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Start-up

Digitales Frühwarnsystem für Aquakulturen - auch auf andere Nutztiere übertragbar?

Das Start-up „Monitorfish“ entwickelt ein digitales Frühwarnsystem für Aquakulturen. Geht der Plan auf, lässt sich das Prinzip auch auf andere Nutztierhaltungen übertragen.

Lesezeit: 8 Minuten

Dieser Beitrag ist zuerst im Magazin f3 - farm.food.future erschienen.

Die Garnelen müssen sich vorkommen wie in einer New Yorker Häuserschlucht, wenn sie zwischen den blockartigen Regalreihen herum schwimmen, deren offene Ebenen ihnen wie Stockwerke als Ablagefläche und Rückzugsort dienen. Ähnlich voll, wie es auf den Straßen von Big Apple zugeht, spielt sich das Garnelenleben in der Meerwasseranlage von „Förde Garnelen“ bei Kiel ab. Hier verteilen sich die schwimmenden Bewohner derzeit zwar gleichmäßig im ganzen Becken. Verschlechtert sich die Wasserqualität aber, oder kippt sie sogar, kann sich das schnell ändern. Beim Blick in das Garnelen-New York kann der Betrachter nachvollziehen, wie schwer es für den Züchter sein muss, den Gesundheitszustand der unzähligen Tiere zu überwachen.

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Dabei will das Berliner Start-up „Monitorfish“ helfen. Das Gründerteam aus Dominik Ewald, Jan Viktor Apel und – kein Scherz – Ralf Fisch arbeiten seit 2017 an einem Monitoringsystem für Aquakulturbetriebe. Die digitale Technik soll die Wasserqualität und das Fischverhalten kontinuierlich überwachen und bei von der Norm abweichenden Auffälligkeiten eine Warnung auswerfen. Künftig soll sie gleich eine Diagnose mitliefern, welche Werte im Wasser nicht stimmen.

Das Start-up kooperiert unter anderem mit Bert Wecker, dem Geschäftsführer der Förde Garnelen. Er testet die Technik und gibt dem Team Feedback aus der Praxis. Dort werden einige Faktoren zwar schon digital gemessen, Wasserproben für das wasserchemische Labor ziehen seine Mitarbeiter aber noch händisch.

Fehlersuche im Wasser vereinfachen

„Bei der Fischzucht muss man sehr viele Parameter beachten“, erklärt der promovierte Meeresbiologe und Aquakultur-Anlagenbauer Wecker. „Wenn die Fische ihr Verhalten ändern, müssen wir uns im Wasser auf Fehlersuche begeben und herausfinden, warum das so ist.“ Der Knackpunkt: Viele Faktoren wie Sauerstoff- und Kohlendioxidgehalt, Gassättigung, Temperatur oder PH-Wert greifen ineinander. Und stimmt etwas im Becken nicht, gefährdet das nicht „nur“ einen Fisch, sondern womöglich alle auf einmal und sehr plötzlich.

Statistisch gesehen verlieren Betriebe jeden siebten Batch. - Dominik Ewald

Das gilt auch für Garnelen. Verhalten sie sich auffällig, weiß der Fischwirt im besten Fall, was das bedeutet. „Fällt in einem Becken die Sauerstoffzufuhr aus, schwimmen die Garnelen zum Beckenzulauf“, sagt Wecker. „Ist zu viel CO2 im Wasser, schwimmen sie insgesamt langsamer. Und wenn eine Gasübersättigung vorliegt, tummeln sich alle im unteren Beckenbereich.“ Es gibt aber auch Verhaltensänderungen, die sind nicht sofort einer Ursache zuzuschreiben. Außerdem können Fischwirte ja nicht den ganzen Tag aufs Wasser starren. Und das schlimmste: Je heftiger die Reaktion der Fische im Wasser, desto größer die Gefahr, dass ein Eingreifen bereits zu spät kommen würde.

Jeder siebte Durchgang verendet

Davon kann Ralf Fisch ein Lied singen. Der 57-jährige Mitgründer hat bereits mehrere Fischzuchtanlagen geleitet – und eine eigene Zanderfarm vor einigen Jahren schließlich aufgegeben. „Ich hatte einfach keinen Bock mehr darauf, nachts ewig wach zu sein und dann doch zu spät zu kommen, wenn wirklich was Ernstes ist.“ Was Ernstes, das heißt im schlimmsten Fall, dass ganze Batches, also Durchgänge, verenden.

„Statistisch gesehen verlieren Betriebe jeden siebten Batch“, sagt Gründer Dominik Ewald. Der 33-jährige Berliner hatte 2016 an der niederländischen Uni Wageningen die Idee für ein digitales Monitoringsystem in einer Kreislaufwirtschaft. Heute ist er so etwas wie der Übersetzer zwischen Fischfachmann Ralf und IT-Experte Jan Viktor, 33 Jahre. Ralf kennt die Fische, ihre Zucht und das Verhalten. Er sagt Jan Viktor, welches Verhalten die Bilderkennungsalgorithmen aufgreifen müssen. Dominik kümmert sich um Förderanträge und die Kontakte in Politik und Industrie – aber dazu gleich mehr.

Unwohlsein erkennen, Krankheit vorbeugen

Praktiker Bert Wecker glaubt, dass digitale Hilfsmittel nie das Wissen des Fischwirts ersetzen werden. Man solle die Technik nicht überschätzen. „Wobei Sensoren und Bilderkennung in der Praxis aber helfen können, ist die Kontinuität und Objektivität der Beobachtung“, ordnet Wecker ein. „Denn wenn wir mit dem Kescher kommen und Fische entnehmen, dann ist Unruhe im Schwarm. Wir sehen dann nicht ihren Normalzustand, sondern erleben sie im Stress.“ Frühzeitige Krankheitserkennung ist unter solchen Bedingungen schwer. Eine permanent filmende Kamera hingegen bemerken die Fische gar nicht. Schon minimale Verhaltensänderungen könnten erkannt werden. Die Hoffnung: Beobachter ahnen ein Unwohlsein, bevor die Krankheit ausbricht. Die Technik meldet, der Fischwirt kann reagieren.

Die Reduzierung des Medikamenteneinsatzes und nicht zuletzt der Mortalität sind natürlich große Argumente. Betriebe, die ihre Anlage im Griff und kaum Ausfälle zu beklagen haben, sehen das größte Potenzial der Technologie aber im alltäglichen Fütterungsmanagement. Bert Wecker sagt: „Die Biomassebestimmung ist das Nadelöhr. Nur wenn ich Größe, Dichte und Biomasse kenne, kann ich die Fütterung berechnen.“

Fütterung automatisieren

Wecker erklärt, dass ein Fischwirt derzeit noch alle paar Wochen hundert Fische entnehmen und sie wiegen muss, um ihr Durchschnittsgewicht zu ermitteln. Erst dann weiß er, wieviel Futter ausgegeben werden kann. Dazu kommt, dass laufend schlachtreife Fische entnommen werden, so dass für das passende Verhältnis stets neu gemessen werden muss. „Weniger Fische benötigen weniger Futter. Landet zu viel Futter im Becken, leidet die Wasserqualität“, erklärt Dominik. Dann geht alles von vorn los. Wecker sagt: „Wenn ich bei der Fütterung nur 10 bis 20 % eingesparen könnte, fiele das merklich ins Gewicht.“ Da will Monitorfish hin. Das Team hält sogar eine Vollautomatisierung der Fütterung für möglich.

Auf Kühe und Geflügel übertragbar?

Noch ist das Start-up nicht so weit. Derzeit verdient es mit seiner Technologie noch kein Geld, sondern entwickelt die Technik und schult die Bilderkennungsalgorithmen. „Wir wollen im Mai 2020 die ersten Produkte auf den Markt bringen“, sagt Dominik Ewald. Seit der Gründung Anfang 2017 hangelt sich das Tech-Start-up also von Förderung zu Förderung und hat so bereits über 250.000 € eingesammelt. „Ohne Fördermittel geht es gar nicht“, sagt Dominik und bezieht das auf Tech-Start-ups generell. „Den Entwicklungsprozess von Hightech bezahlt uns kein Kunde. Der zahlt nur für fertige Lösungen.“

Daher sind erste Pilotkunden wie Bert Wecker für die Gründer das A und O. „Der Kunde setzt unsere Technologie auf ihrem jetzigen Stand kostenlos ein und profitiert von ersten Vorteilen. Dafür können wir mit seinen Fischen unsere Algorithmen trainieren und die Technologie an seine Bedürfnisse anpassen.“ Wecker hingegen muss tatsächlich an die Technologie glauben – denn Zeit kostet ihn die Zusammenarbeit mit dem Start-up allemale.

Auch die Parameter im Stall erfassen

Dominik sieht großes Skalierungspotenzial für seine Monitoringsoft- und hardware. „Die Hersteller von Kreislauftechnik kommen überwiegend aus Deutschland. Die Märkte liegen aber im Ausland“, sagt er. In Deutschland sei Aquakultur eine diversifizierte Nische. „In Norwegen wird nur Lachs gezogen. In Deutschland sind es kleinskalierte Betriebe mit unterschiedlichen Fischarten“, erklärt Insider Ralf Fisch. Das hilft dem Start-up, die Fischdatenbanken für viele Arten anzulegen.

Abgesehen von Aquakultur schielt das Team bereits auf die Nutztierhaltung insgesamt. „Wenn unsere Algorithmen Fische erkennen können, können sie auch Geflügel oder Kühe tracken“, ist sich Jan Viktor sicher.

Dann würden Kamera und Sensoren nicht im Wasser versenkt werden, sondern über den Köpfen von Schweinen oder Geflügel schweben. Dominik erklärt: „Auch im Stall messen wir alle Parameter und bringen sie miteinander in Verbindung.“ Sprich: Bei Masthähnchen könnten sie schauen, wie sich die Tiere in welchen Gewichtsklassen bewegen, wieviel sie fressen oder wann sie aggressiv werden. „Das gleichen wir ab mit Ammoniak-, Sauerstoff- oder sonstigen Werten und der Temperatur.“ Im Stall könnten – im Gegensatz zur Aquakultur – sogar akkustische Parameter hinzugenommen werden, die anzeigen, wann die Tiere unruhig sind. Offen ist derzeit noch die Frage, ob auch eine Einzeltierbetrachtung von der Einstallung bis zur Schlachtreife möglich ist. „Dann könnten wir fressfaule oder kranke Tiere ausmachen“, sagt Dominik.

Die Ideen sind da. Was es für ihre Umsetzung noch braucht, sind neue Förderanträge und Projektbewilligungen. Und ein Teammitglied, das sich mit Geflügel auskennt. Vielleicht ja mit dem passenden Nachnamen.


Monitoring: So funktioniert die Technik

Monitorfish versenkt eine wasserdichte Kamera und Sensoren etwa 1  m tief im Becken. Darüber werden permanent Wasserparameter wie Sauerstoff- und Kohlenstoffgehalt, Luftdruck oder PH-Wert gemessen. Die Kamera erkennt den einzelnen Fisch an Kopf und Flosse und registriert sein Verhalten. Pro Fischart müssen rund 1000 Bilder gesammelt werden, bevor verlässliche Aussagen getroffen werden können. Im Betrieb von Bert Wecker testet Monitorfish derzeit eine neue Kamera. Sie soll die Bilder von oberhalb der Wasseroberfläche aufnehmen. Alle Daten können über das Smartphone oder den Computer eingesehen werden. Bislang trainiert das Team die Algorithmen für die Arten Tilapia, Zander, Salmoniden, Flussbarsch, Garnelen, Yellow Tale und Wolfsbarsch.

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