Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

topplus Kommentar

Selbstverursachtes Bio-Chaos in Österreich

Um in Österreich möglichst großes Wachstum bei der Umstellung auf Bio zu erreichen, haben die Behörden oft weggeschaut. Das rächt sich nun...

Lesezeit: 7 Minuten

Ein Kommentar von Leopold Th. Spanring, top agrar Österreich:

Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht! Wie wahr dieser Spruch ist, erleben gerade die Bio-Bauern.

Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Da wurden über Jahre hinweg nationale Ausnahmen quasi erfunden, um Bio fast überall möglich zu machen. Und nun wird der lockere Umgang mit den Bio-Regeln zum Bumerang (siehe Reprtage unten).

Worum geht es? Sind mit den Tieren gefährliche Straßen oder Gleisanlagen zu queren bzw. die Weiden über 200 m von der Hofstelle entfernt, sieht Österreich diese Flächen als nicht weidefähig an. Auf solchen Betrieben müssen Bio-Tiere also nicht auf die Weide. Was für seltene Einzelfälle gedacht war, wurde in den Augen der EU zur Regel. Es soll gar nicht wenige Milchviehbetriebe geben, auf denen die Bio-Tiere nie eine Weide sehen.

Nationalen Stellen ist das Weideproblem schon seit Jahren bekannt. Doch man tat nichts. 2017 reichte es der EU-Kommission und sie hielt vor Ort Nachschau. Auch andere Ausnahmen sahen die Prüfer im Zuge ihres Besuches nicht von der EU-Bio-Verordnung gedeckt. Nun sind sie so richtig sauer und verlangen ein Ende der Sonderregeln – und zwar schnell.

Die nun verlautbarten überfallsartigen Verschärfungen ab Januar 2020 sind vor allem dem Versuch, weitere Brüsseler Geldkürzungen in letzter Minute abzuwenden, geschuldet. Ob dieses Kalkül aufgeht, bleibt abzuwarten.

Die Bauern haben, rechtlich gesehen, nichts Falsches gemacht und sich nur an das national vorgegebene Auslegungsregime gehalten. Geldrückforderungen bei den Bauern sind daher eher unwahrscheinlich. Doch die nun über Nacht vom Zaun gebrochenen Änderungen belasten sie enorm. Hinzu kommt die Unsicherheit, wie Brüssel am Ende entscheiden wird. Offen ist etwa, ob vollüberdachte Ausläufe nicht rückgebaut werden müssen. Ebenso, wie viele der Höfe wegen der Weideproblematik überhaupt künftig noch Bio bleiben.

Bis zu 6000 Bio-Betriebe müssten sich nun neu orientieren, heißt es. Welche Änderungen wirklich kommen, wird erst die schriftliche Antwort aus Brüssel weisen.

Doch nur Politik und Verwaltung für das Chaos zu schelten, greift zu kurz. Die Bio- und Umweltverbände trugen schon ihr Scherflein bei. Deren ständigen Forderungen nach „mehr Bio“ hätte der Staat nicht nachgeben dürfen. Schon gar nicht durch Uminterpretierung oder gar Beugung der EU-Rechtsvorschriften. Biologischer Landbau ist halt immer noch eine freiwillige Angelegenheit. Dafür gibt es fixe Spielregeln. Das machte Österreich jetzt ein französischer EU-Beamter klar.

Mit der neuen Regierung wird aber eh alles besser, oder? Dann kommt „alles Bio“, die Bauern dürfen endlich wieder Geld verdienen, die Auflagen werden leichter, die Kontrollen klarer und die GAP wird sicher auch einfacher werden.

Wohl kaum. Vielmehr dürfte bald die nächste Bombe platzen bzw. der nächste Krug brechen. So kritisiert Brüssel seit längerem die ungenügende Abgrenzung der Almen von den benachteiligten Gebieten. Da sind finanzielle Berichtigungen und Strafen – vielleicht sogar eher als bei den aktuellen Bio-Problemen – im zweistelligen Millionenbereich realistisch. Wer wird diesen Krug dann flicken?

---------------

R E P O R T A G E

Ohne Weide geht’s nimmer

Die EU-Kommission akzeptiert Österreichs Ausnahmen bei Bio nicht mehr. Unter anderem ist die Weidehaltung ab 2020 ein absolutes Muss. Noch bis 16. Dezember kann man in die freiwillige ÖPUL-Maßnahme „Tierschutz-Weide“ einsteigen.

Schlechte Nachricht für viehhaltende Biobetriebe aus Brüssel: Mit 1. Januar 2020 kommt es für alle Tierhalter zu einschneidenden Verschärfungen.

Kurzer Rückblick: Im Juni 2017 hat die EU-Kommission die österreichische Biolandwirtschaft kontrolliert und mehrere Punkte als EU-rechtswidrig kritisiert. 2018 behielt Brüssel bereits 1,75 Mio. € an Bio-Fördergeld ein. Für 2019 drohte Österreich ein Mehrfaches davon als Strafe, sofern man die Ausnahmen nicht sofort abstellt.

Die meisten der von Brüssel angeregten „Empfehlungen“ konnten zwar abgearbeitet werden. Anfang September langte aber ein erneutes Ersuchen um Auskunfts der Generaldirektion Landwirtschaft ein. Von den ursprünglich zehn von der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit angesprochene Problemthemen waren noch folgende Kritikpunkte offen:

  • Generelle Möglichkeit von Eingriffen bei den Tieren (insbesonders: Enthornen, Schwanzkupieren und Zahnaus-schleifen beim Schwein).



  • Allgemeine Genehmigung einer dauerhaften Haltung von Tieren in Innenanlagen (vor allem: Ausnahmeregel vom Anbindeverbot bis 35 GVE; Ausnahme von der Weideauflage bei Straßen- oder Gleisnähe bzw. bei Entfernungen zur Weide von über 200 m).



  • Generelle Möglichkeit einer vollständigen Überdachung bei Auslaufflächen



  • Fehlende Kontrollen der Filialen von Supermarktketten.

Brüssel zeigt sich hart

Auch wenn die EU-Prüfer manches bis dato nicht kritisiert oder vielleicht nicht so kritisch gesehen haben, war Österreich von der Schärfe der Kritik und der daraus drohenden Konsequenzen überrascht.

Die nationalen Verwaltungsbehörden können jetzt nicht mehr darauf hoffen, dass die EU-Kommission den österreichischen Sonderweg akzeptiert. Der Einbehalt von rund 1,75 Mio. € „Biogeld“ war ein ernster Fingerzeig. Auch stand ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich lange im Raum.

Wie das laufende Verfahren nun letztlich ausgeht – mit oder ohne weiteren finanziellen Sanktionen – ist noch völlig offen. Anfang November hat Österreich seine finale Stellungnahme via Bundeskanzleramt an die EU-Kommission abgeschickt. Ende November gab es dann eine mündliche Aussprache in Brüssel. Dieses verlief laut BMNT konstruktiv und die Stellungnahme Österreichs konnte dabei ausführlich erörtert werden.

Die EU-Kommission zeigt sich deshalb so streng, da es sich bei Bio um eine freiwillige Maßnahme handelt, zu der kein Betrieb gezwungen wird. Daher pochen die EU-Prüfer auf die Einhaltung der derzeit geltenden rechtlichen EU-Biovorgaben bzw. ihrer Gesetzesinterpretationen. Ab 2021 sollen dann die derzeit in Endverhandlung stehenden neuen Biovorgaben kommen. Auch wenn da schon einiges politisch wegverhandelt werden konnte, wird das neue Bio-Rechtsregime weitaus strenger als das bisherige ausfallen.

Rasches reagieren nötig

In Sachen Kennzeichnung und Kontrolle von Bio-Lebensmitteln ist national das Sozialministerium (BMASGK) zuständig. Da die Bio-Fördergelder aber über die zum Landwirtschaftsministerium (BMNT) gehörige AMA überwiegend an die Bauern ausbezahlt werden, stehen beide Ressorts unter Zugzwang.

Beide Ressorts haben sich in der Causa koordiniert und auch die Landwirtschaftskammern und den privaten Verband Bio Austria miteinbezogen.

Mit den innerösterreichischen Ausnahmen bei Bio ist also definitiv Schluss. Das in den Konsultationen mit Brüssel angedachte Auslaufen einzelner nationalen Sonderbestimmungen mit Ende 2020 wird dort nicht akzeptiert. Die eingemahnten Änderungen müssen daher bereits ab 1. Jänner 2020 umgesetzt werden.

Sonderinfo an Bio-Tierhalter

In einem gemeinsamen Schreiben wurden alle 18000 tierhaltenden Bio-Betriebe von den neuen verschärften Vorgaben in Sachen Auslaufflächen, Weidehaltung und Tiereingriffe informiert.

Zudem wird darauf hingewiesen, dass noch bis zum 16. Dezember 2019 in die freiwillige ÖPUL-Maßnahme „Tierschutz-Weide“ eingestiegen werden kann. Diese ermöglicht eine gewisse Leistungsabgeltung für die Weidehaltung für das Förderjahr 2020 und darüber hinaus. Ein sanktionsloser Ausstieg aus einzelnen Kategorien ist vor der Weidesasion 2020 noch möglich.

Laut den AMA-Daten sind von den angeschriebenen 18000 Bio-Tierhaltern etwa 2500 bisher nicht bei der ÖPUL-Maßnahme „Weidehaltung“ dabei. Laut BMNT könnten quer über die Tiergattungen aber bis zu 6000 Betriebe von den Verschärfungen betroffen sein.

Jeder tierhaltende Bio-Betrieb – egal ob Rinder, Schafe, Ziegen oder Pferde – ist daher gefordert, seine Auslauf- und Weidehaltung neu zu bewerten und entsprechend zu reagieren. Ohne entsprechende Anpassungen werden im Ex-tremfall einzelne Betriebe künftig nicht mehr Bio sein.

Herausfordernde Frist

Die Zeit bis Jahresende ist tatsächlich sehr kurz. Eine erste interne Information und Schulung der LK-Bioberater sowie der Hofberater einzelner Molkereien hat bereits Mitte November stattgefunden.

Das für Tierschutz und Veterinär ebenso zuständige Sozialministerium ist dabei, sich mit den Ländern betreffend der künftig nötigen einzelbetrieblichen Genehmigungen (Eingriffe, Ausnahme bei Freilauf) zu einigen.

Denn in mittelbarer Bundesverwaltung haben die Landeshauptleute diesbezügliche Anträge der Landwirte zu prüfen. Diese müssen sie allenfalls zeitlich beschränkt genehmigen und den Bescheid dann ausfertigen.

Bio Austria und die Bioberater der Kammern informieren die Bauern laufend. Nur ist die Informationslage, wie die künftigen Vorgaben ab 1. Jänner 2020 in Sachen Weidehaltung und Auslauf, zu Redaktionsschluss recht dünn. Klar ist wohl nur, dass ab 2020 – neben der AMA und den Ländern – die Bio-Kontrollstellen Auslauf und Weidehaltung bei den Betrieben weitaus stärker als bisher kontrollieren werden.

Fazit

Sobald neue Informationen zum „Übergangsjahr 2020“ verfügbar sind, wollen BMNT und BMASGK diese umgehend kommunizieren. Auch in der Beratung ist auf den Aspekt der noch laufenden Verhandlungen zwischen Wien und Brüssel und auf die „Vorläufigkeit“ der momentanen Information hinzuweisen.

Bleibt zu hoffen, dass die EU-Kommission Österreich wegen der unzureichenden und teils falschen Umsetzung der Biovorgaben nicht noch mehr Geld abzwackt.

Die Redaktion empfiehlt

top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.