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Prof. Gattinger: Landwirtschaft heute ist keinesfalls nachhaltig

Die externen Kosten der heutigen Landwirtschaft sind erheblich. Laut Prof. Gattinger kann sie deshalb in ihrer Gesamtheit nicht als nachhaltig bezeichnet werden.

Lesezeit: 5 Minuten

Für kontroverse Diskussion hat vergangene Woche Prof. Harald von Witzke in einem Bericht gesorgt, wonach eine Ausweitung des biologischen Landbaus in der EU mit tieferen Erträgen bei gleichbleibendem Konsum zu Mehrimporten mit entsprechenden Umweltwirkungen im Ausland führen könnte.

Er moniert, dass die Messung der externen Kosten einer Ausweitung des Biolandbaus inkorrekt sei und schliesst, dass nur eine produktive und innovative Landwirtschaft wirklich ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig sei.

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Hierzu meldete sich Prof. Dr. Andreas Gattinger von der Fakultät ökologischer Landbau der Justus-Liebig-Universität Gießen bei uns. Er will einige Thesen diskutieren, hier sein Text im Original-Wortlaut:

Klimaschäden und Biodiversitätsverluste verursachen hohe Kosten

Erstens, die externen Kosten der heutigen Landwirtschaft sind erheblich. Und sie umfassen nicht nur die Kosten der Treibhausgasemissionen, sondern auch die der Biodiversitätsverluste, der Gewässerverschmutzung, der Pestizidnutzung und so weiter.

Zuletzt hat die Zukunftskommission Landwirtschaft gestützt auf einer Studie der Boston Consulting Group diese auf 90 Mrd. € pro Jahr geschätzt. Auf den Hektar landwirtschaftliche Fläche bezogen wären das rund 5.300 €. Die heutige Landwirtschaft kann deshalb in ihrer Gesamtheit nicht als nachhaltig bezeichnet werden.

Der Biolandbau betreibt Ökosystemdienstleistung, während die konventionelle Landwirtschaft die Folgekosten der intensiven Produktion der Allgemeinheit auflastet.

Im biologischen Landbau produzierte Lebensmittel sind teurer, weil sie einen Teil der externen Kosten in den lokalen Ökosystemen vermeiden und vermehrt Ökosystemdienstleistungen bereitstellen, während die intensive Produktion diese Kosten der Gesellschaft aufbürdet. Die biologische Landwirtschaft produziert also gesellschaftlich gesehen nicht zwangsläufig zu teuer, sondern die intensive konventionelle Landwirtschaft produziert zu billig.

Diese Aussage wird u.a. durch Pieper et al. (2020) belegt, die in einer groß angelegten Studie die Treibhausgasvermeidungskosten tierischer und pflanzenbasierter Lebensmittel aus konventioneller und ökologischer Erzeugung verglichen.

Wenn Nahrungsmittel teurer werden, weil man die externen Kosten internalisiert, werden die Produkte der biologischen Landwirtschaft relativ eher billiger sein, wie auch die Studie von Tobias Gaugler und Amelie Michalke von der Universität Augsburg am Beispiel des Penny-Marktes zeigt. Es ist dann eine politische Aufgabe, das so umzusetzen, dass sich nicht nur Wohlhabende gut ernähren können – aber das ist kein spezifisches Problem der biologischen Landwirtschaft.

Noch viel theoretische Annahme und viele Variablen

Zweitens ist es richtig, dass bei der Bewertung der ökonomischen und ökologischen Folgen einer Ausdehnung des ökologischen Landbaus allfällige Verlagerungseffekte zu berücksichtigen sind. Das Problem ist dabei, dass diese theoretisch abgeleitet, aber empirisch nicht konkret ermittelt werden können.

Ein Grund hierfür ist der Umstand, dass die vorhandenen Daten keine pauschale Ertragsdifferenz zwischen der ökologischen und konventionellen Produktion abzuleiten erlauben, sondern diese je nach Standort, Kultur und Produktionsintensität grossen Schwanken unterliegt.

So zeigt zum Beispiel die Metastudie von Ponisio et al. (2015), dass die Ertragsdifferenz auf Basis der vorhandenen Systemvergleichsversuche, die vornehmlich gemässigte Breiten abdecken, etwa 20 % beträgt, während sie bei einem Fokus auf Biosysteme mit hoher Diversität auf knapp 10 % sinkt.

Zum zweiten wird die Höhe der global erzeugten Produktionsmengen durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. Die Schlussfolgerung, dass mehr Ökolandbau bei uns unvermeidlich mit mehr Umweltzerstörung anderswo einhergehe ist zu einfach gedacht und deshalb zurückzuweisen.

Ein Drittel der landwirtschaftlichen Produktion in der EU wird weggeworfen

Wir möchten in diesem Zusammenhang vor allem auch unser Erstaunen zum Ausdruck bringen, dass dieses Argument gegen den Biolandbau immer noch vorgebracht wird, ohne dabei das gesamte Agrar- und Ernährungssystem in den Blick zu nehmen. Das ist bedauerlich, da in den letzten Jahren viele Studien veröffentlicht wurden, die einen differenzierten Blick auf die Thematik werfen (Debuschewitz und Sanders 2022, Muller et al. 2017).

Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass ein Drittel der landwirtschaftlichen Produktion in der EU weggeworfen wird und dass auf 60 % des Ackerlands Futtermittel für die intensive Tierhaltung angebaut werden. Diese zwei Stellschrauben müssen unbedingt berücksichtigt werden, wenn wir über nachhaltige Ernährung und Landwirtschaft nachdenken.

Dies nicht zu tun zeigt die ganze Absurdität des heutigen Systems: weshalb in Effizienzsteigerungen investieren, um dann weiterhin einen Drittel wegzuwerfen? Weshalb auf minimalen Flächenbedarf pochen, während eine tierische Kalorie, die durch Fütterung mit Getreide entstand diesbezüglich sehr schlecht dasteht?

Smith et al. (2019) präsentierten eine sehr detaillierte Berechnung der Verlagerungseffekte einer Umstellung von England und Wales auf Bio – was wir mit genau diesem Hinweis in einen weiteren Kontext stellen (Muller 2019). Desgleichen die Debatten zu Versorgungsengpässen im Kontext des Kriegs in der Ukraine (Muller et al. 2022). Wir müssen uns nicht nur fragen, wie wir produzieren, sondern auch was und wofür.

Hinweis: Gastbeiträge geben nicht in allen Bereichen die Meinung der Redaktion wieder. Wir veröffentlichen sie dann, wenn wir sie für einen interessanten Diskussionsbeitrag zur Weiterentwicklung der Landwirtschaft halten.

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Jenseits der Öko-Illusion - Gedanken zu einer verantwortungsvollen Landwirtschaft

Ebenso erreichte uns ein Diskussionspapier von Prof. Dr. Herbert Ströbel. Der Agrarökonom lehrte von 1978 bis 2011 Angewandte Landwirtschaftliche Betriebslehre an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Er war Dekan des Fachbereichs Landwirtschaft II in Triesdorf, Vizepräsident und Vorsitzender des Senats der Hochschule. Seine umfangreichen, aber interessanten Gedanken finden Sie in folgender Word-Datei.

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