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"Keine Molkerei-Quote durch die Hintertür"

Das aktuelle Preisdebakel bei der Milch muss von der Politik und von der Milchbranche energischer angegangen werden. Die Politik sollte ein drohendes Höfesterben verhindern. Andererseits sollten die Molkereien ihre Strukturprobleme lösen und neue Marktchancen nutzen. So lautet das Fazit des WLV-Milchtages in Paderborn.

Lesezeit: 4 Minuten

Das aktuelle Preisdebakel bei der Milch muss von der Politik und von der Milchbranche energischer angegangen werden. Die Politik sollte ein drohendes Höfesterben verhindern. Andererseits sollten die Molkereien ihre Strukturprobleme lösen und neue Marktchancen konsequenter nutzen. So lautet das Fazit des WLV-Milchtages in Paderborn.

 

Hans-Jürgen Sehn, Aufsichtsrats-Vorsitzender der Molkerei Hochwald berichtet hautnah über die schmerzhaften Einbußen der deutschen Milcherzeuger, die einen Milchgeldausfall von 3 Mrd. Euro pro Jahr verkraften müssten. Er kritisierte den gnadenlosen Preiskampf zwischen Molkereien und Lebensmittelhandel. Die zersplitterte Molkereistruktur sei mit 125 Unternehmen zu schwach gegen den hochkonzentrierten Lebensmittelhandel.



Sehn wandte sich gegen die Wiedereinführung einer Milchquote. Eine „Molkereiquote durch die Hintertür“ sei mit ihm nicht zu machen. Auch die Lieferbeziehungen zwischen Milcherzeugern und Molkereien möchte er nicht verändern. Die investierenden Betriebe bräuchten Sicherheit bei der Milchabnahme und die Molkereien bräuchten Sicherheit beim Eigenkapital.

 

Hochwald hat die Kosten um 10 Mio. Euro gesenkt und die Produktion optimiert. Das Unternehmen hat sich bereits von 50 Mio. kg Milch getrennt, zum Jahresende werden weitere 30 Mio. kg reduziert, und 30 Mio. kg Weidemilch werden nach Holland abgegeben.

 

Dass sich auch die Landespolitik von Nordrhein-Westfalen um die Milchkrise kümmert, versicherte Joachim Hartung, Milchreferent im Düsseldorfer Landwirtschaftsministerium. Die „grünen“ Landwirtschaftsminister der Länder fordern neue Kriseninstrumente und ein Frühwarnsystem. Dazu zähle auch die Mengenplanung über ein Bonusprogramm, z.B. in Form einer A/B-Quote. Auf einer Sondersitzung der deutschen Agrarministerkonferenz in Brüssel soll eine neue Mengensteuerung mit Unterstützung der EU durchgesetzt werden.

 

Dagegen lehnt WLV-Vizepräsident Wilhelm Brüggemeier jede staatlich gesteuerte Mengenregelung energisch ab. Jeder Milcherzeuger entscheide als Unternehmer grundsätzlich frei über seine Produktionsmenge.

 

Der aktuelle Marktbruch sei eine extreme Ausnahmesituation, ein Höfesterben müsse dringend verhindert werden. Von der Politik erwartet er deshalb schnelle und wirkungsvolle Liquiditätsprogramme. Gefordert seien aber auch Banken, Finanzbehörden, Lieferanten und die Abnehmer der Bauern. Auch die Billigstrategie des Handels müsse beendet werden.

 

Von den Molkereien forderte der Milcherzeuger eine bessere Zusammenarbeit in der Vermarktung, z.B. durch die Bildung von Verkaufskontoren. Durch den Rückzug des Staates aus der Milchstützung würden die Milchpreise stärker schwanken, die Milcherzeuger müssten sich auf Preiszyklen wie bei den Schweinen einstellen.

 

Das erläuterte dann sehr anschaulich Prof. Bernhard Brümmer von der Universität Göttingen. Mit dem Rückzug der EU aus der Marktsteuerung folge der Inlandspreis immer stärker dem Weltmarktpreis. Früher hätten die Exporterstattungen der EU den Inlandspreis gestützt. Heute gebe es nur noch die Lagerhaltung. Die deutschen Bauern müssten deshalb dauerhaft mit volatilen Milchpreisen rechnen, wie in Neuseeland. Das mache Investitionen in die Milch und die Finanzierung von Stallgebäuden schwieriger.

 

Eine zentralistische Mengensteuerung lehnte der Wissenschaftler ab. Sie helfe unseren Betrieb wenig, fördere aber die Wettbewerbsfähigkeit von anderen Ländern. Besser sei eine marktwirtschaftliche Anpassung der Milchmenge, mit staatlichen Anpassungshilfen, sowie die direkte Bezahlung von gesellschaftlichen Leistungen der Bauern.

 

Für Berthold Achler, Chefredakteur der Fachzeitschrift top agrar, sind die Milcherzeuger das schwächste Glied in der Milchkette. Er warnte die Erzeuger davor, auf durchgreifende Lösungen des Staates zu hoffen oder gar auf ein Einlenken des Lebensmittelhandels. Brüssel ziehe sich zunehmend aus der Verantwortung zurück und setze auf die Eigenverantwortung der Branche. Die deutsche Politik agiere sehr widersprüchlich und manchmal auch scheinheilig. Einerseits fordere sie leistungsfähige Betriebe und hochwertige Lebensmittel, andererseits fördere sie mit überzogener Bürokratie den Strukturwandel. Dies führe zu schweren Enttäuschungen bei vielen kleineren Familienbetrieben.

 

Dringenden Handlungsbedarf sieht der Journalist bei den Molkereien. Die Leistungsunterschiede zwischen den Unternehmen sei gravierend, wie die Differenzen bei den Auszahlungspreisen von bis zu 20 Cent je kg Milch zeigten.

 

Trotz des Marktdebakels sei die Bereitschaft für Veränderungen offenbar gering. Im Genossenschaftssektor bekämpften sich die Bauern untereinander, statt gemeinsam neue Wege zu beschreiten. Die Milcherzeuger in Holland und Dänemark seien bei der Milchverarbeitung, bei der Vermarktung und beim Export um Jahre voraus.

 

Ansatzpunkte für die Optimierung der Molkereien gebe es reichlich: Steigerung der Wertschöpfung, Kostensenkung, Verkaufs- und Exportkontore. Von neuen Markttrends wie Regionalmilch, Heumilch oder Weidemilch sollte nicht nur der Handel profitieren, sondern auch die Bauern. Und beim Thema Tierwohl bekämen bisher nur Schweine- und Geflügelhalter Preiszuschläge, obwohl rund 40.000 Milcherzeuger in Boxenlaufställe investiert hätten. Auch um dieses Thema müssten sich Molkereien und Bauernverbände kümmern. 

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