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Streit mit Brüssel eskaliert: Erste Biobauern geben auf

Bei der Weidepflicht bei Bio bleibt die EU-Kommission hart. Doch es fehlt rechtliche Klarheit. Zudem drohen Österreich hohe Strafzahlungen. Derweil rennt den Bauern die Zeit davon.

Lesezeit: 5 Minuten

Bereits 70 tierhaltende Biobauern im Waldviertel (Niederösterreich) sollen ihre Ställe geräumt haben. Diese Zahl wollte der Bio Austria-Landesverband nicht bestätigen, aber man wisse von „vier bis fünf Stallräumungen pro Woche“. Laut Landesobmann Otto Gasselich dürften „wegen der Weidepflichtdiskussion bis zu 100 Mitgliedsbetriebe aus der Tierhaltung aussteigen“.

Nach Bekanntwerden der überfallartigen Verschärfungen bei den Auslauf- und Weidevorgaben für Rauhfutter-fressende Biotiere (Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde) warnten Landwirtschaftsministerium (BMLRT), LK und Bio Austria noch vor einem raschen Ausstieg aus der Biomaßnahme. Vielmehr sollte man eine betriebsspezifische Beratung in Anspruch nehmen und die Nachjustierung bzw. Neuausrichtung des Betriebes ganz genau abwägen. Zudem wurde der Einstieg in die Weidemaßnahme beim ÖPUL-Programm empfohlen.

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Monatelanger Stillstand

Doch vielen Biohöfen hilft das alles nichts. Nicht nur die Vorlaufzeit auf die verschärfte Situation war faktisch Null. Viele Betriebe haben keinen räumlichen Spielraum für mehr Auslauf oder Weide. Die beiden involvierten Ministerien – das für die Bioförderung zuständige BMLRT und das für Biolebensmittel zuständige Sozialministerium (BMASGK) – hoffen indes noch auf eine flexible Lösung.

Doch die Hoffnung schwindet, denn die EU-Kommissionsbeamten wollen weiterhin nur die in der EU-Bioverordnung geltenden Ausnahmen von der Weidepflicht (Vegetationslage, Bodenbeschaffenheit, Wetterlage) akzeptieren. Dies stellt aber viele Biohöfe vor schier unlösbare Probleme.

Das offizielle Österreich spricht seit Monaten mit der EU nur auf Beamtenebene. Auf dieser juristisch-technischen Ebene sind die Fronten festgefahren und die EU stellt weitere kritische Fragen. Letztlich müsste der EuGH ein Urteil fällen. Das dauert und bringt die große Gefahr, dass Brüssel den Bio-Fördergeldhahn zwischenzeitlich völlig zudreht. Rund 12 Mio. € hat die EU-Kommission ohnedies schon einbehalten.

Entsprechend sauer ist auch Franz Traudtner, Bio Austria-Landesobmann Burgenland. Ihn ärgert vor allem die „Ignoranz der Behörden, die unsere Biobauern und Biobäuerinnen einfach im Regen stehen lassen. Vielmehr sind die Behörden bestrebt, ihre Versäumnisse und Verhandlungsunfähigkeit als quasi Gott-gewolltes Unglück darzustellen. Ohne eine gewisse territoriale Flexibilität bei Auslauf und Weide wird die EU aber niemals von 7 auf die von ihr angestrebten 25% Bio kommen“, ist sich Traudtner sicher.

Notregeln weiter offen

Für die zwei ÖPUL-Verlängerungsjahre 2021 und 2022 plant Österreich die Möglichkeit, die Biomaßnahme auf der Fläche weiterzuführen – auch wenn die Tierhaltung konventionell betrieben wird. Denn die konventionell gehaltenen Tiere zählen hinsichtlich Prämienberechnung der Grünland- und Ackerfutterflächen nicht zum relevanten Viehbesatz.

Dieser wird für die Einstufung als Tierhalter oder Nicht-Tierhalter herangezogen wird. Aber ob das wirklich möglich ist, ist offen. Denn gemäß der aktuell noch geltenden und auch nach der neuen ab 1. Januar 2021 geltenden EU-Bio-Verordnung muss grundsätzlich der gesamte Betrieb biologisch bewirtschaftet werden.

Unterschiedliche Bewirtschaftungsweisen sind prinzipiell zwar möglich, aber nur unter scharfen Auflagen. Bewertet wird dies durch die Kontrollstellen. Die sehen die EU-Rechtsinterpretationen ohnedies als überzogen und nicht durch die Verordnung gedeckt. Die Kontrollore haben neben Bio Austria und dem BMAGSK ein Rechtsgutachten eingeholt. So wird munter weiter heruminterpretiert und gestritten.

Auch sind die Regeln für den nun jährlich notwendigen Weideplan noch nicht fix. Der Abgabetermin für den Weideplan 2021 wurde um drei Monate auf Ende September verlegt.

100 Mille-Strafe droht

Ministerin Elisabeth Köstinger ist die Problematik bewusst: „Ich stelle mich kompromisslos vor jeden Bauern, der davon betroffen ist. Wir wollen von der EU-Kommission Klarheit, dass es praktikable Lösungen mit Hausverstand für die Zukunft gibt.“ Zur Höhe der möglichen Strafzahlung wollte die ÖVP-Ministerin nichts sagen. Anfangs wurden hier 40 bis 60 Mio. € befürchtet. Ministerielle Insider gehen nun aber von einer 100 Mio. €-Strafe für die aus Sicht Brüssels jahrelange Falschauslegung der EU-Bioauflagen aus.

EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski machte sich im Januar auf einem Biohof im Burgenland ein ausführliches Bild von der Weideproblematik. Ein neuerlicher politischer Vorstoß des fürs Biorecht zuständigen Sozialministers Rudolf Anschober (Grüne) gemeinsam mit Köstinger ist aber überfällig. Fehlt nur der Mut dazu oder ist das Zögern dem politischen Konkurrenzdenken geschuldet?

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„Wir haben bereits 100 Tiere abgestockt“

Dass der Weidestreit nicht nur heimische Biomilcherzeuger betrifft, zeigt der Fall der Familie Haslinger. Diese betreibt im Waldviertel eine höchst erfolgreiche Biofärsenmast mit rund 250 Mastplätzen.

Die Vermarktung erfolgt überwiegend durch regionale Viehhändler und Metzger, womit der regionale Kreislaufgedanke gelebt wird. Die verschärfte Gangart Brüssels gegenüber Österreich in Sachen Weide belastet den Betrieb und Landwirt Herbert Haslinger nun massiv: „Dieses Jahr haben wir bereits über 100 Stück unserer 250 Mastplätze abgestockt bzw. nicht mehr nachbesetzt. Grund dafür ist, dass wir rund um den Betrieb zu wenig Wei-deflächen haben.“

Sollte es nicht doch eine Last-minute-Lösung mit Brüssel geben, werden die Haslingers die Tierhaltung aufgeben müssen. „Unsere jahrelange Aufbauarbeit wäre ausgelöscht und unsere Investitionen in Laufstall und Auslauffläche komplett umsonst. Wer zahlt uns das?“

Herbert‘s Vater geht angesichts der seit Monaten herrschenden Unsicherheit über die rechtlichen Vorgaben noch mehr in Saft. „Das Ganze ist purer Wahnsinn. Wir haben die Kammerführung in St. Pölten sogar persönlich auf die dramatische Lage aufmerksam gemacht. Doch das existenzielle Problem vieler Biobauern scheint weder Präsidenten noch Kammerdirektor wirklich zu kümmern. So als ob Niederösterreichs Landwirte nur Ackerbauern wären“, ärgert sich Haslinger Senior.

Auch fachlich haben die Haslingers einiges an der absoluten Weidepflicht zu bemängeln. „Die Rinder bauen auf der Weide kaum intermuskuläres Fett auf. Gerade die Endmast geschieht überall auf der Welt in Ställen oder Paddocks – und nicht auf der Weide. Aber die EU ist wohl anders und will an Österreich offenbar ein Example statuieren“, vermutet Herbert Haslinger.

Und sein Vater orakelt: „Es dürfte sich in den EU-Beamtenburgen ein jahrelanger Grant gegen Österreich aufgestaut haben – und wir tierhaltende Biobauern dürfen jetzt dafür büßen!“

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