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Die Bauern machen ihre Kritiker erst richtig stark

Landwirte sollten gelassener auf Kritik von außen reagieren, rät Prof. Dr. Matthias Kussin dem Berufsstand. Das wirkt sympathischer, ist lösungsorientierter und nimmt den Vorwürfen ihre wuchtige Wirkung. Aus der neuen top agrar 4/2017: „Wird der Bauer kritisiert, ist die ganze Zunft pikiert.

Lesezeit: 7 Minuten

Landwirte sollten gelassener auf Kritik von außen reagieren, rät Prof. Dr. Matthias Kussin dem Berufsstand. Das wirkt sympathischer, ist lösungsorientierter und nimmt den Vorwürfen ihre wuchtige Wirkung.


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Dieser Bericht stammt ausder neuen top agrar 4/2017. Mehr zum Abo...


„Wird der Bauer kritisiert, ist die ganze Zunft pikiert.“ Wenn auch kein Bedarf an „neuen Bauernregeln“ besteht, ist es doch bemerkenswert, welche große Resonanz Kritik an der Landwirtschaft immer wieder in der Branche auslöst. Die Folge ist meistens auch ein entsprechendes Medienecho.


Das jüngste Beispiel war die Plakataktion von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Kaum war diese öffentlich angekündigt, berichteten Nachrichtenportale der großen Tageszeitungen darüber und über die Reaktionen aus dem Berufsstand. In den Städten sind die Plakate nun nicht zu sehen. Im Internet werden die Motive aber noch länger zu suchen und zu finden sein - nicht zuletzt aufgrund der ausführlichen Berichte und Reaktionen der Medien.


Eine solche öffentliche Aufmerksamkeit wird nur den wenigsten politischen Anzeigenkampagnen zuteil. Der emotional aufgeladene Konflikt weckte erst das Interesse der Medien für das Thema. Prominente Vertreter aus Politik und Verbänden sorgten mit ihren Kommentaren dafür, dass es in der Diskussion blieb.


Die Debatte um die Bauernregeln ist kein Einzelfall. Nicht zum ersten Mal werten Praktiker und Verbandsvertreter der Landwirtschaft ungewollt kritische Wortmeldungen auf – indem sie auf verschiedenen Kanälen kommunikative Gegenmaßnahmen ergreifen (siehe Übersicht auf Seite 24).


Auch der Göttinger Agrarprofessor Achim Spiller durfte dies kürzlich erfahren. Sein Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, zu den aus seiner Sicht unzureichenden Kontrollen in der Tierhaltung, fand hohe Beachtung. Und dies vor allem, nachdem die Fachschaft der Agrarwissenschaften in Göttingen seine Aussagen in einem öffentlichen Brief kritisierte und dafür aus der Praxis Beifall erhielt.


Der Turbo soziale Netzwerke


Für diese neue Aufgeregtheit auf allen Seiten gibt es verschiedene Gründe. Eine höhere Sensibilität für Umweltfragen und eine veränderte Einstellung zu Tieren spielen sicherlich eine Rolle.


Allerdings sind kritische Betrachtungen und gezielte Provokationen aus der Gesellschaft und insbesondere aus dem alternativ-ökologischen Umfeld keine neuen Phänomene. Auch früher haben der Bauernverband und andere Vertreter der Branche ihre Gegenposition öffentlich deutlich gemacht.


Neu ist dagegen die Dynamik aus Aktion und Reaktion in den sozialen Netzwerken. Diese schaffen ganz neue technische Möglichkeiten, Kritik wahrzunehmen und auf diese zu antworten. Kritische Stellungnahmen und Positionen verbreiten sich in kürzester Zeit innerhalb der Branche. Zugleich bieten die Netzwerke die Möglichkeit, Beiträge unmittelbarer zu kommentieren bzw. sich in Foren darüber auszutauschen.


Sicher erfasst dieser technologische Wandel die gesamte Wirtschaft. Auffällig ist jedoch, dass nicht alle Branchen ihren Kritikern ein solches Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit schenken.


Politiker und Medien sprechen auch über andere Wirtschaftsbereiche nicht immer wohlwollend. Das belegen die vielen Beiträge über

  • die Machenschaften der Atom- und Kohlestromlobby,
  • Bonuszahlungen an gierige Banker,
  • die chronisch unpünktliche und marode Bahn,
  • eine giftige und gefährliche Chemieindustrie oder
  • über die Abgastrickser bei den Autobauern.


Die genannten Wirtschaftsakteure mussten und müssen ebenfalls herbe Kritik einstecken. Der Unterschied zur Landwirtschaft ist aber: Der große Protest, die große Gegenkampagne der „angezählten“ Branche bleibt dann in der Regel aus.


Vielstimmiger Chor


Zwei Aspekte, die die Landwirtschaft von anderen Branchen unterscheidet, dürften für diesen Unterschied mitverantwortlich sein:


Zum einen sind die Kommunikationsstrukturen im Energiesektor, bei den Banken, der Bahn, der Chemie und im Automobilbereich vor allem durch Großunternehmen geprägt.


Kommunikation wird dort strategisch geplant, und die Wirkungen werden sorgfältig abgewogen. Beschäftigte folgen bei dem, was sie „nach draußen“ sagen, den Anweisungen „von oben“. Nicht selten haben diese Unternehmen eigene Verhaltensregeln aufgestellt, wie sich Mitarbeiter über ihren Arbeitgeber und Branchenthemen in den sozialen Netzwerken äußern dürfen.


In der Landwirtschaft gibt es im Vergleich dazu keine „Eine-Stimme-Politik“. Jeder selbstständige Landwirt ist sein eigener Kommunikationsdirektor. Statt Abstimmung hinter den Kulissen gibt es offene und kontroverse Diskussionen in den sozialen Netzwerken – und dies für alle sichtbar. Vieles, was dann zu lesen ist, erinnert eher an offene Emotion, als an kalkulierte Kommunikation.


Dienstlich oder privat?


Dass Stimmungen dann so hochkochen, erscheint mit Blick auf einen zweiten Aspekt plausibel. Dieser hängt mit Berufsbild und Selbstverständnis der Landwirtschaft zusammen.


Beschäftigte in anderen Branchen können und müssen ihre Lebensbereiche stärker trennen. Arbeits- und Wohnort, Dienst- und Freizeit, berufliche und private Identität: Diese und weitere Bereiche sind für Landwirte enger miteinander verflochten, als für Angestellte in größeren Industrie- und Dienstleistungsunternehmen.

Das spricht dafür, dass Landwirte Branchenthemen nicht allein aus ihrer beruflichen Rolle heraus betrachten. Kritik an landwirtschaftlicher Praxis ist nach diesem Verständnis nicht nur Kritik an der beruflichen Tätigkeit, sondern auch ein Angriff auf Person, Familie und generationenübergreifenden Lebensentwurf.


Die persönliche Identifikation mit ihrer Tätigkeit lässt Landwirte als Akteure in den sozialen Netzwerken authentisch erscheinen. Denn diese Medien sind gerade gedacht für echte Gespräche unter Privatleuten und nicht für die Verbreitung abgestimmter Sprachregelungen.


Im Umkehrschluss macht es das für Konzerne nicht einfach, in sozialen Netzwerken als authentisch wahrgenommen zu werden. Hinter jedem ‚Post‘ darf die Netzöffentlichkeit eine Unternehmensstrategie vermuten, nicht aber eine ehrliche und offene Meinung.


Die Landwirte dagegen sind in ihrer Sprache und ihrer Stellung glaubwürdig. Man nimmt ihnen ab, dass sie meinen, was sie sagen. Das heißt aber nicht, dass man richtig findet, was sie sagen – und dass man die Art, wie sie es sagen, als sympathisch und vertrauenswürdig wahrnimmt.



Glaubwürdig ja, aber...


Wie die Kommunikation aus Landwirtschaft auf die weitere Öffentlichkeit wirkt, ist bisher noch nicht wissenschaftlich bewertet worden.


Eine Betrachtung der Reaktionen in den Kommentarfenstern lassen jedoch erste Schlüsse darauf zu, dass der Umgang der Branche mit Kritik in der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis stößt. Aussagen wie „Getroffene Hunde bellen“, „Stich ins Wespennest“, „falsch verstandene Solidarität im Berufsstand“, „wenig ausgeprägte Reflexionsfähigkeit in der Landwirtschaft“ sprechen für diese Einschätzung.


Übergeordnete Kommunikationsziele wie „Vertrauen gewinnen“, das die DLG mit der Unterüberschrift zu ihren 10 Thesen zur Landwirtschaft 2030 ausgegeben hat, lassen sich in einem solchen Umfeld nicht erreichen.

Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, wie Umweltverbände, Tierrechtler und andere Gruppen mit Kritik und Polemik umgehen. Auch diese müssen nicht selten Häme und Spott über sich ergehen lassen.


„Öko-Aktivisten“, „Ideologen“, „realitätsferne Spinner“ – das sind noch die netteren Ausdrücke, mit denen sie in Foren zu Agrarthemen bezeichnet werden.


Doch während die Agrarbranche auf Angriffe mit Protest und Empörung reagiert, scheint an ihren Kritikern jede Stilkritik stoisch abzuperlen. Kaum ein Wort über ein ungerechtes Behandeln in der Öffentlichkeit, obwohl sie nach eigener Einschätzung vermutlich allen Grund dazu hätten. Schließlich setzen sie sich ihrem Selbstverständnis nach mit ihrer Arbeit für Allgemeinwohlziele wie den Schutz von Tier und Umwelt ein. Und das mit Leib und Seele.


Was nun?


Eine kontrollierte Kommunikation, wie sie die NGOs oder zentralisierte Wirtschaftsbranchen anstreben und auch leisten, ist für die Landwirtschaft aufgrund ihrer kleinteiligen Strukturen wenig realistisch.


Es könnte für die Branche aber klug sein, in den sozialen Netzwerken künftig andere Reaktionsmuster zu zeigen. Notwendig wäre eine Mischung von authentischen Meinungs- und Gefühlsäußerungen auf der einen Seite und ein konstruktiver Umgang mit Kritik auf der anderen Seite. Dieser würde von der nichtlandwirtschaftlichen Öffentlichkeit nicht nur als echt und glaubwürdig, sondern zugleich auch als sympathisch und als dialog- und lösungsorientierter Beitrag wahrgenommen.


Aber wie lässt sich ein solcher Ansatz bei vielen Tausend landwirtschaftlichen Kommunikatoren umsetzen? Jedenfalls nicht durch eine zentrale Organisation oder Person, die ein solches Vorgehen verordnet. Dafür fehlen die Strukturen.


Vielmehr ist jeder Einzelne gefordert, der sich öffentlich äußert, die Wirkungen seines Tuns selbst zu prüfen. Wer sich in einer Diskussion zu Wort meldet oder in den sozialen Medien aktiv ist, sollte sich vorher fragen: Was will ich mit meinem Beitrag erreichen? Und wie wirkt mein Tun auf andere? Vielleicht ist die obige Checkliste dafür hilfreich.


Ein solcher „Selbstcheck“ dauert nicht lange – vielleicht aber lange genug, um manche reflexhafte Wortmeldung im Netz zu verhindern, die dem Ansehen des Berufsstands eher schaden kann.


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