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Edelpilze als Einkommensalternative?

Ohne Fläche kein Wachstum? Das gilt nicht für Julia und Markus Scharner. Rund 100 m2 reichen für sie zum Vollerwerb. Sie bauen auf dieser Fläche Edelpilze an und könnten davon leben.

Lesezeit: 8 Minuten

Dieser Beitrag ist zuerst im Magazin f3 - farm.food.future erschienen.

Schon zwei Generationen können nicht mehr vom Ertrag des Hofes in Hanglage mit ein paar Hektar Acker und genauso wenig Wald leben. Selbst die Schafe, die ihren Unterhalt durch Landschaftspflege selbst verdient hatten, sind seit kurzem abgeschafft. Keine unübliche Situation für kleine Mischbetriebe in Oberösterreich: Und doch entsteht genau hier, im kleinen Ort St. Georgen an der Gusen in der Nähe von Linz wieder ein neuer Vollerwerbsbetrieb. Und das auf nur 100 m2.

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Unter dem Namen „Mosberger“ züchten Julia und Markus Scharner hier Austernpilze, Kräuterseitlinge und Shiitake-Pilze nach Bio-Richtlinien. „Hier“, das sind die einmal für die Obstveredelung gedachten Kellerflächen von Julias elterlichem Betrieb. Als Frischpilze oder zu Pesto verarbeitet, vermarktet das Paar 100 % des Ertrags in Eigenregie. Und das erfolgreich: Julia arbeitet zwar noch als Kammerberaterin und Markus als landwirtschaftlicher Gutachter. Aber nach nur eineinhalb Jahren könnten sie von ihrem Pilz-Start-up leben.

Nachhaltig, gesund, im Trend

„Unser Ziel war immer, irgendwann selbst etwas zu produzieren“, sagt die 32-jährige Julia, die mit ihrem Mann nach zehn Jahren mit Lebensmittelpunkt in der Großstadt Wien nun zurück nach Hause ins kleinstrukturierte Mühlenviertel kommt. Mit im Gepäck: eine Tochter und eine Geschäftsidee. Doch für den Traum von der eigenen Landwirtschaft stand kaum Fläche zur Verfügung. „Also haben wir aus der Not eine Tugend gemacht“, ergänzt Markus. „Wir haben uns die individuellen Ressourcen des Betriebes angeschaut und eine Kultur gesucht, die dazu passt.“

Gefunden haben die Absolventen der Wiener Universität für Bodenkultur drei Edelpilzarten, von denen sie heute rund 150 kg pro Woche ernten. Um eine Vorstellung von der Menge zu bekommen: Im Handel werden Austern- oder Shiitake-Pilze sowie Kräuterseitlinge üblicherweise in 150 bis 200 g-Schalen verkauft. Pro Woche fallen bei Scharners also durschnittlich 700 bis 800 Schalen Frischpilze an.

Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht, uns die individuellen Ressourcen des Betriebes angeschaut und eine Kultur gesucht, die dazu passt." - Markus Scharner

Warum ausgerechnet Pilze? „Wir haben schon immer gern Pilze im Wald gesammelt und mögen die besondere Kulinarik“, sagt Markus. „Aber wir brauchten auch eine Perspektive ohne Fläche, wollten nachhaltig wirtschaften und auf die derzeitigen Konsumentengewohnheiten eingehen.“

Damit die Pilze sprießen

Die Edelpilze brauchen einen organischen Grundstoff, in dem sich ihr netzwerkartiges Wurzelwerk ausbreiten kann, bevor sich auf der Erdoberfläche der eigentliche Fruchtkörper bildet. Im alten Mostkeller der Familie Scharner wachsen die Pilze auf etwa 100 m2 in speziell aufbereiteten Strohballen. „Das Stroh wird feingehäckselt, fünf Tage lang fermentiert und dann pasteurisiert, damit sich keine unerwünschten Pilze ansiedeln“, erklärt Biotechnologe Markus. „Erst dann werden kleine Hirsekörner in das Stroh eingemischt, die als Trägermaterial für das sogenannte Myzel, also die Pilzsaat, dienen.“ Dieses „Impfen“ übernimmt ein vorgelagerter Partnerbetrieb, der die fertigen Strohblöcke an die Scharners als „Aufzuchtbetrieb“ liefert.

Dort angekommen, gelangen die Strohblöcke auf vierstöckigen Etagen in die sogenannte Inkubationsphase. „Wir simulieren, was sonst unter der Erde geschieht“, erklärt Markus. Etwa drei Wochen lang knüpft der Pilz unterirdisch sein Netzwerk und zapft den Strohballen als Nährstoffquelle an. „Der Kellerraum muss dafür dunkel sein und auf 25°C erwärmt werden“, so Markus. Dann braucht der Pilz einen Schock, um die Fruchtkörperbildung anzuregen. Den bekommt er 7 bis 10 Tage lang im Fruchtungsraum. „Hier ist es bei nur noch 12°C sehr hell und es herrscht eine höhere Luftfeuchte“, erklärt der 33-Jährige. Während der Inkubationsraum derzeit noch mit einem Heizlüfter auf Temperatur gebracht wird, solange die geplante Solaranlage nicht installiert ist, herrscht im Fruchtungsraum eine natürliche Erdfeuchte. Nach Angaben der Gründer muss sie nicht einmal im Sommer gekühlt werden.

Danach geht die Ernte los. „Wir ernten täglich per Hand am Abend, wenn unsere Tochter im Bett ist“, sagt Julia. Mit einem Handwagen und einem Messer geht es durch die Reihen. Geerntet wird, was der Abnehmer wünscht. „Man braucht etwas Übung, um die Trauben der Austernpilze als Ganzes abzutrennen und den Strohrückstand zu entfernen“, sagt Julia. Einige Pilzzüchter ernten, so Julia, bis zu dreimal von einem Strohballen. Aus Qualitäts- und Platzgründen bevorzugt das Unternehmerpaar jedoch nur eine Ernte. Die abgeernteten Strohballen nimmt ihnen ein Nachbarbetrieb ab, der sie zu Kompost verarbeitet.

Um Pflanzenschutz müssen sich Julia und Markus keine Gedanken machen. „Es gibt Gallmücken und Trauermücken als Schädlinge. Wir setzen präventiv auch Lichtfallen ein, hatten damit aber noch nie Probleme“, erklärt Julia. Viel wichtiger sei, dass die Parameter Temperatur, Luftfeuchte und CO2-Gehalt passen. „Das nimmt Einfluss auf die Form des Wachstums. Wir wünschen uns natürlich besonders große Fruchtkörper“, erklärt Markus. Über eine eigentlich für Smart-Homes konzipierte App kontrolliert er die Kellerproduktion. Verändern sich die Werte, sendet die App einen Alarm auf Markus Smartphone.

Ab Hof für 20 €/kg plus Handel und Gastronomie

Mosberger Edelpilze werden als Frischware ab Hof, in bereits 42 Delikatessen-, Hof- und Bioläden sowie an etwa 20 Restaurants in Österreich vermarktet. „Früher machte der Ab-Hof-Verkauf mit dem Vertrieb an die Gastronomie zusammen die Hälfte des Absatzes aus. Die andere Hälfte ging an die Einzelhändler“, berichtet Markus mit Blick auf die Coronakrise. „Aber nach einem kurzen Einbruch zu Beginn der Krise hat sich die Vermarktung ab Hof nun verdoppelt!“ Sie ist derweil zu einem wichtigen Standbein avanciert – sehr zur Freude der Erzeuger, da sie hier mit einem einheitlichen Kilopreis von 20 € für alle Sorten die höchsten Preise erzielen. Mit Einzelhandelsgeschäften und Gastronomie werden jeweils eigene Preise ausgehandelt.

Nach einem kurzen Einbruch zu Beginn der Coronakrise hat sich die Vermarktung ab Hof nun verdoppelt!" - Markus Scharner

Im Jahr 2019 setzten die Scharners pro Woche zwischen 100 und 150kg über alle drei Vertriebskanäle ab. Schon zu Beginn wurde jedoch klar, dass der Verkauf von Frischware allein nicht die Lösung ist. „Bei anfallender Überschussware oder Produktionsspitzen, die wir nicht loswurden, waren wir zu unflexibel“, berichtet Julia. „Und wir brauchten ein Produkt für Leute, die mit Frischpilzen nicht kochen können oder möchten.“ Also entwickelte sie in der Küche ein Austernpilz-Pesto. Auch aus den anderen Sorten entstanden haltbare Produkte: ein Shiitake-Pesto und ein Austernpilz-Bruscetta. „Die Frischpilze vermarkten wir nur regional. Das Pesto können wir auch versenden.“ 2019 gingen rund 2000 Gläser à rund 6€ über die Ladentheken Österreichs.

Die Krux bei Lebensmitteln: kleine Schritte

Dass Mosberger Edelpilze heute in so vielen Regalen stehen, ist kein Zufall. Markus sagt: „Normalerweise lernen Landwirte, eine Investition in Technik zu tätigen und effiziente Prozesse zu etablieren. Am Ende kommt die Vermarktung. Wir wollten es umdrehen und erst die Vermarktung aufziehen.“ Das Ziel: Das Risiko minimieren, dass sie zwar eine ausgereifte Produktion mit großem Output hätten, aber keine Vertriebswege, um die Lebensmittel auch los zu werden. Julia beschreibt die Zwickmühle, in der sich vor allem Erzeuger von innovativer Frischware wiederfinden: „Am Anfang brauchten wir das Produkt in der Hand, um es potenziellen Abnehmern vorzustellen. Ist man produktionstechnisch aber soweit, dass man das fertige Lebensmittel in Händen halten kann, muss man es auch schon verkaufen, damit es nicht schlecht wird.“

Unsere Leistung besteht zu 95 % aus Kommunikation und zu 5 % aus Produktion." - Markus Scharner

Im Lebensmittelbereich gibt es eben keinen technischen Prototypen, der zwar die Idee veranschaulicht, aber noch nicht alle geplanten Funktionen umfasst. Entweder der Pilz schmeckt und überzeugt, oder nicht. Mit dem Versprechen, den Geschmack noch hinzubiegen, lässt sich kein Koch zur Verarbeitung des Produktes überreden. Und genau dafür hat Markus anfangs sehr viel Zeit und Mühe investiert: Klinkenputzen im Handel und der Gastronomie! Die einzige Lösung für dieses Dilemma: mit kleinen Mengen anfangen und in kleinen Schritten wachsen.

Kommunikation & Marke

Mit diesem Vorgehen ließen sich auch Rückschläge besser ertragen, berichtet Markus. „Zu Anfang der Produktion hatten wir Totalausfälle, weil es mal zu feucht oder zu trocken war. Das wirft einen emotional und finanziell schon zurück. Und dann muss man dem gerade überzeugten Einzelhändler auch noch beichten, dass man die Lieferung nicht halten kann.“ Deprimierend sei das und sicher das härteste an der ganzen Gründungsgeschichte, so Markus. Das Paar hat trotzdem weitergemacht.

In einer übersättigten Gesellschaft bekommt ein Produkt nur so seinen Wert. - Markus Scharner

Heute werden sie von befreundeten Landwirtsfamilien neugierig beäugt, erzählt Julia: „Wenn die hören, dass wir von 100 m2 leben können, fragen alle nur: ‚Wie macht ihr das‘? Die Antwort: „Unsere Leistung besteht zu 95 % aus Kommunikation und zu 5 % aus Produktion“, sagt Markus. „Pilze können richtig Spaß machen. Aber das muss man dem Verbraucher erstmal erklären.“ Daher ist er ständig auf Messen präsent, hält Vorträge, rührt die Werbetrommel in den sozialen Medien und steht Interessenten persönlich für Rückfragen bereit.

Der Markenaufbau war dem Gründerpaar von Beginn an wichtig: 10.000 € investierten sie anfangs allein in eine professionelle Website, hochwertiges Marken- und Verpackungsdesign, Messe-Aufsteller sowie Grafik- und Fotoarbeiten. Weitere 30.000 € flossen in die Renovierung der Kellerräume, Technikausstattung oder den Wareneinkauf. Dass unterm Strich ein Viertel der Investitionen in das Marketing flossen, legt er anderen Agrargründern vom Hof ans Herz; selbst, wenn es schwer fällt. Er sagt: „In einer übersättigten Gesellschaft bekommt ein Produkt nur so seinen Wert.“

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