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Melken auf einem „Tambo“ in Argentinien

Mehrere Kilometer bis zur Asphaltstraße und monatelang kein Regen: Milch-Profis in Argentinien trotzen den widrigen Bedingungen und steigern die Milchmenge. Nina Dreher berichtet über einen typischen Milchviehbetrieb – einen „Tambo“.

Lesezeit: 9 Minuten

Mehrere Kilometer bis zur Asphaltstraße und monatelang kein Regen: Milch-Profis in Argentinien trotzen den widrigen Bedingungen und steigern die Milchmenge. Nina Dreher berichtet über einen typischen Milchviehbetrieb – einen „Tambo“.


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Bei Argentinien denkt man eher an saftige Steaks als an Milch und Käse. Das Land hat jedoch in kurzer Zeit eine florierende Milchwirtschaft entwickelt. Es ist mittlerweile das größte Milch-Land Südamerikas.

Aufstieg zum Milch-Land:


Noch vor hundert Jahren gab es nur nahe der Stadt Buenos Aires einige Milchviehbetriebe. Heute erzeugen knapp 11 000 Betriebe jährlich über 11 Mio. l Milch. Über 900 große und kleine Molkereien verarbeiten diese Menge. Mit Ausnahme Uruguays konsumiert kein anderes Land Lateinamerikas so viel Milch und Milchprodukte: 211 l pro Kopf und Jahr. Gut ein Viertel der Produktion geht in den Export, vor allem an den großen Nachbarn Brasilien, aber auch an Mexiko, Venezuela, Nordafrika und Asien.


Die „Tambos“ (Milchviehbetriebe) konzentrieren sich auf die vier zentralen Provinzen des Landes. Hier ermöglichen ein mildes Klima und fruchtbare Böden den ertragreichen Anbau der wichtigsten Futterpflanzen Luzerne, Weidelgras und Mais sowie eine ganzjährige Weidehaltung. Die Herdengröße der meisten Betriebe liegt zwischen 100 und 500 Kühen. Die Milchleistung liegt im Schnitt bei ca. 5 000 l/Kuh/Jahr.


Insgesamt ist die Betriebsstruktur sehr vielfältig: Es gibt kleine Familienbetriebe ebenso wie riesige Farmen, sehr gut geführte ebenso wie weniger professionell bewirtschaftete Höfe. In der Fütterung gibt es eine große Spannbreite, angefangen vom reinen Vollweidesystem fast ohne Zufütterung bis zum intensiven Feed-Lot.

Im Umland der Kleinstadt Esperanza befindet sich auch die traditionsreichste Milchregion des Landes. Es herrscht subtropisches Klima mit heißen Sommern und trockenen, milden Wintern. Im Jahresschnitt liegen die Temperaturen bei 17 °C, die gut 900 mm Niederschlag fallen zum Großteil im Sommer.


Tierarzt pachtet Betriebe


In dieser Milch-Hochburg lebt der Tierarzt Oscar Garnero, ehemaliger Leiter des Lehrstuhls für Milchwirtschaft an der örtlichen Fakultät. Garnero hat von seinen Eltern einen kleineren Betrieb übernommen und in den letzten Jahren zusammen mit seinem Bruder zwei weitere Milchviehbetriebe dazu gepachtet.Der größte davon ist der Tambo „Dos Soles“. Garnero kannte den Betrieb von seiner Tätigkeit als Tierarzt. Vor acht Jahren bot sich schließlich die Möglichkeit, den Betrieb für monatlich umgerechnet 5 300 € zu pachten. Zusammen mit seinem Bruder und einem anderen Investor gründete der Tierarzt dafür eine Aktiengesellschaft.


Die rund 280 Holstein-Kühe wurden zunächst „gepachtet“ und nach und nach gekauft, ebenso wie die Maschinen. Der Betrieb hat 463 ha Fläche, von denen 330 genutzt werden. Die restlichen Flächen sind den Überschwemmungen des nahegelegenen Rio Salado ausgesetzt und mit einem niedrigen Dornwald bewachsen, der nur dem Nachbarn als Extensivweide dient.


Auf den anderen 330 ha betreibt Garnero das klassische „gemischte“ System der argentinischen Milchviehbetriebe: Gut die Hälfte des Futters stammt von der Weide, auf der Luzerne, Weidelgras oder Hafer steht. Das restliche Futter aus Konserven und Kraftfutter, vor allem Silage aus Mais und Sorghumhirse, aber auch Heu, Körnermais, Weizen und Soja.


Die am weitesten vom Melkhaus entfernten 90 ha sind für den Ackerbau bestimmt. Im Direktsaatverfahren werden hier auf drei großen Schlägen Weizen, Soja und Mais angebaut, bis auf wenige Pflegemaßnahmen ist die Arbeit an Lohnunternehmer ausgelagert. Soja wird teils verkauft, teils gegen Soja-Extraktionsschrot eingetauscht. An Futtermitteln müssen so lediglich Kälberstarter, Biertreber und Mineralfutter zugekauft werden.


Als Betriebsleiter ist Cristian Fleyta auf „Dos Soles“ zuständig für Fütterung, Weide- und Herdenmanagement und vier weitere Mitarbeiter. Für alle auf dem Betrieb beschäftigten Personen gilt eine Sechs-Tage-Woche. Der niedrigste Monatslohn liegt bei 430 €, was knapp dem Doppelten des argentinischen Mindestlohns entspricht. Wohnungen in zwei Häusern, Strom, Gas und Wasser werden den Mitarbeitern gestellt.


Gemolken wird zu zweit jeweils um 5.00 und 15.00 Uhr in einem Doppel-16er-Fischgrätenmelkstand mit Swing Over-Technik. Die gut 230 melkenden Kühe sind in zwei Leistungsgruppen eingeteilt, kranke und behandelte Tiere bilden eine extra Herde und kommen erst zum Schluss dran. In zwei Stunden sind in der Regel alle Tiere gemolken.


20 Cent Milchpreis


Jeden Tag gehen gut 6 000 l Milch an die zum französischen Konzern Bongrain gehörende Molkerei Milkaut. Der Milchpreis in der Region liegt momentan bei 19 bis 21 €-Cent. Wie jede Molkerei führt Milkaut seine Qualitätskontrollen selber unangekündigt zwei- bis dreimal im Monat durch. Bei über 100 000 Keimen oder über 400 000 somatischen Zellen pro ml Milch droht Abzug beim Milchgeld. Der Fett- und Eiweißgehalt der Milch wird bislang nicht in der Bezahlung berücksichtigt. Der Staat bemüht sich aber, dies über das neue System „Bezahlung nach Qualität“ zu ändern.


Als Mitglied der staatlich organisierten „offiziellen Milchkontrolle“ erhält Garnero monatlich einen Laktationsbericht. Momentan liegt der Herdendurchschnitt bei 7 300 l Milch/Kuh/Jahr, die Zellzahlen bei 200 000/ml. Dieser Service, den etwa ein Viertel der argentinischen Milchviehbetriebe nutzen, kostet ihn jährlich etwa 200 €.


Wie auf vielen Betrieben ist auch auf „Dos Soles“ durch die schlechte Verkehrsanbindung der Milchtransport oft problematisch. Bis zur nächsten Asphaltstraße geht es 9 km über einen unbefestigten Feldweg. Bei Regen ist für den Tanklaster kein Durchkommen mehr, die Milch muss mit dem Traktor in einem Kunststofffass bis zur Straße gebracht werden.


Dabei wird jedes Mal der Weg durch die Fahrspuren aufgerissen und der Keimgehalt der Milch steigt durch den Transport kritisch an. Eine der ersten Anschaffungen Garneros war daher ein 16 000 l-Milchtank, um zumindest einen Regentag überbrücken zu können.


Ausgetüftelte Fütterung


Beide Fütterungsgruppen erhalten zweimal am Tag eine Ration aus Maissilage, Sojaschrot, Körnermais, Biertreber und Mineralfutter. Die Trockensteher erhalten eine extra Ration mit einem hohen Anteil von Haferheu. Das Jungvieh bekommt zusätzlich zur Weide Sojaschrot und Körnermais aus dem Trog und Sorghumsilage zur Selbstbedienung.Die Weideflächen für die verschiedenen Kuhgruppen werden jeden Tag nach Bestimmung des Aufwuchses neu zugeteilt. Um die Weideführung zu vereinfachen, wurde die Zahl der Felder von 45 auf 20 reduziert und der Stacheldraht durch einfachen Draht ersetzt. Im Spätherbst weiden beide Herden morgens auf einer mit Weidelgras bestandenen Fläche, die altmelkenden Kühe zusätzlich nachmittags auf Luzerne.


Diese bringt in der Region im Jahr etwa 150 dt TM/ha Ertrag. Nach dem zweiten Jahr geht der Ertrag zurück, daher wird in der Regel nach drei bis vier Jahren neu eingesät oder auf Weidelgras gewechselt. Das Futtergras liefert hier jährlich etwa 90 dt TM/ha, den Großteil davon in den kühleren Monaten. Wasser für die Weidetiere wird mit von Windrädern angetriebenen Pumpen hochgefördert und in großen Rund-tanks gespeichert.


Die wichtigsten gesundheitlichen Probleme der Herde sind Garnero zufolge Eutererkrankungen und Fruchtbarkeitsstörungen. Auch mit Leukose gibt es immer wieder Probleme. Im letzten Jahr verendeten neunzehn Tiere an der in Deutschland anzeigepflichtigen Tierseuche. Auch Erkrankungen und Verletzungen der Klauen müssen behandelt werden, allerdings erübrigt sich durch die ganzjährige Weidehaltung eine regelmäßige funktionelle Klauenpflege.


Bei sommerlichen Höchsttemperaturen von über 45 °C und hoher Luftfeuchtigkeit ist Hitzestress mit all seinen Folgen ein großes Problem für die Kühe. Im Melkstand sorgen zwei große Ventilatoren für Abkühlung. Der Wartebereich ist überdacht und mit Tränkebecken und Sprinklern versehen. Im Hochsommer werden die Tiere nur auf Weidekoppeln getrieben, auf denen große Bäume Schatten spenden. Damit keine Abkalbungen in den heißesten Monat Januar fallen, wird im April grundsätzlich nicht besamt.


Kälber an Pflöcke gebunden


Bei der Übernahme des Betriebs gab es Schwierigkeiten bei der Aufzucht. Die Kälbersterblichkeit lag bei 19 %.Für Garnero lag dies vor allem an den bisherigen Haltungsbedingungen: Wie in Argentinien üblich, wurden die Kälber bis zum Absetzen mit sechs bis acht Wochen an einzeln stehenden Pflöcken angebunden. Das verhinderte zwar gegenseitiges Besaugen und die Übertragung von Krankheiten. Die Tiere waren dafür aber in ihrer Bewegung eingeschränkt und vor der Witterung ungeschützt. Auch an der Tierbetreuung und der Hygiene haperte es oft, da die Milcheimer bei sengender Sonne oder im strömenden Regen von Pflock zu Pflock geschleppt werden mussten.


Der Betriebsleiter ist deshalb dazu übergegangen, die Kälber bereits ab dem zweiten Lebenstag in Gruppen zu halten. Nun stehen die Tiere in fünf langen, schmalen Weidekoppeln mit einem überdachten Laufgang mit Seitenwand an der Stirnseite, der Mensch und Tier Schutz vor der Witterung bietet.


Von dort aus bekommen die Kälber pasteurisierte Milch aus 5er-Gruppentränken, außerdem Kälberkraftfutter und Luzerneheu. Zweimal im Jahr werden Mutterschutzimpfungen durchgeführt, Biestmilch im Notfall auch mit der Flasche oder über eine Schlundsonde verabreicht. Der Nabel der neugeborenen Kälber wird zweimal mit Jod desinfiziert und danach mit einem trocknenden Zinkpulver behandelt.


Die Kombination dieser Maßnahmen ist wirksam: Mittlerweile liegen die Aufzuchtverluste nur noch bei 4 %.

Flächen überschwemmt:


Auf „Mundo Nuevo“, Garneros kleinerem Pachtbetrieb, herrschen weniger günstige Bedingungen: Die Flächen liegen viel tiefer und wurden in den letzten zwölf Jahren bereits dreimal überschwemmt. Deshalb hat er die Investition in einen neuen Melkstand bisher verschoben. Noch werden die 160 Kühe ebenerdig in einer einfachen Anbindevorrichtung gemolken. Anstelle einer reinen Holsteinherde setzt Garnero für den extensiver geführten Betrieb auf Gebrauchskreuzungen zwischen Holsteins und Jerseys.Wie geht’s weiter?


Argentiniens Milchwirtschaft hat, auch wegen der welt-weit steigenden Nachfrage nach Milchprodukten, ein großes Wachstumspotenzial. Von der Regierung wünschen sich die argentinischen Milchbauern daher mehr Unterstützung für Investitionen sowie für den Ausbau der Infrastruktur (Wege, Stromleitungen).Außerdem fordern sie ein System, um sich gegen Futterausfälle aufgrund von Überschwemmungen und Dürre versichern zu können.


Diese Reportage stammt aus der top agrar 1/2015. Unsere Autorin: Nina Dreher hat nach dem Agrar-Bachelorstudium an der Technischen Universität München von 2006 bis 2011 in Rafaela in der Provinz Santa Fe gelebt. Sie hat an einer landwirtschaftlichen Versuchsstation gearbeitet. Von 2009 bis 2011 hat sie ihren Master an der Uni Rosario absolviert. Jetzt arbeitet sie als Lehrerin an der Tierhaltungsschule LVFZ Spitalhof in Kempten. Sie ist mit einem argentinischen Tierarzt verheiratet.

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