Dass ein Wolf einen über 2 m hohen Zaun überwinden kann, um in die Schafherde rein- und wieder rauszukommen, ist nur schwer vorstellbar. Unglücklicherweise aber vor kurzem in der Nähe von Gossel (Ilm-Kreis) in dieser Form passiert.
Die Herde, mit rund 430 Schafen und 20 Ziegen, war über Nacht in einem fest installierten vermeintlich „wolfssicheren“ Pferch mit Untergrabschutz untergebracht und trotzdem hat es der Wolf geschafft, am 20. August 2024 gegen halb 4 Uhr morgens ein rund 60 kg schweres Altschaf durch einen Kehlbiss gezielt zu reißen und eine Ziege an der Hinterhand (Becken sowie Hinterbeine) schwer zu verletzen, informiert der Thüringer Bauernverband.
Zeitnahe Probennahe nicht möglich - Anspruch verloren
Der betroffene Landwirtschaftsbetrieb hat sich daraufhin an das Kompetenzzentrum Wolf/ Biber/ Luchs gewendet und den Vorfall gemeldet. In der Theorie wäre der zuständige Rissgutachter unverzüglich zu dem Betrieb gefahren und hätte (frische) genetische Proben am verendeten Tier entnommen, um die Schadensursache noch einmal amtlich festzustellen. In diesem Fall waren jedoch alle vier Thüringer Rissgutachter aus verschiedensten Gründen verhindert. Somit konnte erst am darauffolgenden Tag ein Rissgutachter zum Betrieb kommen und Proben entnehmen.
Dass eine (zum Teil deutlich) verspätete Probenentnahme nach einem Raubtierübergriff an den betroffenen Nutztieren erfolgt, ist leider kein Einzelfall, so der Bauernverband weiter. Sobald die DNA-Proben nicht mehr frisch sind und in der Zwischenzeit andere artfremde Tiere (beispielsweise Fuchs, Mader oder gar ein streunender Haushund) die Möglichkeit hatten, am Nutztierkadaver zu schnüffeln, fressen etc., kann der Wolf als Verursacher nicht mehr eindeutig nachgewiesen werden und taucht somit auch nicht in der Schadensstatistik auf.
Soll der Wolf als Täter unter dem Tisch gehalten werden?
Die Vermutung, dass der Wolf in diesem Fall als Verursacher erst einmal gezielt ausgeschlossen werden sollte, bestätigt auch die Frage des Kompetenzzentrums bei einer ersten Telefonanalyse, „ob es nicht auch ein Fuchs gewesen sein könnte?“, der für den Riss des Schafes verantwortlich war und zuvor einen über 2 m hohen Herdenschutzzaun überwunden hat.
Zudem wurde dem Betrieb geraten, den Tierkadaver bis zum Eintreffen des Rissgutachters an der Fundstelle überdeckt liegen zu lassen, um eine Kontamination mit artfremden Tieren auszuschließen. Grundsätzlich gängige Praxis. In diesem Fall jedoch bedeutete das für die Herde, über eine längere Zeit gemeinsam mit ihrem verendeten Artgenossen in dem Pferch verbringen zu müssen, da der Rissgutachter erst am darauffolgenden Tag vor Ort erscheinen konnte.
Der Bauernverband betont an dieser Stelle, dass der Rissgutachter die Probenentnahme sehr präzise und ordnungsgemäß durchgeführt hat. Das Ergebnis der amtlichen Untersuchung der DNA-Proben steht noch aus.
Herdenschutzzäune wirkungslos
Rissvorfälle wie diese zeigen, dass selbst bei Zaunschutzmaßnahmen, die über den geforderten Standardhöhen von 0,90 bis 1,20 m liegen, eine Überwindung durch ein Raubtier wie den Wolf nicht ausgeschlossen werden kann und damit selbst ein 100-prozentiger Schutz nicht gegeben ist.
Bei dem vorliegenden Fall handelt es sich sogar um einen Festpferch, dessen Errichtung vom Umweltministerium unterstützt wurde. Von amtlicher Seite wird eine solche Anlage mit hohen Zäunen als „wolfsicher“ bezeichnet. Eine Fehleinschätzung, wie sich wieder einmal bestätigt.
„Fakt ist, in der gesamten Bundesrepublik fehlt ein praxistaugliches Wolfsmanagement. Dies ist nach wie vor zu kritisieren. Eine romantische, märchenhafte Verklärung des Wolfes muss ein Ende haben. Regelmäßige Bekundungen der Politik zur Erhaltung und Förderung der Weidetierhaltung stehen im Wiederspruch zu den stattfindenden Wolfsangriffen. Nicht der Wolf muss geschützt werden, sondern die Weidetiere vor dem Wolf“, so der betroffene Landwirt.