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Wölfe breiten sich aus: „Die Risse nehmen zu“

Seit 1999 lebt der sächsische Mutterkuhhalter Frank Groba mit dem Wolf. Die Schäden nehmen jedes Jahr zu. Das Raubtier breitet sich nun nach Westen aus. Hier sind die Tiere durchgegangen.“ Frank Groba zeigt auf eine Lücke im Zaun. Der zweireihige Stromdraht ist zerrissen, der Boden aufgewühlt.

Lesezeit: 8 Minuten

Seit 1999 lebt der sächsische Mutterkuhhalter Frank Groba mit dem Wolf. Die Schäden nehmen jedes Jahr zu. Das Raubtier breitet sich nun nach Westen aus. Es berichtet Hinrich Neumann, freier top agrar-Autor, für die Augustausgabe der top agrar.


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Hier sind die Tiere durchgegangen.“ Frank Groba zeigt auf eine Lücke im Zaun. Der zweireihige Stromdraht ist zerrissen, der Boden aufgewühlt. „Mit fünf Leuten haben wir drei Stunden gebraucht, um die Herde wieder einzufangen“, sagt der Mutterkuhhalter aus Schwarzkollm in Sachsen.


Am Vortag waren etwa 15 Tiere von der im Wald gelegenen Koppel ausgebrochen. Die andere Hälfte der Herde blieb dagegen auf der Weide. Groba erklärt sich das ungewöhnliche Verhalten so: Wölfe waren nachts am Werk und haben die Tiere getrennt. Daher ist nur ein Teil der Herde in Panik gegen den Draht gerannt.


Zehn Risse pro Jahr

 

Seit dem Jahr 1999 hat Groba jährlich rund zehn bis zwölf Verluste. Die Raubtiere töten Tiere direkt auf der Weide. Teilweise sind Kälber aber auch einfach spurlos verschwunden. Nur sehr selten findet Groba Skelette oder andere Überreste im Wald. Anhand von Bissspuren und Losungen hat er auch mithilfe eines Jägers sowie seinem Tierarzt festgestellt, dass Wölfe sogar einmal in die Stallanlage eingedrungen sind. Daher hat er das gesamte Hofgelände mit einem festen Zaun geschützt.


Bei den Weiden ist das dagegen nicht möglich. „Ein fester Zaun mit mehreren Litzen ist unbezahlbar“, sagt er. Dazu kommt die nötige Pflege: Wenn die untere Litze wie gefordert nur 20 cm vom Boden gespannt sein soll (s. unten „Die Wölfe lernen dazu“), müsste sie ständig freigeschnitten werden. Denn so hoch muss der Bewuchs mindestens sein, damit die Tiere genügend Futter haben. „Aber zum Freischneiden fehlt mir das Personal und die Zeit“, merkt er an. 

 

Rinder greifen an

 

Frank Groba hält ca. 500 Tiere der Rassen Charolais, Fleckvieh, Limousin und Blonde d‘Aquitaine. Der regelmäßige Kontakt mit Wölfen in der Gemarkung, die zu 60 % aus Wald besteht, hat die Tiere verändert. „Es gibt bei allen Rassen Tiere, die plötzlich ohne Grund auf Menschen losgehen. Andere Kühe sind ruhig, auch wenn nachts ein Kalb verschwunden ist.“


Die Aggression richtet sich nicht nur gegen Menschen. Auch Lämmer oder Wildschwein-Frischlinge werden attackiert. Die Verhaltensänderung hat mit dem Auftreten der ersten Risse 1999 schlagartig zugenommen. Früher konnte er jederzeit auf die Weiden und einzelne Tiere mit dem Strick herausführen. Wegen der Unberechenbarkeit hat er heute seinen Mitarbeitern verboten, allein auf die Weiden zu gehen, z. B. zum Einziehen von Ohrmarken. Auch müssen sie mit einem Stock oder ähnlichem ausgerüstet sein.

 

Behörden zweifeln

 

In der Anfangszeit wurde er häufig belächelt für seine Vermutung, dass Wölfe seine Tiere gerissen haben. Wolfsbeauftragte, Naturschützer oder Behördenmitarbeiter haben das mit streunenden Hunden oder anderen Todesursachen erklärt, vor allem, wenn bei den Kadavern kein klassischer Kehlbiss festzustellen war. Die Tiere seien aufgrund von Krankheiten verendet und dann von Füchsen oder anderen Aasjägern angefressen worden.


„Aber wenn von einem 300 kg schweren Tier morgens nur noch ein Skelett übrig ist, müssen große Tiere in kurzer Zeit sehr viel Fleisch gefressen haben“, entgegnet er. Für ihn kommen dafür nur Wölfe infrage – auf frischer Tat ertappt hat er allerdings noch keinen von ihnen. Aber es gibt genug Berichte, dass Wölfe junge Tiere wie Schaflämmer auch reißen und anfressen, ohne sie vorher per Kehlbiss zu töten.

 

Entschädigung zu niedrig

 

Bislang hat er nur ein Tier vom Land Sachsen entschädigt bekommen. Der bürokratische Aufwand und der Frust über den Unglauben der Behörden war so groß, dass er später weitere Risse nicht mehr gemeldet hat. Doch jetzt haben die Schäden rapide zugenommen. In den letzten 16 Jahren gab es meist ab Juli die ersten Risse. In diesem Jahr hatte er ab April bereits acht Tiere verloren. Daher sieht er sich gezwungen, die Ausgleichskasse  wieder in Anspruch zu nehmen.


Allerdings ist die Entschädigung aus seiner Sicht viel zu niedrig. Für das erste Tier hatte er 1 200 € als Schlachtwert erhalten. Doch alle seine Tiere sind im Herdbuch und haben entsprechenden  Zuchtwert, der rund ein Drittel höher ist als der Schlachtwert. Dazu kommen Folgeschäden wie Euterentzündungen bei den Mutterkühe, wenn die Kälber plötzlich fehlen und nicht mehr saugen. Oder der zeitliche und auch finanzielle Aufwand, um entflohene Weidetiere wieder einzufangen.


Zudem hat er den Betrieb im letzten Jahr auf Ökolandbau umgestellt, womit seine Bewirtschaftung teurer geworden ist – alle diese Faktoren werden bei der Entschädigung nicht berücksichtigt.

 

Schweine und Biber

 

Wegen der großen Waldgebiete gibt es viele Wildschweine, die regelmäßig bei der Nahrungssuche die Grasnabe umgraben.


Mit den Wölfen hat sich die Problematik deutlich verschärft. „Die Rotten sind wesentlich größer geworden. Auch bewegen sie sich nur noch kurz vom Waldrand auf die Wiesen, um in Deckung zu bleiben“, hat er beobachtet. Die Folge: Jäger haben es immer schwerer, Tiere zu schießen. Zudem ist der Schaden auf dem Grünland erheblich größer. So manche Neuansaat war für ihn umsonst, weil die stärkeren Rotten in einer Nacht eine größere Fläche bearbeiten können.


Seit zwei Jahren ist zudem eine Biberfamilie in einem Bach heimisch, der zwischen zwei von Grobas Wiesen hindurchfließt. Der Biberdamm hat den Bach so aufgestaut, dass eine Fläche von rund 5 ha komplett vernässt ist.


Daher fordert er: „Wenn die Gesellschaft die Ausbreitung dieser Arten will, muss sie auch bereit sein, die Schäden in der Landwirtschaft angemessen auszugleichen. Ansonsten werden wir Landwirte immer mehr zum Aufgeben gezwungen!“


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Die Wölfe lernen dazu


Die Bundesregierung hat im Jahr 2016 eine neue Dokumentations- und Beratungsstelle zum Thema Wolf eingerichtet (DBB Wolf, www.dbb-wolf.de). Im Jahr 2015 gab es laut Bundesregierung 199 Wolfsübergriffe mit 714 getöteten Tieren – mit 235 die meisten davon in Niedersachsen, gefolgt von Sachsen (168). 


Bei den von Wölfen von 2002 bis 2015 getöteten oder verletzten Nutztieren in Deutschland handelte es sich zu 89,1 % um Schafe oder Ziegen, 8,8 % um Gatterwild und in 1,9 % um Rinder, davon meist Kälber. Wölfe könnten aber auch lernen, erwachsene Pferde und Rinder zu töten. Weil sie Weidetiere wegen der Einzäunung leichter erbeuten können als Wildtiere, sind Weiden und andere eingezäunte Gelände für Wölfe besonders attraktiv.


Wie die DBB Wolf erklärt, stellen Wölfe besonders an nicht ausreichend geschützten Schafen fest, dass diese eine einfache Beute sind. Sie haben gelernt, Schwachstellen von Schutzmaßnahmen auszunutzen. Die Wölfe würden dann auch Schutzmaßnahmen überwinden, die in vielen Bundesländern als Voraussetzungen für Ausgleichszahlungen vorgeschrieben seien. Die DBB Wolf weist ausdrücklich darauf hin, dass ein 90 cm hoher Elektrozaun nur ein Kompromiss sei. Als wolfssicher empfiehlt die DBB dagegen ein 120 cm hohen elektrischen Drahtzaun aus fünf Litzen in 20, 40, 60, 90 und 120 cm Höhe.


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Abschuss von Wölfen ist in vielen Ländern erlaubt


Derzeit leben in Europa zwischen 10 000 und 15 000 Wölfe. Nach Angaben der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) gibt es die größten Populationen in den Baltischen Ländern (4 300 Tiere), im Balkangebiet (3 900 Tiere), den Karpaten (3 000 Tiere), im nördlichen Spanien (2 500 Tiere), gefolgt von Italien mit 600 bis 800 Tieren sowie Finnland, Schweden und Frankreich mit je 150 bis 250 Tieren.


Auch in Österreich, der Schweiz und Tschechien leben Wölfe. In den italienischen und französischen Südalpen haben sich laut LfL etwa 35 Wolfsfamilien mit 200 bis 250 Tieren etabliert. In der Schweiz gab es im Jahr 2013 etwa 20 Wölfe.


Nach der europäischen FFH-Richtlinie (FFH-RL) ist der Wolf eine streng zu schützende Art. Er ist in der FFH-RL in fast allen Ländern in Anhang IV als nicht jagdbares Wild gelistet. Ausnahmen machen Bulgarien, Estland, in Finnland in den Rentiergebieten, Griechenland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei und Spanien. In diesen Ländern bzw. Gebieten ist der Wolf in Anhang V gelistet. Das bedeutet, dass Mitgliedsstaaten unter bestimmten Umständen Wölfe schießen dürfen. Sie tun das mit einer regional und räumlich begrenzten Bestandsregulierung über eine Quotenjagd bis hin zu einem auf Ausnahmen basierten Abschuss („Entnahme“).


Auch in Frankreich dürfen Jäger ein gewisses Kontingent schießen. In Schweden hat die Regierung eine Obergrenze von 250 Tieren festgelegt. Wächst die Population darüber hinaus, wird eine jährliche Abschusszahl festgelegt. Damit es in der isolierten Population keine Inzucht gibt, wird im Abstand von wenigen Jahren ein Wolfsrüde aus anderen Regionen eingeführt.


Der Wolfsabschuss ist auch in Finnland gestattet. Die Begründung der Regierung: Wenn es keine genehmigte Jagd gäbe, würde illegale Wilderei zunehmen. In den Wintern 2014/15 und 2015/16 gab es ein Kontingent von ca. 50 Wölfen, die zum Abschuss freigegeben waren. Nach Protesten von einigen Artenschützern hat die Regierung das Kontingent auf 35 herabgesetzt und die Jagdzeit verkürzt.


„Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass eine begrenzte Jagd auf den Wolf auch nach EU-Recht bei Bedarf möglich ist“, sagt Helmut Dammann-Tamke, Präsident der Landesjägerschaft in Niedersachsen und CDU-Landtagsabgeordneter. Seine Fraktion plädiert dafür, den Wolf in bestimmten Regionen zuzulassen, wo es möglichst wenig Konflikte mit der Weidehaltung gibt.


Der Abschuss von abwandernden Wölfen und Einzelgängern könnte dazu beitragen, eine Ausbreitung in Regionen mit intensiver Schafhaltung (wie z. B. an Deichen) zu verhindern. Auch könnte das, wie beim Fuchs, die Fluchtdistanz zum Menschen erhöhen, wenn der Wolf lernt, dass der Mensch gefährlich ist.

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