Nach Bergsturzunglück

Bauern aus Blatten haben Tiere und Felder verloren - Zusammenhalt enorm

Im Schweizer Bergdorf Blatten haben 8 Bauernfamilien alles verloren. Doch auch außerhalb des Gebietes wissen die abgeschnittenen Bauern nicht, wie es weitergehen soll - trotz Solidarität.

Lesezeit: 5 Minuten

Das Bergdorf Blatten im Schweizer Kanton Wallis ist nach dem Gletschersturz vom 28. Mai weiter tief verschüttet, die Menschen stehen unter Schock. Die enormen Fels-, Eis- und Schuttmassen türmen sich nach Einschätzung von Geologen bis zu 100 m hoch. Insgesamt zieht sich der Geröllberg über 2 km auf einer Breite von 200 m durch das Tal.

Das Material ist bislang fest, Aufräumarbeiten sind aber weiterhin zu gefährlich, weil der Schutt überall jederzeit einbrechen könnte. Rund ein Drittel der 9 Mio. Kubikmeter, die das Dorf und das Flussbett der Lonza nach dem Gletscherabbruch verschüttet haben, dürften Gletschereis sein, schätzen die Experten. Daher ist die Sorge groß, dass der Haufen in Bewegung gerät, wenn das Eis schmilzt.

Die 300 Einwohner waren zum Glück vorher in Sicherheit gebracht worden. Sie haben alles verloren. 90 % des Dorfes, rund 130 Häuser, sind zerstört. Unter Tränen berichten Betroffene im Schweizer Fernsehen, dass sie ihre Heimat verloren haben. Andere zeigen sich in dem Tiefpunkt motiviert, den Haufen wegzuräumen und das Dorf wieder aufzubauen. Das dürfte aber eine Jahrzehntaufgabe sein, denn es drohen weitere Felsabbrüche, so dass weiterhin ein Betretungsverbot für das Gebiet gilt.

Eine Bäuerin berichtet von ihrem Verlust: Zum Video

72 ha weg

Medienberichten zufolge haben acht landwirtschaftliche Betriebe ihren Hof verloren. Dort standen 120 Großvieheinheiten, konkret 80 Rinder sowie 40 Schafe und Ziegen.

72 ha Agrarland seien vollständig verschwunden, davon 47 ha Mähwiesen. Weitere 100 ha Fläche östlich von Blatten seien indirekt betroffen, weil sie nicht mehr zugänglich seien. Die Bauern bräuchten aber Platz für ihr Vieh, und für den nächsten Winter müsse Futter gefunden werden, mahnte Landwirtschafts-Staatsrat Christoph Darbellay. Auch vier Alpen seien seit dem Bergsturz nicht mehr erreichbar.

Große Hilfen zugesagt

Die Solidarität mit den Einwohnern von Blatten jedenfalls ist enorm. Unter anderem Caritas Schweiz und das Schweizer Rote Kreuz haben Soforthilfen angekündigt, der Verein "Patenschaft für Berggemeinden" will für Aufräumarbeiten und Wiederaufbau 1 Mio. Franken zur Verfügung stellen. 

Der Wiederaufbau der Infrastruktur im Lötschental soll ohne bürokratische Hürden schnell angepackt werden, sagt auch Staatsratspräsident Mathias Reynard. Über Details zur Umsetzung einer 10-Millionen-Franken-Hilfe werde später entschieden. Denkbar seien auch Kreditstundungen für die betroffenen Betriebe oder Lösungen bei Schulden.

Starker Zusammenhalt im Dorf

Vor allem aber hält die Dorfgemeinschaft fest zusammen. Im Lötschental lebt niemand zufällig, stellt die Zeitung Schweizer Bauer fest. Immer schon war der Zusammenhalt hier größer als in Gebieten, wo Menschen hin- und auch wieder wegziehen. Die meisten Familien in Blatten lebten dort seit Jahrhunderten in ihren historischen Häusern und in starken Nachbarschaften. Darum hätten sie noch mehr verloren als jemand, der fast anonym in einer Wohnung gelebt hat.

Wir sind orientierungslos und planlos: Ein Bauer berichtet von den Hilfsmaßnahmen. Zum Video...

Provisorisch melken unter freiem Himmel

Hinter der großen Katastrophe liegen unzählige Einzelschicksale: Wie Dani’s Lamm, ein Biobetrieb, der 2012 für den Agropreis nominiert war - zerstört. Oder die vielen Schafhalter, deren Tiere die Berge beweideten und Fleisch und Milch an die örtliche Gastronomie lieferten. Die Hotels und Restaurants, die im Sommer der Touristenmagnet waren sind weg.

Oder die Bauernfamilie Jaggi. Anders als die Schäfer, die bei der Evakuierung ihre Tiere zurücklassen mussten, gelang es ihnen noch, die Kühe aus dem gefährdeten Gebiet nach Kippel zu bringen. Seither melken sie in einem Melkstand am Dorfrand unter freiem Himmel. Da Jaggis auch in Kippel wohnen, haben sie ihr Zuhause noch intakt, der Stall in Blatten ist dagegen verschüttet.

Gegenüber dem Schweizer Bauer berichtet die Familie, dass die Flurbereinigung gerade erst 2020 beendet war, seitdem lagen die Flächen der Bauern zusammenhängend nebeneinander und nicht mehr in kleinen Parzellen verstreut. Jaggis Land lag nun rund um Blatten, wo sich ihr Betriebsmittelpunkt befand. Wie es im kommenden Winter für sie weitergeht, ist noch unklar. Denn es sei praktisch ausgeschlossen, ihren Stall auf einer Schutthalde aus Geröll, Steinen, Eis und Schnee wieder aufzubauen.

Aufgrund der Ungewissheit, wo sie ihre Kühe im Herbst unterbringen können, verzichten nun sogar darauf, ihre noch zu besamenden Kühe zu besamen. Nicht einmal der bevorstehende Alpsommer ist gesichert.

Viele Berufskollegen aus der Schweiz zeigen sich solidarisch. Sie liefern Futter, Maschinen oder bieten einfach Hilfe an. So wie ein Lohnunternehmer, der nach der Katastrophe kurzerhand in die Region gefahren war. Er könne nicht einfach zu Hause sitzen, sagte er im Schweizer Fernsehen.

Schäfer wird noch vermisst

Die Bürger waren zwar evakuiert, in dem Gebiet hielt sich vor der Katastrophe allerdings noch ein Schäfer auf. Er wird weiterhin vermisst.

Nach mehrtägiger Unterbrechung hat die Polizei die Suche nach dem 64-Jährigen nun wieder aufgenommen. "Spezialisten der Spezialeinheiten, der Gebirgsgruppe sowie Hundeführer der Kantonspolizei und der kantonalen Walliser Rettungsorganisation wurden von der Air Zermatt in das Gebiet geflogen", teilte die Polizei mit. "Ein Bagger wurde ebenfalls vor Ort eingesetzt."

Der Schäfer hielt sich zum Zeitpunkt des Unglücks wahrscheinlich in einem Stall rund 300 m außerhalb des Sperrgebiets auf, schreibt die Zeitung "Blick". Entgegen den Erwartungen wurde das Gelände dort auch von der Eis-, Fels- und Gerölllawine erfasst.

Video: Stall war nicht evakuiert. Zum Video des SRF...

Kühe unterhalb des Geröllbergs werden evakuiert

Da die Gefahr einer Flut- oder Schlammwelle im Lötschental weiterhin nicht gebannt ist, haben die Bauern der Region begonnen, ihre Kühe zu evakuieren. 

Der Regionale Führungsstab Lötschental berichtet zudem, dass sich im nicht betroffenen Gebiet oberhalb Blatten offenbar Tiere befinden. Es seien wohl Schafe, die betreut werden. Man wisse aber noch nicht, wie es nun weiter geht.

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