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Psychische Gesundheit: Landwirte am Limit

Arbeitsdruck, Preissturz, Dürre, Bürokratiewahnsinn, Generationskonflikt, Zukunftsangst – viele Landwirte sind nervlich am Limit. Ein betroffener Landwirt berichtet.

Lesezeit: 8 Minuten

Ein Beitrag von Gerburgis Brosthaus und Katrin Quinckhardt, Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben:

Eigentlich war es ein guter Tag für Bastian (Name von der Redaktion geändert). „Ich konnte früh Feierabend machen“, erinnert er sich. Doch beim Weg von der Maschinenhalle zum Abendessen kreisten vorwurfsvolle Gedanken in seinem Kopf: „Die Werkstatt musst du endlich aufräumen, die Dachrinne reparieren und den Hof müsstest du dringend mal wieder fegen.“ Eigentlich Kleinigkeiten.In diesem Moment schien ihm alles zu viel: Die wartenden Eltern, das Dudeln des Radios in der Küche, die bloße Anwesenheit seiner Geschwister. Er flüchtete nach draußen, in den Regen, den er nicht mal spürte. Dann verlor er die Kontrolle über seinen Körper.

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„Mein Atem ging immer schneller, mein Herz raste“, erinnert Bastian sich an das Gefühl der Ohnmacht. „Ich war so hilflos.“ Nur mit Mühe konnte er mit dem Handy die Familie alarmieren. Die Stimme stockte ihm. Ein einziges Wort kam über seine Lippen: „Hilfe!“ „Als der Erste bei mir war, versagten mir die Knie“, beschreibt Bastian seinen Zusammenbruch. Er lag weinend im Regen auf dem Hof – umringt von seiner Familie, die nicht wusste, was los war oder wie sie reagieren sollte.

Von der Multikrise überrollt

Ein Zusammenbruch, wie Bastian ihn erlebt hat, ist nicht selten – verlässliche Zahlen fehlen. Doch sind psychische Probleme mittlerweile die zweithäufigste Ursache für Erwerbsminderungsrenten bei Landwirten. Diese erschreckende Zahl hat die Landwirtschaftliche Sozialversicherung SVLFG ausgewertet.

Die Situation hat sich in den letzten Jahren zugespitzt. Neben branchentypischen Belastungen wie Wetter und Preise üben zunehmend mehr Faktoren massiven Druck auf Landwirte aus. Viele fühlen sich ausgeliefert, ohnmächtig, als Spielball der Politik. Immer neue Regelungen zu Düngung, Insektenschutz, EU-Agrarreform, Immissionsschutz engen die Handlungsfreiheit ein, sorgen für Unsicherheit und Zukunftsangst.

Hinzu kommt der permanente mediale Druck. Die meisten Landwirte sehen sich als Teil der Generationenfolge und kümmern sich mit Herzblut um Stall, Hof und Acker. Doch statt Wertschätzung ernten sie Kritik, müssen sich rechtfertigen, fühlen sich an den Pranger gestellt.

Wirtschaftlich ist die Landwirtschaft oft eher Renditekiller als Renditebringer. Schweinehalter kämpfen seit über zwei Jahren mit katastrophalen Preisen, Milchviehhalter gefühlt seit Jahrzehnten. Aktuell sorgen die explodierenden Kosten für Existenzängste.

Anne Dirksen

Treten dann noch Krisen im familiären Bereich auf – Generationskonflikt, ungelöste Hofnachfolge, pflegebedürftige Angehörige, eigene Erkrankungen – ist für viele die Belastungsgrenze erreicht. Doch thematisiert wird die Not nur selten.

Burn-out und Depression

Auch Anne Dirksen von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen sieht nur die Spitze des Eisbergs. 150 Landwirte haben sich in den vergangenen elf Monaten in ihrer Not an sie gewendet. Denn Anne Dirksen und ihr Team betreuen ein Soforthilfe-Projekt der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung (SVLFG) speziell für psychisch belastete Landwirte.

Was der erfahrenen Beraterin besonders Sorgen macht: „85 % der ratsuchenden Landwirte haben Anzeichen einer handfesten Depression.“ Und darüber hinaus: „Es sind erschreckend viele junge Leute betroffen.“

Anne Dirksen

Bastian ist Mitte 30. War sein Zusammenbruch Folge eines Burn-outs? Oder gar einer Depression? Bislang fehlen anerkannte Diagnoseinstrumente und eine ausreichende Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen zum Burn-out. Einig ist sich die Wissenschaft, dass der Burn-out trotz variierender Symptome eine Frühform der ­Depression ist.

In der Arbeitsfalle

Wie auch immer man den Zusammenbruch von Bastian benennen will – er war stressbedingt. Der Betrieb mit intensivem Ackerbau, großer Tierhaltung und Biogasanlage hat ihn fest im Griff. „Ich bin 24 Stunden am Tag in Rufbereitschaft, sieben Tage die Woche“, beschreibt der junge Familienvater seinen größten Stressfaktor.

Arbeitsüberlastung ist auf den meisten Höfen ein Problem, gerade bei Milchviehhaltern. Viele Landwirte haben sich beim betrieblichen Wachstum in die Arbeitsfalle manövriert. Mehr Vieh, mehr Fläche, neue Betriebszweige, verschachtelte Gesellschaftsgründungen fordern ihren Tribut. Die ausufernde Bürokratie fesselt den Landwirt zunehmend ans Betriebsbüro – oft eine ungeliebte Arbeit, die Zeit für die Aufgaben auf dem Hof raubt.

Wenn dann die Probleme überhand nehmen, stürzen sich viele Landwirte noch mehr in die Arbeit. Zwölf-Stunden-Tage sind keine Seltenheit. Am Sonntag wird liegengebliebene Arbeit nachgeholt. Spätestens dann dreht sich der Landwirt schon längst im Hamsterrad. „Für die meisten ist es wahnsinnig schwer, den Halteknopf zu finden“, weiß Anne Dirksen aus vielen Gesprächen.

Bastian

Bastian hat den Halteknopf gefunden – zumindest ansatzweise. Doch hat er das nicht allein geschafft. Ein halbes Jahr nach seinem Zusammenbruch suchte er sich Hilfe. „Bis dahin habe ich einfach nur funktioniert – aber mich selbst gefühlt habe ich dabei nicht“, reflektiert der gelernte Landwirt heute.

Das Schweigen der Höfe

Wie Bastian halten die allermeisten viel zu lange durch. „In familiengeführten Betrieben gibt es eine enorme Leidensfähigkeit“, ist Anne Dirksens Erfahrung. Alle ziehen an einem Strang, oft seit Generationen. Das macht Höfe in Krisenzeiten stark, birgt aber auch die Gefahr der Selbstausbeutung. Wenn dann in den Familien nicht offen gesprochen wird, dreht sich das Gedankenkarussell immer schneller.„Mangelnde Gesprächsbereitschaft lässt gerade junge Landwirte verzweifeln“, weiß Anne Dirksen aus vielen Beratungsfällen. So auch bei Bastian, wo Eltern und Geschwister schweigend zusahen. „So geht es nicht weiter“, erkannte Bastian. Er stellte sich der Situation, suchte sich einen Psychologen und begann mit einer Gesprächstherapie.

Genau die richtige Reaktion. „Das Entscheidende ist, dass der Landwirt den ersten Schritt tut“, hat Anne Dirksen als Erfolgsfaktor ausgemacht. „Hilfe zu suchen, ist keine Schwäche, sondern eine riesige Stärke“, lobt sie den Mut der Betroffenen. Wenn Landwirte von ihrer Familie oder der Bank zu Beratung oder Therapie gedrängt werden, ist die Heilungschance deutlich geringer.

Das Problem: Die Nachfrage nach Therapieplätzen übersteigt das Angebot deutlich. Nur jeder Zehnte findet binnen eines Monats einen Therapeuten. 40 % der Betroffenen müssen mehr als sechs Monate auf einen Platz warten. Bastian hatte großes Glück. Er konnte direkt durchstarten.

Vertrauen ist die Basis

„Anfangs fiel es mir schwer, mich auf die Gesprächstherapie einzulassen“, gibt der junge Betriebsleiter unumwunden zu. Er hatte nie gelernt, sich anderen Menschen zu öffnen. Erstaunt registrierte er, dass der Therapeut keine Tipps gab: „Er stellte Fragen – gute Fragen.“

Dabei ging es nicht primär um seine Vergangenheit. Ziel war es, die Belastungsfaktoren zu identifizieren. Der größte Brocken war für ihn die ständige Rufbereitschaft für die Biogasanlage. Abschaffen konnte er diesen Stressor noch nicht, auch weil er auf wenig Entgegenkommen bei seiner Familie stieß.

Diesem Problem begegnet Anne Dirksen öfter. Deshalb holt die erfahrene Beraterin und Mediatorin Eltern und Ehepartner möglichst direkt mit an den Tisch. Am Anfang steht eine Themensammlung, wo der Schuh am meisten „drückt“. Darauf aufbauend sucht sie mit den Beteiligten nach Ideen. Dabei ist ihr oberster Grundsatz: Die Lösung muss zum Landwirt passen, nicht zum Berater.

Wichtig ist es, den Blick zu weiten. Nicht nur auf das Machbare schauen, sondern auch scheinbar verrückte Ideen zulassen. Welche Wünsche haben Landwirt und Familie? Wie soll das Leben in drei oder fünf Jahren aussehen? Eine Bäuerin träumte davon, Kindern die Landwirtschaft zu zeigen. Heute geht sie in ihrem neuen Betriebszweig Bauernhofpädagogik und Tourismus auf.

Höher, schneller, weiter?

Durch die Therapie fühlte Bastian sich besser. Er beendete sie und wollte es allein schaffen. Doch dann kamen Warnschüsse: „In stressigen Situation begannen meine Finger zu zittern, mein Körper bebte.“ Da wurde dem jungen Familienvater klar: „Ich bin noch nicht wieder gesund.“ Seitdem gehören die regelmäßigen Therapiesitzungen zu seinem Leben – seit mehr als sieben Jahren.

Bastian tut heute eins: Er passt besser auf sich auf. Wenn er merkt, dass ihm alles zu viel wird, stellt er einfach die Arbeit abrupt ein: „Dann fahre ich den Traktor an die Seite und gebe im Haus Bescheid, dass ich gerade nicht mehr kann.

“Dies Bekenntnis gegenüber seinen Eltern fällt dem Hofnachfolger nicht leicht. Nicht, weil sie dann einspringen müssen. Sondern weil er das Gefühl hat, sie legen sein Handeln als Schwäche aus.

„Bei uns zu Hause wurde nicht viel gelobt“, blickt Bastian zurück, „es ging immer nur um höher, schneller und weiter – nie war es genug.“ Bastian weiß selbst, dass diese Denkweise nicht der Auslöser für seinen Zusammenbruch war. Doch er sieht darin zumindest eine der vielen Ursachen für seinen Zusammenbruch. Bis heute kann er nicht mit seinen Eltern darüber sprechen. „Sie haben kein Verständnis dafür“, bedauert er.

Dabei sind die „weichen Faktoren“ enorm wichtig. Gefühle müssen Raum haben, Ängste offen ausgesprochen werden. Oft fehlt Wertschätzung – nicht nur von außen, sondern auch in den Familien.

„Ein ehrliches Lob kostet nichts, ändert aber viel in der Beziehung zwischen Menschen“, wirbt Anne Dirksen für einen freundlichen, anerkennenden Umgangston in der Familie. Bastian hat aus seiner Krankheit gelernt. Er geht nicht nur mit sich freundlicher und gelassener um, sondern auch mit seiner Familie. Seiner Tochter möchte er ein wärmeres Familienklima bieten – vor allem mit mehr Gesprächen.

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