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Liederliches Marketing oder echter Tierschutz?

Medienwirksam führt der Discounter Lidl 2018 seinen Haltungskompass für Frischfleisch ein. Die Botschaft: „Lidl sorgt für mehr Tierwohl im Stall, weil es der Staat nicht schafft.“ Ganz so einfach ist es allerdings nicht, wie Stimmen aus der Branche zeigen.

Lesezeit: 7 Minuten

Viele Landwirte nervt das Thema Tierwohl mittlerweile. Von allen Seiten prasseln ständig neue Forderungen auf sie ein, und am Ende kann man es sowieso niemandem recht machen. Auch der Lebensmittelhandel (LEH) mischt sich immer öfter ein. Im Februar überraschte Lidl die Branche mit dem Haltungskompass, der für mehr Tierwohl sorgen soll. „Über eine Haltungskennzeichnung wurde viel diskutiert. Passiert ist bisher nichts“, beklagt der Lidl-Einkaufsleiter Jan Bock. Lidl Deutschland wolle endlich handeln. Ab April kennzeichnet der Discounter deshalb alle Frischfleischverpackungen mit seinem vierstufigen Kompass (siehe Abbildung auf Seite 139). „Wir gehen damit für die gesamte Branche in Vorleistung und zeigen transparent, wie die Tiere gehalten wurden“, sagt Bock selbstbewusst.


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Geschickter Schachzug:

Der Discounter nutzt in seinem Haltungskompass geschickt bestehende Tierwohl-Programme. Trägt eine Fleischverpackung beispielsweise das Label der Stufe 2  „Stallhaltung Plus“ garantiert Lidl, dass das Fleisch von einem Betrieb stammt, der an der Initiative Tierwohl (ITW) teilnimmt (siehe Abbildung). Lidl muss weder Kriterien entwickeln noch die landwirtschaftlichen Lieferanten kontrollieren. Es ist deshalb kein Zufall, dass der Kompass  im April 2018 startet. Denn erst dann führt die ITW die Nämlichkeit bei frischem Geflügelfleisch ein, sodass Fleisch‑ Chargen garantiert von teilnehmenden Betrieben stammen.

Für die höheren Stufen nutzt der Disounter ebenfalls bestehende Strukturen. Bei der Stufe 3 „Außenklima“ steht der deutsche Tierschutzbund Pate und bei der höchsten Stufe sind es die Vorgaben aus dem Biobereich. So haben die Neckarsulmer die Hauptarbeit beim Aufbau des Labels ausgelagert und konzentrieren sich stattdessen auf die Kommunikation mit dem Endkunden.


Dabei ernten die Lidl-Manager von Marktbeobachtern überwiegend Anerkennung. Selbst Bioverbände und NGO loben den Vorstoß und nutzen die Gelegenheit eher, um die Bundesregierung für ihr Nichtstun zu tadeln. „Der Handel ist offenbar näher an den Fragen der Bürger, als es die Bundespolitik ist“, sagt z. B. der Bioland-Präsident Jan Plagge. Kritisiert werden lediglich Details: „Lidl hätte sich besser an der bereits gelernten Staffelung bei den Eiern orientiert: sprich 0 Bio bis zu 3 Käfighaltung“, bemängelt der Deutsche Tierschutzbund.


Auch beim Deutschen Bauerverband (DBV) ist man grundsätzlich offen für Haltungskennzeichnungen. „Entscheidend ist, dass mit vorhandenen Branchenstandards und insbesondere mit der Initiative Tierwohl gearbeitet und das Rad nicht neu erfunden wird. Problematisch wird es, wenn unternehmenseigene Lösungen umgesetzt werden“, sagt DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken. Für ihn ist entscheidend, dass ein echter Mehrwert dauerhaft beim Tierhalter ankommt. Außerdem müsse es eine verlässliche Entwicklungsperspektive für die kommenden Jahre geben.


Kein Marketing-Gag: Der ITW-Geschäftsführer Dr. Alexander Hinrichs  sieht im Lidl-Haltungskompass ein klares Bekenntnis zur ITW und wertet ihn nicht als einen Marketing-Gag des Discounters, der nach ein paar Monaten wieder verschwindet.

Lidl präsentiert sich derzeit gerne als Pionier in Sachen Tierwohl. „Wir freuen uns, dass wir den öffentlichen Dialog auf die nächste Ebene gehoben haben und erhoffen uns von der Branche mehr Bewegung“, heißt in einen Statement.  Nach eigener Aussage verfolgt Lidl drei Ziele mit der Haltungskennzeichnung:

  1. Der Verbraucher soll erkennen, aus welcher Haltung die Tiere stammen. Deshalb wird der Ist-Zustand auf die Verpackung gedruckt.
  2. Kunden können sich mit dem Kauf bewusst für Fleisch aus einer tierwohlgerechteren Haltung entscheiden.
  3. Langfristig sollen die Tierwohlstandards in Deutschland erhöht werden.

Das klingt gut. Trotdem gibt es nicht nur Applaus für den Haltungskompass. So bezweifelt der Verband der Fleischwirtschaft (VDF), dass Lidl bei Schweinefleisch zusätzliche Transparenz schafft. „Es gibt schon heute mit Bio und dem Tierschutzlabel des Tierschutzbundes eindeutige Kennzeichnungen für die Haltung“, erklärt die VDF-Geschäftsführerin Dr. Heike Harstick. Sie hält auch wenig davon, die Nämlichkeit bei allen Tieren übers Knie zu brechen. „Schweine und Rinder liegen nicht als Ganzes im Regal wie ein Ei, sondern in vielen verschiedenen Teilstücken und je nach Saison in unterschiedlichen Mengen“, stellt sie klar. Das mache die Haltungskennzeichnung vor allem bei Rind und Schwein sehr viel komplizierter.


Vage Prognosen, keine Preise: Das ist wohl auch der Grund, warum der Discounter bei den eigenen Prognosen recht vage bleibt. Das Ziel, Anfang 2019 rund 50 % der Frischfleischprodukte mindestens auf Stufe 2 zu verkaufen, klingt zwar ambitioniert. Dies ist aber nach Schätzungen von Branchenkennern schon durch die Umstellung bei Geflügelfleisch erreicht. Erst für das langfristige Ziel, das komplette Frischfleischsortiment der Eigenmarken auf Stufe 2 zu heben, braucht es dann auch Schweine- und Rindfleisch mit Nämlichkeit. 


Nach Veröffentlichung des Kompasses waren denn auch einige Marktteilnehmer besorgt, dass Lidl mit seiner Marktmacht die Lieferanten zwingen könnte, auch bei Schweinefleisch nur ITW-Ware zu liefern. Theoretisch wäre das möglich. Das würde aber bedeuten, dass Aldi, Rewe und Co. durch die solidarische Finanzierung der ITW die Nämlichkeit für Lidl finanzieren.

„Ich glaube nicht, dass Lidl für die Stufe 2 die Belieferung mit Fleisch von ITW-Schweinen einfordert“, sagt Harstick. Das würde die Zukunft der Initiative gefährden, meint sie. Erst in späteren Entwicklungsstufen der ITW sei eine Nämlichkeit auch beim Schwein denkbar.

Noch schwieriger wird es dann beim Rindfleisch. Dort gibt es außer dem Biostandard gar keine definierten Haltungsvorgaben. „Ich bin gespannt, wie sich Lidl hier eine Kompasskennzeichnung vorstellt“, sagt Harstick.


Offen geblieben sind zudem die Fragen zum Preisgefüge. Bisher hält sich der Discounter aus Neckarsulm vornehm zurück. In Deutschland ist Fleisch nach wie vor ein Frequenzbringer, mit dem man Kunden in den Laden lockt. Wer die Zahlungsbereitschaft der Kunden  überfordert, riskiert auch Umsätze im Obst- oder Drogeriebereich. Ganz ohne Risiko ist die Nagelprobe für Lidl deshalb nicht. „Kunden  können sich bewusst für Fleisch einer höheren Haltungsstufe entscheiden, auch wenn ab Stufe 3 „Außenklima“ der Preis steigt“, erklärt der Lidl-Manager Bock zuversichtlich.

In der Branche ist man gespannt, wie gut die Rechnung für Lidl aufgeht. „Es ist ein sehr interessanter Feldversuch, der zeigt, ob die Verbraucher höhere Fleischpreise akzeptieren“, sagt Dr. Albert Hortmann-Scholten von der LWK Niedersachsen. 


Kein Ersatz für staatliches Label: Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass Lidl ab April in jedem Laden für jedes Fleischprodukt vier Varianten anbieten wird. „Dafür reicht weder der Regalplatz noch die am Markt verfügbare Menge in den höheren Stufen“, stellt ein Vertreter aus der Schlachtbranche klar. Vermutlich werde es regional begrenzt für bestimmte Edelteilstücke neben der Basisvariante auch ein Produkt einer höheren Stufe geben, meint er. Aus Schlachter-Sicht wäre die Trennung der Warenströmung technisch möglich. In der Fleischvermarktung führe ein neues Siegel aber immer zu zusätzlichem Logistik- und Dokumentationsaufwand, der nur auf solche Teilstücke verteilt werden kann, die auch tatsächlich mit Label verkauft werden können, erklärt er. Und aus einem weiteren Grund hat er leichte Bauchschmerzen mit dem Lidl-Konzept. „Andere Handelsketten arbeiten ebenfalls an Haltungskennzeichnungen“, erklärt er. Am Ende schaffe man mit großem Aufwand viele Insellösungen, die den Verbraucher eher verwirrten.


Viele Experten rechnen daher langfristig doch mit einer staatlichen Kennzeichnung, die der Handel dann für sich nutzt. Das sieht man auch bei Lidl nicht anders. „Wir brauchen neben Nischenlösungen, die nur von wenigen Landwirten umgesetzt werden können, mehr Maßnahmen mit Breitenwirkung. Deswegen sehen wir auch den Staat in der Pflicht,  umsetzbare Mindestanforderungen und Kriterien für eine tierwohlgerechtere Haltung zu definieren und die Umsetzung zu unterstützen“, sagt Bock.


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