„Die Pachtpreise steigen, die Ackerfläche in Deutschland sinkt und der Naturschutz steht vor immer mehr politischen Herausforderungen“: So beschreibt Prof. Dr. Kai Niebert die Lage am deutschen Bodenmarkt. Bei der trafo-Tagung in Hannover sprach der Präsident des deutschen Naturschutzringes über den Bodenmarkt und bot Lösungsansätze an.
Nutzungskonkurrenzen werden steigen
„Warum reden wir über Landnutzungskonflikte?“ Mit dieser Frage leitete Prof. Niebert seinen Vortrag vor Landwirten und Vertretern aus Wissenschaft und Politik ein. Der Naturschutz stehe vor einer Reihe „wahnsinniger Herausforderungen“ und Landnutzer seien schon lange mit der aktuellen Politik unzufrieden, so Prof. Niebert.
Doch wofür wird die zur Verfügung stehende Fläche in Deutschland derzeit eingesetzt? „Viel Wald, viel Viehfutter, ebenso Energiepflanzen und pflanzliche Ernährung“, fasste Prof. Niebert kurz zusammen. Als Umweltschütze, stellte Prof. Niebert an dieser Stelle die Frage: „Wo die Fläche für die biologische Vielfalt bleibt?“. Die Nutzungskonkurrenzen seien jetzt schon hoch. Niebert sagt: „Sie werden noch größer“.
Es gebe mittlerweile eine ganze Reihe an Strategien zum Schutz der Natur. Niebert zählte auf: Es gibt die „Strategie für biologische Vielfalt“, Eckpunkte für eine „Biomassestrategie“, eine „PV-Strategie“, eine „Rohstoffstrategie, die „Wind an Land Strategie“, den „Bundesverkehrsplan“, die „nationale Rohstoffgewinnung“, es soll weiterhin mehr Fernstraßen geben, Wohnräume sollen ausgeweitet werden, Moore sollen wieder vernässt werden und bis 2030 soll es 30 % Ökolandbau geben. Niebert stellte die Frage in den Raum, ob Deutschland mit all diesen Strategien nicht schon längst überbucht sei?
Systemleistung müssen als Ganzes betrachtet werden
Nach Niebert liegt ein Ansatz zur Lösung von Flächenkonflikten darin, die Ökosystemleistung einer Fläche als Ganzes zu betrachten. Ein reiner Fokus auf die primäre Leistung einer Fläche, z.B. Nahrungsmittelproduktion oder Bioenergie, sei nicht zielführend. Es brauche vor allem sichere Verträge und langfristige Perspektiven für Landwirte.
Akzeptanz und Lust auf Transformation
Um passende Lösungsansätze auf den Weg zu bringen, sei auch die Akzeptanz wichtig. So schlug der Nachhaltigkeitsexperte eine stufenweise Anhebung der Mehrwertsteuer auf Fleisch als Beispiel vor, um entsprechende Umweltmaßnahmen zu kompensieren. Er erklärte, dass bei solch einem Vorschlag schnell ein falsches Bild aufkommen würde und es z.B. nicht einfach darum gehe, Fleisch teurer zu machen. Vielmehr solle Fleisch, das auf einer Fläche produziert werde, besser gemacht werden.
Auch die Politik müsse sich umstellen. Aus seiner Sicht brauche es eine neue Politik, betonte Niebert. Besonders der Bauernverband halte sich derzeit stark zurück, Niebert vermutete bei ihm einen Verlust der Transformationslust.
Ich habe das Gefühl, dem Bauernverband ist die Transformationslust etwas abhandengekommen, wenn man in die Spitze des Präsidiums schaut.
Die Kulinarik des 21. Jahrhunderts
Neben der Erarbeitung neuer Präferenzen und Strategien am Bodenmarkt beschrieb Niebert weiter, dass sich auch der Markt ändern müsse. Besonders die hohe Nachfrage nach Fleisch müsse sich anpassen. Nach Niebert brauche es eine „Kulinarik des 21. Jahrhunderts“ – für ihn ist das eine pflanzenbasierte Nahrungsmittelnachfrage. Das sei wichtig, denn selbst wenn die Fleischproduktion in Deutschland stark zurückgehen würde, hätte eine starke Nachfrage nur eine Erhöhung von Importen zur Folge, sagte er.
Agrartreibstoffe in der Zwickmühle
Nach Niebert ist 10 % der Landfläche in Deutschland mit Energiepflanzen bepflanzt. Er sehe ein großes Potenzial in der Flächennutzung zur Energieerzeugung, doch nicht nach aktuellen Standards. Die Nutzung von Fläche zur Erzeugung von Biomasse für Agrartreibstoffe hält. Niebert für einen „Irrweg“.
Ich halte es für ein Verbrechen, primäre Biomasse für die Energiegewinnung irgendwie zu verheizen.
Sein Lösungsansatz: „Wenn man statt primäre Biomasse anzubauen stattdessen PV-Anlagen ausbaut, könnte man das 30- bis 200-fache an Energie aus der Fläche herausholen. Das heißt, wir hätten bis zu 90 % weniger Flächenbedarf für die gleiche Energie, die wir derzeit erzeugen“. Eine höhere Flächenleistung an Energiegewinnen hält Niebert für möglich.
„Wenn ich die 10 % der heutigen Fläche zur Energiegewinnung nehme und da die biologische Vielfalt in den Vordergrund stelle, dann noch ein Drittel herausnehme und dort Agri-PV draufstelle, habe ich trotzdem eine deutlich höhere Flächenleitung an Energiegewinnen“, sagte er.
Würde man dieses Konzept umsetzen, sehe Niebert aber auch ein großes Problem: Der Pächter könnte den Mehrertrag der Fläche nutzen, um die Pachtpreise deutlich anzuheben. Niebert betonte, dass aus diesem Grund die rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden müssten. Nur so könne man auch Landwirte finanziell absichern und die Energiewende vorantreiben.
Kompensation und Verschlechterungs-Verbot
Und dann ist da noch das Flächenproblem, das über die Naturschutzkompensation mit verursacht wird. Prof. Niebert nannte dazu ein Beispiel: „Wenn man heute z.B. ein Windrad, einen Radweg oder einen Schweinestall bauen möchte, dann muss nach der Bundeskompensationsverordnung ein Verschlechterungs-Verbot eingehalten werden. Das heißt, wenn man irgendwo Natur entnimmt, muss man sie an anderer Stelle ausgleichen.“. Heutzutage sei das vor allem problematisch, weil der Ausgleich an willkürlichen Stellen passiere. Auch verschiebe sich so der Fokus, der offiziell nachhaltige Flächen nicht wirklich nachhaltiger mache.
Es geht ja nicht darum, einen schlechten Zustand irgendwo zu verbessern. Wir wollen einen guten Zustand fördern.
Die Kompensationsflächen brächten den Naturschutz in eine Zwickmühle, so Niebert. Denn dadurch gäbe es in Deutschland viele Naturschutzgebiete in schlechtem Zustand. Bevor immer mehr Flächen dazugeholt würden, müsse man viel mehr die Flächen verbessern, die es schon gibt. Nach dem Naturschutzexperten könnte diese Strategie funktionieren.
Erste Modellprojekte in Niedersachsen
Niebert erklärte, dass der Naturschutzring derzeit in Zusammenarbeit mit RWE an einer Modellregion arbeite, in der das Kompensationsmodell mit Windenergie besser gesteuert werden soll. „Mit den Windenergieanlagen, die RWE für Niedersachsen projektiert hat, könnten in den nächsten Jahren bis zu 500 Mio. € zusammenkommen, die dann in die Verbesserung der Landwirtschaft investiert werden können.
Wo soll die Naturschutzpolitik zukünftig hingehen?
Der Verlust an biologischer Vielfallt habe nicht nur „die Landwirtschaft“ oder „den Klimawandel“ als Ursache. „Es gibt ganz viele Ursachen“, so Prof. Niebert. Was es nach ihm braucht, ist eine Politik, die alle Ursachen als Ganzes beurteile.
Wenn heute Kompensationsmaßnahmen festgelegt werden, dann verpflichten sich Landwirte oft auf 30 Jahre, teilweise über zwei Generationen an Betriebsleitern. Das sei ein Problem, so Niebert. Nun werde das „Naturschutz-auf-Zeit-Konzept“ entwickelt, das zukünftig stärker beleuchtet werden sollte, so Niebert.
Zudem sei es für manche Landwirte egal, ob die Fläche zum Naturschutzgebiet oder Parkplatz wird, denn so oder so könnte der Landwirt die Fläche nicht mehr nutzen. Ein Konzept, von dem Deutschland schnell weg müsse, so Niebert.