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Sturm Quimburga: Die Wende im Waldbau

Der Orkan Quimburga zerstörte 1972 riesige Waldflächen in Niedersachsen. Sie wurden zwar klassisch wieder aufgeforstet, doch der Sturm marktiert eine Wende im deutschen Waldbau.

Lesezeit: 7 Minuten

Der Orkan Quimburga zerstörte 1972 riesige Waldflächen in Niedersachsen. Sie wurden zwar klassisch wieder aufgeforstet, doch der Sturm marktiert eine Wende im deutschen Waldbau.


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Bei unserem Besuch zeigt uns Forstamtsleiter Dr. Hans-Martin Hauskeller eine Grafik: Die Verteilung der Baumarten und die Altersstruktur der Bestände im Forstamt Unterlüß in der Heide. In den Altersklassen III und IV stechen zwei Säulen weit vor allen anderen hervor: Auf den rund 5.500 und 4.800 ha wachsen überwiegend Kiefern, die Bestände sind maximal 60 bzw. 80 Jahre alt und machen fast 60 % der rund 18.000 ha Gesamtholzbodenfläche im Landeswald Unterlüß aus. Vom ­Idealziel einer ausgeglichenen Altersstruktur ist das weit entfernt. Die beiden Säulen fassen die Folgen und die besonderen Herausforderungen eines Jahrhundertsturms gut zusammen.


Junge Wiederbewaldung


Um die Auswirkungen des Orkans Quimburga 1972 besser zu verstehen, muss man sich zunächst die jüngere Wald­geschichte hier in der Heide genauer ansehen. Dazu haben wir im Forstamt mitten im Wald bei Unterlüß einen Termin mit Förster Hauskeller und ­Reiner Baumgart, ebenfalls Förster und zuständig für die Pressearbeit in der Region, gemacht.


Quimburga war eine Art Wendepunkt in der deutschen Forstwirtschaft. Infolge der riesigen Schäden und der Probleme bei der Wiederaufforstung wandelte sich die Blickrichtung weg von den empfindlichen Ertragswäldern in Reinkultur hin zu naturnahen, nachhaltigen Waldkonzepten, die heute in Deutschland angestrebt werden.


Zuvor ging es um die reine Holz­produktion: Nach Jahrhunderten der Heidewirtschaft wurden in der Region zum Ende des 19. Jahrhunderts riesige, karge Flächen mit Kiefer bepflanzt und bessere Standorte mit Fichte aufgeforstet. Die Preußen wollten die Holznot dämmen und setzten auf reine Ertragswälder.


Kiefer als Pionier


Der Kiefer kam dabei die Aufgabe einer „Pionierbaumart“ zu, um erst einmal Waldboden auf dem fast nackten Sand zu bilden. Doch bereits früh waren die Reinbestände von ­Insekten, Waldbränden und Dürre ­betroffen.


Nach und nach etablierten sich die Wälder. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg wurden große Flächen für Re­parationshiebe genutzt. Und auch der ­Bedarf an Bauholz war hoch. Diese ­Flächen wurden klassisch wieder aufgeforstet und sind heute in der Altersklasse IV, also rund 70 Jahre alt.


Quimburga traf vor allem die damals rund 100-jährigen Altbestände, die bei den Reparationshieben übrig geblieben ­waren. In Niedersachsen warf der Orkan rund 16 Mio. Festmeter, vor ­allem Kiefer. Er zerstörte in weniger als drei Stunden rund 10 % der niedersächsischen Waldfläche. Die Schadensfläche war gigantische 100.000 ha groß. Allein die Niedersächsischen Landesforsten mussten in Folge des Sturms 25.000 ha neu aufforsten.


Nach dem Sturm starteten die Aufräumarbeiten – mit neuen technischen Möglichkeiten. Auch aus anderen europäischen Ländern waren Arbeitskräfte und Maschinen im Einsatz, z. B. schwedische Prozessoren. Es war die erste große Sturmkatastrophe seit der Verbreitung der Motorsäge. Bereits nach einem Jahr waren rund 70 % der Schäden aufbereitet, ein weiteres Jahr später nahezu das gesamte Stammholz. Riesige Nasslagerplätze für das Holz entstanden. Deren Gesamtfläche war so groß wie Helgoland. Der Preis war hoch: 22 Menschen verunglückten bei der Aufarbeitung der Bestände tödlich, allein in den Landesforsten wurden 700 Unfälle gemeldet.


Waldbrände als Folge


Auf der Fläche schoben Raupen die Abraumreste und auch einen Teil des noch sehr dünnen Waldbodens zu langen Wällen auf, die man an einigen Orten teils noch heute erkennt. So wollte man die Flächen für den Einsatz von Pflanzmaschinen möglichst gut vorbereiten. Eine Taktik, die sich 1975 als fatal herausstellte. In diesem sehr trockenen Jahr kam es in der Heide zu großen Waldbränden und die Abraumwälle wirkten teils wie Zündschnüre. Dr. Hauskeller bringt es auf den Punkt: „Was 1972 nicht umgefallen ist, verbrannte in den Jahren 1975 und 76“.


Die Aufforstungen der Schadenflächen waren erst etwa 1980 abgeschlossen. Sie liefen weitgehend nach althergebrachten Mustern ab, „was man niemandem vorwerfen kann – die mussten einfach reagieren“, erklärt Förster Reiner Baumgart. Flächen einfach der Sukzession, also der natürlichen Wiederbewaldung, zu überlassen, war damals überhaupt kein Thema – das galt quasi als echte waldbauliche Bankrotterklärung.


Die Verantwortlichen standen vor gigantischen Problemen. Die Baumschulen konnten in so kurzer Zeit kaum Pflanzen in ausreichender Zahl zur Verfügung stellen. Vor allem wurden mit Maschinen zweijährige Kiefersämlinge gepflanzt, allerdings nicht nach dem Gießkannenprinzip. Die gesicherte genetische Herkunft rückte stärker in den Mittelpunkt. Denn bei der Erstaufforstung der Heide waren Herkünfte aus ganz Deutschland mehr oder weniger wahllos gepflanzt worden – mit teils negativen Folgen. Diese Fehler sollten sich möglichst nicht wiederholen.


Standorte, auf denen sich die Fichte nicht bewährt hatte, wurden jetzt nicht mehr mit Fichte bepflanzt. Teils nahm die Douglasie ihre Position ein, vor allem auch in angerissenen Beständen. Dr. Hauskeller, 1965 als Sohn eines Försters geboren, hat als Schüler in den 80er-Jahren geholfen, diese Bestände zu pflegen.


Generell standen die Niedersachsen vor gigantischen Aufgaben: Die riesigen aufgeforsteten Flächen mussten gepflegt werden. Das lief vor allem mit angelernten Kolonnen, oft aus dem Ausland. Meist nach Schema F, und das dann intensiv. Pionierbaumarten, wie z. B. die Birke, wurden nicht toleriert.


Große Flächen in der Jungwuchspflege, kaum Erträge aus Altbeständen und sehr niedrige Industrieholzpreise: Das führte auch dazu, dass man teils mit der Läuterung der Bestände nach den Reparationshieben überhaupt nicht hinterher kam.


Dort entschied man sich, systematisch Reihen zu mulchen, um den Bäumen etwas Luft zu verschaffen. Mit der Kombination von Mulchen jeder sechsten bis achten Reihe und einer Ausleseläuterung (Entnahme von ein bis zwei Bedrängern im Herrschenden) zugunsten von gekennzeichneten Z-Bäumen, sollten die am besten veranlagten Kiefern frühzeitig gefördert und defizitäre Erstdurchforstungen hinausgeschoben werden.


Auf den Sturmflächen standen die ersten Durchforstungen ab Ende der 90er-Jahre an. Dr. Hauskeller möchte sich gar nicht vorstellen, wie diese Aufgabe ohne Harvester zu schaffen gewesen wären. Angefangen von der Fein­erschließung der riesigen Flächen in Rückegassen mit 20 m Abstand.


Mittlerweile positiv


In den 90er-Jahren entstand übrigens auch ein Werk für Paletten in der Region, was den Absatz des Durchforstungsholzes etwas einfacher machte. Bei unserem Besuch stellt sich die Lage als durchaus positiv dar: Vor allem lässt sich das anfallende Holz derzeit gut vermarkten.


Forstamtsleiter Hans-Martin Hauskeller, seit 2013 in Unterlüß, nutzt die Situation und beginnt bereits jetzt damit, die ungleichmäßige Altersklassenverteilung für seine Nachfolger zu durchbrechen. So soll in den nächsten zehn Jahren damit begonnen werden, die Reparationsflächen unter Schirm vorauszuverjüngen. Und zwar so vielseitig wie möglich. Die unterschied­lichen Nutzungszyklen verschiedener Baumarten entzerren die Situation zusätzlich. Wo immer möglich, möchte er die Naturverjüngung fördern. Weil aber auf großen Flächen Altbestände mit Mutterbäumen fehlen, geht es nicht ohne Pflanzungen. So sollen unter dem Kiefernschirm unter anderem Douglasien und Buchen folgen.


Seine Strategie folgt dem niedersächsischen LÖWE-Programm, das Anfang der 90er-Jahre unter dem Eindruck der Sturm- und Brandkatastrophen entstand. LÖWE fasst die Ziele der Langfristigen Ökologischen Wald-Entwicklung zusammen. Dabei geht es u. a. um standortgerechte Baumartenwahl, um mehr Laub- und Mischwälder, um das Fördern natürlicher Verjüngung und die vermehrte Zielstärkennutzung.


Eine starre Richtung will auch Hans-Martin Hauskeller nicht vorgeben. Er erklärt die Strategie mit seinem Begriff von Nachhaltigkeit: Die folgenden Generationen übernehmen Bestände, in denen sie eigene Entscheidungen treffen und Richtungen vorgeben können.

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