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Connemann: „Jamaika könnte eine neue Allianz für die Landwirtschaft schmieden!“

Tierwohl, Pflanzenschutz und die Zukunft der EU-Agrarpolitik sind im Bereich Landwirtschaft die drei große Baustellen bei den laufenden Sondierungsverhandlungen für eine Jamaika-Koalition.

Lesezeit: 8 Minuten

Tierwohl, Pflanzenschutz und die Zukunft der EU-Agrarpolitik sind im Bereich Landwirtschaft die drei große Baustellen bei den laufenden Sondierungsverhandlungen für eine Jamaika-Koalition. „Die Verhandlungen sind angestrengt und kritisch, aber konstruktiv und ehrlich“, sagt Gitta Connemann, die Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Interview mit top agrar online. Ein Jamaika-Bündnis biete die Chance, eine neue Allianz für die Landwirtschaft zu schmieden“, ist die Niedersächsin überzeugt. Mit der CDU werde es aber keine Formelkompromisse geben. 


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Beim Sondierungsgespräch am vergangenen Freitag wurde deutlich, dass die Positionen zwischen Union und Grünen vor allem in den Themenbereichen Zukunft der EU-Agrarpolitik, Tierwohl und Pflanzenschutz noch weit auseinander liegen. Wie war das Verhandlungsklima?


Connemann:Was ich von Julia Klöckner und Christian Schmidt (Anm. d. R. Verhandlungsführer Landwirtschaft für CDU und CSU) gehört habe, war das Klima angestrengt und kritisch, aber zugleich konstruktiv und ehrlich. Alle sind sich einig: Offene Fragen werden nicht mit Formelkompromissen zugekleistert.


Die Union hat eine Degression der Direktzahlungen nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Betriebe angeboten. Was heißt das?


Connemann:Wir wollen die kleineren Betriebe, unter denen viele Tierhalter sind,  stärken. Dafür wäre die von der CSU vorgeschlagene Degression ein Weg. Diese könnte an der Flächengröße der Betriebe festgemacht werden. Mögliche Modelle wurden aber noch nicht diskutiert. Alternativ könnten wir den schon eingeschlagenen Weg weitergehen und die ersten Hektare noch stärker fördern. Die von der Kommission diskutierte Kappung wäre für uns allenfalls eine weitere Option. Dabei muss man aber die besondere Situation in den ostdeutschen Bundesländern berücksichtigen. Für mögliche Koalitionsverhandlungen müssen wir in jedem Fall die Vorschläge der EU-Kommission einbeziehen. Agrarkommissar Phil Hogan will seine Überlegungen am 29. November offiziell vorstellen. Das würde zeitlich noch passen.


Werden Sie dabei auch von der FDP unterstützt?


Connemann: Das fragen Sie die FDP am besten selbst. Ich höre, dass die Liberalen in unsere Richtung denken.


Die Grünen wollen die Direktzahlungen stärker zielorientiert für mehr Umwelt-, Natur-, Klima- und Tierschutz umbauen und noch in der laufenden Förderperiode mehr Mittel von der 1. in die 2. Säule umschichten. Das lehnen Sie ab. Wie könnte ein möglicher Kompromiss aussehen?


Connemann:Der Weg trennt uns, aber nicht das Ziel. Wir sind uns einig, dass die EU-Agrarpolitik nach 2020 weiterentwickelt werden muss. Die Direktzahlungen stellen derzeit ausschließlich auf die Fläche ab und das weitgehend größenunabhängig. Das ist dauerhaft kaum tragfähig. Deshalb hat die Union schon vor der Wahl gefordert, die Leistungen der EU-Agrarpolitik zielgerichteter an den Herausforderungen der Zukunft auszurichten. Und das sind Wertschöpfung, Wettbewerbsfähigkeit, Klimaschutz und Tierwohl.  


Die Kosten für eine solche Weiterentwicklung dürfen wir aber nicht auf die Landwirte überwälzen. Kein Landwirt sperrt sich dagegen, noch klima- und tierfreundlicher zu wirtschaften. Aber sie dürfen dafür nicht die Zeche zahlen. So wäre es aber bei einer weiteren Umschichtung von der 1. in die 2. Säule. Deshalb lehnen wir diese ab.


Die Direktzahlungen bleiben eine unverzichtbare finanzielle Basisabsicherung für die Betriebe. Im Wirtschaftsjahr 2015/2016 stammten über 50 % der Einkommen der Haupterwerbsbetriebe aus den EU-Prämien. Das zeigt: In extremen Preiskrisen würde der Entzug der Direktzahlungen die Betriebe zum Teil existentiell treffen. Hinzu kommt: Wenn wir kurzfristig umschichten, geht ihnen wieder ein Stück Planungssicherheit verloren.


Wie man die Direktzahlungen zielgenauer einsetzen kann, müsste in den Koalitionsverhandlungen noch weiter diskutiert und später in Brüssel verhandelt werden. Da wird es auch um den Begriff des aktiven Landwirts gehen, der vielleicht noch enger und präziser definiert werden könnte. 


Was halten Sie vom Vorschlag der Grünen, Teile der Direktzahlungen wieder zu koppeln, z.B. für tier- und umweltgerechte Produktion?    


Connemann:Wir wollen keine gekoppelten Prämien. Im Gegenteil. Wir wollen die anderen Länder in Europa dazu bringen, endlich vollständig zu entkoppeln. Denn das Ziel der Entkopplung bleibt richtig: Den Landwirten soll nicht mehr vorgeschrieben werden, was sie erzeugen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Durch die ausschließliche Flächenbindung werden Tierhalter bislang benachteiligt. Deshalb haben wir bereits vor der Wahl gefordert, dass wir eine faire Teilhabe der Tierhalter an den europäischen Mitteln wollen. Das geht aber ohne Kopplung. Wir könnten zum Beispiel in der 2. Säule noch stärker als bisher besonders tier- und umweltgerechte Haltungsverfahren und Agrarumweltmaßnahmen fördern. 


Alternativ oder ergänzend könnte man auch das Greening weiterentwickeln und Kriterien der Tierhaltung aufnehmen. Das hängt aber davon ab, ob auf EU-Ebene an diesem Instrument festgehalten wird. Beim Tierwohl rankt sich der Streit um die Frage der Kennzeichnung tiergerechter Haltungsverfahren. Warum ist die Union gegen eine verpflichtende Kennzeichnung, gegen ein verpflichtendes staatliches Tierwohllabel? Was spricht umgekehrt für eine freiwillige Kennzeichnung?


Connemann:Gegen ein verpflichtendes staatliches Tierwohllabel steht das EU-Recht. Das wäre ein Eingriff in den Binnenmarkt. Wir sollten deshalb mit einem freiwilligen Label beginnen. Damit Verbraucher bewusst entscheiden können, brauchen sie Klarheit und Wahrheit. Bei einem Tierwohllabel könnte der Verbraucher seine angeblich erhöhte Zahlungsbereitschaft unter Beweis stellen. Denn wir wissen doch alle: Am Ende entscheidet sich Tierwohl an der Ladenkasse.  


Im dem Ziel, den Pflanzenschutzmitteleinsatz zu verringern, sind Sie sich einig, nicht aber über den Weg dahin. Die Grünen wollen den Pflanzenschutzeinsatz in den kommenden vier Jahren um 40 % reduzieren. Welche Folgen hätte das für die deutschen Ackerbauern?


Connemann: Das wäre eine massive Wettbewerbsverzerrung für die deutschen Ackerbauern. Der notwendige Einsatz von Pflanzenschutzmitteln muss möglich bleiben, damit unsere Landwirte entsprechend konkurrenzfähige Mengen und Qualitäten ernten können. Wir müssen die Alternativen zum reinen chemischen Pflanzenschutz aber massiv fördern. Dazu gehören für mich innovative Ausbringungstechniken über Precision Farming, die es erlauben, die Wirkstoffe zielgerichteter und damit in der Summe geringer auszubringen.

Wir müssen den mechanischen Pflanzenschutz nach vorne bringen. Hier werden wir in Kürze dank der Sensortechnik sehr effiziente Hacksysteme sehen. Und wir müssen die Beratung massiv ausbauen, damit die Landwirte über neuste technische Entwicklungen und Alternativen informiert sind. Wo wir noch Lücken im Pflanzenschutz haben, sollten wir intensiv forschen.


Darüber hinaus möchten die Grünen Glyphosat zeitnah und auch alle Neonicotinoide und wirkungsähnliche Wirkstoffe EU-weit verbieten. Welche Position hat die Union in dieser Frage?


Connemann:Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt klug wäre, diese tagespolitischen Themen in ein Sondierungspapier zu schreiben. Außerdem muss uns klar sein, dass die Landwirte bei einem kurzfristigen Verbot von Glyphosat auf andere zugelassene  Wirkstoffe zurückgreifen werden, die möglicherweise nicht so gut untersucht sind wie Glyphosat bzw. andere unerwünschte Nebenwirkungen hätten. Klar ist, dass wir aber mindestens ein Ausstiegsszenario von drei bis fünf Jahren brauchen, um weiter intensiv nach Alternativen forschen zu können. 


Welche Instrumente sind aus Sicht der Union zielführender?


Connemann:Wie gesagt, wie wollen die Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz in die breite Umsetzung bringen. Die Digitalisierung wird uns viele neue Möglichkeiten bieten. Und: Wer Innovationen will, muss auch die Forschung ausbauen.


Wie könnte eine Einigungslinie aussehen?


Connemann:Wir müssen langfristig tragfähige Minimierungsszenarien entwickeln, die über die Legislaturperiode wirken.


Wenn die mögliche Jamaika-Koalition die deutsche Landwirtschaft umwelt- und tiergerechter machen will, kann sie dies über Ordnungsrecht erzwingen oder Förderanreize (z.B. für Tierwohl, Ställe der Zukunft, klimaverträgliche Produkte, Erhalt der Biodiversität) setzen. Welchen Weg verfolgt die CDU?

Connemann: Da sind wir glasklar: Für uns haben Förderanreize absoluten Vorrang vor dem Ordnungsrecht!

Dafür benötigen Sie Geld. Ist bereits über die Mittelausstattung für solche Förderanreize gesprochen worden?
 

Connemann:Ja, wir brauchen für eine gesellschaftlich akzeptierte Landwirtschaft mehr nationales Geld. Wir könnten mehr Umwelt- und Tierschutz in der Landwirtschaft über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ bzw. über neue Bundesprogramme fördern. Wenn die Gesellschaft eine solche Weiterentwicklung will, muss sie sich das etwas kosten lassen. Die Wünsche sind bei den Finanzern platziert. Am Ende entscheiden in der Sondierung die Vorsitzenden und die Gesamtfinanzlage.


Wie geht es in der kommenden Woche weiter?


Connemann:Die Verhandlungen werden jetzt auf die Kernpunkte verdichtet und dann muss über die Streitfragen entschieden werden.


Wie optimistisch sind Sie für vierte und entscheidende Sondierungswoche, noch zu einem tragfähigen Kompromiss zu kommen?


Connemann:Ich bin und bleibe Optimistin. Denn ich glaube an die Chance, die Jamaika darstellt. In dieser Konstellation könnten wir eine Allianz für die Landwirtschaft der Zukunft bilden. 

 

Die Fragen stellte top agrar-Chefredakteur Dr. Ludger Schulze Pals.

 

Hinweis: Am 3.  und 4. November haben der schleswig-holsteinische Umwelt- und Landwirtschaftsminister Dr. Robert Habeck (Grüne) und Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) in Interviews mit top agrar online deutlich gemacht, was Ihnen für die weiteren Verhandlungen im Bereich Landwirtschaft wichtig ist. In Kürze folgt ein Interview mit dem rheinland-pfälzischen WirtschaftsministerVolker Wissing, Verhandlungsführer Landwirtschaft für die FDP. 

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