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Pflanzenkrankheiten erkennen, bevor sie ausbrechen?

Hyperspektrale Kameras können Pflanzenkrankheiten frühzeitig erkennen. Der Weg in die Praxis ist aber noch weit. Das Start-up „HAIP Solutions“ zieht mit der Forschung an einem Strang.

Lesezeit: 8 Minuten

Dieser Artikel erschien zuerst in f3 farm. food. future.

„Pling!“ Im Handydisplay leuchtet ein Alert auf: „Achtung: Cercospora-Gefahr.“ Noch liegt feuchter Nebel auf den aufgewachsenen Zuckerrüben, die Temperatur wandert bald über 20°C. Landwirt Georg Gruber nutzt das schmale Zeitfenster, in dem die Blattfleckenkrankheit ausbrechen könnte, und macht seine Drohne startklar. Im Zickzack-Kurs lässt er sie über den Rübenschlag fliegen. Schon wenige Minuten später zeigt ihm die Applikationskarte zwei Stellen auf dem Acker an, wo die ersten Pflanzen von den Pilzsporen angegriffen werden. Dort setzt er zielgenau ein Fungizid ein. Die Krankheit wurde gebannt, bevor sie die Fläche in Mitleidenschaft ziehen konnte.

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Ein solches Zukunftsszenario möchte das Team vom Hannoveraner Start-up „HAIP Solutions“ Wirklichkeit werden lassen. Tobias Kreklow, Johannes Busch, Michel Reifenrath und Milan Rädicker entwickeln eine Drohne, die eine sogenannte Hyperspektralkamera trägt und automatisiert Ackerschläge auf der Suche nach bevorstehenden Krankheiten abfliegen soll. Das Ziel: Pflanzenschutzmittel sparen. Erträge und damit Gewinne sichern.

Wenn Pflanzen Stress ausgesetzt sind, (...) verändert sich die Art, wie das Licht vom Blatt reflektiert wird.
Tobias Kreklow

„Noch sind wir wirklich early, early stage“, bremst der 25-jährige Tobias die Erwartungen. „Soweit sind wir noch nicht, aber dahin soll es gehen.“ Obwohl der letzte Satz im Gespräch noch öfter fallen wird, zeigt sich an vielen Stellen das Potenzial der Technologie - an der derzeit viele Akteure in Start-up-Szene und Forschung arbeiten.

Was sieht eine Hyperspektralkamera?

Basis ist eine knapp 300g schwere Hyperspektralkamera, die Nanotechnologe Michel Reifenrath aus dem Medizinbereich mitgebracht hat. Dort hat sie sein Vater entwickelt, um zu schauen, unter welchen Bedingungen die menschliche Wundheilung vonstattengeht. HAIP Solutions will die Blattoberfläche in den Blick nehmen. Tobias erklärt: „Wenn Pflanzen Stress ausgesetzt sind, z. B. Trockenstress, Nährstoffmangel oder eben einer Krankheit, dann verändert sich die Art, wie das Licht vom Blatt reflektiert wird.“ So werde das Licht von einem gesunden Rübenblatt weniger stark reflektiert als von einem, das von Mehltau befallen ist. Diese Unterschiede kann das menschliche Auge jedoch nicht detektieren. Sie spielen sich in einem Bereich des elektromagnetischen Spektrums ab, den der Mensch nicht sieht. Auch wenn ein krankes Blatt für das menschliche Auge weiterhin grün aussieht, können Hyperspektralkameras bereits „anders gefärbte“, weil unter Pflanzenstress reflektierte Wellenlängen erkennen und melden.

Spektrale Fingerabdrücke pro Pflanze und Krankheit

„Man unterscheidet die verschiedenen Stressarten und die jeweiligen Reaktionen darauf“, erklärt Tobias. „Mehltau verändert die Lichtreflexion beispielsweise anders als Trockenstress.“ Ablesen können Wissenschaftler und Gründer dies an einem Kurvendiagramm, das jeweils Wellenlänge (in Nanometern angegeben) und Lichtreflektanz miteinander in Verbindung setzt. „Wir schauen dann, in welchem nm-Bereich wie stark Licht reflektiert wird“, so Tobias. „Nur durch die Veränderung der Kurve können wir feststellen, wo sich auf dem Feld etwas tut.“

„Spektrale Signatur“, nennt die Forschung diesen speziellen Kurvenverlauf. So zeigt das Diagramm bei der vom Mehltau befallenen Rübe tatsächlich andere Ausschläge als bei Trockenstress. Doch nicht nur ein Erreger selbst könne vom jeweiligen Lichtspektrum abgelesen werden, erklärt Tobias. „Man könnte auch schon Rückschlüsse auf die Schwere und das Stadium der Infektion ziehen.“

Die Hardwareanschaffung hätte sich bei einem 200-ha-Ackerbaubetrieb nach zwei bis drei Jahren (...) amortisiert.
Auszug

Mithilfe von unzähligen Trainingsdaten müsste das Start-up nun die spektralen Fingerabdrücke verschiedener Pflanzen unter dem jeweiligen Stress sammeln. Und das über die ganze Vegetationsphase hinweg. Vergleichbar - und damit erst brauchbar - werden die Ergebnisse aber nur im Abgleich, also wenn parallel ein Mensch eine Bonitur vornimmt und diese Ergebnisse neben die der Kamera legt. Wenn die Technologie dann frühzeitiger Krankheiten erkannt hätte als ein Mensch, wäre der Beweis erbracht.

Win-Win für Forschung und Start-up

Ein langer Weg also bis zur Praxistauglichkeit der Technologie. Weil das Start-up ihn unmöglich allein zurücklegen kann, haben die Gründer Kooperationspartner in der Forschung gesucht und das Institut für Zuckerrübenforschung (IfZ) in Göttingen gefunden. Das Institut, das auch am digitalen Experimentierfeld „FarmerSpace“ beteiligt ist, setzte die Technologie von HAIP Solutions bereits im Winter 2018 in Gewächshäusern und im Sommer 2019 bei Feldversuchen in Zuckerrüben ein. Beide Male nicht an eine Drohne angebracht, sondern vom Stativ aus.

„Dieses Frühjahr soll erstmals eine ganze Zeitreihe aufgenommen werden“, sagt Tobias. Also ein Bild pro Woche, um zu schauen, wie es der Pflanze im Verlauf ging. „Dann sehen wir, wie früh wir die Krankheit detektieren können.“ Ginge es nach den Gründern, würde aus der Kooperation mit dem IfZ auch der erste Umsatz erwachsen. Für das Tech-Start-up wäre ein erster Kunde ein wichtiger Schritt. Es kann nicht auf Dauer auf EXIST-Fördergelder zählen. Und Investoren, die die Entwicklung in diesem frühen Stadium finanzieren, sind rar gesät in Deutschland. Andererseits würde mit Institutsleiterin Prof. Mahlein eine der renommiertesten Forscherinnen auf dem Gebiet die Kamera nutzen und wertvolle Daten generieren. Eine Kooperation hätte also so oder so Vorteile für die Gründer.

Hardware schwieriger als gedacht

Das Team arbeitet in der Zwischenzeit an ihrer anderen großen Herausforderung: der Hardware. Bezüglich der Möglichkeiten einer hyperspektralen Kamera gibt es nämlich keinen Zweifel. „Das belegt die langjährige wissenschaftliche Forschung“, sagt auch Prof. Mahlein. Die viel härtere Nuss, die es für die Anwendung in der Praxis offenbar zu knacken gibt, ist es, eine so großartige Technologie in ein so kleines Gehäuse zu stecken. „Bisher gab es zwar eine Drohne und eine Kamera. Die haben aber noch nicht miteinander kommuniziert“, sagt Tobias. Zu groß die Datenmenge, die aus der Luft erhoben werden soll. Zu schwer das Gewicht der Kamera, wenn sie ausreichend gute Datenqualität liefern soll. Zusätzlich zur Kamera muss ein Prozessor untergebracht werden, der die Bilder vorverarbeitet. Der muss gekühlt werden. Und wie versorgt man alles lang genug mit Strom? „Unser Alleinstellungsmerkmal wäre tatsächlich nicht die Kamera“, so Tobias. Auf dem Stativ funktioniert sie ja bereits. „Wir wollen hyperspektral per Drohne anwenderfreundlich machen.“

Precision Farming muss gelernt werden.
Tobias Kreklow

Apropos Anwendung: Auf einem Areal vor Hannover lassen Tobias und Mitgründer Johannes die Drohne unter lautem Surren fliegen. Mit Fernsteuerung wohlgemerkt. „Vom automatisierten Fliegen sind wir noch weit entfernt“, sagt Tobias. Die Vision ist, dass die Drohne einmal das gesamte Feld überfliegt - und nicht nur Stichproben nimmt, sondern schaut, was wirklich „draußen los ist“. Gerade geht es erst mal darum, dass die Bilder, die die Drohne sendet, im richtigen Format und der richtigen Qualität auf dem Computer ankommen. Tobias muss die Drohne mehrmals landen, damit IT-ler Johannes die Einstellungen anpassen kann. Richtig zufrieden scheinen die beiden nicht zu sein. Geduldig lassen sie die Drohne starten und landen und wieder starten.

Künftig Lohnunternehmer für digitale Services?

Später soll das Geschäftsmodell auf flexiblen Füßen stehen. Tobias sagt: „Für größere Betriebe würde sich die Anschaffung der Drohne lohnen.“ Gerade bei Dauerkulturen, die viel Kapital binden, oder im Weinbau, wo viel Pflanzenschutzmittel eingesetzt wird, hofft das Team auf Interesse. Einen Preis verrät Tobias nicht, geht aber davon aus, dass sich die Hardwareanschaffung bei einem 200-ha-Ackerbaubetrieb nach zwei bis drei Jahren durch Einsparungen im Pflanzenschutz und Ertragssteigerungen amortisiert hätte. Die Software würde im Abomodell pro ha und Jahr separat abgerechnet.

Precision Farming muss gelernt werden.
Tobias Kreklow

Mehr Potenzial sehen die Gründer im „Farming-as-a-Service“-Modell (FaaS). So prognostiziert das Team, dass weniger Landwirte die Technologie anwenden, als vielmehr „Lohnunternehmer für digitale Services“. Das habe nicht nur mit den Anschaffungskosten, sondern auch mit dem bislang fehlenden Know-how zu tun, so die Gründermeinung. „Precision Farming muss gelernt werden“, ist Tobias überzeugt. „Falls es für den einzelnen Landwirt zu kompliziert wird, könnten digitale Dienstleister oder Kammerberater einspringen.“ Mit zwei Landwirtschaftskammern haben die Gründer auch schon Gespräche geführt. Sie könnten künftig nicht nur den Drohnenflug als Dienstleistung anbieten, sondern gleichzeitig ihre eigenen, aufwendigen Bonituren von Menschenhand durch Maschinen ersetzen.

Bis es soweit ist, wird es noch dauern. Einen Markteintritt sehen die Gründer frühestens im Jahr 2021. Je nachdem, wie sie die bereits angestoßene Zusammenarbeit mit dem IfZ und den beiden Kammern ausgestalten können.

Partner in der Industrie

Und die Industrie? „Naja, der Pflanzenschutzindustrie wird das nicht ausschließlich gefallen, wenn so viel Spritzmittel eingespart werden kann“, vermutet Tobias. Andererseits benötigt ein AgTech-Start-up wie HAIP Solutions Unterstützung aus den etablierten Unternehmen. „Wir sind stolz auf unsere Neutralität und versuchen, so lang es geht, unabhängig zu bleiben“, sagt Tobias. „Aber irgendeine Art von strategischer Partnerschaft werden wir brauchen.“ Die Gründer glauben, dass etablierte Unternehmen die Technologie zuerst für ihre eigenen Prozesse in Forschung und Entwicklung von Pflanzenschutzmitteln oder Pflanzensorten einführen könnten.

Unterm Strich benötigt HAIP nun mehr Zeit für die Fertigstellung der Hardware. Für die Implementierung der verschiedenen spektralen Fingerabdrücke. Und für die Suche nach geeigneten strategischen Partnern. „Alle sagen: ‚Wenn ihr das könnt, kaufen wir das sofort‘, berichtet Tobias. „Aber wir können es halt nicht sofort. Hightech will entwickelt werden.“ 

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