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Betrug im Milchviehstall

Ein Herdenmanager aus den Niederlanden hat das Vertrauen zweier Landwirte missbraucht und sie auf abenteuerliche Weise um mehrere Hunderttausend Euro betrogen.

Lesezeit: 12 Minuten

Axel Kees aus Nauen bei Berlin bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Der Zwei-Meter-Mann mit breitem Kreuz hat sich zwei Stunden lang Zeit für uns genommen und erklärt, wie ihn ein ehemaliger Mitarbeiter um Hunderttausende Euro betrügen konnte. Nicht ein einziges Mal fällt ein böses Wort, nicht ein einziges Mal merkt man ihm den Groll an, den andere an seiner Stelle vermutlich entwickelt hätten.

Was sich zwischen 2012 und 2015 in dem Agrar-Betrieb bei Berlin zugetragen haben soll, klingt ohnehin eher nach einem Wirtschaftskrimi im TV als nach einer wahren Begebenheit. Doch Kees ist nicht der einzige, der auf den Beschuldigten hereingefallen sein soll. Auch ein weiterer Landwirt berichtet ähnliches, will aber nicht erkannt werden. (Mehr dazu unten)

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Wir hätten den Beschuldigten gerne mit den Vorwürfen konfrontiert und um eine Stellungnahme gebeten. Doch seit einer mehrmonatigen Haft ist dieser verschwunden. Auch die Rechtsanwälte der betroffenen Landwirte haben keinen Anhaltspunkt, wo sich der gebürtige Niederländer befinden könnte. Um die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten zu wahren, haben wir uns daher entschlossen, den Namen zu anonymisieren.

Symphatisch und kompetent

Ostern 2012 suchte Kees für seine 150 Kühe einen Herdenmanager. Da gutes Personal in der Landwirtschaft Mangelware ist, bleibt die Stelle länger vakant. Ein Bekannter hat dann den entscheidenden Tipp für ihn. Er kannte einen Herdenmanager, der gerade auf Jobsuche war. Und so kommt es zum ersten Kontakt zwischen Kees und seinem künftigen Mitarbeiter.

Der Niederländer wirkt auf Kees zunächst kompetent und sympathisch, weshalb er ihn kurzerhand einstellt. Ein Glücksgriff – das dachte Kees zumindest damals. Sein neuer Mitarbeiter kümmert sich um die Milchviehherde als sei es seine eigene, er schafft mehr Platz in dem Tiefstreustall, kauft 100 Färsen dazu, stellt die Futterration um und ändert den Melkrhythmus. Maßnahmen, die ihre Wirkung nicht verfehlen: Die Milchleistung stieg zwischenzeitlich auf über 14000 Kilogramm pro Kuh und Jahr.

Kees ließ seinem neuen Mitarbeiter nach und nach freie Hand und zog sich aus der täglichen Arbeit in der Milchviehhaltung zurück. Stattdessen kümmerte er sich um die 1600 ha Ackerbau, die ebenfalls zu seinem Betrieb gehören.

Zwei Jahre später wendete sich das Blatt. Alles begann damit, dass die Zellzahlen stiegen und überdurchschnittlich viele Tiere erkrankten. „Natürlich habe ich ihn darauf angesprochen“, erinnert sich Kees. Doch sein Herdenmanager hatte für seinen Chef eine nachvollziehbare Begründung parat: die damals hohe Mitarbeiterfluktuation. „Die Betreuung der Herde war nicht immer optimal“, so Kees.

Die Lage besserte sich mit der Zeit nicht. Stattdessen nahm die Zahl der kranken Kühe sogar zu. „Zeitgleich rauschte der Milchpreis in den Keller“, so Kees. Drei Faktoren, die Spuren in seiner Buchführung hinterließen. Wo sonst schwarze Zahlen standen, tauchten rote auf. Da Kees immer wieder mal darüber nachgedacht hatte, die Milchviehhaltung abzustoßen, sah er nun den Zeitpunkt für einen Verkauf gekommen.

Leere Versprechen

Nach einem Käufer musste er nicht lange suchen. Sein Herdenmanager hatte immer wieder durchblicken lassen, irgendwann einen eigenen Hof bewirtschaften zu wollen. Am Geld würde sein Traum nicht scheitern, soll der Beschuldigte Kees versichert haben. Zum einen könne er auf die Unterstützung seiner Familie zählen, die einen Hof nahe der deutschen Grenze bewirtschafte. Zum anderen könne er auch jederzeit einen Kredit bei einer Bank bekommen.

Aus dem anfänglichen Gedankenspiel wurde ernst. Kurze Zeit später einigten sich Kees und der Niederländer auf die Einzelheiten und setzten einen Vertrag auf. Kaufpreis: 1,3 Mio. €. Von dem Geld floss bis heute kein einziger Cent. Im Gegenteil. Was nach der Vetragsunterzeichnung folgte, kommt Kees im Nachgang wie ein schlechter Film vor. Nachlesen kann man das Drehbuch in mehreren Schreiben von Kees Anwalt an das Landgericht Potsdam.

Nach der Vertragsunterzeichnung am 25. März 2015 schöpfte Kees erst einmal keinen Verdacht. Dann tauchte nach einigen Wochen aber ein angeblicher Kreditvermittler bei Kees Anwalt auf. Er wolle den Kaufvertrag im Namen des Niederländer ändern. Käufer sollte nun eine GmbH sein und nicht mehr Kees Herdenmanager. Kees beharrte aber auf einen Verkauf an den Niederländer und verwies vorsichtshalber darauf hin: Sollte dieser sich nicht an die Vereinbarungen halten, werde man den Vertrag auflösen. Sein Herdenmanager zahlte trotz der Drohung nicht.

Kees Anwalt verschickte nun Zahlungsaufforderungen an den Beschuldigten. Der soll aber immer neue Ausreden aufgetischt haben, warum das Geld noch nicht bei der Bank eingegangen sei. Mal vertröstete er seinen Chef mit dem Versprechen, das Geld in den kommenden Tagen zu überweisen. Ein andermal behauptete er, die erste Tranche des Kaufpreises bereits gezahlt zu haben. Das Problem müsse bei der Bank liegen. Dann berichtete er, der Vater sei gestorben, weshalb sich alles noch verzögere.

Tote leben länger

Kees konnte sich kaum vorstellen, dass er sich so in jemanden getäuscht hatte. Er begann daher, sich im Umfeld seines Mitarbeiters umzuhören. „Das hätte ich viel früher machen sollen“, sagt er heute. Aber im Nachhinein sei man immer schlauer. Unter anderem erfuhr er, dass der Landkreis Cloppenburg 1999 ein lebenslanges Tierhaltungsverbot gegen den Niederländer verhängt hatte. Gegenüber top agrar bestätigt der Landkreis das Verbot. Da es aber kein bundesweites Register für Tierhaltungsverbote gab und nach wie vor nicht gibt, blieb der Landkreis Havelland ahnungslos.

Kees erkundigte sich auch bei den Eltern seines Herdenmanagers. Diese waren keine Landwirte, bewirtschafteten auch keinen Hof und der Vater erfreute sich bester Gesundheit. Sie sollen Kees sogar darum gebeten haben, nicht mehr wegen ihres Sohnes behelligt zu werden. Sie hätten ohnehin keinen Kontakt mehr zu diesem.

Kees hatte genug erfahren und wollt nun selbst schnellstmöglich vom Vertrag zurücktreten. Formaljuristisch ist das relativ einfach. Es gab nur einen Haken: Der Niederländer war zwar nicht Eigentümer des Hofes, allerdings zu dem Zeitpunkt Besitzer. Um die „Inbesitznahme“ zu beenden, benötigte Kees daher eine einstweilige Verfügung.

Das Verhältnis zwischen dem Niederländer und Kees zueinander war vergleichbar mit dem eines Vermieters zu seinem Mieter. Der Vermieter ist zwar Eigentümer der Wohnung, der Mieter allerdings Besitzer und hat damit Hausrecht. Um in den Besitz zu kommen, brauchte Kees somit eine Verfügung des Landgerichtes. Freiwillig wollte der Her-denmanager zumindest das Gelände nicht räumen.

Schrecken ohne Ende

Die Hürden, um eine einstweilige Verfügung von einem Gericht zu erhalten, sind allerdings hoch. Unter anderem musste Kees die vereinbarte Zahlungsfrist abwarten. Zwar war diese aus seiner Sicht schon lange abgelaufen. Der Beschuldigte zweifelte allerdings an, dass die Frist jemals begonnen habe. Denn diese sollte laut Vertrag erst mit der so genannten Auflassungserklärung beginnen. Von der Zahlung des Kaufpreises bis zur Grundbucheintragung, dem eigentlichen Eigentümerwechsel, vergehen nämlich oft einige Wochen.

Damit ein Käufer eines Grundstückes auf der sicheren Seite ist und nicht befürchten muss, dass der Verkäufer zwischenzeitlich das Grundstück doch an jemand anderes verkauft, gibt es eine so genannte Auflassungsvormerkung im Grundbuch. Zwar hatte ein Notar im Fall Kees dieses veranlasst und dem Niederländer einen Brief geschickt. Der Herdenmanager behauptete aber, er habe kein Schreiben erhalten und daher habe die Frist auch noch gar nicht begonnen. Stattdessen bezichtigte er Kees, den Brief geklaut zu haben. Schließlich hätten die beiden sich ein Büro geteilt und für Kees wäre es ein Leichtes gewesen, den Umschlag vom Postboten entgegen zu nehmen und verschwinden zu lassen.

Der Notar musste daher ein neues Schreiben aufzusetzen. Den Brief überbrachte Kees diesmal dem Niederländer mit seinem Anwalt, Martin Clemens Lang aus Berlin, als Zeugen im Schlepptau.

Lang rät grundsätzlich dazu, derart wichtige Dokumente dem Käufer nur zusammen mit einem Zeugen oder Gerichtsvollzieher zu übergeben. Es reiche auch nicht aus, den Brief per Einschreiben zu verschicken. Selbst das sei vor Gericht angreifbar.

Wertvolle Zeit verstreicht

Wie zu befürchten ließ der Niederländer die Frist erneut verstreichen. Kees konnte nun aber immerhin eine einstweilige Verfügung bei Gericht beantragen. Bis die Richter grünes Licht gaben, vergingen zwei Wochen – und ohne den Bescheid waren Kees die Hände gebunden. Sein ehemaliger Mitarbeiter verkaufte laut Kees sogar in der Zwischenzeit Tiere.

Zwar hätte der Herdenmanager für den Verkauf die originalen Rinderpässe benötigt, die Kees nach wie vor in seinem Safe verwahrte. Schließlich war er bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises Eigentümer der Tiere. Irgend-wie muss der Niederländer aber beim zuständigen Landeskontrollverband – möglicherweise unter falschem Vorwand – an Kopien gekommen sein. Wie das passieren konnte, ist uns ein Rätsel. Auf Nachfrage beim Landeskontrollverband verweigerte dieser die Aussage, berichtet Kees Anwalt.

Auch die Zustände auf dem Hof verschlechterten sich zunehmend. Davon zeugt eine Passage in dem Antrag an das Landgericht. Darin sind Auszüge aus einer Anschuldigung einer Mitarbeiterin des Betriebes, die sie beim Veterinäramt zu Protokoll gab. Der Mitarbeiterin seien Anfang Juni 2015 Kühe aufgefallen, die beim Gehen schwankten, eine fiel sogar hin. Sie habe darüber den Herdenmanager informiert, der lakonisch erläuterte: „Den Kühen ist nicht zu helfen. Die sterben sowieso.“ In der Silage sei ein totes Rehkitz, damit hätten sich die Tiere vergiftet. Nach Angaben der Mitarbeiterin unternahm der Niederländer daraufhin nichts, um eine weitere Vergiftung zu verhindern.

Nach dem die erlösende Nachricht von Gericht kam, nahm ein Gerichtsvollzieher den Betrieb in Besitz und übergab ihn an Kees. Der Niederländer musste sofort den Hof verlassen. Doch auch das hielt diesen nicht davon ab, kurze Zeit später wieder auf dem Hof aufzutauchen und Kees die Zufahrt zu versperren. Kees war gezwungen, die Polizei rufen. Nach zwei Stunden hitziger Diskussion und Rücksprache der Polizei mit den Anwälten beider Parteien „setzten“ die Ordnungshüter den Niederländer endgültig vor die Tür.

Die Bilanz

Es verschwanden rund 20 Rinder aus dem Bestand, deren Verbleib nicht geklärt ist. Fünf Jungrinder, drei Fresser und 60 Rinder veräußerte der Niederländer an Händler und einen Schlachtbetrieb, teilweise gegen Bares. Zudem verendeten nach der Vertragsunterzeichnung innerhalb von wenigen Wochen 48 Tiere. Hinzu kommt noch ein Teil des Milchgeldes, das eigentlich Kees zustehen würde, aber angeblich vom Niederländer bereits ausgegeben wurde. Kees schätzt den Schaden auf rund 350000 €.

Die bittere Ironie: Kees hat zwar gute Aussichten einen Prozess zu gewinnen. Es wäre aber nur ein Sieg auf dem Papier. „Weiter gegen den Niederländer vorzugehen ist sinnlos, da es nur viel Geld kostet und er möglicherweise eine Eidesstattliche Versicherung abgeben wird oder bereits abgegeben hat“, so Kees.

Von der Hand zu weisen ist das nicht. top agrar liegen Hinweise und Schreiben von Gerichten vor, wonach der Niederländer möglicherweise auch schon früher andere Firmen betrogen hat und diesen Geld schuldet. Auf Anfrage bei den Betroffenen wollten diese sich aber nicht äußeren.

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Kein Einzelfall

Kees ist nicht das einzige Opfer. Der Redaktion ist ein weiterer Fall bekannt. Der Landwirt wollte aber nicht genannt werden, weil er versucht, den Niederländer anzuklagen. Allerdings sind die Erfolgsaussichten schwer einzuschätzen, da der Beschuldigte untergetaucht ist.

Wie bei Kees beginnt auch diese Geschichte harmlos: Erst läuft alles wunderbar, so gut sogar, dass der Landwirt dem Niederländer eine Beteiligung an seinem Betrieb anbietet. Allerdings verlangt er von seinem Herdenmanager einen Kapitalnachweis, den dieser schuldig blieb. Stattdessen tischt er auch diesmal allerlei Ausreden auf, die sich als haltlos erweisen. Weil dem Landwirt das verdächtig vorkommt und er nicht auf dem Betrieb in Ostdeutschland lebte, wollte er nach dem Rechten sehen.

Vor Ort verschlug es ihm dann aber die Sprache: Eigentlich hatte er mit dem Niederländer einen Betriebsführungsvertrag abgeschlossen. Danach durfte dieser nicht ohne Zustimmung Geschäfte abschließen, deren Wert die 1000-Euro-Grenze überschreiten. Gehalten hatte sich sein Mitarbeiter daran aber nicht. Unter anderem soll er innerhalb von vier Wochen Futter geordert haben, dass für ein drei Viertel Jahr reichen würde. Der Wert belief sich auf 120000 €. Wo das Kraftfutter geblieben ist, weiß der Landwirt nicht.

Besonders skurril: Der Niederländer behauptete, er kenne jemanden, der ihm noch „etwas“ schulde. Beide hätten sich darauf geeinigt, dass der Schuldner die Forderung nicht mit Geld, sondern mit Mais begleiche. Der Herdenmanager wiederum wollte diesen Mais dann an die Biogasanlage seines Chefs weiterverkaufen. Der Niederländer bot an, sich um den Maistransport persönlich zu kümmern. Der abgebende Betrieb sollte sich in 35 km Entfernung befinden. Der Herdenmanager tauchte allerding alle 20 bis 30 Minuten mit einem vollen Anhänger Mais bei der Biogasanlage auf. Konnte das sein, wenn der Verkäufer doch 35 km weit entfernt wohnen sollte?

Des Rätsels Lösung: Es gab offensichtlich gar keinen Gläubiger. Der Niederländer hatte stattdessen Mais von Betrieb seines Chefs aufgeladen. Das Silo befand sich nicht in Sichtweite zur Biogasanlage.

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Die fünf Lehren aus diesem Fall

  1. Verlangen Sie vor einem Verkauf Ihres Betriebes oder Teilen davon einen Kapitalnachweis. Das können entweder Kontoauszüge sein oder eine Bestätigung der Bank.

  2. Ein Herdenmanager sollte bei Geschäften, die einen Wert von 1000 € überschreiten, immer Ihre Zustimmung einholen müssen. Legen Sie das vertraglich fest, dann können Sie ihn bei einem Verstoß in Haftung nehmen. Lassen Sie den Vertrag von einem Rechtsanwalt überprüfen.

  3. Sobald eine Auflassungserklärung im Grundbuch vermerkt wurde, informiert der Notar den Käufer schriftlich. Sorgen Sie dafür, dass dieser Brief mit Hilfe eines Zeugen oder von einem Gerichtsvollzieher übergeben wird. Es reicht nicht aus, wenn Sie den Brief per Einschreiben versenden.

  4. Kontrollieren Sie regelmäßig Ihre Mitarbeiter, wenn Sie nicht vor Ort wohnen.

  5. Vertrauen Sie niemandem, bleiben Sie kritisch!

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