Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

topplus News

„Das Wachsen oder Weichen ist überholt und dümmlich!“

Preiskrise bei Milch und Fleisch, knappe Mittel für KULAP und Investitionsförderung. Im Interview mit top agrar-Südplus erklärte der bayerische Agrarminister Helmut Brunner, wie er den aktuellen Problemen begegnen will. Herr Minister, ein Jahr nach dem Auslaufen der Milchquote stürzt der Milchpreis ab.

Lesezeit: 11 Minuten

Preiskrise bei Milch und Fleisch, knappe Mittel für KULAP und Investitionsförderung. Im Interview mit top agrar-Südplus erklärte der bayerische Agrarminister Helmut Brunner, wie er den aktuellen Problemen begegnen will.


Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Herr Minister, ein Jahr nach dem Auslaufen der Milchquote stürzt der Milchpreis ab. War der Ausstieg aus der Milchquote ein Fehler?


Brunner: Das Ziel der EU, eine sanfte Landung hinzulegen, ist jedenfalls nicht gelungen. Wir haben vielmehr eine Bruchlandung hingelegt. Wir wissen aber auch nicht, ob wir bei Weiterlaufen der Quote die Probleme nicht gehabt hätten. 2009 hatten wir trotz Quote ähnliche Probleme.

 

Fakt ist aber, dass viele Länder in der EU kräftig mehr produzieren: Irland hat im ersten Jahr nach der Quote die Erzeugung um 20% gesteigert, die Niederlande, Polen und vermutlich auch Deutschland um 5%. Die Molkereien haben zunehmend Probleme, die Mehrmenge wertschöpfend zu vermarkten. Den Preisverlust tragen die Erzeuger als schwächstes Glied in der Wertschöpfungskette. Das beunruhigt mich sehr, weil Bayern mit 32000 Milcherzeugern und 7,9 Mio. t Milch zu den wichtigsten Milchstandorten in der EU gehört.


Es heißt, Bayern lässt derzeit von Brüssel eine finanzielle Entschädigung für Nicht-Lieferung prüfen. Was schwebt Ihnen vor und was sagt Brüssel dazu?


Brunner: Das ist so nicht ganz richtig. Bei der letzten Agrarministerkonferenz wurde einstimmig beschlossen, zusammen mit dem Bund Vorschläge für Brüssel zu erarbeiten, wie wir über die Hilfsprogramme hinaus das Problem an der Wurzel packen könnten. Liquiditätshilfen, Zuschüsse für Sozialversicherungen, Marktoffensiven sind schmerzlindernde Maßnahmen, haben aber wenig heilende Wirkung. Wenn der Weltmarkt die Mengen nicht mehr aufnimmt, müssen wir überlegen, ob wir auf freiwilliger Basis mengenregulierende Instrumente bereitstellen. Da kann man z.B. an Molkerei- oder an Versicherungslösungen wie in den USA denken, die dann auf freiwilliger Basis durchzuführen sind. Brüssel muss prüfen, ob das finanzierbar und rechtlich einwandfrei handhabbar ist und fachlich Sinn hat.


Gibt es schon Ergebnisse aus Brüssel?


Brunner: Nein. Bisher hat man sich nur darauf verständigt, dass eine professionelle Marktbeobachtungsstelle frühzeitig Molkereien und Milch-erzeuger informieren soll, wie sich die Märkte in den nächsten Monaten entwickeln werden. Ich habe auch vorgeschlagen, den Interventionspreis von 21,5 auf 25 Cent anzuheben und den Markt mit spontanen Herauskäufen zu entlasten. Obwohl Experten sagen, das wäre sinnvoll, wurde es bisher nicht aufgegriffen.


Was sollen Spontankäufe bringen?


Brunner: Spontankäufe deswegen, damit sich die Molkereien nicht auf die Intervention einstellen und gezielt dafür produzieren können. Wir sollten auch prüfen, Warenterminbörsen für Milch und Milchprodukte zu nutzen. Darüber hinaus sollten sich die Molkereien fragen, wie sie eigenverantwortlich Mengenplanung und -steuerung betreiben können, um nachhaltig das Marktgleichgewicht in Ordnung zu halten. Jede Molkerei kann über einen gewissen Zeitraum genau abschätzen, welche Menge sie wertschöpfend vermarkten kann. Und da kann man mit den Erzeugern Verträge über eine bestimmte Menge abschließen und für die Übermengen den Preis zahlen, den der Markt dann noch hergibt.


"Unsere kleinen Strukturen sind konkurrenzfähig"


Sie stehen in der Frage der Mengensteuerung dem BDM näher als dem Bauernverband. Wie weit haben Sie sich vom Bauernverband emanzipiert?


Brunner: Ich orientiere mich relativ wenig an Verbandsmeinungen, sondern versuche meiner Philosophie des „Bayerischen Wegs“ treu zu bleiben. Und dieser Weg in der Agrarpolitik ist aktueller als je zuvor. Wir trotzen den vermeintlich ungünstigeren Strukturen – und das ist im Interesse der Verbraucher. Diese wollen überschaubare Einheiten, eine nachvollziehbare Produktion und tiergerechte Aufstallungsformen. Genau das können wir mit unseren bäuerlichen Familienbetrieben bieten. Deshalb besorgt mich der immense Konkurrenzdruck, dem unsere Bauern aktuell ausgesetzt sind, sehr.


Andererseits haben Bundesländer mit vermeintlich günstigeren Voraussetzungen wie in Ostdeutschland mindestens dieselben existenziellen Probleme. Wir sind also trotz kleiner Strukturen durchaus konkurrenzfähig. Meine Überzeugung hat also wenig mit Verbandsmeinung zu tun. Es entspricht vielmehr meinem Bemühen, möglichst vielen Betrieben eine Zukunftsperspektive zu eröffnen und Wachsen oder Weichen als überholt, sogar als dümmlich zu entlarven. Denn Wachstumsmöglichkeiten gibt es auch durch Verbesserung der Wertschöpfung oder zusätzliche Standbeine. Jeder Betrieb ist gleichrangig, egal ob Neben-, Voll- oder Zuerwerb.


Noch schlimmer als die Milcherzeuger trifft die Preiskrise die Ferkelerzeuger. Seit 2006 ist in Bayern der Selbstversorgungsgrad bei Ferkeln von 120 % auf unter 80 % gesunken. Hat die Ferkelerzeugung in Bayern noch eine Chance?


Brunner:Die Situation der Ferkelerzeuger ist in der Tat existenzgefährdend. Die Ferkelpreise sind seit Jahren im Tief, was einen verschärften Strukturwandel nach sich zieht. Die Erzeuger bräuchten endlich wieder ein Hoch, um ihre Betriebe auf Vordermann bringen und Investitionen tätigen zu können. Im Unterschied zur Milchproduktion wird die Ferkelerzeugung jedoch in Ackerbaugebieten betrieben, wo es mehr Alternativen gibt.


Übrigens haben wir auch in der Schweinehaltung eine sehr unbefriedigende Erlössituation. Hinzu kommt, dass die Bestände auch bei den Mästern so angewachsen sind, dass oftmals unsere kleineren Einheiten in der Ferkelerzeugung hier nicht ganz mithalten können mit den großen Partien aus Dänemark, Holland oder den neuen Bundesländern.


Wie lässt sich der Niedergang der bayerischen Ferkelerzeugung stoppen?


Brunner: Diese Frage stelle ich mir nahezu täglich. Eine Antwort ist, ganz bewusst auf regionale Qualität zu setzen. Unser Programm „Geprüfte Qualität Bayern“ wird honoriert und anerkannt. Erfreulicherweise unterstützen die Discounter die „Initiative Tierwohl“. Allerdings dürfen sie nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Die Landwirte haben sich spontan beteiligt, und jetzt fehlt das Geld. Deshalb erwarte ich vom LEH, dass er ausreichend Mittel zur Verfügung stellt. Ich kann unseren Landwirten nicht ständig höhere Produktionskosten zumuten bei gleichbleibenden oder fallenden Produktpreisen. Das ist ein Widerspruch und auch der LEH sollte das berücksichtigen. Der umsatzsteigernde Trend zur Regionalität kann nicht mehr gewährleistet werden, wenn die regionalen Produkte nicht mehr zur Verfügung stehen.


Wissenschaftler sollten sich stärker bei Tierwohl einbringen"


Aldi hat angekündigt, schon ab 2017 kein Fleisch von Tieren mehr abzunehmen, die ohne Betäubung kastriert worden sind, obwohl es noch keine echten Alternativen gibt. Erzeuger fordern jedoch, das ab 2019 gültige gesetzliche Verbot der betäubungslosen Kastration so lange zu schieben, bis es praktikable Alternativen gibt. Unterstützen Sie das?


Brunner: Ich fordere, dass sich Fachleute und Wissenschaftler stärker in die Diskussion einbringen. Das Thema „Tierwohl und Tierschutz“ ist sehr sensibel, aber es darf nicht von Populismus und Halbwissen geprägt sein. Verbesserungen sind erst dann erreichbar, wenn wir glaubwürdige Alternativen haben. Einfach willkürlich Zeitpunkte festzulegen, mag vordergründig wünschenswert erscheinen. Aber wenn ich keine praxistauglichen Alternativen habe, erreicht man das Gegenteil.


Wir testen seit geraumer Zeit in unserer Landesanstalt in Schwarzenau, inwieweit verschiedene Haltungsformen, z.B. mit mehr Platz, mit Stroh, mit Spielgeräten usw. ein Kupieren der Schwänze überflüssig machen. Wir stellen aber fest, dass oftmals durch das Nichtkupieren der Schwänze eine erhöhte Verletzungsgefahr entsteht und dann ein zusätzlicher Arzneimittelverbrauch. Beim Kastrieren wissen wir, dass die Ebermast nur eine scheinbare Lösung darstellt. Ich glaube nicht, dass wir flächendeckend ohne Kastration auskommen können. Also muss ich auch hier im Dialog mit unseren Verbrauchern praxistaugliche und machbare Wege aufzeigen.


In Zeiten niedriger Produktpreise gewinnen die Fördergelder an Bedeutung. In der Zweiten Säule ist das Geld knapp, weil das neue Kulturlandschafts-Programm (KULAP) stark nachgefragt wird. Reichen die Mittel dafür aus?


Brunner: Unser 200 Mio. € umfassendes KULAP ist ein Erfolgsmodell und so attraktiv wie nie. Die Neuausrichtung hatte im vergangenen Jahr mehr als 43 000 Anträge mit ca. 77 000 Verpflichtungen ausgelöst – eine Rekordzahl, die so nicht zu erwarten war und die angesichts der mehrjährigen Bindungsfrist zunächst deutliche Abstriche bei der Neuantragstellung erwarten ließ. Dann habe ich aber beim Finanzminister erreicht, dass die Haushaltssperre für das KULAP vollständig aufgehoben wurde. Damit stehen 8,7 Mio. € zusätzlich zur Verfügung. 2016 konnten wir damit noch einmal elf Varianten anbieten, die auch gut angenommen wurden.


Aber auch die Betriebe, die im letzten Jahr einen Antrag gestellt haben, bekommen das Programm so weiter gefördert. Über den Doppelhaushalt 2017/18 versuche ich, noch einmal zusätzliches Geld zu bekommen. Ich gehe davon aus, dass der Ansturm aufs KULAP in den nächsten Jahren anhalten wird.


"ich will Bio aus Bayern, nicht Bio von irgendwoher"


Bleibt es bei der vergleichsweise guten Förderung der Öko-Betriebe?


Brunner: Wir wollen hier kein Strohfeuer entfachen, sondern eine nachhaltige Entwicklung unterstützen. Wir importieren Bio-Dinkel aus der Ukraine, holen Bio-Kartoffeln aus Ägypten und Bio-Milch aus Österreich. Ist es da nicht einleuchtend, diese Wertschöpfung in Bayern zu halten und gleichzeitig den Wunsch der Verbraucher nach hoher Qualität, kurzen Transportwegen, Nähe und Frische zu erfüllen. Wir haben ein eigenes Bio-Siegel in Brüssel notifizieren lassen, das die Trends „Bio“ und „Region“ verknüpft.


Ich will Bio aus Bayern fördern, nicht Bio von irgendwoher, und damit unseren Landwirten helfen, die Märkte vor unserer Haustüre zu bedienen.


Sie haben sich beim Öko-Landbau ehrgeizige Ziele gesteckt und sind deshalb schon als „verkappter Grüner“ bezeichnet worden. Stört Sie das?


Brunner: Ich habe gesagt, ich möchte den Bio-Anteil bis 2020 verdoppeln. Ausgehend von einer Quote von 6,5%, wäre das Ziel also 13 %. Im letzten Jahr hatten wir 10% zusätzliche Umsteller, 2016 noch einmal so viel. Wir sind also auf einem guten Weg. Ich mache dies nicht aus ideologischen Gründen, sondern denke ganz pragmatisch. Wenn die Nachfrage nach Bio-Produkten steigt, warum sollen wir diesen Markt anderen überlassen? Ich möchte diese Wertschöpfung den bayerischen Bauern ermöglichen. Zudem bin ich überzeugt, dass wir nicht nur generationsübergreifend, sondern auch ressourcenschonend wirtschaften müssen. Das gilt für jeden Landwirt, egal ob bio oder konventionell.


Bleibt bei dem großen Mittelbedarf für das KULAP noch genug Geld für die Investitionsförderung übrig?


Brunner: Wir hatten auch beim letzten Antragstermin im Frühjahr einen unerwartet großen Andrang auf unser Investitionsförderprogramm. Offensichtlich hat der Wegfall der Quote viele animiert, zu investieren. Hinzu kommt, dass wir Antragstellern, die 2015 nicht zum Zug kamen, geraten haben, 2016 erneut einen Antrag zu stellen. Soweit ich das jetzt überblicke, können wir den Großteil der vorliegenden Anträge bedienen. Was 2017 dann wieder möglich ist, hängt von den Haushaltsverhandlungen ab.


Angesichts der sehr günstigen Zinsen müssen wir sicher auch darüber nachdenken, die aktuell sehr günstigen Förderkonditionen anzupassen.


Was steht bis zum Ende der Amtszeit 2018 noch an?


Sie haben angekündigt, 2018 nicht mehr für den Landtag zu kandidieren. Was wollen Sie in den letzten zwei Jahren Ihrer Amtszeit unbedingt noch auf den Weg bringen?


Brunner: Mir ist es ein großes Anliegen, dass möglichst viele Betriebe die jetzt sehr schwierige Zeit mit diesen unbefriedigenden Preisen überstehen. Wir haben ja nicht nur bei Milch oder Fleisch Probleme, sondern auch bei Getreide, wo wir unter 15 €/dt gelandet sind.


Auch die Zuckerrübenbauern haben große Sorgen, weil 2017 die Quote ausläuft. Ich werde versuchen, dass wir mit kurzfristigen Hilfen aus Brüssel und auch aus Berlin und Bayern die Liquidität aufrechterhalten. Gleichzeitig müssen wir Rahmenbedingungen setzen, die mittelfristig die Risiken einer höheren Volatilität eingrenzen. Der Bauernverband fordert seit Jahren zu Recht die steuerliche Risikorücklage. Ein Blick über den Zaun zeigt, dass auch Versicherungslösungen oder Fonds, in die auch der LEH für die Landwirte in Krisenzeiten einzahlt, Möglichkeit sind.


Ein zweites großes Anliegen ist die flächendeckende Landbewirtschaftung. Wir könnten zwar auch mit weniger Landwirten die Lebensmittelversorgung in Bayern sicherstellen. Mir geht es aber darum, die Attraktivität und Vitalität der ländlichen Räume zu sichern. Ganz wichtig ist mir auch, dass der bäuerliche Familienbetrieb als Leitbild in Brüssel anerkannt wird. Dass nicht allein Größe und Hektarzahl entscheidend sind, sondern der Mensch im Mittelpunkt steht. Und wir müssen endlich dieser Regelungswut Einhalt gebieten, die den Bauern schwer zu schaffen macht. Warum werden nicht die Länder, die eine unterdurchschnittliche Anlastungsquote haben, durch weniger Kontrollen honoriert?


Als Letztes – das ist mein besonderes Steckenpferd – möchte ich den Verbraucher als Teil der Wertschöpfungskette Landwirtschaft in die Pflicht nehmen. Ich habe ganz bewusst Runde Tische eingerichtet, an denen auch Naturschutz- und Verbraucherverbände sitzen. Wenn man miteinander Argumente austauscht, ist das wirkungsvoller, als wenn man in aller Öffentlichkeit übereinander redet. Es ist ein Bildungsprozess, der beim Erlebnisbauernhof beginnt und über Bauernmärkte und Öffentlichkeitsarbeit weitergeht.


Wir haben nichts zu verbergen, der Verbraucher muss die Realität auf unseren Höfen besser kennenlernen, aber auch unsere Sorgen einschätzen können. Nur das Miteinander von Erzeugern und Verbrauchern wird letztlich den Agrarstandort Bayern sichern.


Das Interview führte top agrar-Redakteur Klaus Dorsch.



Die Redaktion empfiehlt

top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.