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Solidarische Landwirtschaft: Wenn Verbraucher die Produktion finanzieren

Keine Preisschwankungen, gedeckte Kosten und ein sicheres Einkommen für den Landwirt – das ermöglicht die Solidarische Landwirtschaft. Ein top agrar-Bericht aus 2016.

Lesezeit: 9 Minuten

In diesem Bild finden sich viele Landwirte wieder: Der Hof als direkter Versorger von Verbrauchern, die Hof und Arbeit kennen sowie die Produkte wertschätzen und fair bezahlen. Genau diesen „Luxus“ haben die Betriebe der Solidarischen Landwirtschaft (SoLawi).

Landwirte und Verbraucher bilden dabei eine Versorgungsgemeinschaft: Die Verbraucher bezahlen vorab Produktions- und Lohnkosten und erhalten im Gegenzug die Ernte, ganz ohne dazwischenliegenden Verarbeitungs- und Handelsstufen.

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Das in Deutschland und den USA in den 1960er-Jahren entstandene Konzept bedient Verbraucher, die sich gerne regional gesund versorgen und gleichzeitig etwas für den Erhalt der bäuerlichen Strukturen tun wollen. Gleichzeitig entlastet es die Landwirte vom Auf und Ab der Preise, sichert den Absatz und die Existenz. Mehr als 150 SoLawi-Betriebe gibt es bereits in Deutschland.

Wie funktioniert SoLawi?

Mehrere Privat-Haushalte tragen die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs. Dafür erhalten sie den Ernteertrag, wie hoch dieser auch ausfällt. Die Verbraucher tragen das Produktionsrisiko, der Landwirt produziert abseits von Marktstrukturen für ein kalkulierbares Einkommen.

Dabei gehört dazu, dass Verbraucher den Produktionsprozess verfolgen und auch auf dem Hof mithelfen dürfen. Weil sie meist „nur“ das Produktions- und Abnahmerisiko übernehmen, bleibt ihr Einfluss aber begrenzt.

Sie kooperieren letztendlich mit einem selbstständigen landwirtschaftlichen Betrieb. Der Landwirt bleibt Eigentümer von Flächen, Haus und Hof und hat betriebswirtschaftlichen Entscheidungsspielraum. Er trägt die übrigen Betriebsrisiken, wie z.B. dass er Förderbedingungen und Vorschriften einhält, Versicherungen abschließt und auch die Haftung übernimmt.

Wie läuft es in der Praxis?

In einer Mitgliederversammlung stellt der Landwirt die in den kommenden 12 Monaten geplante Produktion vor. Alle Kosten für Saatgut, Maschinen, Lager, Pachten, Versicherungen, Berufsgenossenschaft, Betriebsleitergehalt etc. tragen die Mitglieder. Sie teilen die Kosten auf die Ernteanteile auf und überweisen das Geld meist monatlich. Je nach Produktion sind das 50 bis 180 € pro Monat.

Ihre Anteile der Ernte holen sich die Mitglieder dann in Abholräumen (Depots), z.B. in den Städten oder direkt auf dem Betrieb, ab. Meist liefert der Landwirt die Produkte dort hin, anhand einer aushängenden Liste suchen sich die Mitglieder ihren Ernteanteil selbst zusammen – in der Regel ohne genaue Kontrolle. Das Angebot folgt den Jahreszeiten: Im Winter ist Kartoffel- und Kohlzeit, im Sommer und Herbst ist die Palette üppiger und die Menge steigt. Je nach Betrieb enthält ein Ernteanteil auch Brot, Milchprodukte bzw. Fleisch.

Welche Betriebe machen mit?

Solidarhöfe sind oft Biohöfe, wobei die Größe keine Rolle spielt: Es gibt Betriebe mit 200 ha und hunderten von Mitgliedern sowie auch solidarischen Gemüsebau auf kleiner Fläche für zehn Personen. Basis der Solidarproduktion ist häufig der Gemüseanbau.

Nicht alle Betriebe verschreiben sich voll der Solidarischen Landwirtschaft. Viele vermarkten Teile der Produktion frei oder wirtschaften nur in einem Betriebszweig solidarisch, z.B. in der Ziegenhaltung oder im Gemüsebau.

Auch wenn sich der Betrieb äußerlich kaum ändert: Wer als Landwirt in die SoLawi einsteigt, muss umdenken. Statt auf Märkte zu reagieren, geht es nun um die Mitglieder. Aus Sicht der Landwirte spricht Folgendes für SoLawi:

  • Preise spielen keine Rolle, die Produktion ist vorab bezahlt.

  • Das Risiko von Ernteschwankungen tragen die Mitglieder.

  • Die monatlichen Zahlungen sorgen für Liquidität und kalkulierbares Einkommen.

  • Die Mitglieder tragen Kosten und Risiken neuer Produktionsverfahren, wie Umstellung auf besondere Tierrassen oder Öko-Landbau.

  • Sie bietet auch für kleinere Betriebe eine Überlebenschance.

  • Die Mitglieder haben einen engen Kontakt zum Betrieb und wissen, wie Landwirtschaft heute funktioniert. Das schafft Akzeptanz und ist beste Öffentlichkeitsarbeit.

Für die Mitglieder spielt oft nicht nur gesunde Ernährung eine Rolle, sondern auch persönliche Ziele, wie z.B.:

  • Erhalt bäuerlicher Strukturen mit kleinteiliger Kulturlandschaft,

  • Förderung des Bioanbaus,

  • Transparenz durch direktes Erleben der Produktionsprozesse und Mithilfe,

  • Einfluss auf Methoden und Produkte durch die Mitgliederversammlung.

Wie entstehen Solidarhöfe?

Solidarhöfe finden ihre Mitglieder durch Mund-zu-Mund-Propaganda oder Informationsveranstaltungen. Solidarische Landwirtschaft basiert auf Vertrauen. Dass Verbraucher den ganzen Produktionsprozess finanzieren, kann nur funktionieren, wenn die Bewirtschafter Vereinbarungen einhalten, Kosten offenlegen und transparent produzieren. Nötig ist auch viel Kommunikation.

Besondere Organisationsformen gibt es bei den Höfen nicht: Normale Familienbetriebe in Privatbesitz wirtschaften ebenso solidarisch wie neu gegründete Hofgemeinschaften im Gemeinschaftseigentum. Auch die Verbraucher organisieren sich unterschiedlich vom freien Zusammenschluss über Vereine bis hin zur Genossenschaft oder direkten Beteiligung am Betrieb.

Achtung: Bei der Entscheidung sollten Sie steuerliche Folgen bedenken, vor allem bei der Umsatzsteuer, wenn der Landwirt die Ware nicht direkt an die Mitglieder sondern an eine dazwischen geschalteten Rechtsträger wie einen Verein abgibt und der diese weiter verteilt.

K O M M E N T A R

Ein Konzept für wenige

Keine Frage, der Ansatz fasziniert: Denn die Solidarische Landwirtschaft (SoLawi) zeigt, dass es durchaus Konzepte gibt, bei denen Verbraucher genau das für die gewünschten Nahrungsmittel zahlen, was ihre Produktion kostet.

Verbraucher und Betriebe sind vom Markt unabhängig, Lockvogelangebote des Handels sind plötzlich kein Thema mehr. Das System erlaubt dem Verbraucher statt eines „passiven Nörglers“ aktiver Mitgestalter der Nahrungsmittelerzeugung zu sein, der es aufgrund seiner „Mitwisserschaft“ auch einmal erträgt, wenn es mal weniger Möhren und dafür überbordend viele Kürbisse gibt.

SoLawi ist aber keine Patentlösung für alle. Denn man muss das Konzept dahinter auch leben: Reine Gewinnmaximierer und Einzelkämpfer ohne Kommunikationsbedarf sind hier fehl am Platz. Dazu muss der Betriebsleiter ein bisschen Unternehmerfreiheit hergeben, wofür er aber auch Einkommenssicherheit erhält. Vor allem fehlt es aber an problembewussten Verbrauchern, die sich so fest an einen Landwirt binden.

Die SoLawi zeigt aber, dass es sich durchaus lohnt, transparenter zu produzieren und neue Konzepte mit den Verbrauchern auszuprobieren. Denn wer die Produktionskosten kennt, kann beim Einkauf verstehen, wie ruinös die Discounterpreise sind.

Birkenhof: Blitzschnell zur SoLawi

Als im Jahr 2011 eine Darmstädter SoLawi-Initiative einen Betrieb suchte, überlegten Arno und Ingrid Eckert nicht lange: Sie sagten zu und entwickelten ihren 80 ha-Betrieb mit Gemüseanbau in Egelsbach zwischen Frankfurt und Darmstadt schlagartig weiter.

Zwar verzichteten die Eckerts schon lange auf Pestizide, doch nun stand die komplette Bioumstellung an, dazu kamen der Kartoffelanbau und neue Gemüsesorten. Der schnelle Start war ein Kraftakt für den Betrieb: Eckert erinnert sich noch an die Ratlosigkeit, als es zum ersten Mal darum ging, welche Gemüsemengen er produzieren soll. Dann entstanden finanzielle Schieflagen, weil er die Vollkosten der Produktion zu niedrig ansetzte, wie Eckert rückblickend selbstkritisch feststellt.

Doch nach drei Jahren SoLawi sind die Eckerts zufrieden. Die Zahl der Anteile ist von 25 auf jetzt 130 gestiegen. Derzeit kostet ein Gemüseanteil 55 € monatlich, wer zusätzlich Obst möchte, zahlt 15 € mehr. Mitglieder müssen sich mindestens ein Jahr lang binden.

Der Birkenhof erwirtschaftet derzeit gut die Hälfte des Gesamtumsatzes aus der SoLawi. Die Vollkosten der SoLawi-Produktion, einschließlich Afa, Lohn etc., an die Mitglieder weiterzugeben, findet Arno Eckert immer noch schwer. Bei der nächsten Verhandlungsrunde muss er die Mehrkosten für den Mindestlohn zur Sprache bringen. Für sich selbst setzt Eckert derzeit 13 € pro Stunde an.

Interessant ist, dass die SoLawi-Gruppen aus Darmstadt und Frankfurt völlig neue Kunden sind. Die Kundschaft vor Ort kauft wie gehabt spontan im Hofladen ein. SoLawi sorgt aber nicht nur für neue Abnehmer, Arno Eckert schätzt auch die intensive Kommunikation. Neben der wöchentlichen E-Mail über die Vorgänge auf dem Hof gibt es täglich Anfragen per E-Mail und Telefon: „Das ist ein echter Zeitfaktor, aber wir haben viel mit- und voneinander gelernt“, so sein Resümee.

Er kann sich auch vorstellen, SoLawi noch weiter auszuweiten. Für ihn macht das Konzept Sinn, weil die Landwirtschaft mit ihrer Urproduktion wieder unmittelbar als Lebensgrundlage im Leben und Bewusstsein der Mitglieder verankert wird und diese Produktion für ihn wirtschaftlich abgesichert ist: „Für die Hälfte der Ernte muss ich kein Risiko übernehmen, sie ist vorab bezahlt. Das schafft auch Zeit, mit den Mitgliedern Neues auszuprobieren, wie z.B. verschiedene Wege der Kompostproduktion.“

„Konkrete Nahrung für konkrete Menschen“

„Mehr gibt der Markt derzeit nicht her“ – dieser zermürbende Satz vom Biogroßhändler klingt Mathias von Mirbach aus Kattendorf noch bis heute in den Ohren. Mirbach hat verschiedene Biobetriebe bewirtschaftet, Direktvermarktungen aufgebaut: „Aber am Ende reichte das Einkommen für die Landwirte meist nicht aus“, so seine Bilanz.

Im Jahr 1995 pachtete der umtriebige Landwirt den damals 130 ha großen Kattendorfer Hof 40 km nödlich von Hamburg und erdachte mit den Mitstreitern Klaus und Annette Tenthoff 1998 das erste Experiment in Sachen SoLawi. Zunächst waren zehn Familien vor Ort dabei. Sie zahlten monatlich pro Person 100 € bzw. 50 € pro Kind und holten sich dafür die benötigten Nahrungsmittel.

Die Idee funktionierte nicht nur, sondern verbreitete sich weiter bis nach Hamburg. Heute bewirtschaftet die Kattendorfer Hofgemeinschaft nach Demeter-Richtlinien 260 ha Ackerland, hält 60 Milchkühe, einige Schweine und betreibt eine Hofkäserei. Derzeit produziert der Hof für 400 Mitglieder. Für jeden Ernteanteil setzt Mathias von Mirbach 2500 m2 landwirtschaftliche Fläche an, für die Ernte von dieser Fläche zahlen die Mitglieder monatlich 178 €. Je nach Jahreszeit besteht der Ernteanteil aus wöchentlich 1,5–3,5 kg Gemüse, dazu Kräuter und Salat, 1 kg Kartoffeln, ca. 0,7 kg Fleisch, Wurst von Schwein und Rind, Produkte aus der Hofkäserei aus 8,75 Liter Milch.

Der Hof liefert die Ernte an 13 Depots, wo sich die Mitglieder die Ware selbst abholen. Hier läuft alles auf Vertrauensbasis: Jeder bedient sich ohne Kontrolle aus Säcken und Kühlschränken selbst. Dieses Vertrauen auf beiden Seiten ist für Mathias von Mirbach der Dreh- und Angelpunkt. Der Erfolg gibt ihm recht: 20 Jahre SoLawi haben den Betrieb wachsen lassen, von Mirbach bekommt viele positive Rückmeldungen und erwirtschaftet ein gutes Einkommen für alle am Betrieb Beteiligten.

Den Einwand, SoLawi sei nur eine „Nische für Reiche in der Großstadt“, lässt von Mirbach nicht gelten: „Wenn Höfe es schaffen, das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen, ist gemeinsam oft viel mehr möglich, als man denkt – das zeigen viele neue Projekte auch außerhalb der Großstädte.“ Von Mirbach fordert aber auch mehr Bewusstsein von den Verbrauchern: „Wer im Discounter ein Produkt kauft, sollte bedenken, dass er den Auftrag gibt, es genauso noch einmal zu produzieren.“

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