Der Milchmarkt und seine Kräfte funktionieren prinzipiell auch ohne staatliche Eingriffe. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Thünen-Instituts, die das EU-Hilfspaket für Milcherzeuger im Zuge der Milchmarktkrise im Herbst 2016 bewertet. Für eine effiziente Marktorganisation müssten die Lieferbeziehungen überarbeitet und Preisinformationen schneller an Erzeuger weitergegeben werden.
Die deutschen Milcherzeuger hätten bereits vor in Kraft treten der Maßnahmen auf das niedrige Preisniveau reagiert und ihre Milcherzeugung eingeschränkt. Zudem sei die Teilnahmebereitschaft deutscher Milcherzeuger an den Hilfsmaßnahmen gering gewesen. Dies sei ein Beleg für die Funktionsfähigkeit des Milchmarktes, erklären die Wissenschaftler des Thünen-Instituts in ihrer über 100-seitigen Publikation. Sie bewerten darin die Umsetzung und Wirkung der „Milchmengenverringerungsmaßnahmen“ sowie der deutschen „Milchsonderbeihilfe“.
Mengenregulierung offensichtlich nicht rentabel
Nachdem im Sommer 2016 bereits eine Markterholung eingesetzt habe, sei es offenbar für viele Milcherzeuger betriebswirtschaftlich sinnvoller gewesen, nicht ihre Erzeugung einzuschränken oder stabil zu halten, um in den Genuss der Beihilfen zu kommen. Rund 35 % der deutschen Milcherzeuger hätten sich an der Milchsonderbeihilfe mit Mengendisziplin beteiligt. Angesichts der teilweise emotionalen öffentlichen Diskussion über die schwierige finanzielle Situation vieler Milcherzeuger erscheine dieser Anteil gering.
Das mache deutlich, dass die Preissignale des Marktes die Milchbauern dazu bewogen, eher von den wieder steigenden Marktpreisen zu profitieren als ihre Menge konstant zu halten und die Beihilfe zu erhalten. Gemessen an der geringen Teilnahmebereitschaft und dem marktkonformen Verhalten der Milcherzeuger stelle sich daher die Frage nach der Notwendigkeit politischer Eingriffe in den Markt.
Mit den „Milchmengenverringerungsmaßnahme“ der Europäischen Kommission seien insgesamt nur 833.551 t Milch weniger worden. Das sei zu wenig, um ein neues Marktgleichgewicht bilden zu können. Deutsche Milcherzeuger verringerten im Rahmen dieser Maßnahme ihre Produktion im EU-Vergleich am stärksten (-27,9 %). Allerdings wurden 38 % der tatsächlichen Milchmengenverringerung in Deutschland durch Betriebsaufgaben erzielt und das am häufigsten in Bayern. Insgesamt 8,8 Mio. Euro haben aussteigende Betriebe erhalten. Die Wissenschaftler bewerten diese Mitnahmeeffekte kritisch, da dies die Effizienz der Maßnahmen insgesamt reduziert.
Andienungspflicht nicht mehr praxistauglich
Kritisch bewerten die Wissenschaftler außerdem die Strukturen der Milcherzeugung und -verarbeitung in Deutschland. Diese würden einer effizienten Marktorganisation nach der neuen EU-Marktorganisation im Wege stehen. Dazu zählten die Weitergabe von Informationen über Marktentwicklungen durch Preise, die Verfügbarkeit weiterer relevanter Marktinformationen sowie die Steuerung und Anpassung des Rohmilchangebots auf Seiten der Verarbeiter.
Die strikten Regelungen von Genossenschaften zur Andienungs- und Abnahmepflicht machten eine bedarfsgerechte Mengenplanung schwierig. Unter den neuen Rahmenbedingungen des Milchmarkts seien diese starren Regelungen nicht mehr praxistauglich. Damit Milcherzeuger rechtzeitig auf Marktentwicklungen reagieren können, sollte das bisherige Verfahren zur Wertermittlung von Rohmilch in den milchverarbeitenden Unternehmen überarbeitet werden. Insbesondere gilt es einen Mechanismus anzuwenden, der frühzeitig Marktentwicklungen transparent an die Milcherzeuger weitergibt.