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Hofkindergarten: Rasselbande im Kuhstall

Aktuell gibt es in Deutschland 30 Bauernhofkindergärten, es sollen mehr werden. Die Genossenschaft Kita Natura eG hilft bei der Neugründung und Verwaltung. Katharina Meusener sprach mit Erzieherinnen und Praktikern.

Lesezeit: 11 Minuten

Aktuell gibt es in Deutschland 30 Bauernhofkindergärten, es sollen mehr werden. Die Genossenschaft Kita Natura eG hilft bei der Neugründung und Verwaltung. Katharina Meusener berichtet für die top agrar-Ausgabe 5/2018:


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Mein Traum? Dieses Jahr vier neue, und dann jedes Jahr mindestens fünf weitere!“ Anne-Marie Muhs geht ambitioniert ans Werk. Bereits 2000 hat die Ökotrophologin und Landwirtsfrau den ersten Bauernhofkindergarten in Deutschland eröffnet. Bis heute sind 30 – teils ganz verschieden organisierte – Naturkindergärten auf landwirtschaftlichen Betrieben dazugekommen. „Zu wenig!“, findet die Pionierin. „Ich habe über 100 Leute beraten, alle hochmotiviert.“ Mit der Gründung der Genossenschaft „Kita Natura eG“ wollen Muhs und ihr Team die Entwicklung nun ankurbeln.


Da geht noch mehr!


Sie weiß: Gescheitert sind die Bemühungen vieler Hof-Kita-Gründer an den Unstimmigkeiten mit Behörden vor Ort. Tiere, Maschinen, Werkzeug: Für die Mitarbeiter der Stadtverwaltung klingt ein Bauernhof offenbar eher nach einem gefährlichen Arbeitsplatz als nach einem geeigneten Ort zur Kinderbetreuung.


Die zweite Hürde sieht sie in der Trägerschaft. „Um einen Kindergarten zu eröffnen, braucht es einen Verein, dem die Eltern beitreten“, erklärt sie. Die Finanzierung gelinge dann über die Stadt, das Land und den Verein selbst.


Die Hürde Vereinsgündung umgeht Muhs über die „Kita Natura eG“, die sie im Juni 2017 ins Leben gerufen hat. Die Genossenschaft greift bundesweit Landwirten und Erziehern unter die Arme, die einen Hofkindergarten realisieren möchten. Vier Mitarbeiter kümmern sich z.B. um Bauanträge, Fördergelder, Hygiene- und Sicherheitskonzepte. „Aktuell machen wir das ehrenamtlich“, erklärt Muhs. „Ab dem kommenden Jahr muss dieses Engagement aber vergütet werden.“


Darüber hinaus übernimmt die Kita Natura eG die Trägerschaft für die Kindergärten. „Die Eltern erwerben zu Beginn einen Genossenschaftsanteil, den sie, nachdem das Kind in die Schule wechselt, spenden können oder zurückerhalten“, erklärt Muhs. Auch die Erzieher werden Teil der Genossenschaft und erhalten so ein Stimmrecht. „Den Landwirten halten wir es offen, ob sie einen Genossenschaftsanteil erwerben oder nicht“, erklärt die Montessori-Pädagogin.


Offen und interessiert


Das Konzept der Genossenschaft entlastet die Landwirtsfamilie bei der Realisierung eines Kindergartens. Auf Höfen, auf denen niemand die Behördengänge, Anträge und Zeit für die laufende Verwaltung umsetzen kann, übernimmt die Genossenschaft die Leitung komplett. „Wöchentlich sprechen uns Erzieher an, die einen Landwirt suchen, um mit ihm einen Kindergarten zu eröffnen“, sagt Muhs. Die Genossenschaft agiert dabei gerne als Netzwerk und Vermittler. Auch bei Einstellungsgesprächen für die Erzieher kann der Landwirt mit am Tisch sitzen und entscheiden, wer zum Hof passt und ob die Chemie stimmt.


Das hat auch beim ersten Kindergarten der Genossenschaft auf einem konventionellen Milchviehbetrieb in Passade bei Kiel gut funktioniert. „Mein Neffe Jan Thore Pieper leitet den Hof. Die Genossenschaft hat die ehemalige Wohnung der Altenteiler fertig renoviert von ihm gemietet“, erklärt sie. „Hier sind im vergangenen Oktober die Sonnenkinder eingezogen.“


Dass man nicht unbedingt feste Räume braucht, zeigt das zweite Projekt der Genossenschaft. In die Gärtnerei von Stefan und Mira Berg ziehen im kommenden September die „Gartenkinder“ ein. „Wir planen einen naturnahen Kindergarten. Ein Holz-Tipi dient als Unterstand“, erklärt Larissa Schweizer, Vorsitzende und Mitgründerin der Kita Natura eG. Ebenfalls in diesem Jahr ist auch die Eröffnung des Bauernhofkindergartens Neckartal in der Nähe von Stuttgart, eines Kindergartens in Pforzheim und eines weiteren in Passade geplant.


„Wie die Höfe unterscheiden sich die Kitas voneinander“, erklärt Muhs. Aktuell diskutiert sie z.B. mit einem Landwirt, der Schweine im geschlossenen System hält. Das Problem: Hier hätten die Kinder keinen direkten Kontakt zu den Tieren. „Das ist knifflig, denn es ist uns wichtig, dass die Kinder mit den Tieren umgehen und verstehen, woher ihr Schnitzel kommt“, erklärt Muhs.


Dass manche Kinder gar nicht mehr wissen, woher ihre Lebensmittel stammen, weiß auch Franziska Hampl. Sie leitet den Kindergarten der Stiftung Ökologie & Landbau auf Gut Hohenberg in Rheinland-Pfalz. „Unter der Woche sind bei uns auch Schulklassen und andere Gruppen zu Besuch“, sagt sie. Unsere Kindergartenkinder sind dann die Profis, die auch mal neugierig zugeschaut haben, wie man ein Wildschwein zerteilt. Die Schulklassen haben oft eine höhere Hemmschwelle und sind häufig zuerst entsetzt, wenn wir die Schweine zum Schlachten verladen“, sagt sie.


Konventionelle gesucht


Die meisten der 30 Hofkindergärten sind auf Biobetrieben beheimatet. „Wir möchten aber unbedingt mehr Kindergärten auf konventionellen Betrieben eröffnen“, sagt Anne-Marie Muhs. „90% der Höfe in Deutschland wirtschaften konventionell. Uns ist es wichtig, der heranwachsenden Generation die authentische Landwirtschaft in all ihren Facetten näherzubringen.“


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Hof-Kitas: Infos und Fakten


Das Signal der Gesellschaft ist eindeutig: Immer mehr Eltern möchten ihre Kinder in Kindergärten mit Bezug zu Natur, Wald und Landwirtschaft betreuen lassen.


  • Über die Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof (BAGLoB) tauschen sich die bestehenden Kitas z.B. in Seminaren und auf Tagungen aus (www.baglob.de). Auf ihrer Homepage bietet die BAGLoB zudem einen Leitfaden und eine ausführliche Argumentationshilfe zur Gründung eines Kindergartens auf dem eigenen Hof an.
  • Seit Juni 2017 erleichtert die Genossenschaft „Kita Natura eG“ die Neugründung eines Kindergartens (www.kita-natura.de).
  • Landwirtinnen und Landwirte, die nicht eine ganze Kita, sondern regelmäßige Workshops oder Wochenkurse für Kinder etablieren wollen, werden im Ausbildungsangebot der Landwirtschaftskammern fündig. Schlagwort: Bauernhofpädagogik.
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Drei Tage im Wald, zwei am Hof


Im Bauernhof-Waldkindergarten auf Gut Hohenberg erlernen die Zwei- bis Sechsjährigen erst den Rhythmus der Jahreszeiten, bevor sie in die Schule gehen.


Das Gut Hohenberg in Annweiler an der deutschen Weinstraße ist seit vier Jahren der Standort des Bauernhof-Waldkindergartens rund um Leiterin Franziska Hampl. „In Rheinland-Pfalz sind die Kitaplätze kostenlos. Im früheren Kitaverein mussten die Eltern dagegen für ihren Platz bezahlen. Mit der Zeit gingen die Anmeldungen zurück und wir beschlossen, uns mit dem Gut zusammenzutun“, erklärt die 29-Jährige. „Wie das Gut gehören wir seitdem der Stiftung Ökologie & Landbau an. Wir konnten unser Angebot auf den Nachmittag ausbauen. Dadurch hat uns die Stadt in die Bedarfsplanung aufgenommen“, sagt sie. Der Kindergarten betreut aktuell 25 Kinder ab zwei Jahren.


Vormittags stehen die Räume dennoch leer. „Wir treffen uns morgens an drei Tagen in der Woche mit den Kindern am Hühnermobil und gehen in den Wald“, erklärt Hampl. Dienstags und donnerstags sind sie dafür auf dem Hof. „Die Kinder verbessern ihr Gleichgewicht und die Koordination beim Umgang mit den Tieren, z.B. beim Ausmisten. Sie lernen zusammenzuarbeiten und Rücksicht zu nehmen. Auch still zu sein, damit die Tiere näherkommen, ist eine gute Übung“, ist die Pädagogin von ihrem Konzept überzeugt. „Im Herbst sammeln wir auch Äpfel und jedes Kind darf Saft pressen“, erklärt Hampl.


Das Gut Hohenberg selbst ist dabei kein produzierender landwirtschaftlicher Betrieb. „Wir wollen den Kindern die Landwirtschaft zeigen. Was wir hier auf 35 ha produzieren, dient der Selbstversorgung“, erklärt Dr. Uli Zerger, Vorstand der Stiftung. Vielfalt, z.B. mit Hafer, Gerste, Triticale und Erbsen, ist ihm dabei besonders wichtig. Stolz ist Zerger auf seine Tiere. „Wir halten z.B. Hinterwälder Kühe und Thüringer Waldziegen“, sagt er.


Die Kindergartenkinder profitieren davon, sie können alles anfassen und den Pflanzen und Tieren beim Wachsen zusehen. „Sie kommen mit zwei Jahren auf den Hof und können vier Jahre lang den Lauf der Natur begleiten“, sagt Hampl.



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Erzieherinnen suchen Landwirt


In der Gemüsegärtnerei Berg in Binzen machen Erzieherinnen und Gärtner jetzt gemeinsame Sache.


Etwa ein Jahr lang haben Lara Hell und Larissa Schweizer in der Region um Freiburg nach einem Landwirt gesucht, mit dem sie einen Bauernhofkindergarten eröffnen konnten. „Nachdem ich zum ersten Mal mit Stefan gesprochen hatte, konnte ich unser Glück kaum fassen“, erklärt Hell. Der junge Gemüsebauer und seine Frau hatten gerade ihre erste Tochter bekommen und waren dem Konzept der beiden Pädagoginnen von vornherein aufgeschlossen. „Ich selbst habe zwei Ausbildungen absolviert, die zum Erzieher und die zum Landwirt. Der Umgang mit Kindern ist mir also vertraut“, sagt er. Dauerhaft, meint Berg, passe aber die Arbeit in der Demeter-Gärtnerei besser zu ihm.


Ein Bestandsgebäude, das man für den Kindergarten umnutzen kann, steht im Gärtnereibetrieb nicht zur Verfügung. Stattdessen schwebt dem Team das Konzept eines naturnahen Kindergartens, ähnlich wie bei einem Waldkindergarten, vor. „Da sind die Auflagen deutlich geringer, was zum Beispiel die sanitären Anlagen und generell die Infrastruktur angeht“, erklärt Schweizer. Für den Schlecht-Wetter-Schutz gibt es keinen festen Raum, sondern ein Holz-Tipi. Außerdem muss das Gründungsteam den ehemaligen Lehrgarten der Gärtnerei, in dem der Kindergarten im September 2018 eröffnet, komplett einzäunen. „Insgesamt rechnen wir mit Investitionskosten von ca. 20000 Euro“, erklärt Schweizer. Das Geld dafür wollen sie über Spenden aufbringen.


Neu verhandeln


Bevor das Bauprojekt startet, gilt es aber noch einige organisatorische Hürden zu überwinden. „In Baden-Württemberg gibt es bisher kaum Bauernhofkindergärten. Zudem sind hier in der Region ausreichend Betreuungsplätze vorhanden. Unser Antrag beim Jugendamt, um in die Bedarfsplanung aufgenommen zu werden, ist deshalb beim ersten Versuch gescheitert“, erklärt Hell. Aufhalten lässt sich das junge Team aber nicht. „Wir haben inzwischen 40 Voranmeldungen auf 20 Plätze. Mit diesen Zahlen wollen wir noch einmal auf die Ämter zugehen, um zu zeigen, dass das Interesse an unserem Konzept durchaus groß ist.“



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INTERVIEW: Hofkitas bundesweit fördern!


Anne-Marie Muhs ist Montessori-Pädagogin. Die Ökotrophologin und Betriebswirtin lebt mit ihrer Familie auf einem Biobetrieb mit Schweinehaltung in Schleswig-Holstein. Mit der Kita Natura eG will sie Landwirten die Gründung eines Hofkindergartens erleichtern.


Frau Muhs, wo gibt es die meisten Bauernhofkindergärten?

Muhs: Zwei Drittel der Bauernhofkitas befinden sich in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Einige gibt es in Hessen, NRW, Rheinland-Pfalz und Bayern. In Süddeutschland wollen wir in diesem Jahr drei neue Kitas eröffnen.


Welche Vorteile bietet die Genossenschaft Landwirten, die selbst einen Kindergarten gründen wollen?

Muhs: Statt für jeden Kindergarten einen einzelnen, individuellen Verein zu gründen, steht für die Trägerschaft jetzt die Genossenschaft zur Verfügung. Wir stellen auch die Erzieher ein und kümmern uns um die Begehungen mit dem Jugend- und Gesundheitsamt, Förderanträge und die Öffentlichkeitsarbeit.


Wer trägt die Investitionskosten?

Muhs: Die Kosten für das Herrichten und Umbauen übernimmt der Landwirt. Wir mieten die Räume dann zu den normalen Mietpreisen in seiner Region an. Die Kosten für den Kindergartenbetrieb übernimmt dann die Genossenschaft.


Wer kann Mitglied werden?

Muhs: Eltern, Erzieher, Landwirte und jede engagierte Privatpersonen. Wenn ich Landwirt bin, mich das Thema interessiert, ich aber selbst keinen Kindergarten eröffnen möchte, kann ich natürlich auch Anteile erwerben. Ein Anteil kostet 350 €.


Wie viel Rücksicht muss der Betrieb auf den Kindergarten am Hof nehmen?

Muhs: Der Kindergarten selbst ist eingezäunt. Bei Arbeiten wie dem Güllefahren oder in der Erntezeit ist es klar, dass die Kinder nicht einfach über den Hof rennen. Ansonsten können die Schnittpunkte da liegen, wo Zeit und Raum dafür ist. Wenn es ein neues Kälbchen im Stall zu bestaunen gibt oder die Kinder am Feldrand beim Säen zusehen können, reicht ein Zuruf zum Erzieher. Manche Gruppen haben auch feste Aufgaben, die Sonnenkinder schieben morgens z.B. das Futter für die Färsen ran und freitags nimmt sich der Jungbauer etwas Zeit, um beim Mittagessen die neugierigen Fragen der Kinder zu beantworten. Wie weit sich Kindergarten und Hofleben vermischen, können wir also ganz individuell besprechen.


Muss ich eine bestimmte Betriebsstruktur, z.B. die ökologische Ausrichtung oder Tierhaltung haben, um einen Kindergarten mithilfe der Genossenschaft zu eröffnen?

Muhs:Ganz klar: Nein! Wir wollen den Kindern ein realistisches Bild der Landwirtschaft vermitteln und die meisten Betriebe in Deutschland wirtschaften konventionell. Viele Bauernhofkindergärten haben zwar bereits auf Ökobetrieben ihre Tore eröffnet. Ich würde mich aber freuen, wenn die Konventionellen nachziehen und ihre Art der Landwirtschaft an die nächste Generation vermitteln.



Weil wir darauf setzen, Kindern den Umgang mit Tieren näherzubringen, ist Tierhaltung natürlich gern gesehen. Oft kann man aber schon mit einigen Ziegen oder Hühnern eine Lösung finden.


Wie steht es um das Thema Vernetzung, was kann die Genossenschaft leisten?

Muhs: Wir können dank der Genossenschaft den Austausch unter den Kindergärten fördern und auch Landwirte und Erzieher miteinander vernetzen. Zu sehen, wie andere Kindergärten sich aufgestellt haben, welche Aktivitäten sie auf dem Hof anbieten und wie sie einzelne Projekte, z.B. ein Gemüsebeet, Erntetage, das Öl- oder Saftpressen, umsetzen, ist immer spannend.

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