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Teja Tscharntke: „Die Landwirte müssen den Insektenschwund ernst nehmen!“

„Der Rückgang der Insekten ist seit Jahrzehnten zu beobachten und hält weiter an“ bilanziert Prof. Dr. Teja Tscharntke im Gespräch mit tiop agrar. Das zeigten alle wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema. Hauptursache sei der Verlust von geeigneten Lebensräumen als Folge der Intensivierung der Landwirtschaft.

Lesezeit: 7 Minuten

„Der Rückgang der Insekten ist seit Jahrzehnten zu beobachten und hält weiter an“ bilanziert Prof. Dr. Teja Tscharntke, Agrarökologe an der Universität Göttingen, im Interview mit top agrar online. Das zeigten alle wichtigen wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema.


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Hauptursache sei der Verlust von geeigneten Lebensräumen als Folge der Intensivierung der Landwirtschaft. Darüber hinaus spielten der Klimawandel und ein hoher Stickstoffeintrag eine maßgebliche Rolle. Der Wissenschaftler fordert den Berufsstand auf, den Rückgang der Insekten und deren Ursachen ernst zu nehmen. Und: „Die Politik muss mehr Förderanreize für den Artenschutz setzen“,  sieht Tscharntke Handlungsbedarf.



Wie stark sind die Insektenpopulationen in den vergangenen 25 Jahren zurückgegangen?


Tscharntke: Der Intensivierungsschub der landwirtschaftlichen Produktion in den 1950er und 1960er Jahren sowie die Flurbereinigung zwei Jahrzehnte später hat zu großen Biodiversitätsverlusten geführt. Deswegen ist die Nachricht besonders erschreckend, dass sogar noch in den letzten Jahrzehnten starke Rückgänge bei Insekten, aber auch bei Feldvögeln, zu beobachten sind. In nordrhein-westfälischen Schutzgebieten wurde ein Rückgang der Insektenbiomasse um 75% in den letzten 2-3 Jahrzehnten gemessen. Daraus kann man auf einen Rückgang bei zahlreichen Arten und auch auf lokales Aussterben schließen - ein dramatisches Ausmaß, das selbst Experten überrascht hat.



Welche Insektenarten sind davon besonders betroffen?



Tscharntke: Bienen, Ameisen und Wespen, aber auch Großschmetterlinge zeigen besonders stark ausgeprägte negative Trends. Bei Schwebfliegen, von denen viele Arten als effektive Gegenspieler von Blattläusen bekannt sind, sollen in den letzten beiden Jahrzehnten sogar 70-96% Verluste bei den Populationen zu verzeichnen sein (laut Bundesamt für Naturschutz).



Wie umfangreich und wie wissenschaftlich valide sind diese?



Tscharntke: Das ist ein komplexes Thema. Die Artenvielfalt der Insekten Deutschlands ist zwar mit 33.000 Arten viel größer als die der Vögel und Säugetiere (nur 328 und 104 Arten), aber die Kenntnis ihrer Biologie ist viel schlechter. Die Häufigkeit von Tagschmetterlingen im Grünland ist gut untersucht und europaweit in den letzten drei Jahrzehnten um ein Drittel zurückgegangen. Es wurde zum Beispiel auch vielfach gezeigt, dass hoch gedüngtes Grünland sehr artenarm ist, und dass von Ackerland dominierte Landschaften sehr viel artenärmer sind als bunte, heterogene Landschaften.



Kommen die Untersuchungen zu ähnlichen Ergebnissen?



Tscharntke: Insgesamt sind die Tendenzen ähnlich, auch wenn die in NRW gezeigte 75%ige Biomasseabnahme in Schutzgebieten (also nicht in der Agrarlandschaft) ungewöhnlich hoch liegt. Die Ergebnisse liegen auf der Linie der Daten des Bundesamtes für Naturschutz, nach denen bei 51% der gefährdeten Rote-Liste-Arten unter den Insekten (und anderen wirbellosen Tieren) in den letzten zwanzig Jahren weitere Bestandesrückgänge zu verzeichnen sind, auch wenn bei einem Großteil der Arten die Entwicklung unbekannt ist. Auch bei uns in Niedersachsen gibt es solche Tendenzen. Kalkmagerrasen um Göttingen, die zu den artenreichsten Lebensräumen zählen, beherbergen nach unseren Untersuchungen ungefähr ein Drittel weniger Insektenarten, wenn sie in ausgeräumten Landschaften liegen. Das liegt daran, dass in isolierten Schutzgebieten Aussterbeprozesse vorherrschen, da es keine Besiedelung aus der umgebenden Landschaft gibt.



Wie misst man eigentlich den Rückgang der Insekten im Zeitablauf?

 

Tscharntke: Am besten ist es natürlich, Zeitreihen über die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte zu haben. So ein bundesweit systematisches Insektenmonitoring gibt es aber leider nicht, sondern nur vereinzelte, oft relativ kurze Studien. Allerdings kann man bestimmte Tendenzen, wie sie durch die Intensivierung der Landwirtschaft forciert werden, auch indirekt erfassen, indem man ausgeräumte mit eher traditionellen Landschaften, hoch gedüngte mit nicht gedüngten Wiesen oder konventionellen mit ökologischemLandbau vergleicht.



Viele Berichte zum Insektensterben beziehen sich auf die Arbeiten des Entomologischen Vereins Krefeld. Wie bewerten Sie die Untersuchungen des Vereins, der Langzeituntersuchungen seit 1989 anstellt?

 

Tscharntke: Die Ergebnisse, wie sie in der aktuellen Publikation von Hallmann et al. (2017) statistisch ausgewertet wurden, sind überzeugend und basieren auf einem ungewöhnlich großen Datensatz. Die Arbeit der Krefelder Entomologen ist wirklich bewundernswert, nicht zuletzt auch, weil sie ehrenamtlich erfolgt. Es wurde zwar nur die Insektenbiomasse quantifiziert, so dass Informationen fehlen, welche Arten es besonders betroffen hat. Ebenso ist es hier eher schwierig, auf die Ursachen zu schließen.



Teile des landwirtschaftlichen Berufsstands kritisieren die methodische Vorgehensweise des Krefelder Vereins und halten die Ergebnisse nur für bedingt zutreffend. Ist diese Kritik berechtigt?

 

Tscharntke: Leider sind manche interessierten Gruppen (z. B. der Bauernverband) und Medien (auch top agrar online) vorschnell der Argumentation in einem durch seine rechtslastige Hetze berüchtigten Blog gefolgt, in dem die Ergebnisse in Frage gestellt wurden. In diesem Blog wurde die Repräsentativität bezweifelt - man kann natürlich immer sagen, hätte man noch viel mehr Gebiete beprobt, wäre das Ergebnis anders ausgefallen.


Offenbar reichen selbst 63 Schutzgebiete nicht aus, es soll also ganz Deutschland, am besten die ganze Welt sein. Das empfinde ich als ein klassisches Immunisierungsargument. Auch der Hinweis, dass das Bezugsjahr der Analysen das Ergebnis bestimmt habe, ist unsinnig. Wie man der überzeugenden Abbildung 4 entnehmen kann, bekommt man exakt dasselbe Ergebnis eines starken Biomasserückgangs, wenn ausschließlich die (vielen) Gebiete berücksichtigt werden, die mehr als einmal beprobt wurden.


Eine weitere Kritik geht dahin, dass keine Ursache identifiziert wurde. Das ist richtig, aber experimentell nachstellen kann man solche großräumigen Entwicklungen nie. Und so muss man sich die Frage stellen, welche Ursache die größte Plausibilität hat bzw. kleinräumig schon mal als bedeutsam nachgewiesen wurde. Beispielsweise haben wir in zahlreichen Publikationen nachgewiesen, dass die umgebende Landschaft lokale Biodiversitätsmuster und Prozesse in Schutzgebieten elementar beeinflusst. Denn ein Schlüsselfaktor der Artenzahlen in einem Gebiet (wie diesen Schutzgebieten) ist der Artenpool in der landschaftlichen Umgebung, der mit dem Strukturreichtum und der Heterogenität der Landschaft zunimmt.


Auch die Wirkung von Insektiziden und Herbiziden ist offenkundig. Pestizide sind zudem wegen ihrer indirekten Wirkungen auf Verhaltensstörungen und Krankheitsanfälligkeit berüchtigt, zum Beispiel bei Bienen durch Insektizide und Fungizide.



Welchen Anteil hat die intensive Landwirtschaft an dieser Entwicklung?

 

Tscharntke: In vielen Reviews und Metaanalysen wurde gezeigt, dass die Lebensraumzerstörung durch die Landwirtschaft auf dem ersten Platz der Ursachen von Biodiversitätsverlusten liegt, gefolgt von Klimawandel und Stickstoffeintrag.



Wie lässt sich aus Ihrer Sicht der Trend stoppen?

 

Tscharntke: Wünschenswert wäre, wenn sich Landwirte und ihre Interessensvertreter sehr viel offener als bisher gegenüber dem augenfälligen Artensterben und Biodiversitätsverlust in unseren von Landwirtschaft geprägten Landschaften zeigen würden. Stattdessen werden Fakten und mögliche Verantwortung zurückgewiesen. Ich würde mich freuen, wenn hier ein Umdenken stattfinden könnte.


Ich denke, dass viele Landwirte gern einen Beitrag zum Erhalt der Arten leisten würden, wenn es dafür auf unbürokratischem Wege einen finanziellen Ausgleich gäbe. Insofern kann ich mir vorstellen, dass alle Subventionen an Leistungen im sozialen und ökologischen Sektor zu koppeln wären – und auf der anderen Seite Negativeffekte wie die Stickstoffverluste zu sanktionieren wären. Weiterhin braucht es mehr Anreize für eine ökologische Bewirtschaftung, die den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zurück fährt und stattdessen auf biologische und technische Mittel sowie auf landwirtschaftliche Diversifizierung setzt, beispielsweise bei Fruchtfolgen und ökologisch wertvollen Ackerrainen.

 

Die Fragen stellte top agrar-Chefredakteur Dr. Ludger Schulze Pals


Anm. d. Red.: Der Insektenrückang ist unbestritten, Kritik an der Studie der Krefelder Insektenforscher gab es aber nicht nur auf der von Prof. Tscharntke genannten Seite. So wurde die Untersuchung unter anderem zweimal als "Unstatistik des Monats" ausgezeichnet.

top agrar wird daher mit den Entomologen ein Interview führen, um die Urheber des Themas zu Wort kommen zu lassen. 

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