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topplus Edmund Rehwinkel-Stiftung

Wissenschaftler diskutierten Zukunft des LEH

Um die Frage zu klären, wie die künftige Rolle des Lebensmitteleinzelhandels in der Wertschöpfungskette aussieht und wo die Bauern da ihren Platz haben, stellten fünf Wissenschaftler ihre Studien vor.

Lesezeit: 9 Minuten

Um die künftige Rolle des Lebensmitteleinzelhandels in der Wertschöpfungskette, um Chancen, Perspektiven und Risiken ging es am Mittwochmorgen beim 30. Symposium der Edmund Rehwinkel-Stiftung der Landwirtschaftlichen Rentenbank.

Unter Moderation von top agrar-Chefredakteur Matthias Schulze Steinmann stellten fünf Wissenschaftler in Impulspräsentationen ihre Untersuchungsergebnisse in der als Videokonferenz durchgeführten Veranstaltung vor 135 Teilnehmern vor. (Zu den Videos)

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Weltmarkt gibt Preise vor, nicht der deutsche LEH

Mit einem interessanten, etwas älteren Zeitungs-Kommentar des Agrarjournalisten Ralf Judisch aus Schleswig-Holstein stieg Prof. Dr. Jens-Peter Loy von der Universität Kiel in seinen Vortrag zur Wertschöpfungskette bei Milch und Butter ein. Judisch hatte geschrieben:

„Neulich am Kühlregal im Supermarkt: Das Stück Butter der Handelsmarke ist mit 99 ct ausgepreist. Darüber liegt die nächstteurere Markenbutter für 1,69 €. Ein Unterschied von 70 ct. Ein Blick zur Milch: Hier ist der Liter Handelsmarke für 59 ct, daneben – gleicher Fettgehalt, gleiche Verpackung, gleiche Haltbarkeitsdauer – die nächstteurere Markenmilch aus derselben Meierei für 1,09 €; Unterschied 50 ct. Die Gründe für das Gefälle in dem Laden, der kein Discounter ist, dürften so schwer zu erläutern und nachzuvollziehen sein wie das ständige Rauf und Runter der Kraftstoffpreise. In aller Regel nimmt der Verbraucher das als gottgegeben hin und greift dort zu, wo es seinem Geldbeutel am liebsten ist: zum niedrigsten Preis. Wohl wissend, dass er in puncto Qualität keinerlei Abstriche machen muss, weil Butter und Milch Milch ist. Das Fatale: Was die Verbraucher freut, macht den Urproduzenten schwer zu schaffen.“

Dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) in Deutschland wird laut Prof. Loy eine marktbeherrschende Stellung nachgesagt. „Die landwirtschaftliche Praxis vermutet, dass der LEH seine Marktmacht nutzt, um Einkaufspreise zu drücken und folglich ist er verantwortlich für die „zu“ geringen Milchauszahlungspreise an die Landwirte.“ Loy stellt aber die Gegenthese auf, dass der LEH Einkaufspreise auf Basis der internationalen Referenzpreise für Standardmilchprodukte verhandelt und diese Preisentwicklungen auch an die Verbraucher weitergibt. Die Auszahlungspreise der Molkereien folgen ebenfalls den internationalen Referenzpreisen.

In folgender Grafik ist zu erkennen, dass Ozeanien unseren Preisen immer voraus ist und die Richtung vorgibt.

Ähnliches Bild bei der Rohmilch. Die Bewegungen der internationalen Märkte werden in Deutschland mitgegangen, die deutschen Molkereien scheinen die Preise aber etwas zu glätten.

Folgende Grafiken beleuchten den Zeitraum 2005 bis 2012:

Zusammenfassend hält Prof. Loy fest, dass die wesentlichen Impulse für den deutschen Milchmarkt aus der Interaktion mit den Weltmärkten für Standardmilchprodukte stammen. Insbesondere Handelsmarken spiegelten diese Preisentwicklungen nahezu eins zu eins wider. Das gilt für die Eigenmarken im traditionellen LEH genauso wie für die Eigenmarken der Discounter. Diese Impulse würden einerseits durch die Molkereien an die Landwirte weitergegeben. Andererseits würden sie die Grundlage für die Verhandlungen der Molkereien mit dem Lebensmitteleinzelhandel darstellen.

„Mit Herstellermarken können preispolitische Spielräume eröffnet werden. Wenn Landwirte davon profitieren wollen, dann müssen sie im Besitz der Marken sein oder zumindest Einfluss auf diese haben, indem ihre Rohprodukte spezifische, nicht austauschbare Eigenschaften aufweisen“, so der Professor abschließend.

In der späteren Diskussionsrunde ermutigte Loy Landwirte, Hersteller und Handel, nicht so pessimistisch zu sein und auch mal neue Wege auszuprobieren. Es gebe erfolgreiche Beispiele, aber auch gescheiterte Versuche, wie die Faire Milch. Die Frage stelle sich nur, wer das anstoße. Den Bauern selbst riet er, mehr Risikovorsorge zu betreiben, um auch mal eine Durststrecke von zwei bis drei Jahren durchzustehen.

Verbraucher zahlen bei Milch nicht für bessere Tierhaltung

PD Dr. Silke Thiele vom ife Institut für Ernährungswirtschaft aus Kiel ging auf die Zusatzkosten in der Milcherzeugung und -verarbeitung unter Einhaltung verschiedener Tierwohlstandards ein. Sie stellte fest, dass die Konsumenten beim Einkauf zunehmend Tierwohlstandards nachfragen. Der LEH wolle dagegen ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten, möglichst wenig im Einkauf zahlen und so seine Marge vergrößern. Die Erzeuger wiederum wollen kostendeckende Erlöse.

Fragestellung sei also, wie hoch müsste der Preisaufschlag sein, der den Landwirten/Molkereien gezahlt werden müsste, damit diese ihre Zusatzkosten decken können?

In der Untersuchung des Instituts zeigte sich laut Thiele, dass die Verbraucherpräferenzen bezüglich Tierschutz bei der Trinkmilch besonders ausgeprägt waren. Die Kunden wünschen sich kleine Betriebsgrößen mit Weidehaltung und Auslauf. Der Store Check zeigte dagegen, dass die Verfügbarkeit von Trinkmilch mit höheren Tierwohlstandards im LEH vergleichsweise gering ist. Nur 7% der Angebotsmengen hatten ein reines Tierwohllabel, 23% ein Bio-Label und 70% hatten kein tierwohlrelevantes Label. Daher seien Preisaufschläge im LEH nicht dem Kriterium „Tierschutz“ im Allgemeinen, sondern dem Kriterium „Weidemilch“ zuzuordnen, so Thiele.

Wie Thiele in der Diskussionsrunde später erklärte, seien gerade große Milchviehbetriebe schon ziemlich nah dran an den Premium-Standards und könnten diese mit nur wenig Mehraufwand erfüllen – im Gegensatz zu kleinen Erzeugern. Das würden die Kunden nur anders sehen: In ihren Vorstellungen sie sind gerade die kleinen Ställe die gewünschten Premiumerzeuger.

Fazit: Mehrkosten für Milch mit höheren Tierwohlstandards sind bei Produktion und Verarbeitung deutlich feststellbar. Jedoch besteht von Verbraucherseite vergleichsweise geringe Nachfrage nach Milch mit höheren Tierwohlstandards sowie eine geringe Zahlungsbereitschaft für besonders kostspielige Kriterien (Stall). Eine Verbreitung von Milch mit höheren Tierwohlstandards ist laut Thiele gegenwärtig i.d.R. nur wirtschaftlich bei günstigen Ausgangssituationen auf den Milchbetrieben und einer Spezialisierung der Milchverarbeiter in diesem Marktsegment (Minimierung der Trennkosten).

Simons: Auch der LEH steht unter Druck

Über die Bedeutung der Strategien des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland für die Landwirtschaft referierteDr. Johannes Simons von der Universität Bonn. Dazu hatten er und seine Kollegen u.a. 30 Experten aus den Bereichen Rotfleisch, Milch sowie Obst und Gemüse befragt sowie Fachartikel ausgewertet.

Hierbei war es den Vertretern des Lebensmitteleinzelhandels offenbar wichtig zu betonen, dass ihre Branche kein monolithischer Block sei, sondern ihre Unternehmen im intensiven Wettbewerb stünden. Die hohe Konzentration im LEH verstärke dies. „Für die Unternehmen sind Marktanteile und die Umsatzentwicklung wichtige Parameter für den Erfolg. Der Wettbewerb begrenzt dabei den Handlungsspielraum der einzelnen Unternehmen des LEH“, so Dr. Simons, der an den gescheiterten Versuch von Lidl erinnert, mit fair gehandelten und somit teureren Bananen Konkurrent Aldi Paroli bieten zu wollen.

Der LEH ist nicht der Böse, er kämpft selbst ums Überleben.

In der Gesamtstrategie der Unternehmen wollen die Händler unterschiedliche Kundensegmente und Kundenwünsche ansprechen. Wichtige Strategieelemente sind etwa die Preisführerschaft, die Sortimentsanpassung mit Markenprodukten, regionalen Produkten oder nachhaltigeren Produkten sowie das Reputationsmanagement. Zudem spielt die Handelsmarkenpolitik eine wichtige Rolle. Laut Simons sprechen Fachleute hier gerne auch vom „Verramschen wertvoller Marken“.

Konsequenz für Verarbeitung und Vermarktung ist, dass es auf den gesättigten Märkten keine oder kaum Zugeständnisse bei der Qualität gibt. Der Preiswettbewerb erfordert niedrige Kosten auch durch eine Verbesserung der Effizienz der Organisation. „In einem wettbewerbsintensiven Markt ist der Erfolg von Markenbildung bzw. eine Vermarktung nach dem Grundsatz „Marge statt Menge“ gesamtsektoral gesehen begrenzt“, so Simons.

Für die Landwirtschaft ergibt sich daraus die Konsequenz, dass Kooperationen die Effizienz und Etablierung von Wertschöpfungsketten verbessern können. Als Beispiel nannte der Fachmann aus Bonn bestehende Kooperationen von Bauern und Händlern wie Rewe und Edeka. Auch die Kaufland-Kooperation mit Schweinehaltern sei ein positives Beispiel.

In österreichischen Sparmärkten hängt im Eingang eine Tafel mit den regionalen Lieferanten

Festzuhalten bleibe aber, dass die Datenerfassung und der Datenaustausch immer wichtiger werden. Das gilt auch für die Organisation nachhaltiger, tierfreundlicher Wertschöpfungsketten, die Organisation regionaler Wertschöpfungsketten und die Etablierung lokale Wertschöpfungsketten. Am Ende müsse es eine Markenbildung über die Genossenschaften geben.

Das sagt sich jedoch leicht, den Bauern werden jedoch Grenzen gesetzt: Nachhaltige, zusätzliche Gewinne durch Produktdifferenzierungen hängen von Markteintrittsbarrieren ab. Und die bisherigen Kriterien bieten kaum Möglichkeiten zum Aufbau von Markteintrittsbarrieren. Simons erinnerte in diesem Zusammenhang an die Wartelisten für umstellungswillige Biomilcherzeuger.

Doch auch dem LEH sind Grenzen gesetzt. So ist er nicht der einzige Nachfrager auf den Lebensmittelmärkten, denn ein Teil der Produktion geht an Großabnehmer und in den Export.

Was ist Regionalität?

Ein buchhaltungsbasiertes Konzept zur Quantifizierung regionaler Wertschöpfung in der Lebensmittelwirtschaft war Thema des Vortrags von Prof. Dr. Dirk Schiereck von der TU Darmstadt. Dabei stellte er die Frage, was denn Regionalität bedeute. Dies sei heute noch nicht festgelegt und werde sehr vielfältig ausgelegt. Um eine belastbare Untersuchung durchzuführen, haben er und seine Team die Grenze bei 100 km gelegt.

Fest stehe, dass Regionale Herkunft, Frische und Zuckergehalt für die Kunden oftmals wichtiger seien als ein Biosiegel. Die Auswertung eines großen Handelsunternehmens habe ergeben, dass sich produktsegmentspezifische Regionalitätsradien anbieten, die Produzenten und Verbraucher festlegen. Es stelle sich zudem ein unternehmensgrößenbezogener Korridor ein, in dem unabhängige, mittelständische (Familien-) Unternehmen tätig seien können.

Nachhaltigkeit ist Top-Thema des LEH bei Kommunikation mit Kunden

Prof. Dr. Ramona Teuber von der Universität Gießen referierte abschließend über das Thema „Digitalisierung und Nachhaltigkeit als zentrale Herausforderungen des deutschen Lebensmitteleinzelhandels“. Dazu analysierte sie die Nachhaltigkeitskommunikation des deutschen LEH auf den drei Kommunikationskanälen Homepages, Facebook und CSR-Berichte.

Ergebnis: Über alle Kommunikationskanäle hinweg waren Textbeiträge der Kategorie „Produkt & Unternehmen“ am häufigsten vertreten. Diese Kategorie wird maßgeblich durch die folgenden Variablen bestimmt: Eigenmarken (14 %), Tierwohl (13 %), Produktherkunft (13 %), Produktkennzeichnung (12 %), biologische Erzeugung (11 %). Aber auch das Thema Umwelt nahm großen Raum der täglichen Veröffentlichungen der Firmen ein. Ökonomie spielt dagegen in der Kommunikation mit den Kunden kaum eine Rolle.

Festzuhalten bleibt, dass der LEH insbesondere soziale Medien verstärkt zur direkten Kommunikation mit den Verbrauchern nutzt. Hier steht nachhaltiger Konsum bzw. nachhaltige Ernährung aber nicht unbedingt im Fokus. Auch zeigt sich, dass die Nachhaltigkeitskommunikation besonders auf die Darstellung der Produktcharakteristika (z.B. Tierwohl, Bio, ohne Gentechnik), als zentraler Bestandteil der Kategorie „Produkt & Unternehmen“, abzielt. Hierbei ergaben sich über alle Kanäle hinweg keine elementaren Unterschiede zwischen den Einzelhändlern.

„Nachhaltigkeit an sich bzw. die Fokussierung darauf scheint mittlerweile kein Differenzierungsmerkmal mehr darzustellen. Vielmehr wird Nachhaltigkeit mittlerweile als Muss vorausgesetzt“, so Prof. Teuber weiter. Die Bedeutung einiger als nachhaltig kommunizierten Produktattribute konnte mittels der Sortimentsanalyse bestätigt werden. Jedoch liegt der Anteil der als nachhaltig kommunizierten Produkte am betrachteten Warensortiment vorwiegend im einstelligen Prozentbereich.

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