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„Die Unsicherheit am Ferkelmarkt hemmt Investitionen“

VLV-Ferkelring Geschäftsführer Johann Stinglmayr sieht aktuell keine strukturelle Knappheit bei Ferkeln, die große Investitionswelle erwartet er erst kurz vor 2033.

Lesezeit: 5 Minuten

top agrar sprach mit Johann Stinglmayr, Geschäftsführer vom Verband landwirtschaftlicher Veredelungsproduzenten (VLV), über die aktuelle Lage und Herausforderungen der Ferkelbetriebe in Österreich.

Wie schätzen Sie die derzeitige Situation der Ferkelbetriebe in Österreich ein?

Johann Stinglmayr: Trotz zweier außergewöhnlich guter Jahre, in denen fast alle Ferkelerzeuger kostendeckend arbeiten konnten, sehen wir keine Betriebserweiterungen oder Entwicklungen in der Branche. In der Vergangenheit hat ein gutes halbes Jahr ausgereicht, um in Europa Investitionen auszulösen. Derzeit fehlt es an Investitionsfreude in der europäischen Ferkelerzeugung, wie in Österreich. Das Vertrauen in stabile Rahmenbedingungen hat durch ständige Diskussionen in den vergangenen 20 Jahren gelitten, was die Landwirte verunsichert.

Welche Herausforderungen sehen Sie im Moment für die Ferkelerzeuger?

Johann Stinglmayr: Selbst mit potenziellen Hofnachfolgern zögern viele Sauenhalter Investitionen zu tätigen. Es besteht Unsicherheit darüber, ob aktuelle Mindeststandards in fünf oder zehn Jahren noch gelten. Dieses Dilemma wird sich nicht schnell lösen. Auch im Fall ­einer positiven politischen Entscheidung zur Übergangsfrist bis zum Verbot der unstrukturierten Vollspaltenböden wird es in der Sauenhaltung kurzfristig nicht zu einem Investitionsboom kommen.

Wie entwickelt sich die Betriebs­struktur bei den Ferkelerzeugern?

Johann Stinglmayr: Unsere 300 Mitglieder haben im Schnitt 94 Zuchtsauen am Betrieb. Die Bandbreite reicht von 30 bis 400 Sauen. Auch wenn die durchschnittliche Sauenzahl weiter steigen wird, werden die kommenden Entwicklungsschritte eher in die Richtung Modernisierung und Technisierung gehen als in die große Ausweitung bei den Sauenplätzen. Denn jene Betriebe, auf denen mehrere Generationen am Hof arbeiten, werden weniger. Hier stoßen Landwirte ab einer gewissen Sauenanzahl arbeitstechnisch an Grenzen.

Wie sieht die Zukunft dieses Betriebszweigs aus?

Johann Stinglmayr: Der freie Markt wird enger und sensibler. Wir sehen eine Entwicklung hin zu 1:1-Beziehungen zwischen größeren Ferkelerzeugern und Mästern. Deutlich mehr als die Hälfte unserer Ferkel sind bereits in diesem Modell gebunden. Freie Ferkel, die nicht vertraglich zugesichert sind, sind immer weniger am Markt. Das wird sich auch nicht so schnell ändern. Früher gab es von Deutschland, Holland oder Dänemark ständig eine Überversorgung. Doch allein in Deutschland wird sich die Produktion von Ferkeln in den nächsten zehn ­Jahren halbieren.

Schnell gelesen

  • Es herrscht keine Investitionsfreude, obwohl die Ferkelbetriebe zwei gute Jahre hinter sich haben. Der VLV Ferkelring rechnet in Zukunft mit keiner großen Ausweitung der Produktion.

  • Die Ferkelversorgung in Österreich ist bis Ende der 2020er-Jahre gesichert; entscheidend sind Förderprogramme und stabile Rahmenbedingungen für die Zukunft.

  • Der Trend geht  zu 1:1-Beziehungen zwischen Ferkelerzeugern und Mästern nimmt zu während der Markt für nicht vertraglich abgesicherte Ferkel schrumpft.

Wie beurteilen Sie die Versorgungs­situation mit Ferkeln in den kommenden Jahren?

Johann Stinglmayr: Kurzfristig sehe ich kein Problem mit der Ferkelver­sorgung bis in die späten 2020er-Jahre. Viele Betriebe werden die aktuelle Marktlage so lange wie möglich nutzen. Die entscheidenden Jahre werden ab 2028 beginnen und bis 2033 andauern, wenn die wirtschaftliche Gesamtsituation neu bewertet werden muss. Ein gutes Förderprogramm wird dann essenziell sein, um auch in Zukunft die Eigenversorgung mit Ferkel und Schweinefleisch zu sichern.

Ein besseres Förderprogramm und was könnte noch zusätzlich Landwirte zum Investieren zu bringen?

Johann Stinglmayr: Stabilere Rahmenbedingungen sind entscheidend für Investitionen. Sowohl konventionelle als auch Tierwohlbetriebe benötigen Gewissheit und Anerkennung für ihre Rolle in der Gesellschaft. Konventionelle Betriebe können keine Marktaufschläge erwarten und müssen mit dem bestehenden Preisniveau arbeiten. Die Baukosten sind hoch und des-halb braucht es Sicherheit, damit die In­vestitionen auch wieder verdient ­werden können, ohne weitere Bau-maß­nahmen.

Was erwarten Sie bezüglich der bau­lichen Anforderungen und Bewegungsbuchten?

Johann Stinglmayr: Jede bauliche ­Änderung bei Sauenhaltern erfordert ein komplettes Überdenken der Betriebssituation. Bewegungsbuchten können nicht einfach in bestehende Strukturen integriert werden. Spätestens 2033 gelten die neuen Haltungsvorschriften im Abferkelbereich. Ab diesem Zeitpunkt müssen die Buchten so gestaltet sein, dass die Zuchtsauen nur während der kritischen Lebensphase der Ferkel fixiert sein dürfen. Die Bucht wird ­größer, wir empfehlen eher 6,5 m2, es sind aber Buchten ab 5,5 m2 erlaubt. Durch die Bewegungsmöglichkeit ­verändern sich die bau-lichen An­forderungen betreffend Bodenge­staltung, Buchtentrennwände, Ein­richtungen zum Schutz der Ferkel und so weiter.

Welche Perspektiven sehen Sie für junge Hofnachfolger in diesem Sektor?

Johann Stinglmayr: Junge Hofnachfolger stehen vor der Herausforderung, in einem Umfeld mit unsicheren Rahmenbedingungen zu investieren. Trotzdem gibt es entscheidende Perspektiven. Das Ferkel wird auf absehbare Zeit ein knappes Gut bleiben. Die Ausgangs­situation für Ferkelerzeuger war noch nie so günstig wie jetzt. Die Investitionen in moderne, innovative und trotzdem arbeitsschonende Stallsysteme zur Erfüllung neuer Standards werden den Betriebsleitern helfen, wettbewerbs­fähig zu bleiben.

Welche Empfehlungen haben Sie für Betriebe, die auf Tierwohl setzen möchten?

Johann Stinglmayr: Diese Betriebe ­finden derzeit gute Fördervoraussetzungen mit 700.000 € anrechenbaren Kosten. Es ist jedoch ratsam, bei neuen Investitionen strategisch vorzugehen und jeweilige Marktentwicklungen gerade im Tierwohlbereich mit zu berücksichtigen. Um die Eigenversorgung in Zukunft in Österreich absichern zu können, bedarf es nicht nur der Unterstützung von Tierwohlbetrieben, sondern ganz besonders auch der konventionellen Betriebe. Das wird umso wichtiger, wenn man berücksichtigt, dass die wettbewerbsfähigen Tierwohlprogramme auch zukünftig mengenmäßig stark limitiert sein werden.

Wie wichtig ist die Eigenversorgung mit Schweinefleisch in Österreich?

Johann Stinglmayr: Seit dem EU-­Beitritt ist es unser höchstes Ziel, die Eigenversorgung von der Zucht über die Ferkelerzeugung bis zum Schweinefleisch zu erhalten. Durch die großen Strukturen in anderen Ländern wurde uns damals - insbesondere von deutschen Marktexperten – ein rasches Absacken der Eigenversorgung auf 50 % ­prophezeit. Wir konnten diese Experten bis heute eines Besseren belehren. Wir hatten im Vorjahr 4,3 Mio. Schlachtschweine und 4,3 Mio. Ferkel, die in Österreich produziert wurden. Mit diesem Produktionsumfang konnte der Eigenbedarf in Österreich gedeckt werden. Die Verteidigung der Eigenversorgung bleibt weiterhin oberstes Ziel.

Wird sich die Eigenversorgung Österreichs mit Schweinefleisch in ­Zukunft noch ausgehen?

Johann Stinglmayr: Es wird eine Mammutaufgabe, aber ich bin überzeugt, dass wir das gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern bewerkstelligen können. Es braucht dazu aber die Bereitschaft der politischen Entscheidungsträger, auch die letzten Jahre vor dem Ende der Übergangs­frist zur Bewegungsbucht ein hervor-ragendes ­Unterstützungsprogramm anzubieten. Neben einem ausgereiften und attraktiven Anreizsystem, bedarf es aber vor allem einer hohen und ­verlässlichen Rechtssicherheit. Nur ­damit werden Bäuerinnen und Bauern zu überzeugen sein, in die Sauenhaltung und Ferkel­erzeugung zu in­vestieren.  

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