 2022 wurden die Preise durch explodierende Kosten nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine angetrieben. Vor allem Futter, Energie und Logistik wurden schlagartig teurer. Damals stieg die Inflation in Europa auf durchschnittlich gut 9 %, in Deutschland lag sie bei knapp 8 % und in den Niederlanden sogar bei über10 %. Das hat viele Konsumenten verschreckt und der Fleischkonsum ging stark zurück. Heute ist das anders: Die Inflation flacht ab, viele Menschen verdienen mehr, und die Knappheit betrifft diesmal das Fleisch selbst – nicht die Produktionsfaktoren.
Eine Trendwende ist noch nicht in Sicht
In den USA sind die Preise für Schlachtbullen mittlerweile auf umgerechnet über 9 € je kg gestiegen. Wie ist die Lage dort?
Bremer: Die Rinderherde in den USA ist so klein wie seit 70 Jahren nicht mehr! Durch immer wiederkehrende Dürren – besonders seit 2022 – haben viele Farmer Rinder notgeschlachtet, weil das Grundfutter fehlte. Und das betrifft nicht nur die USA, sondern auch Mexiko und Kanada, also die gesamte nordamerikanische Fleischregion, die stark zusammenhängt. Eine Trendwende zeichnet sich noch nicht ab.
Wenn Rindfleisch weltweit knapp und teuer ist, warum reagieren die Rinderhalter nicht und produzieren mehr. Es lohnt sich doch!
Bremer: Viele würden gerne mehr produzieren – aber sie können nicht. Je nach Region hat das unterschiedliche Gründe: In Nordwesteuropa ist es auch die Blauzungenkrankheit, die die Bestandsentwicklung bremst. In anderen Regionen sind es Dürre und Futtermangel.
Selbst Brasilien und Australien haben Probleme, ihre Rinderherde stabil zu halten.
Das kann doch nicht für alle Länder der Welt gelten, oder?
Bremer: Im Moment schon. Wir erleben den „perfekten Sturm“ für den Rindfleischmarkt. Selbst Länder wie Brasilien und Australien, die theoretisch mehr produzieren und liefern könnten, bekommen zunehmend Probleme, ihre nationale Herdengröße stabil zu halten. Dort werden gerade mehr Tiere geschlachtet als nachgezüchtet werden, weil der Export so stark wächst.
Steht die globale Rinderproduktion vor dem Zenit?
Bremer: Global sehe ich das noch nicht. Aber für einige Regionen wie beispielsweise die EU könnte das Produktionsmaximum erreicht sein, weil Umwelt- und Klimavorgaben eine Ausweitung der Tierhaltung erschweren. In Regionen wie Südamerika oder Südafrika gibt es noch Wachstumspotenzial – aber nur, wenn das Klima und die politischen Rahmenbedingungen passen.
Preisanstiege von 15 bis 25 Cent pro Woche, können nicht lange gut gehen.
Wie reagieren Konsumenten auf die hohen Preise? Gibt es eine Schmerzgrenze?
Bremer: Noch sind viele bereit, höhere Preise zu zahlen – vor allem im Premiumsegment. Dort bleibt der Absatz stabil, weil diese Produkte von zahlungskräftigen Zielgruppen gekauft werden. Andere Verbraucher greifen zu günstigeren Produkten – etwa Hackfleisch oder Verarbeitungsprodukten. Aber irgendwann wird selbst der Hamburger unbezahlbar und der Konsum geht zurück. Wann genau diese Grenze erreicht ist, kann niemand seriös voraussagen – aber der Kipppunkt wird kommen. Klar ist aber auch, Preisanstiege von 15 bis 25 Cent pro Woche, wie zuletzt, können nicht lange gut gehen.
Wie und wo entscheidet sich, ob der Markt kippt?
Bremer: Kritisch ist die Lage schon jetzt in China: Dort wurden 2024 etwa 3,5 Mio. t Rindfleisch importiert. 2025 könnten es laut USDA sogar 3,7 Mio. t werden. Gleichzeitig ist der Markt dort überversorgt, die Preise sinken und die Produzenten machen hohe Verluste. Die Regierung untersucht bereits das Importverhalten. Ein Rückgang der chinesischen Importe könnte den gesamten Weltmarkt schlagartig unter Druck setzen.
Mit welchen Preisen rechnen Sie 2025?
Bremer: Wir geben bei DCA grundsätzlich keine Preisprognosen ab. Dennoch können wir erwarten, dass die Fleischpreise im Frühjahr meist steigen, während sich der Markt in den Sommermonaten beruhigt. Wichtiger ist aber ein anderes Phänomen: Viele Länder schlachten die Rinder derzeit jünger als üblich. Das ist ein Teufelskreis, denn das Schlachtkörpergewicht sinkt und damit auch die Fleischproduktion pro Tier.
Was bedeutet die Knappheit für den internationalen Handel?
Bremer: Der globale Fleischhandel ist stark in Bewegung: Die USA importieren aktuell so viel Fleisch wie nie zuvor, etwa aus Brasilien oder Australien. Interessant ist, dass die Australier derzeit so viel in die USA exportieren, wie sie im eigenen Land konsumieren. Für uns sind die Entwicklungen rund um Europa aber relevanter. Da sehen wir in der Türkei und Nordafrika eine knappe Rindfleischversorgung.
Mit dem Ende des Ramadan, könnte sich die Versorgung mit Rindfleisch noch zuspitzen.
Warum ist das für uns relevant? Die EU exportiert nur wenig Rindfleisch, oder?
Bremer: Auf einem knapp versorgten Markt, wenige Tonnen entscheidend für die Preisveränderungen. Wir können das am Beispiel Bulgarien festmachen. Ein Land, das im internationalen Rindfleischhandel bisher keine wirkliche Rolle spielte. Nun exportieren die Bulgaren plötzlich 45.000 bis 50.000 t und davon das meiste in die Türkei, weil der Bedarf dort so groß und die Preise hoch sind. Aktuell sind die Exportpreise in die Türkei mit 6.260 € pro t etwa 23 % höher als die Exportpreise in andere Drittstaaten. Wenn nun der Ramadan endet, könnte sich die Versorgung in den muslimisch geprägten Ländern noch zuspitzen.
Wirkt sich die Knappheit bei Rind auf anderen Fleischarten aus?
Bremer: Ein direkter Zusammenhang ist oft schwer nachzuweisen. Was wir aber sehen ist, dass auch Geflügelfleisch teuer ist und auch die Preise für Schweinefleisch steigen. Das hat verschiedene Gründe, wie die Vogelgrippe oder die Ferkelknappheit in vielen Regionen, aber wahrscheinlich auch mit den hohen Rindfleischpreisen zu tun. Auch Schaffleisch ist derzeit sehr teuer. Grundsätzlich ist der gesamte Proteinmarkt angespannt. Fleisch wird zunehmend zum Luxusgut.
Profitieren auch die pflanzlichen Alternativen von den Rekordpreisen?
Bremer: Einige Unternehmen berichten von einem leichten Aufwind, aber wir sehen keinen Nachfrageboom. Wichtiger ist die zunehmende Hybridisierung von Produkten mit pflanzlichen Anteilen. In den Niederlanden wird in Verarbeitungsprodukten wie Patties, Wurst und Schnitzel, die ohnehin schon „hybrid“ sind, der Fleischanteil reduziert. Hamburger-Patties enthalten dann beispielsweise mehr Brot. Bei Lidl gibt es schon länger ein 60:40-Rind-Erbsenprotein-Produkt. Solche Ansätze werden mehr.
Mit hybriden Produkten lassen sich kosten und CO₂ einsparen.
Was bringen die hybriden Produkte?
Bremer: Es geht dabei nicht um Ideologie, sondern rein um Kalkül. Die Unternehmen wollen Kosten und CO₂ einsparen. Durch die Nachhaltigkeits-Berichtpflichten wird die CO₂-Bilanz transparent. In hybriden Produkten wie Burger oder Schnitzel kann man den Anteil von pflanzlichen Proteinen anheben, ohne dass es der Verbraucher merkt. In den Niederlanden geschieht das teilweise ohne große Kennzeichnung, einfach als stilles Nachhaltigkeitsversprechen. Es wird auch nicht beworben.
Welche Auswirkungen hat die aktuelle Lage auf die Verarbeitung und den Handel?
Bremer: Sehr unterschiedlich. Verarbeiter mit langfristigen Verträgen – z. B. mit Supermärkten – haben es schwer, auf die schnell steigenden Preise zu reagieren. Besser aufgestellt sind flexible Betriebe. Wer wöchentlich einkauft, kann schneller reagieren. Generell kann man sagen, dass Unternehmen derzeit sehr vorsichtig sind, wenn es darum geht Preise längerfristig festzulegen.