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Mehr als eine artgerechte Tierhaltung

Der Umbau der deutschen Tierhaltung zu mehr Tierwohl ist in aller Munde. Wie ein Wandel entlang der gesamten Produktionskette funktionieren kann, zeigt das Unternehmen „Fairfleisch“.

Lesezeit: 7 Minuten

Bereits vor knapp 20 Jahren stieg Matthias Minister in die Vermarktung von Fleisch aus artgerechter Tierhaltung ein. Unter der Marke „Fairfleisch“ seines gleichnamigen Unternehmens in Überlingen am Bodensee bietet er Fleisch von Rindern, Schweinen, Lämmern, Puten und Hähnchen an. Die Tiere stammen ausschließlich von Betrieben, die die eigenen „Fairfleisch“-Richtlinien in Haltung und Fütterung umsetzen. Die Landwirte erhalten dafür einen Mehrpreis.

Der studierte Agraringenieur legt aber nicht nur Wert darauf, wie die Tiere gehalten wurden. Er denkt das Produktionssystem weiter: Für ihn ist ein ganzheitlicher Ansatz entlang der gesamten Wertschöpfungskette wichtig, der neben dem Tierwohl auch soziale und ökologische Aspekte einschließt. Das hält er für entscheidend, um eine umfassende Agrarwende zu schaffen.

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Für Matthias Minister schließt das auch die Schlachtung der Tiere ein. Alle Schweine und Rinder, die „fairfleisch“ vermarktet, schlachten die Mitarbeiter im eigenen Schlachthof. Dabei legt das Unternehmen besonderen Wert auf eine möglichst geringe Stressbelastung der Tiere und auf die Verwertung des gesamten Schlachtkörpers.

top agrar sprach mit Matthias Minister im Interview.

Was verbirgt sich hinter dem Label „Fairfleisch“?

Matthias Minister: „Fairfleisch“ ist der Name unseres Unternehmens und zugleich eine eingetragene Marke. Wir vertreiben in einer geringen Menge Bio-Fleisch, den weitaus größeren Anteil macht hingegen das Fleisch unserer Eigenmarke „Fairfleisch“ aus. Damit stehen wir für die Vermarktung von Fleisch ausschließlich aus biologischer und artgerechter Tierhaltung. Darüber hinaus arbeiten wir nach einem ganzheitlichen Ansatz: Es geht nicht nur um die Tierhaltung, sondern auch um Regionalität, ein angemessenes Bezahlsystem, die Vertriebswege – alles im Sinne der Gemeinwohl-Ökonomie. Der Begriff Fairness beschreibt das System, nach dem wir arbeiten, sehr gut in einem Wort.

Für unsere Marke „Fairfleisch“ beziehen wir das Fleisch nur von landwirtschaftlichen Betrieben, die unsere Richtlinien bezüglich der Tierhaltung und Fütterung erfüllen. Die wichtigsten Kriterien sind dabei der Verzicht auf die Fixierung der Tiere, die Aufstallung auf Stroh und der Auslauf. Beim Futter verzichten unsere Landwirte auf gentechnisch veränderte und aus Übersee importierte Futtermittel. Das betrifft in besonderem Ausmaß das Soja. Aktuell beliefern uns etwa 30 Betriebe mit Schweinen, Rindern, Puten und Lämmern aus der Region. Das Hähnchenfleisch beziehen wir von einer bäuerlichen Erzeugergemeinschaft aus Südfrankreich, da Freilandhähnchen in Deutschland bisher kaum verfügbar sind. Die Rinder und Schweine schlachten wir selbst, das sind etwa 40 Großvieh und 100 Schweine in der Woche. Die Puten und Lämmer werden auf ihren Herkunftsbetrieben geschlachtet.

Das von Ihnen unter „Fairfleisch“ vertriebene Fleisch ist nicht bio-zertifiziert. Wie schaffen Sie es, den Mehrwert Ihres Fleisches zum Verbraucher zu transportieren?

Minister: Das Fleisch, das wir unter dem Label „Fairfleisch“ vermarkten, kommt in den Haltungsvorgaben den Bio-Richtlinien annähernd gleich. Der entscheidende Unterschied liegt in der Flächenbewirtschaftung, die unsere Landwirte nach konventionellen Vorgaben betreiben. Das spiegelt sich auch an der Kasse wider: Im Gegensatz zu den Preisen für die „Fairfleisch“-Produkte sind die Biopreise, insbesondere bei Schweine- und Geflügelfleisch, für einen großen Teil der Gesellschaft nicht tragbar.

Für viele Verbraucher ist beim Kauf von Fleisch entscheidend, dass das Fleisch aus artgerechter Tierhaltung stammt, Bio muss es aber nicht zwingend sein. Bei uns wissen die Verbraucher, von welchen Betrieben das Tier stammt, wo es geschlachtet wurde und wer das Fleisch verarbeitet hat. Die gesamte Kette ist für den Verbraucher schlüssig und transparent.

Über welche Vermarktungswege vertreiben Sie das Fleisch?

Minister: Wir vertreiben etwa die Hälfte unseres Fleisches an Fleischerfachgeschäfte. Ca. 5 % vermarkten wir über unseren Werksverkauf und weitere 5 %, jedoch mit steigender Tendenz, an Gastronomie und Betriebsverpflegung. Zu einem weiteren großen Standbein unseres Betriebes hat sich inzwischen unser Dienstleistungsangebot entwickelt. Einerseits bieten wir Hausschlachtungen samt Verarbeitung für landwirtschaftliche Betriebe mit Direktvermarktung an. Andererseits übernehmen wir die gesamte Fleischverarbeitung für den Online-Shop „KaufneKuh“. Die Dienstleistungen machen in der Summe etwa 40 % unseres Gesamtvertriebes aus.

Ein Baustein Ihres Konzepts stellt die tierschonende Schlachtung dar. Wo liegen die Unterschiede zur gängigen Schlachtung in anderen Schlachthöfen?

Minister: Den entscheidenden Faktor im tierschonenden Schlachtprozess sehe ich im Menschen und nicht unbedingt in der Technik, die in der öffentlichen Debatte meist im Fokus steht. Wir legen großen Wert darauf, unsere Mitarbeitenden laufend in Bezug auf das Tierverhalten zu sensibilisieren und den Umgang mit den Tieren zu trainieren. Dafür führen wir pro Jahr drei praktische Schulungen bei uns im Betrieb durch. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Schlachtgeschwindigkeit. Bei uns erfolgt die Schlachtung ohne Zeitdruck. Wenn ein Tier beispielsweise nicht vorangehen will, lassen die Mitarbeitenden ihm die Zeit, die es braucht. In den meisten Fällen löst sich das Problem dann von selbst.

Problematisch ist bei dieser Art der Schlachtung allerdings, dass deutlich höhere Kosten in Vergleich zum Großschlachtbetrieb anfallen. Die Landesregierung in Baden-Württemberg hat das Problem nun aber erkannt und den klaren Willen definiert, die regionale Schlachtung zu fördern.

Sie verfolgen das Prinzip „from nose to tail“, also die ganzheitliche Verwertung des Schlachtkörpers. Wie vermarkten Sie Teilstücke, deren Nachfrage gering ist?

Minister: Beim Rindfleisch lässt sich das Prinzip inzwischen gut umsetzen. Der Grund liegt in der aktuell großen Nachfrage nach Burgerpatties und Hackfleisch, in denen die weniger gefragten Fleischabschnitte verarbeitet werden können. Beim Schwein sieht das anders aus: Die Abnehmer sind interessiert daran, die wertvollen Teilstücke aus artgerechter Tierhaltung zu beziehen. Woher das Fleisch für die Wurst kommt, ist allerdings egal.

Da wir den Landwirten einen Festpreis zahlen, können wir auch bei der Vermarktung der weniger gefragten Teilstücke nicht am Preis schrauben. Deshalb erfordert es viel Überzeugungskraft, den Kunden klar zu machen, dass alle Teile des Schlachtkörpers verwertet und abgenommen werden müssen. Das geht aber schon. Aktuell versuchen wir die Abschnitte, als Wurst verarbeitet, an größere Kantinen zu vermarkten.

Die Abnehmer sind interessiert daran, die wertvollen Teilstücke aus artgerechter Tierhaltung zu beziehen. Woher das Fleisch für die Wurst kommt, ist allerdings egal." - Matthias Minister

Ihr Fleisch kostet an der Ladentheke 3,00 € je kg mehr im Vergleich zu konventionell erzeugtem Fleisch. Die Borchert-Kommission veranschlagte einen Aufpreis von 0,40 € je kg für Tierwohl-Fleisch. Wie begründen Sie die hohe Differenz? Wie hoch ist der Erlösanteil des Landwirts?

Minister: Das ist richtig, für Schweine- und Rinderfleisch liegt der Preisaufschlag bei 3 € je kg Fleisch. Die Differenz ergibt sich aus unserem umfassenden Ansatz. Die Borchert-Kommission bezieht sich mit ihrer Berechnung ausschließlich auf die Kosten für mehr Tierwohl durch den Umbau der Tierhaltung. Wir gehen weiter: Unser Ziel ist nicht nur, das Tierwohl zu verbessern, sondern auch die bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten, die Mitarbeitenden in der Schlachtung und Verarbeitung unter fairen Bedingungen anzustellen, den tierschonenden Schlachtprozess und die handwerkliche Verarbeitung zu fördern, und so weiter. Die Maßnahmen summieren sich, sodass man auf 3 € je kg Fleisch kommt. Ausgehend vom durchschnittlichen Fleischverbrauch pro Jahr sind das 180 € pro Person jährlich.

Wir bezahlen die Landwirte nach einem Festpreissystem. Der Preis orientiert sich zwar an der Notierung, einen fixen Aufschlag gibt es aber nicht. Aktuell zahlen wir beim Schwein 2,35 € und beim Rind 4,40 €. Wenn die Notierung über einen längeren Zeitraum abweicht, denken wir über eine Anpassung nach. Dabei entscheide ich immer im Hinblick auf die Verpflichtung gegenüber unseren Kunden, die den Mehrpreis zahlen und damit die Idee mittragen. Der Preis steht aber auch bei unseren Landwirten nicht zur Diskussion, da sie wissen, was sie an unserem Festpreissystem haben.

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