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Verseuchter Kompost bedroht die Existenz

580 ha Ackerland sind in Baden-Württemberg mit per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC) belastet. Die betroffenen Landwirte werden noch Jahre mit den Konsequenzen leben müssen. Der mutmaßliche Verursacher ist dagegen offenbar außen vor.

Lesezeit: 10 Minuten

580 ha Ackerland sind in Baden-Württemberg mit per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC) belastet. Die betroffenen Landwirte werden noch Jahre mit den Konsequenzen leben müssen. Der mutmaßliche Verursacher ist dagegen offenbar außen vor. Ein Bericht von Anja Rose aus der top agrar-Ausgabe 6/2017:


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Vor fünf Jahren wurden auf Flächen einiger Berufskollegen plötzlich sogenannte per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) gefunden“, berichtet Stefan Schneider, stellvertretender Kreisvorsitzender des Bauernverbands in Rastatt. Heute sind in Baden-Württemberg insgesamt etwa 100 Landwirte mit zusammen 580 ha betroffen. Davon liegen 470 ha rund um Rastatt und Baden-Baden sowie 110 ha in Mannheim.


PFC gilt als mäßig giftig und schwer abbaubar. Die Chemikalien können sich sich im Boden und im Grundwasser anreichern und so über Nahrungsmittel und Trinkwasser in den menschlichen Organismus gelangen. Um das zu verhindern, müssen die betroffenen Landwirte mit Bewirtschaftungseinschränkungen und hohen Folgekosten leben.


Wer hat Schuld?


Wer für die Verseuchung der Böden verantwortlich ist, konnte bis heute nicht abschließend geklärt werden. Im Verdacht steht ein Komposthersteller aus der Region. Er hatte bis 2008 mit Papierschlamm versetzten Kompost auf den Feldern in den Landkreisen Rastatt und Baden-Baden ausgebracht.


Entsprechend ermittelte die Staatsanwaltschaft Baden-Baden rund drei Jahre lang gegen den Hersteller – ohne Erfolg. Im Januar dieses Jahres stellte die Behörde ihre Ermittlungen ein. Ein strafbares Verhalten sei dem Beschuldigten nicht nachzuweisen, teilte sie in einer Pressemitteilung mit. Einige Fälle seien inzwischen verjährt, für andere fehle der konkrete Beweis, dass im relevanten Zeitraum tatsächlich belasteter Kompost auf die heute mit PFC-verunreinigten Äcker ausgebracht wurde. Wer die Verunreinigung in Mannheim verursacht hat, ist bis dato nicht geklärt.


Insbesondere die Begründung „Verjährung“ klingt für die betroffenen Landwirte wie Hohn, müssen sie noch viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte mit den Folgen leben. Knapp zehn Jahre nach der letztmaligen Ausbringung des belasteten Komposts ist PFC nach wie vor in allen Bodenschichten nachweisbar.


Betriebliche Existenz in Gefahr


Die Folgen sind dramatisch. Inzwischen kämpft so mancher betroffene Landwirt in der von Sonderkulturen und Direktvermarktung geprägten Region um seine Existenz. Allein in Rastatt und Baden-Baden sind etwa 90 Landwirte vom PFC-Skandal betroffen. „Die Hälfte führt ihren Hof im Vollerwerb“, beschreibt Schneider das Ausmaß. Viele sind gleich dreifach betroffen:

  • die Kunden bleiben weg,
  • die Flächen dürfen teilweise nicht mehr oder nur eingeschränkt bestellt werden und
  • die oft notwendigen Investitionen in Aktivfilter für die Brunnen liegen im mittleren sechsstelligen Bereich.
Fast noch schlimmer ist aber die ungeklärte Haftungsfrage. Die Landwirte haben die Sorge, dass sie für die Verunreinigung der Böden belangt werden können. Nicht ganz zu unrecht. Da niemand für den Schaden haftbar gemacht werden kann, fällt dieser auf die Grundstückseigentümer bzw. Pächter zurück, Sie sind rechtlich gesehen die „Zustandsstörer“, wie es im feinsten Juristendeutsch heißt.


Kein Wunder, dass bei den betroffenen Landwirten die Nerven blank liegen. Vor allem, weil nicht nur die Landwirte betroffen sind, auf deren Flächen der belastete Kompost ausgebracht wurde, sondern auch deren Nachbarn. Inzwischen hat sich das Umweltgift über das Grundwasser und die Beregnung auch auf die Flächen der Nachbarn verteilt. Gegenseitige Schuldzuweisungen sind die Folge. Hätte man nicht hellhörig werden müssen, wenn einem kostenloser Kompost zur Verfügung gestellt wird? Diese Frage stellen die unfreiwillig in Mitleidenschaft Gezogenen ihren Berufskollegen.


„Wir sitzen alle im gleichen Boot“, versucht Stefan Schneider die Wogen zu glätten. „Niemand hat in böser Absicht gehandelt. Die Kollegen wollten den Boden mit dem Kompost aufwerten.“ Diese Meinung vertritt auch Dr. Ulrich Rosswag vom Regierungspräsidium (RP) in Karlsruhe. „Der Kompost war zertifiziert. Es konnte damals niemand ahnen, welchen Schaden er Jahre später anrichten wird“, sagt er.


Wie geht es weiter?


Inzwischen werden die Ernten der betroffenen Flächen im Rahmen des sog. Vorerntemonitorings untersucht. Dafür hat das Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) in Stuttgart Bewertungsmaßstäbe entwickelt – offizielle Grenzwerte für PFC gibt es nicht. Im Jahr 2016 wurden rund 480 Proben gezogen. 40 waren PFC-positiv. Das heißt, vierzigmal Ernteausfall. Immerhin: Die Kosten der Beprobung trägt das Land.


Inzwischen gibt es Anbauempfehlungen für die betroffenen Gebiete, so weit das überhaupt möglich ist. Denn viele Fragen sind im Zusammenhang mit PFC noch offen. So lagert Weizen zum Beispiel viel PFC im Korn ein, Gerste dagegen gar nicht. Warum das so ist, weiß niemand. Am Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg in Karlsruhe (LTZ) laufen deshalb Versuche zu PFC, die Antworten liefern sollen. Schnelle Lösungen erwartet aber niemand.


„Das ist alles nichts mehr wert!“


Im Betrieb von Erik Reiss (Baden-Baden) sind 70 von 150 ha mit PFC belastet, vor allem die leichten Böden. Das ist besonders bitter, denn Reiss baut hauptsächlich Erdbeeren an, die er direkt vermarktet. Dafür braucht er die sandigen Flächen.


Die Folge: Der 45-Jährige musste den Betrieb mehr oder weniger komplett umstellen. Die Erdbeer-Fläche hat sich halbiert, weil geeignete Wechselflächen fehlen. Seitdem er vor drei Jahren rund 2,5 ha erntereife Erdbeeren mulchen musste, als die Probe im Vorerntemonitoring PFC-auffällig war, nutzt er nur noch unbedenkliche Flächen. „Ich möchte einfach, dass meine Produkte einwandfrei sind“, sagt er. „Dafür mache ich alles, was möglich ist.“ Einen seiner Brunnen musste er stilllegen. Die Flächen rundherum, ausgestattet mit Zuleitungen für die Beregnung, kann er nicht mehr nutzen. „Da liegt viel Geld im Boden“, beschreibt Erik Reiss die Situation. Insgesamt hat ihn das PFC in seinen Böden inzwischen über 200 000 € gekostet.


Fast noch schlimmer als die finanziellen Belastungen ist der Imageschaden. Obwohl Erik Reiss kontinuierlich und offensiv über seine Maßnahmen informiert, hat er einige Kunden verloren. „Wir sind gegenüber den Kunden und der Presse immer offen mit dem Thema umgegangen und werden das weiter tun“, sagt der 45-Jährige. „Es wäre schön, wenn da von den Berufskollegen noch mehr Unterstützung käme.“


Auf einem großen Teil der belasteten Flächen hat er Bienenweiden angelegt. Ein kleiner Teil ist mit Körnermais bestellt. Um die wegbrechenden Einnahmen aus dem Erdbeerverkauf zu kompensieren, hat Reiss mit einem Hofcafé und der Hoffloristik „Blütenstolz“ neue betriebliche Standbeine geschaffen.


Inzwischen plant der Landwirt einen neuen Brunnen. Sein Hausbrunnen ist zwar sauber, der in 100 m Entfernung liegende Beregnungsbrunnen ist aber belastet. „Ohne einen neuen Brunnen muss ich den Laden dichtmachen, denn nur vom Roggenanbau kann ich nicht leben“, erklärt er. Einen Zweck erfüllt der alte Brunnen aber noch: Für ihre Gefäßversuche pumpen die Wissenschaftler vom LTZ in Karlsruhe regelmäßig belastetes Wasser ab, um zu untersuchen, wie sich die PFC im Boden verteilen.


Klar hat Erik Reiss in den vergangenen Jahren auch immer mal wieder darüber nachgedacht, den Betrieb zu schließen, einfach aufzuhören. „Meine Flächen sind aber nichts mehr wert. Außerdem hänge ich an meinem Betrieb“, gibt er sich kämpferisch.


„Die Landwirte halten sich an unsere Empfehlungen“


Kurzinterview mit Dr. Ulrich Rosswag vom Regierungspräsidium Karlsruhe:


Was können die vom PFC-Problem betroffenen Landwirte tun?

Rosswag: Je nach Ausweichflächen des Betriebs können die Landwirte die betroffenen Flächen aus der Produktion nehmen oder die Fruchtfolge ändern. In den von uns betreuten Gebieten hat das bisher funktioniert. Auch die Landwirte haben ein Interesse an Produkten, die einwandfrei sind und die sie vermarkten können. Deshalb halten sie sich an unsere Empfehlungen.


Was unternehmen die Behörden?

Rosswag: Wir koordinieren im Rahmen eines vom MLR finanzierten Projekts das Vorerntemonitoring, seit letztem Jahr geben wir auch konkrete Anbauempfehlungen für die Region. Das LTZ führt Feld- und Gefäßversuche durch, damit wir Kenntnisse über das Verhalten der kurzkettigen PFC in Pflanzen und Lösungen für landwirtschaftliche Produkte gewinnen können. Wir versuchen die Betroffenen so gut zu unterstützen, wie möglich.


Welche Kulturen sind anfällig, welche weniger?

Rosswag:Gemüse nimmt viel PFC auf, Weizen und Triticale ebenso. Auf mäßig belasteten Flächen sollte deshalb auf Weizen und Triticale in der Fruchtfolge verzichtet werden. Spargel und Erdbeeren sollten nur auf unbelasteten Böden angebaut werden. Beim Mais stehen die Ergebnisse noch aus, allerdings hat sich der Körnermais im letzten Jahr als unproblematisch erwiesen. Ackerfutter und Heu sind dagegen problematisch.

Da alle Pflanzen kurzkettige PFC aus Bewässerungswasser aufnehmen, ist es wichtig, PFC-freies Bewässerungswasser zu verwenden. Auf sehr hoch belasteten Flächen bleibt im Einzelfall nur die Stilllegung.


Was bringen die Beurteilungswerte?

Rosswag: Mit den Berurtelungswerten ist es gelungen, das Risiko für Verbraucherinnen und Verbraucher zu minimieren und die Qualität der regionalen Produkte sicherzustellen.


Kann man noch bedenkenlos Kompost kaufen?

Rosswag: Wenn man sich auf Zertifikate nicht mehr verlassen kann, worauf dann? Ich glaube, dass die Landwirte durch Fälle wie in Mittelbaden aufmerksamer und vorsichtiger geworden sind. Manchmal ist es nicht absehbar, welchen Ärger uns ein Stoff in zehn Jahren bringen kann. PFC war 2008 noch gar kein Thema.


„Das Gespräch suchen“


Stefan Schneider ist stellvertretender Kreisvorsitzender des Bauernverbands in Rastatt und bewirtschaftet seinen landwirtschaftlichen Betrieb mit Direktvermarktung in Iffezheim. Zwar sind von seiner Produktionsfläche nur kleine Teilstücke betroffen, zurücklehnen möchte er sich dennoch nicht. „Es gibt in unserer Gemarkung noch keinen Fall, aber in den Gemeinden um uns herum, sind die Böden schon belastet“, sagt er. „Durch die Verteilung über das Grundwasser kann es auch uns jederzeit treffen.“


Die Sand- und Kiesböden der Region sind nur dann wirtschaftlich, wenn man Sonderkulturen anbaut und beregnen kann. „Nur auf Getreide zu setzen, lohnt sich hier nicht“, stellt der 54-Jährige fest. PFC macht die Beregnung aber nicht gerade einfach. Feste Vorgaben für die Beregnung gibt es derzeit noch nicht. Allerdings empfiehlt das Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe, die Beregnung exakt an den Bedarf der jeweiligen Kulturen anzupassen.


Ganz nach den Anbau-Empfehlungen des RP hat Stefan Schneider die belasteten Teilstücke aus der Produktion genommen, Bienenweide angelegt oder auf einer kleinen Fläche Saatmais gesät. Da im Betrieb des 54-Jährigen nur kleine Flurstücke betroffen sind, hat er noch keine Probleme mit der Fruchtfolge. „Weizen wird von den Behörden als besonders kritisch eingestuft, da er viel PFC aufnimmt. Somit scheidet er für die Fruchtfolge aus.“


Der Spargel-Anbauer setzt auf Kommunikation, versucht seine Kunden im Hofladen über die Problematik aufzuklären. Das funktioniert bisher gut.


Sorge bereiten ihm hingegen die gestiegenen Produktionskosten. „Dass die betroffenen Landwirte viel höhere Produktionskosten haben und kaum noch am Markt bestehen können, darüber denkt niemand nach“, sagt er. „Es ist schrecklich, wenn man alles richtig machen möchte, das Korn oder die Erdbeere erntereif ist und man dann nicht ernten darf.“


Hoffnung legt Stefan Schneider in die Forschungsarbeit. „Ich hoffe, auf neue Erkenntnisse. Wenn die Wissenschaftler eine Möglichkeit finden, wie man das PFC aus dem Boden bekommt, ist nicht nur uns Landwirten hier geholfen“, ist Schneider sicher. „Bis dahin müssen wir lernen, mit dem Problem umzugehen.“

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