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Tea-Time auf dem Acker

Christian Weiß und Jessica Schönfeld bauen in der Pfalz Kräuter an. In Handarbeit stellen sie Tee daraus her. Die Basis für das Standbein ist gelegt. Jetzt muss die Nischenmarke wachsen.

Lesezeit: 8 Minuten

Als Christian Weiß in die hoch gewachsene Zitronenverbene greift und ein paar Zweige durch die Finger streifen lässt, dauert es nur einen kurzen Augenblick. Dann kommt der aromatische Duft nach frischer Zitrone schon in der eigenen Nase an. So intensiv das Kraut duftet, so soll es auch schmecken: als Tee direkt vom Erzeuger.

Der gelernte Garten- und Landschaftsbauer baut gemeinsam mit Weinwirtschafterin Jessica Schönfeld Kräuter an, wo sonst Wein reift: In Ruppertsberg im Kreis Bad Dürkheim in Rheinland-Pfalz wachsen über 30 verschiedene Kräutersorten. Das Ehepaar veredelt sie seit 2016 eigenhändig zu mittlerweile 14 Sorten Tee. Unter dem Namen „Schönfeld“ vermarktet es sie im Online-Shop und über kleinere Einzelhändler.

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Sechs Sorten Minze, drei Sorten Salbei

„Wir bewirtschaften rund 1,5 ha, ernten aber erst von rund 1 ha“, sagt der 36-jährige Christian Weiß, dessen Eltern früher eine Gärtnerei betrieben. „Auf der restlichen Fläche testen wir verschiedene Sorten und Wuchsarten.“ So gedeihen in den milden Temperaturen der Pfalz allein sechs verschiedene Minzen, darunter Marrokanische Minze, Schokominze oder Apfelminze sowie drei Salbei-Sorten. Mit etwas Vlies überstehen sie problemlos normale Winter. Auch Lavendel, Eberraute, Thymian, Zitronengras und Basilikum baut Christian an.

Gründer aus dem Agrarbereich, die selbst Produkte erzeugen, haben zwei Baustellen. Erst muss der Anbau und die Verarbeitung klappen. Dann geht die Vermarktung los. - Christian Weiß

Weil das Auge mittrinkt, experimentiert er mit Rosen, Malven, Korn- oder Sonnenblumen, deren getrocknete Blüten dem sonst grünen Kräutertee bunte Farbtupfer verpassen. Nicht zuletzt setzt das Schönfeld-Duo auch exotischere Ideen um, wie einen Tee mit Hanf oder gar Chili. „Die neueste Idee ist eine Tee-Trilogie mit steigenden Schärfegraden“, erzählt der Garten- und Landschaftsbauer, der nach der Ausbildung ein Studium zum Getränketechnologen absolvierte. „Die Chili-Tees heißen Bloody Mary, Bloody Bastard und Bloody Hell.“ Namen, die im Tee-Regal wohl bislang eher seltener zu lesen sind.

Kräuteranbau: Erst testen, dann Tee trinken

Angefangen sind Christian und Jessica 2015 mit ersten Anbauversuchen in einem Schrebergarten in ihrer Wahlheimat an der Weinstraße. Dann pachtete der gebürtige Rheinländer peu a peu kleine Ackerflächen hinzu. „Ich konnte mir Anbautipps von anderen Kräutererzeugern und aus der Literatur holen“, sagt Christian. „Der Rest ist tüfteln.“

Die Kräuter wachsen auf 1,5 ha in zwei- bzw. dreireihigen Spuren mit 1,50m Arbeitsbreite. Sie sind an eine Tröpfchenberegnung angeschlossen. Ein Teil wird ausgesät, ein Teil gepflanzt. „Wir ziehen einige Setzlinge selbst an und haben sie bis letztes Jahr noch per Hand gepflanzt“, sagt Christian. Kürzlich rüstete der Hobbybastler an einer alten Accord-Pflanzmaschine eine automatische Bewässerungsanlage nach. Überhaupt hat er die gesamte Verarbeitungsanlage aus aussortierten Geräten des Gemüse- und Weinbaus um- oder in Eigenkonstruktion neu aufgebaut (siehe hier unten). Die erste von maximal drei Ernten steht bei den mehrjährigen Kräutern im April an.

Bis Sommer fährt Christian wöchentlich durch die Reihen und versucht mit Hacke und Striegel lästiges Unkraut wie Ackerwinde zu bekämpfen. Er verzichtet schon jetzt auf chemische Pflanzenschutzmittel, obwohl die Bio-Zertifizierung erst für kommendes Jahr angestrebt ist. „Das klappt bislang gut. Die einzigen Insekten, die Stress machen, sind Zickaden“, so Christian.

Aromenbeschreibung wie beim Winzer

Nicht nur das „Wie“ zählt, sondern vor allem das „Was.“ Der Sortenwahl kommt besondere Bedeutung zu. „Wer in die Nische will, muss sie auch ausfüllen können“, sagt der Gärtnersohn. Statt also Standardsorten anzubauen, die der Kunde genauso gut selbst auf dem Balkon heranziehen könnte, tüftelt Christian lange herum, bevor er gemeinsam mit seiner Partnerin neue Sorten kreiert. „Die Pflanzen müssen nicht nur aromatisch, sondern auch wüchsig sein“, sagt Christian. „Wenn sie im Tee allerdings zu speziell sind und zu würzig ausfallen, dann können wir sie auch nicht immer gebrauchen.“

Locationwechsel in die Tee-Küche. Hier fühlt man sich fast wie bei einer Weinverkostung: Christian gießt sprudelnd kochendes Wasser in eine Reihe vorbereiteter Tee-Gläser. Während das Aroma einem schon in die Nase steigt, sagt er Dinge wie: „Die Färbung der „Königin der Nacht“ kommt von der großen schwarzen Malvenblüte.“ Spätestens an dieser Stelle kommt bei Christian der Getränketechnologe durch. Er erzählt von „geschmacklichen Ecken und Kanten“, „einem angenehmen Mouthfeeling durch Schleimstoffe“, von „sensorischer Reichweite“ oder einfach „geilen Basilikumsorten“. Und schon befinden wir uns nicht mehr beim Anbau – sondern bei der Vermarktung. Die ist auch hier – wie so oft – die Mammutaufgabe.

Vermarktung ist entscheidend

„Wir vermarkten etwas, das im Grunde jeder im Garten selbst anbauen könnte“, so Christian. „Wir müssen also eine Marke aufbauen, sie aufladen und richtig gut vermarkten.“ Ziel soll es sein, die Handarbeit und Leidenschaft der Schönfeld-Kräuterproduzenten in den Vordergrund zu stellen. Wer sich auf der Website umschaut, entdeckt in der Tat einen professionellen und emotional erzählten Markenauftritt. Durch schöne Bilder und persönliche Geschichten schaffen die Tee-Gärtner Nähe und Transparenz. Diese wollen sie auch „in echt“ zeigen. „Wir bieten Hofführungen und Verkostungen an und hatten in diesem Jahr schon viermal den SWR zu Gast,“ so Christian. Statt Werbung zu machen, fokussiert sich das Paar also eher auf Pressearbeit. Bislang kam die Geschichte an.

Jeder Urproduzent sollte sich Gedanken über seine Nische machen und diese konsequent bedienen. - Christian Weiß

Dass die Qualität stimmen muss, wenn man sie so anpreist, versteht sich von selbst. Christian sagt: „In einem normalen Teebeutel sind 2g Kräuter. Von unserer Qualität reicht ein Drittel davon, um dieselbe Sensorik zu erreichen.“ Die Zahl der Wiederkäufer scheint ihm Recht zu geben. Nach Angaben des Gründers kommen mehr als die Hälfte der Kunden zurück, sobald sie einmal Tee eingekauft haben.

Eine passende Optik gehört allerdings dazu, glauben Christian und Jessica. Sie ziehen diesen Vorsatz bis zur Verpackung durch. Obwohl etwa das kleine blaue Stofffähnchen „Made with Love in Germany“ an jeder Box den Einkaufspreis für die Verpackungen nach eigener Aussage immens in die Höhe treibt, kann sich das Gründerteam nicht davon verabschieden. Und es passt zu einem Hochpreis-Produkt. Der günstigste Schönfeld-Tee, ein loser Pfefferminztee, liegt bei 7,90 € / 40 g. Ein handelsüblicher Pfefferminztee, im Beutel, ist schon für weniger als 2 € pro 40 g zu haben. Das teuerste Schönfeld-Produkt ist die Zitronenverbene. Sie liegt für 20 g bei 10,70 €.

Pionierarbeit und Investitionen

Eher hochpreisig ist nicht nur der Tee. Auch die bisher getätigten Investitionen von über 150.000 € in das Design der Marke, die Webseite, Verpackungen, Pflanzmaterial und Maschinen können sich sehen lassen.

Dieses Engagement trägt erste Früchte. Und das dort, wo es Christian nicht unbedingt erwartet hätte. „Wir vertreiben 60 % des Tees über unseren Online-Shop und 40 % über rund 35 kleinere Einzelhändler, Hofläden mit angeschlossenen Cafés, Delikatessenläden oder Röstereien. Der Versand mache zwar etwas mehr Arbeit, aber dafür gehe der gesamte Erlös an ihn als Produzent.

Trotzdem: Obwohl das Sortiment das zweite Jahr in Folge ausverkauft war, deckt der Umsatz nicht die Kosten. „In diesem Jahr haben wir uns 50.000 € Umsatz vorgenommen“, verrät Christian. Verglichen mit den Investitionen ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. „Mir war vorher klar, dass ich erst draufzahlen muss“, sagt der Unternehmer. Er hing seinen eigentlichen Beruf vor zwei Jahren an den Nagel und konzentrierte sich auf den Tee-Anbau. Jessica Schönfeld arbeitet hauptberuflich noch auf einem nahegelegenen Weingut.

Baut das neue Standbein länger aus dem Nebenerwerb heraus auf. - Christian Weiß

„Wenn ich anderen einen Tipp geben müsste, würde ich sagen: Baut das neue Standbein länger aus dem Nebenerwerb heraus auf. Probiert ohne Druck Sachen aus. Dann trifft man Entscheidungen anders,“ so der Tee-Anbauer. Er rechnet damit, dass sich sein Standbein ab einer Fläche von 5 bis 6 ha rechnet. Um diese bewirtschaften zu können, müsste allerdings auch die maschinelle Schlagkraft erhöht werden – mit weiteren Investitionen in Höhe von schätzungsweise 250.000 €. Vorerst sucht er daher andere Kräutererzeuger, die ihn mit Rohprodukten beliefern könnten.

Nische als Chance

Dennoch sieht Christian eine große Chance im Nischendasein. Er sagt: „Jeder Urproduzent sollte sich Gedanken über seine Nische machen und diese konsequent bedienen.“ Dann müsse man auch nicht Klinkenputzen gehen, sondern werde irgendwann von alleine angesprochen.

Vom Pfälzer Umfeld aus marketing-erfahrenen Winzern und ihren Aromabeschreibungen können die Tee-Gärtner sich etwas abschauen, glaubt Christian. Er sagt: „Winzer sind geübter darin, werbewirksame Geschichten über ihre Produkte zu erzählen als Landwirte.“ Dennoch stünden Unternehmer aus beiden Branchen vor denselben Herausforderungen. „Gründer aus dem Agrarbereich, die selbst Produkte erzeugen, haben zwei Baustellen. Erst muss der Anbau und die Verarbeitung klappen. Dann geht die Vermarktung los.“ Andererseits: Christian kennt keinen zweiten Tee-Gärtner in Deutschland mit einer nennenswerten, überregionalen Eigenmarke.

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