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Dennree, Alnatura & Co: Von Hippie-Händlern bis Aldi und Lidl

Von den Aussteiger-Initiativen vor 40 Jahren bis zum breiten Einstieg der Discounter von heute hat sich die Vermarktung von Bio-Produkten atemberaubend entwickelt. Die Geschichte erzählt Conrad Thimm.

Lesezeit: 10 Minuten

Es waren harmlose Hippies und Aussteiger ohne nennenswertes Kapital, die in den 1970er und 1980er Jahren ihre Start-ups begonnen haben. Heute sind sie angesehene Unternehmensleiter mit Umsätzen im zwei- bis vierstelligen Mio.-€-Bereich: Der traditionelle Absatzkanal für Bio-Produkte ist der Naturkosthandel.

Die Marktführer: Dennree ...

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Das größte Unternehmen im Naturkosthandel ist mit einem Jahresumsatz von 1,4 Mrd. € (2020) die Firma Dennree in Töpen bei Hof, gegründet und noch heute geleitet von Inhaber Thomas Greim.

Er hat klein angefangen und ist mit den Bio-Pioniermärkten München und Berlin gewachsen. Die Autobahn A 9 war seine Strecke und auch heute noch fallen sonntags die Frische-LKW von Dennree auf der A 9 besonders auf.

Demeter-Orangen wurden bald schon in Sizilien eingekauft und teils bis nach Schweden geliefert. In Deutschland eröffnete Greim regionale Großhandelsstützpunkte, und schon vor 30 Jahren übernahm er eine Reihe regionaler Großhändler, die in der Regel nicht den Cashflow generieren konnten den sie zum Wachstum brauchten.

Heute hat Dennree 7.600 Mitarbeiter und führt ein Großhandelssortiment von über 14.000 Artikeln, das alle Lebensmittel und Getränke umfasst und an über 1.400 Läden in Deutschland und Österreich ausgeliefert wird.

Die Geschäftsfelder sind ein klassischer Großhandel mit Frische- und Trockensortiment für selbstständige Naturkosthändler, der BioMarkt Einkaufs-Marketing-Verbund selbstständiger Naturkosthändler sowie über 300 eigene »denn’s«-Bio-Märkte, mit denen Dennree seinen Vorsprung vor allen anderen reinen Bio-Händlern Jahr für Jahr ausbaut.

2015 wurde ein 4.000 ha-Betrieb in Sachsen übernommen, den Bioland 2018 zertifiziert hat. Auf ihm werden u. a. 1.500 Milchkühe gehalten, deren Milch in Thüringen zu Produkten für Dennree verarbeitet werden

....und Alnatura

Zweitgrößter reiner Bio-Händler ist mit knapp 1 Mrd. € Umsatz und 3.500 Mitarbeitern Alnatura von Götz Rehn. Dieser war weder ein Hippie noch ein Aussteiger, trug schon in den 1980er Jahren immer einen Schlips und wurde damals von denen, die sich für »echte Bios« hielten, argwöhnisch betrachtet.

Sein Vorteil war der anthroposophische Hintergrund, den die Einzelhandelsprofis Götz Werner vom dm-Drogeriemarkt und Wolfgang Gutberlet von Tegut teilen. Rehn hat zwar bei Nestlé als Produktmanager gearbeitet, das Einzelhandelshandwerk und den Aufbau einer Handelsmarke aber von Werner und Gutberlet und ihren Managern gelernt.

Über zehn Jahre wurde Alnatura wie eine Handelsmarke von dm und Tegut geführt: Naturkosthersteller wurden beauftragt, ausgewählte Artikel im Alnatura-Design abgepackt direkt an dm und Tegut zu liefern. Alnatura hatte selbst nicht einmal ein Lager.

In den ersten zehn Jahren wurden nur zwei eigene Läden eröffnet. Dann war die Zeit reif und der Cashflow aus dem dm-Geschäft groß genug, dass immer mehr eigene SuperNaturMärkte eröffnet wurden. Heute sind es 130, das bedeutet den zweiten Platz unter den deutschen Bio-Filialisten. Das Frische­sortiment wird von regionalen Bio-Großhändlern geliefert.

(Fast) eine Familiengeschichte

In den 2010er Jahren zog sich Götz Rehns Schwager Götz Werner aus dem Tagesgeschäft von dm zurück. Die Zeiten für Alnatura wurden schwieriger. Erst musste Alnatura ein eigenes Lager bauen, dann gab es Streit um die Preise, die Alnatura dm berechnete, dann baute dm seine nun wirklich eigene »dmBio«-Marke auf und Alnatura suchte neue Kunden im LEH.

Dies wollten Götz Werner und Wolfgang Gutberlet mit Hinweis auf ihre Markenrechte an Alnatura verhindern. Juristische Auseinandersetzungen folgten, die überwiegend Götz Rehn gewann. Inzwischen ist Alnatura bei dm komplett durch dmBio ersetzt. Dieses ist Marktführer im Bio-Trockensortiment.

Alnatura hat mit einem vielfach größeren Kundenkreis, u. a. Edeka, Rossmann, Migros in der Schweiz und anderen zu den alten zweistelligen Wachstumsraten zurückgefunden, wenn auch nicht zu den alten Margen mit dm. Götz Rehn bestellt nun sein Haus für die Nachfolge.

Wen gibt es noch?

Der drittgrößte Bio-Großhändler ist Weiling in Coesfeld mit über 700 Mitarbeitern und einem Umsatz von 300 Mio. €. Mit 12.000 Artikeln, zwei Logistikzentren, fünf regionalen Umschlagplätzen und einem bundesweiten Speditionsnetz garantiert er eine Belieferung innerhalb weniger als 24 Stunden über sechs Tage die Woche.

»Die Regionalen« sind ein bundesweites Netzwerk von elf Bio-Großhändlern, die jeweils 100–250 Mitarbeiter haben und insgesamt 2.000 Naturkostläden, Bio-Supermärkte, Hofläden, Marktstände, Gastronomie, Großverbraucher und andere in ganz Deutschland beliefern. Daneben gibt es noch meist kleinere, spezialisierte Großhändler.

Metropolen als Hotspots

Nach Denn’s und Alnatura sind die führenden Bio-Filialisten Bio Company in Berlin mit 62 Filialen, Basic in München mit 34 Filialen, ebl-Naturkost in Nürnberg mit 28 Filialen und Superbiomarkt in Münster und im Rheinland mit 27 Filialen. 25 weitere Bio-Filialisten haben zwischen 4 und 20 Filialen. Sie haben allesamt drei Gemeinsamkeiten: Sie liegen in Metropol-Regionen, haben über 400 m2 Verkaufsfläche je Markt und wachsen im Gegensatz zu inhabergeführten Bio-Läden weiterhin – auch in Jahren, die schwächer sind als 2020.

Bio-Marken: Die Helden der Märchen von Rapunzel bis Zwergenwiese

Beliefert werden die Handelsunternehmen von Bio-Marken-Herstellern, die seit den 1970er und 1980er Jahren mit dem Naturkosthandel zusammen herangewachsen sind. Eindeutiger Marktführer ist hier mit knapp 250 Mio.  € Umsatz die Firma Rapunzel von Gründer Joseph Wilhelm in Legau im Allgäu. Sie wurde vor allem mit Bio-Importen wie Kaffee, Kakao, Nüssen und Trockenfrüchten für Müsli groß. Ihr Hit ist »Samba«, das Nutella des Naturkosthandels.

Auch »Lebensbaum« von Ulrich Walter aus Diepholz, der inzwischen die Mehrheit an eine Beteiligungsgesellschaft abgegeben hat, macht mit dem Import von Tees, Gewürzen und Kaffee und Kakao einen Umsatz von ca. 75 Mio. €.

In ähnlicher Größenordnung liegt die Bohlsener Mühlevon Volker Krause aus der Nähe von Uelzen. Ihr Schwerpunkt ist die Verarbeitung heimischen Bio-Getreides zu frischem Brot und Backwaren sowie haltbaren Produkten wie Keksen und Getreidespezialitäten.

Die Naturkostsafterei Voelkel und der glutenfreie Haferspezialist Bauckhof, die jeweils Umsätze in der 60 – 90 Mio €-Klasse machen, haben noch weitere Gemeinsamkeiten: Beide sind Familienbetriebe in dritter bis vierter Generation, beide haben ihren Sitz im Wendland, und beide blicken auf ihre Demeter-Ursprünge in den 1930er Jahren zurück. Wie die meisten Naturkost-Marken-Hersteller fertigen sie auch für Handelsmarken für den LEH, insbesondere auch für dmBio.

Manch ein Hersteller bzw. eine Marke ist verkauft worden, z. T. mehrfach wie Allos (Ecotone, früher Wessanen), Bruno Fischer (jetzt zu Eden, Hügli Group, Coop Group CH), Davert (jetzt zu Midsona), Natumi (jetzt zu Hain Celestial), Zwergenwiese (jetzt zu Rapunzel). In der AöL – Die Öko-Lebensmittelhersteller – sind über 125 Firmen aus Europa mit einem Umsatz von 4 Mrd. € organisiert.

Hauen und Stechen im LEH

Der Lebensmittel-Einzelhandel ist heute mit 60 % Anteil am Bio-Umsatz der größte Absatzkanal für Bio in Deutschland. In vielen Nachbarländern wie Österreich, der Schweiz, Dänemark und Schweden ist der Anteil des LEH am Bio-Umsatz mit um die 80 % noch deutlich höher. Gleichzeitig ist in diesen Ländern der Anteil von Bio am gesamten Lebensmittelumsatz mit 8 bis 10 % deutlich höher als in Deutschland (5 %).

Der mengenmäßig wichtigste Bio-Vermarkter in Deutschland ist Aldi. Das liegt an dessen grundsätzlicher Bedeutung im Frischebereich, vor allem bei Mopro, Eiern und Obst & Gemüse und den ähnlichen Anteilen in den entsprechenden Bio-Kategorien. Lidl versucht aktuell, mit seinem Bioland-Vertrag und der entsprechenden Werbung aufzuholen.

Netto Marken-Discount, eine Tochter der Edeka, war nach der Übernahme von Plus und der Marke BioBio in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre Bio-Marktführer im Discount-Bereich. BioBio war 2002 von Plus mit dem Segen der damaligen Landwirtschaftsministerin Renate Künast eingeführt worden und hatte im Jahr der Euro-Einführung eine Bio-Umsatz-Rezession verhindert.

Im Trockensortiment ist dm Drogeriemarkt der Bio-Marktführer in Deutschland. Das liegt am großen Bio-Anteil im sehr begrenzten Food-Angebot der Drogeriemärkte, am behutsamen Aufbau von Alnatura über Jahrzehnte, am anerkannten Spitzen-Category-Management bei dm sowie an dem dm-Lifestyle-Ambiente, das gerade jene eher jüngere Frauen anzieht, die für Bio besonders empfänglich sind.

Ein Kundenmagazin schlägt einladende Brücken zwischen Promis, sozialem Engagement (»bedingungsloses Grundeinkommen«), Anthroposophie und Bio-Lebensmitteln. In diesem Umfeld zeigte der Ersatz von Alnatura durch dmBio, dass dm getrost auf Alnatura verzichten kann, was umgekehrt schwieriger war.

Auch die drei anderen Drogeriefilialisten Rossmann, Müller und Budni haben relevante Bio-Sortimente und inzwischen auch Alnatura-Produkte, kommen jedoch an die Bio-Umsätze des Marktführers dm nicht annähernd heran.

Edeka, Rewe und der Sonderfall Tegut

Die Unterschiede in der Bio-Führung zwischen den beiden großen deutschen Voll-sortimentern Edeka und Rewe sind vor allem systembedingt. Bei der Edeka gibt es große Unterschiede zwischen den rechtlich selbstständigen Regionalgesellschaften.

EdekaSüdwest und Edeka Nord sind sehr Bio-aktiv, während die Edeka Minden-Hannover, mit 10 Mrd. € Umsatz die größte Regionalgesellschaft, eher Bio-verhaltener agiert. Aber auch zu ihr gehören selbstständige Edeka-Kaufleute mit Umsätzen teilweise im dreistelligen Millionen-Bereich, wie die WEZ, die zu den Bio-Pionieren zählen.

Auch bei der Rewe gibt es selbstständige Kaufleute, die sich besonders bei Bio engagieren. Aber auch die Zentrale in Köln entwickelt Bio als ein bundesweites strategisches Thema seit über 20 Jahren konsequent.

Relativer Bio-Marktführer unter den Vollsortimentern ist seit 30 Jahren der hessische LEH-Filialist Tegut. »Relativ«, weil er einerseits nach eigenen Angaben inzwischen 30 % seines Umsatzes mit Bio-Produkten macht, andererseits, weil er mit einem Gesamtumsatz von 1 Mrd. € erst Platz 20 im LEH-Ranking belegt – sogar hinter dem reinen Bio-Player Dennree. Zum Vergleich: Edeka kommt im Vollsortiment auf 38 Mrd. € plus Markendiscount Netto mit weiteren 14 Mrd. €. dm Drogeriemarkt kommt auf 8 Mrd. € allein in Deutschland.

2013 verkaufte Wolfgang Gutberlet Tegut an die Schweizer Migros, behielt aber zunächst die Kurhessischen Fleischwerke (KFF) und die Herzberger Bäckerei, beide mit hohen Bio-Anteilen, in eigener Regie.

Wirtschaftlich ging seine Bio-Leidenschaft nicht auf. Die KFF musste er an einen Tierfutterhersteller verkaufen und die Herzberger Bäckerei wurde wieder von Tegut übernommen. Geleitet wird Tegut im Auftrag der Migros von dem ebenso Bio-engagierten Thomas Gutberlet, Sohn von Wolfgang Gutberlet.

Auch alle anderen Vollsortimenter in Deutschland bieten inzwischen Bio-Produkte an, genau wie auch alle Discounter. Manche eher unter anderem, andere engagierter. Zu den engagierten gehört Globus, einer der wenigen erfolgreichen SB-Warenhaus-Betreiber, die nach der Real-Pleite noch übrig sind. »Wachsen oder weichen« ist die brutale Realität im Lebensmittelhandel.

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Alte Gewissheiten spielen keine Rolle mehr

Für viele Verbraucher steht der Preis im Vordergrund. Eine wachsende Gruppe schätzt aber auch die wahrgenommene Qualität und Herkunft. Da die meisten vor allem einkaufen und nicht zugetextet werden wollen, sind die Kommunikationsmöglichkeiten des LEH beschränkt. Eine vertrauenswürdige Marke, unterstützt durch ein Siegel als Qualitätsversprechen, ist oft der einzige Ausweg. Die einzige in Deutschland weitbekannte echte Bio-Herstellermarke ist Hipp Babykost. Auch Alnatura wird als Herstellermarke wahrgenommen, obwohl es eine Handelsmarke ist.

Die deutschen Bio-Verbände legen großen Wert darauf, dass ihre Richtlinien strenger sind als die EU-Bio-Verordnung. Sie haben für die Landwirte eine große Bedeutung, weil sie für Selbstorganisation, Austausch, Beratung, Entwicklung und Vermarktungsempfehlungen sorgen. Selbst handeln sie jedoch nicht. Meist ist die Mitgliedschaft in einem Bio-Verband die Voraussetzung für den Absatz der Produkte, weil Hersteller und Abpacker danach fragen. Nur bei Bio-Eiern, dem Futter dafür und dem Bio-Milchabsatz durch Arla spielen EU-Bio-Betriebe ohne Verbandszugehörigkeit eine größere Rolle, daneben extensive Grünlandbetriebe, die die Ökoförderung gern mitnehmen, aber ihre Tiere meist konventionell absetzen.

Teile des Naturkosthandels haben sich gern als die »echten« Bio-Händler gesehen, die die Produkte der strengeren Verbandsmitglieder handeln im Gegensatz zu den – aus ihrer Sicht – minderwertigen EU-Bio-Produkten im LEH. Dass der Bioland-Verband ausgerechnet mit Lidl einen Vertrag geschlossen hat, passt nicht in dieses Weltbild. Im Endeffekt läuft es jedoch immer auf die gleichen Handelsgesetze hinaus: Hast du nur 1 % mehr Nachfrage als Angebot, dann geht der Preis leicht mehr als 10 % nach oben. Hast du jedoch nur 1 % weniger Nachfrage als Angebot, geht der Preis schnell mehr als 20 % nach unten. Der Vorteil von Bio ist, dass die Erzeugung durch natürliche Grenzen viel stärker eingeschränkt und daher nicht so leicht und so schnell eine preisruinöse Überproduktion erreicht wird. Hast du hingegen teure, weil ineffiziente Strukturen, dann hilft dir auf die Dauer auch die schönste Erklärung nichts: Du bist nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Landwirte dürften kaum darunter leiden.

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