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Kritik an Professoren-Einschätzung

An der Ausarbeitung "Wiedereinführung der Milchquote kein sinnvolles Instrument der Agrarpolitik" von neun Agrarökonomen (top agrar berichtete) übt Prof. Dr. Onno Poppinga in einer Veröffentlichung des Kasseler Instituts für ländliche Entwicklung scharfe Kritik. Poppinga teilt seine Kritik in sechs Kernpunkte ein.

Lesezeit: 10 Minuten

An der Ausarbeitung "Wiedereinführung der Milchquote kein sinnvolles Instrument der Agrarpolitik" von neun Agrarökonomen (top agrar berichtete) übt Prof. Dr. Onno Poppinga in einer Veröffentlichung des Kasseler Instituts für ländliche Entwicklung scharfe Kritik.


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Poppinga teilt seine Kritik in sechs Kernpunkte ein (Original-Wortlaut):


1. Die Professoren/innen gehen von einem ungeeignetem theoretischen Ansatz aus. Durchgängig wird in der Stellungnahme mit marktökonomischen Begriffen argumentiert ; zum Beispiel (S.3) "Eine Aushebelung des Marktes ist aber das falsche Instrument, um Landwirten zu helfen..". Die Verwendung einer marktökonomischen Begrifflichkeit ist aber bei der Analyse der Beziehungen zwischen Milcherzeugern und Molkereien vom Grundatz her falsch, weil es sich dabei nicht um Markt- sondern lediglich um Lieferbeziehungen handelt. Alle grundlegende Bedingungen für Märkte sind bei der Beziehung zwischen Milcherzeugern und Molkereien nicht vorhanden: es stehen sich nicht Anbieter und Nachfrager gegenüber, die über Mengen, Preise und Qualitäten verhandeln und zwischen denen Waren ge- und verkauft werden. Rein äußerlich ist das schon daran sichtbar, dass die Landwirte als "Anbieter" keine Rechnung über die gelieferte Milch schreiben, sondern die Molkereien – nach Verwandlung der Milch in Molkereiprodukte und Verkauf dieser Produkte – die von den Landwirten gelieferte Milch abrechnen ("Milchgeldabrechnung" steht denn auch über die Mitteilung, die die Landwirte von der Molkerei erhalten).


Das Fehlen jeglicher Marktbeziehungen zwischen Milcherzeugern und Molkereien hat auch Folgewirkungen für den Verkauf der Milchprodukte durch die Molkereien: weil die Abnehmer (vor allem:Lebensmitteleinzelhandel und Großhandel) natürlich Kenntnis davon haben, daß die Molkereien die Milch nur "abrechnen" , sie aber nicht gekauft haben, haben die Molkereien eine extrem schwache Verhandlungsposition. Während bei tatsächlichen Märkten alle Marktpartner davon ausgehen müssen, daß  jeder Beteiligte sein wirtschaftliches Agieren von der vorgegebenen Kostenstruktur seines Unternehmens abhängig machen muß, ist das bei den Molkereien nicht der Fall. Während bei tatsächlichen Märkten die Marktpartner lediglich "Spielräume" für ihr Handeln haben, die durch ihre Kostenstruktur begrenzt sind, können die Molkereien jeden Preisdruck ihrer Abnehmer an die Milcherzeuger weiterreichen. Das Bundeskartellamt rügt nicht umsonst die gängige Praxis des Deutschen Milchkontors und andere Molkereien, sich bei ihren Auszahlungspreisen an denen der umliegenenden Molkereien zu orientierten. Die eine Molkerei schreibt ihren Milchpreis von den anderen ab, vollkommen unabhänigig von der eigenen Kostenstruktur.


2. Im Gegensatz zur Argumentation der Agrarökonomieprofessoren/innen handelt es sich

bei den Forderungen, die gesetzlichen Grundlagen für die Beziehung zwischen Milcherzeugern und Molkereien in der Weise zu ändern, dass die Milcherzeuger sich zu Erzeugergemeinschaften zusammenschließen und dadurch mit den Molkereien über Menge und Preise der Milch verhandeln können, nicht um eine "Aushebelung des Marktes", sondern um die erstmalige Herstellung eines Marktes. Auch ist es sachlich falsch, derartige Zusammenschlüsse von Milcherzeugern als "wettbewerbsrechtlich unzulässig" zu bezeichnen: das Wettbewerbsrecht sieht diese Erzeugergemeinschaften in der Landwirtschaft ausdrücklich vor, und zwar mit dem beabsichtigten Recht, sich gemeinsam Regeln zu Menge, Preis und Qualität zu geben. Außerdem ist auch das Wettbewerbsrecht kein unveränderliches Regelwerk, sondern kann (und wird) an spezifische Marktbedingungen angepasst. So hat die EU beispielsweise das Wettbewerbrecht für die Krabbenfischer so geändert, dass jetzt alle nationalen Erzugergemeinschaften durch eine EU-Erzeugergemeinschaft vertreten werden können (es gibt in der EU nur zwei Großabnehmer für Krabben). Die Erzeugergemeinschaften organisieren die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen, indem sie Beschlüsse über Obergrenzen für die fischbare Mengen an Krabben festlegt.


Auch eine unmittelbar durch staatliche Institutionen erfolgte  Festlegung von Mengen und /oderPreisen kann -– wenn das Wettbewerbsrecht politisch entsprechend gestaltet worden ist – zulässig sein:

  • die Weinmarktordnung legt seit gut 15 Jahren beispielsweise fest, wieviel Weinmost ein Winzer pro ar (bzw. pro ha) erzeugen bzw.verarbeiten darf;
  • das Energieeinspeisegesetz schreibt nach den bisherigen Regelungen den Energieunternehmen vor, zu welchen Preisen sie Strom aus erneuerbaren Energiequellen vergüten müssen (mit unterschiedlichen Höhen je nach Art der Stromerzeugung und nach der Leistung der Anlage). Bei dem in Diskussion befindlichem veränderten EEG soll die Höhe der Vergütung über Ausschreibungen festgelegt werden, allerdings mit Preisaufschlägen je nach der Ungunst der Standorte für die Stromerzeugung.

3. Als Gegeneinwand  gegen die naheliegende Forderung, den Überschuss an Milch durch eine Reduzierung der Milchmenge aufzulösen, wird von den neun Professoren/innen dann noch die

Aussage vorgebracht: "Eine Reduzierung der Fütterungsintensität ist tierphysiologisch umstritten, da hier tiergesundheitliche Probleme auftauchen können" (S.1). Dieser Einwand ist zwar schon häufiger vorgebracht worden, es fehlt ihm aber an Stichhaltigkeit:

  • Eine Reduzierug des Milchüberschusses ist auch schon möglich,  ohne die Intensität der Fütterung zu verändern: allein durch den Ersatz der in der Kälberfütterung eingesetzten "Milchaustauscher" durch Vollmilch käme es zu einer Reduzierung der an die Molkereien gelieferten Milch in der Größenordnung von ca. 5 Prozent (und würde – sachgemäßes Vorgehen der Umstellung vorausgesetzt – die Gesundheit der Kälber deutlich verbessern können).
  • Im alltäglichen Betrieb der Milchviehhaltung kommt es immer wieder zu Veränderungen in der Futterzusammensetzung. Die Bauern kennen sich damit aus. Eine geringe Verminderung der für hohe Fütterungsintensität stehenden Futtermitell (Getreide, Soja, Mischfuttermittel u.ä.) und ihr Ersatz durch Grundfutter ist leicht zu bewerkstelligen. Sowohl die landwirtschaftliche Praxis als auch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass eine derartige Umstellung ohne gesundheitliche Nachteile möglich ist.
4. Die Aussagen der Agrarprofessoren zu  den Auswirkungen des aktuellen Erzeugerpreisverfalls bei Milch sind nebulös und werden den wirtschaftlichen Problemen auf den Betrieben bei weitem nicht gerecht:


4.1. Wegen der verwendeten Begriffe. Wie können – angesichts der guten Datenlage über die Einkommensverhältnisse in landwirtschaftlichen Betrieben – neun Agrarprofessoren/professorinnnen ihren Beitrag beginnen mit "Viele Landwirte können bei den derzeitigen Erzeugerpreisen von 24 Cent/kg nicht  mehr kostendeckend Milch produzieren". Wieso nur "Viele", wieso nicht genauer? Die Disziplin der Agrarökonomie hat sich mehrere Jahrzehnte intensiv mit der Ermittlung der wirtschaflichen Lage landwirtschaftlicher Betriebe befaßt (in den letzten zwei Jahrzehnten in Form der Vollkostenrechnung). Die Werte liegen vor - warum wird dann unbestimmt von "viele" geredet ,statt die Daten konkret zu nennen? Beispielsweise ergab selbst die Vollkostenrechnung der Rinderspezialberatung Schleswig-Holstein für das Wirtschaftsjahr 2014/2015 sogar für die Gruppe der "25% erfolgreichsten Betriebe" ein Missverhältnis von 39,6 Cent je kg Milch bei den Milcherzeugungskosten und 34,68 Cent je kg bei den Erlösen. Dabei ist Schleswig-Holstein das Land mit den niedrigsten Milcherzeugungskosten und dem höchsten Anteil an Betrieben, die sich an der Vollkostenrechnung beteiligen.

 

4.2. Der Hinweis, daß die Kosten der Milcherzeugung zwischen Länder, Regionen und Betrieben unterschiedlich hoch sind, ist so trivial wie – für die Erklärung der aktuell extreme Milcherzeugerpreiskrise – unbedeutend. Die Milchüberschüsse sind nicht entstanden, weil die kostengünstigen Regionen und Betriebe ihre Kostenvorteile ausgebaut hätten, sondern weil es seit Jahren die durchgängige Propaganda gibt, durch Ausdehnung der Milcherzeugung und Absatz der Milchprodukte auf den Weltmärkten ließen sich die Gewinne der Milcherzeugungsbetriebe deutlich steigern. An dieser Propaganda haben nicht nur Vertreter der Molkereiwirtschaft und des Deutschen Bauernverbandes, sondern auch Professoren der Agrarökonomie einen bedeutenden Anteil. Hinzu kommt für Deutschland , dass das Ausmaß der Aufstockung der Kuhbestände und der komplette Neubau von Großställen nur möglich war durch die staatliche Förderung dieser Maßnahmen (einzelbetriebeliche Investitionsförderung von Milcherzeugungsbetrieben und Molkereien). Zwar wurden beispielsweise in vielen Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats diese Vergabe von nicht rückzahlbaren Beihilfen ("verlorene Zuschüsse") auf der  grundsätzlichen Ebene als "nicht systemkonform" kritisiert, im konkreten Zusammenhang dann aber doch immer wieder gerechtfertigt. Sowohl die staatliche Agrarpolitik als auch die Disziplin der Agrarökonomen trägt eine große Mitverantwortung für den jetzigen extremen Verfall der Milchwrzeugerpreise.


4.3. Der Hinweis, dass "die Milcherzeuger in Phasen hoher Milchpreise (z.B. mehr als 40 Cent /kg in 2013/2014) die Möglichkeit (hatten) finanzielle Reserven aufzubauen"(S.2) :

  • ist sachlich nicht korrekt: es gab nur 6 Monate, in denen im Durchnitt für konventionelle Milch "mehr als 40 Cent/kg" abgerechnet wurden (Oktober 2013 bis März 2014);
  • diesen 6 Monaten mit Milcherezeugerpreisen über 40 Cent/kg steht aber ein bis heute (Juni 2016) anhaltender Milchpreisverfall gegenüber, der schon im Oktober 2014 die
  • 35 Cent/kg unterschritt.
  • Hinzu kommt, dass die Verluste der ersten  Milcherzeugerpreiskrise 2009 und der folgenden "kleinen Krise" 2012 von vielen Betrieben noch keineswegs überwunden waren.


4.4. Schließlich ist der Hinweis, dass bei einer "kurzfristigen Betrachtung zunächst nur die variablen Produktioskosten durch die Milcherlöse gedeckt werden " müssen (S.2) so ungenau wie oberflächlich:

  • Was heißt konkret "kurzfristig" angesichts eines Milcherzeugerpreisverfalls, der schon deutlich länger dauert als eineinhalb Jahre?
  • Auch die in der Aussage von der Verschiebbarkeit der variablen Produktionskosten enthaltene Annahme, die Bauern könnten ja "kurzfristig" den "Gürtel enger schnallen, verkennt die Gegebenheiten: für angestellte Mitarbeiter gehr das schon mal gar nicht (außer, es werden Entlassungen vorgenommen) und auch bei Haushaltsaufwendungen der selbständigen Landwirte ist eine großer Teil der Ausgaben"fix": Lebensmittel, Krankenkassenbeiträge und andere persönliche Versicherungen, die Kosten für die Ausbildung der Kinder u.v.a.m. sind nicht "verschiebbar".


5. Während bezüglich der durch den Verfall der Milcherzeugerpreise ausgelösten schweren Einkommenskrise bei den Milchviehbetrieben (überdurchschnittlich viele Betriebe haben schon aufgeben müssen; viele müssen sich mit dem Schritt auseinandersetzen; es mehren sich Berichte von Selbsttötungen) den Agrarprofessoren/innen nichts weiter einfällt, als dass die "sozialen Härtefälle .. durch die Instrumente der Sozialpolitik abgefedert werden" müssen, argumentieren sie gegenüber der Forderung, den Überfluss an Milch durch eine Verringerung der Produktion zu beseitigen, auf einmal "moralisch": "Ganz unabhängig davon, dass es unsinnig ist, Lebensmittel künstlich zu verknappen.." (S.1). Gegenfrage: Welchen Sinn soll es denn machen zusätzliche Lebensmittel zu erzeugen, für die es keinen zusätzlichen  Markt gibt, wo staatliche Gelder für Lagerhaltung und Liquiditätshilfen u.ä. aufgebracht werden müssen?


6. Zuzustimmen ist dann allerdings der Aussage, dass die "derzeit in den Medien geführte Diskussion zur angespannten Lage auf dem Milchmarkt ... über die Suche nach kurzfristigen Problemlösungen hinausgeht" (S.2).  Allerdings trägt die Argumentation der 9 Professoren/innen wahrlich nicht zu einer zukunftsfähigen Lösung bei. Ihr Vorschlag hat als Kern, die Industriealisierung der Milchviehhaltung weiter voranzutreiben; nur wo sich Nischenmärkte entwickeln und wo spezielle "Umweltleistungen" verlangt werden, sollen über Förderung von  Sommerweidehaltung der Kühe, Grünlandmilch, Heumilch u.ä. Direktzahlunen an Landwirte gewährt werden.


Stattdessen ist davon auszugehen, dass die Fortsetzung der Industriealisierung keines der bisherigen Probleme lösen wird: die Milchviehbetriebe bleiben weiterhin einflusslose Lieferanten; die Kühe müssen in einem noch stärkeren Umfang als bisher schon ihr Leben ganzjährig in den (aus Kostengründen überbelegten) Ställen fristen; die weitere Leistungssteigerung macht die Milchviehhaltung immer stärker zum Nahrungskonkurrenten der Menschen; durch die Verdichtung der Zahl der Kühe in Großställen nehmen sowohl die Probleme mit einem Übermaß an Düngerstoffen als auch mit den klimaschädlichen Gasen zu; die Zunahme der Stallhaltung im Verein mit hohen Anteilen von Getriede und Silomais in der Fütterung vermindert den Anteil wichtiger Inhaltsstoffe in der Milch (z.b. die omega-3-Fettsäuren) und verschlechtert die Möglichkeiten für die Herstellung von Qualitätsmilchprodukte.


Onno Poppinga, Immenhausen-Holzhausen

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