Ungeachtet der Herausforderungen bei der globalen Ernährungssicherung hat sich der Berliner Agrarökonom Prof. Harald Grethe gegen eine weitergehende Intensivierung der Landwirtschaft an den europäischen Gunststandorten ausgesprochen.
Die Sicherstellung der weltweiten Ernährung sei für eine wachsende Weltbevölkerung nicht in erster Linie ein Mengen-, sondern vielmehr ein Verteilungsproblem. So könne die globale Mengenbilanz bei Nahrungsmitteln auch über eine nachhaltigere Verwendung, beispielsweise durch eine Verminderung von Lebensmittelverschwendung oder einen geringeren Fleischkonsum, verbessert werden.
Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) hält es für sinnvoll, die Nahrungsmittel dort zu produzieren, wo der Bedarf wächst. Deshalb sollte die Produktion vorrangig in Entwicklungsländern mit einem hohen Bevölkerungswachstum gesteigert werden, nicht nur um dort Nahrungsmittel bereitzustellen, sondern auch zur Förderung der dortigen Wirtschaft und Kaufkraft.
Zunehmender Rechtfertigungszwang
Die Landwirtschaft in westlichen Staaten wie Deutschland steht nach Darstellung von Grethe unter zunehmendem Rechtfertigungszwang, was ihre Methoden und vor allem ihre Wirkung auf Umwelt, Klima und Tierwohl angeht. Nach seinen Worten dürfen sich die Bauern, aber auch die Agrarpolitik hier nicht auf Verteidigungspositionen zurückziehen, sondern müssen sich den tatsächlichen Problemen stellen. Der Klima- und Ressourcenschutz dürfe beispielsweise von den Akteuren nicht als regelrechtes „Tabuthema“ behandelt und damit dem Bundesumweltministerium überlassen werden. Der Berliner Agrarökonom zeigte sich überzeugt, dass der Sektor in Bezug auf diese Problemfelder um Veränderungen, die teilweise auch agrarstrukturelle Konsequenzen nach sich ziehen dürften, nicht herumkommen werde.
Klimaziele erfordern Veränderungen
Laut Grethe zwingen aber auch die deutschen Klimaschutzziele die Landwirtschaft zu Anpassungen in der Tierhaltung, beispielsweise beim Nährstoffmanagement oder bei der Renaturierung von Moorstandorten. Dafür sind dem Wissenschaftler zufolge neue politische Steuerungsinstrumente sowie finanzielle Kompensationen für Produktionsausfälle vonnöten. In diesem Zusammenhang plädiert Grethe für die kurzfristige Umschichtung von 15 % der Mittel der Ersten Säule in die Zweite. Diese Maßnahme sei ohne weiteres bis zum Prämienjahr 2018 umzusetzen und würde damit stärker als bisher gesellschaftliche Leistungen honorieren. Grethe empfiehlt der Branche, hier „proaktiv“ voranzugehen und so auch einen Beitrag zur langfristigen Rechtfertigung der Agrargelder zu leisten.