Jana Moritz, Referentin Digital Farming & Food Tech beim Digitalverband Bitkom, spricht im Interview mit top agrar über aktuelle Entwicklungen und Pläne der politischen Regulierung von künstlicher Intelligenz.
top agrar:In der Landwirtschaft ist KI seit Jahren Thema. Aber selten so präsent wie im Moment. Wieso erleben wir gerade jetzt so große Entwicklungssprünge beim Thema KI?
Moritz: Künstliche Intelligenz ist tatsächlich eine Technologie, an der schon seit Jahrzehnten gearbeitet wird. Wir sehen gerade jetzt so große Entwicklungssprünge, weil mehrere Dinge zusammenkommen: Es gibt die nötige Hardware und Netz-Infrastruktur, um gigantische Datenmengen verarbeiten zu können. Aufgrund der Datenmenge im Internet und in Social Media gibt es erstmals öffentliche verfügbare Daten zum Training von Large Language Models.
Und natürlich hat durch ein Produkt wie ChatGPT das Thema generative KI eine breite Berichterstattung und Diskussion in Gesellschaft und Wirtschaft ausgelöst – erstmals konnten sehr viele Menschen ohne technisches Vorwissen KI einfach selbst ausprobieren.
Was ist der KI-Aktionsplan?
top agrar:Das Bundesforschungsministerium hat einen KI-Aktionsplan angekündigt. Was soll darin festgelegt werden und welche Auswirkungen hätte dieser auf landwirtschaftliche KI-Anwendungen?
Moritz: Wir begrüßen den KI-Aktionsplan des Bundesforschungsministeriums. Schon heute ist Deutschland in der Forschung rund um KI sehr gut aufgestellt und es ist richtig, sie weiter auszubauen. Wie diese Initiative des Forschungsministeriums in die Gesamtstrategie der Bundesregierung zur Künstlichen Intelligenz eingebettet werden soll, bleibt hingegen offen.
Genau hier besteht aber der größte Handlungsbedarf: Der Transfer von Erkenntnissen aus der Wissenschaft in die Wirtschaft ist die vielleicht größte Schwachstelle in Deutschland. Hiervon würden natürlich auch landwirtschaftliche KI-Anwendungen profitieren, wenn wir etwa daran denken, dass die Erkenntnisse der Klimaforschung stärker in KI-Anwendungen einfließen könnten.
Allerdings:An Absichtserklärungen zur Künstlichen Intelligenz fehlte es in Deutschland schon in der Vergangenheit nicht. Wir haben bereits 2018 eine KI-Strategie beschlossen und waren damit unter den Vorreitern in Europa und weltweit – aber an der Umsetzung hat es gehapert. Das liegt auch daran, dass die Politik zwar auf der einen Seite KI fördert, auf der anderen Seite aber auch behindert. So müssen insbesondere die in Deutschland sehr restriktiven Regeln für die Verwendung nicht sensibler Daten geändert werden.
Wenn wir Milliarden in KI investieren, ihr dann aber die Daten entziehen, ohne die eine KI nun einmal nicht arbeiten kann, dann kommen wir nicht von der Stelle.
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top agrar:Mit dem AI-Act will die Europäische Union künstliche Intelligenz regulieren, um bessere Bedingungen für die Nutzung der Technologie zu schaffen. Bis Ende 2023 soll eine Einigung darüber erzielt werden. Wie bewerten Sie den AI Act und welche Auswirkungen könnte dieser auf landwirtschaftliche KI-Lösungen haben?
Moritz: Im AI Act selbst findet keine explizite Erwähnung von KI-Anwendungen im Bereich der Landwirtschaft statt. Allerdings könnten diverse schon existierende oder absehbare KI-Anwendungen in der Landwirtschaft unter den Anwendungsbereich des AI Acts fallen.
Der AI Act legt einen risikobasierten Ansatz zugrunde. Das bedeutet: Nur für den KI-Einsatz im sogenannten Hochrisiko-Bereich gelten strenge Anforderungen, die sicherstellen sollen, dass KI-Systeme sicher und vertrauenswürdig sind. Das ist gut und richtig. In den aktuellen Verhandlungen auf EU-Ebene, dem sogenannten Trilog, geht es vor allem um die konkrete Einordnung von KI-Anwendungen in die Risikostufen, insbesondere in die Hochrisikostufe.
Bitkom fordert aber noch Nachschärfungen und Änderungen. Erstens darf das neue Feld der generativen KI nicht regulatorisch im Keim erstickt werden. Zweitens sollte es wirklich nur einen engen Anwendungsbereich für echte Hochrisikoanwendungen geben. Und drittens muss stärker beachtet werden, dass KI schon heute durch zahlreiche Regeln und Gesetze – vom Datenschutz bis zum Arbeitsrecht – reguliert wird, mit dem AI Act darf es auf keinen Fall zu inkonsistenter Doppelregulierung kommen.
Wie steht es mittlerweile um den Datenaustausch?
top agrar:Die sogenannte Interoperabilität, also die Fähigkeit von digitalen Systemen oder Komponenten, Informationen auszutauschen und zu nutzen, gilt als wesentlicher Erfolgsfaktor für die Nutzbarkeit und Verbreitung digitaler Anwendungen in der Praxis. Wie bewerten Sie die Interoperabilität in der Landwirtschaft?
Moritz: Es gibt zahlreiche laufende Projekte zur Förderung der Interoperabilität in der Landwirtschaft, jedoch existiert noch kein endgültiges System, auf das man sich einheitlich geeinigt hat. Zum Beispiel schafft das europäische Gaia-X-Projekt ein branchenübergreifend nutzbares, europäisches und offenes Ökosystem für datengetriebene Geschäftsmodelle und Produkte.
Die Grundlage für den Datenaustauschbildet die Entwicklung eines technischen Regelwerks,, wobei die Landwirtschaft eine eigene Domäne innerhalb dieses Systems darstellt. Die Koordinierung verschiedener bestehender Projekte und Initiativen spielt eine entscheidende Rolle.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) eignet sich als staatliche Einrichtung gut für diese Koordinierungsrolle und kann die gewonnenen Ergebnisse und Erfahrungen auf europäischer Ebene einbringen.
top agrar:Ganz konkret wünschen sich viele Landwirte ja, dass sie Anträge und Dokumentationspflichten nur noch einmal erledigen müssten – und die Daten dann leichter bei den verschiedenen Portalen / Institutionen eintreffen würden. Wie weit ist der Weg noch dahin? Was steht im Weg? Gibt es konkrete Bestrebungen, die dabei helfen?
Moritz: Eine Bitkom-Studie verdeutlicht, dass über die Hälfte der Landwirte (58%) die unzureichende Vernetzung als eine der größten Hürden für die Digitalisierung in der Landwirtschaft betrachten.
Obwohl Interoperabilität in bestimmten landwirtschaftlichen Bereichen den Datenfluss innerhalb geschlossener Systeme verbessern kann, ist es essenziell, von Anfang an eine nahtlose Integration mit anderen Systemen und Datenquellen wie Verkehr, Geodaten und Wetter zu berücksichtigen. Dies erfordert eine durchdachte übergreifende Vernetzung.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Schaffung von Interoperabilität ein dynamischer Prozess ist, der aufgrund von Innovationen und technischem Fortschritt nie abgeschlossen sein wird und ständig neue Fragen und Herausforderungen aufwirft. Daher ist es schwer vorherzusagen, wie weit wir auf diesem Weg bereits fortgeschritten sind.
Im Grunde genommen müssen alle Interessengruppen sich auf ein gemeinsames Projekt einigen. Dabei stellen sich Fragen wie die Entscheidung zwischen einem staatlichen oder privatwirtschaftlichen Datenraum und der Datenhoheit.