Fünf Rentner mit Golfschlägern streifen über eine weitläufige, akkurat gemähte Grünfläche mit flatternden Fähnchen. An diesem Vormittag haben sie den Swingolfplatz für sich allein. Normalerweise ziehen hier größere Golfgruppen Bollerwagen hinter sich her, die mit kalten Getränken gefüllt sind, und verbringen auf dem Platz gesellige Stunden.
Swingolf ist nicht das einzige Freizeitangebot, mit dem Familie Hulsmeier Gäste ins südliche Emsland lockt. Ein Maislabyrinth, eine Salzgrotte, Blumen und Heidelbeeren zum Selbstpflücken sowie ein gastronomisch breit aufgestelltes Bauernhofcafé sind ebenfalls Teil des diversifizierten Konzepts namens „Mehringer Heide“. Die Schweinemastställe und die Ackerfläche sind seit fünf Jahren verpachtet (siehe Steckbrief). Stattdessen steht der Familienbetrieb auf Standbeinen, die wie in einer Art unternehmerischer Kettenreaktion nacheinander und abhängig voneinander entstanden sind.
Am Anfang war das Hofcafé
Die Geschwister Marianne und Andreas Hulsmeier haben die Standbeine unter sich und ihren Familien aufgeteilt. Marianne (51 Jahre) und ihr Mann Jürgen (53) leiten das Hofcafé. Die Landwirtschaft sowie Swingolf, Maislabyrinth und Salzgrotte liegen in der Hand von Andreas (49) und Anke Hulsmeier (47). Ein weiterer Bruder Ansgar (42) hat eine Anstellung außerhalb des Betriebs und unterstützt „ehrenamtlich“ bei Marketingaufgaben. Vater und Seniorchef Bernhard Hulsmeier (77 Jahre) ist derjenige, der in den 90er-Jahren anfing, das Betriebskonzept auszuweiten, das seither nicht stillsteht.
Wer macht was: Steckbrief Mehringer Heide
Landwirtschaft und außerlandwirtschaftliche Standbeine, geleitet von Andreas und Anke Hulsmeier
Stall für 1.900 Mastschweine und 30 ha Ackerbau (verpachtet)
3 ha Speisekartoffelanbau
1 ha Heidelbeeren zum Selbstpflücken
4 ha Maislabyrinth
8 ha Swingolfplatz
5 Blumenfelder zum Selbstpflücken
Salzgrotte (Räume mit Hochseeklima für Menschen mit Atembeschwerden)
Hofcafé, geleitet von Marianne Hulsmeier-Rickling und Jürgen Rickling
großes Bauernhofcafé mit Restaurantbetrieb (180 Plätze innen und außen),
Eisdiele
kleiner Hofladen und
Räume für Firmenveranstaltungen und private Events.
Anstatt die Haltung von damals 1.400 Mastschweinen aufzustocken, damit drei Generationen davon leben könnten, entschieden sich Bernhard und seine Frau Hedwig dafür, ein Bauernhofcafé zu eröffnen – ein Schritt, der für reichlich Kopfschütteln sorgte. „Ihr glaubt doch nicht, dass hier am Arsch der Welt irgendjemand einen Kaffee trinkt“, lauteten die netteren Meinungen. Denn der Betrieb liegt in der Kleinstadt Emsbüren, im westfälisch-niedersächsischen Städtedreieck zwischen Rheine, Nordhorn und Lingen, wo sich die A31 und die A30 kreuzen. Den Landstrich als ruhig, fast verschlafen zu beschreiben, dürfte keine Übertreibung sein.
Senior Hulsmeier wurde 1996 also buchstäblich für „bekloppt“ erklärt, als er das Hofcafé eröffnete. Doch dank des Baus des Emsradweges und anderer Radrouten direkt vor der Tür und der verkehrstechnisch günstigen Lage erwies sich das Café als zwar arbeits- und personalintensive, aber schlussendlich lohnenswerte Einkommensquelle. „Die ersten fünf, sechs Jahre waren hart“, erinnert sich Bernhard Hulsmeier. „Aber das Café wurde direkt gut angenommen.“
Standbeine für verschiedene Generationen
Nach dem recht mühsamen Hineinwachsen in das damals noch neue Gastronomiegeschäft, ist das 180-Plätze-Café heute unangefochtener Dreh- und Angelpunkt des in allen Teilen professionell geführten Konstrukts Mehringer Heide. Egal ob pensionierter Swingolfer oder Mutter mit Kind im Maislabyrinth – irgendwann landen die Besucher hungrig und durstig im Café und sorgen dort erneut für Umsätze.
Doch diese Generationenvielfalt gab es Ende der 9er-Jahre noch nicht. „Ins Café kamen überwiegend Senioren“, sagt Gastronomin Marianne. „Erst durch das Maislabyrinth kamen Familien hinzu.“ Anke Hulsmeier ergänzt: „Je mehr Standbeine wir haben, desto mehr Möglichkeiten haben wir, neue Kunden zu gewinnen, die uns eventuell noch nicht kennen.“
6 Tipps für Betriebe mit neuen Standbeinen
Welche Tipps hat Familie Hulsmeier für den Aufbau neuer Standbeine auf landwirtschaftlichen Betrieben? Wie trennt man Geschäftszweige sinnvoll unter Geschwistern auf, hält aber dennoch die Kommunikation untereinander aufrecht? Woher kommen Ideen und wie entscheidet man, welche funktionieren wird? Hier die gesammelten Tipps:
Grundprämisse: Ein Geschäftsmodell muss mindestens so viel einbringen, wie wenn die erforderliche Fläche verpachtet wäre!
Wenn ein neues Standbein angepackt wird, dann richtig. Keine halben Sachen. Die Qualität muss in allen Bereichen stimmen, sonst klappt es nicht, d.h. von ansprechender Örtlichkeit über gute Speisen/Getränke bis zu gutem Service muss alles passen.
Verantwortlichkeiten und Geschäftsbereiche innerfamiliär und finanziell klar voneinander trennen.
(Touristische) Geschäftsbereiche wenn möglich abseits vom landwirtschaftlichen Tagesgeschäft mit schlechten Gerüchen und lauten Maschinen halten. („Andreas Hulsmeier: „In 30 Jahren haben vielleicht 10 Leute gefragt, wo eigentlich der Bauernhof zum Bauernhofcafé ist.“)
Mit neuen Ideen nicht lang fackeln. Schnell sein, einer der Ersten sein. (Bernhard Hulsmeier: „Wenn die Idee im Kopf fertig ist, sie auch umsetzen.“)
Netzwerken: Pioniere mit ähnlichen Ideen kennenlernen, hinfahren, deren Projekt anschauen, sich mit seiner Idee ehrlich zu erkennen geben, aus deren Fehlern lernen, anderen ebenfalls offen gegenüber kommunizieren.
Das Maislabyrinth
„Unser Maislabyrinth war 1998 das dritte oder vierte in Deutschland“, sagt Landwirt Andreas. „Sogar die Bild berichtete damals darüber, weil es was Neues war.“ Gestartet auf 1 ha in 1998, gibt es seitdem jährlich auf 4 ha einen mit wechselnden Motiven gestalteten Irrgarten aus Mais, der am Ende der Saison als CCM an die Schweine verfüttert wird. Erwachsene zahlen 4 € Eintritt, Kinder 3 €. Die Besucher sammeln Hinweise im Mais und nehmen damit an einem Gewinnspiel teil, das von einem Unternehmen gesponsert wird. Es darf sich präsentieren und zahlt dafür die Hinweisschilder und Handzettel sowie den Gewinn.
25 Jahre lang war das Anlegen des Maislabyrinths Handarbeit. „Wir können das Motiv erst seit vier Jahren mit der RTK-Maisdrille anlegen“, sagt Andreas. „Davor mussten wir die geometrischen Figuren irgendwie mit Leiter, Bindfäden und viel Augenmaß auf den Acker kriegen und die freien Reihen dann händisch aushacken.“ Aber: Der Plan ging auf. Eine neue Zielgruppe war erschlossen.
Swingolf als Win-win
2003 stand der nächste Entwicklungsschritt an. „Es musste was passieren, damit beide Generationen künftig weiterhin gut nebeneinander auf dem Hof wirtschaften können“, erinnert sich Senior Bernhard an die bewusste Entscheidung, einen weiteren Betriebszweig zu suchen. Das Café war bereits in Mariannes Verantwortung. Andreas führte die Landwirtschaft und das Maislabyrinth. „Aber die Fläche, die zentral vor dem Café lag, gehörte zu Andreas landwirtschaftlichem Anteil“, sagt Marianne. „Ich wollte nicht von Andreas abhängig sein und befürchten müssen, dass da Gülle gefahren wird.“ Also suchten Hulsmeiers etwas Neues für die Fläche vor dem Café.
2006 entdeckte die Familie in der top agrar einen Bericht über eine der ersten Swingolfanlagen auf einem landwirtschaftlichen Betrieb. Andreas fuhr hin, schaute sich alles an und setzte die Idee in die Tat um. Ein Golfarchitekt legte auf 8 ha einen 18-Loch-Platz an, der bis auf ein paar Baumpflanzungen bis heute unverändert ist. Er muss einmal die Woche gemäht, die Bäume regelmäßig geschnitten werden. Beregnung gibt es nicht.
Die erforderliche Nutzungsänderung der Fläche musste natürlich genehmigt werden. „Die Ackerfläche wurde in eine Sport- und Spielfläche umgewandelt“, erklärt Anke Hulsmeier. „Damals war das selbst bei uns im Landschaftsschutzgebiet unkompliziert, weil die Gemeinde in Zusammenarbeit mit dem Landkreis den Tourismus in der Region fördern wollte.“
Der im Vergleich zu Golfplätzen naturbelassene und landschaftlich wenig modellierte Swingolfplatz hat im Sommer Hochkonjunktur. Rund 100 Leute können gleichzeitig spielen. Erwachsene zahlen 12 € Tagespreis, Kinder 9 €. Zusätzliche Einnahmen generieren Anke und Andreas mit dem Verkauf von Getränken im Bollerwagen. Zielgruppen sind z. B. Junggesellenabschiede, Kegeltouren oder Cliquen, die einen Tag zusammen verbringen. „Man muss klar sagen, die Swingolfanlage läuft nicht ohne das Café“, sagt Andreas. „Meist sitzt irgendwann die Hälfte der Gruppe in den Liegestühlen.“ Es scheint, als führe gerade dieses unkomplizierte Nebeneinander der Standbeine immer wieder ganz automatisch zu Win-win-Situationen für alle.
Salzgrotte für den Winter
Im Sommer arbeiteten die Geschwister mit ihren jeweiligen Betriebszweigen im Café und dem Labyrinth bzw. dem Swingolf gut zusammen. Aber es fehlte ein Standbein, das im Winter gut funktionierte: So kam die Salzgrotte dazu. In dem für rund 300.000 € neu gebauten Gebäude neben dem Swingolfplatz befinden sich zwei Räume mit Hochseeklima, in denen Gäste Mineralien und feuchte Salzluft inhalieren, was reizmindernde und entzündungshemmende Wirkung haben soll. Andreas Hulsmeier, der bis zur Verpachtung der Schweineställe 2020 noch regelmäßig im Stall arbeitete, obwohl er selbst an Asthma leidet, fuhr bis dato aus gesundheitlichen Gründen regelmäßig nach Borkum oder besuchte ähnliche Salzgrotten in der Region.
„Dafür, dass die Salzgrotte überwiegend im Winter Saison hat, war uns das Investment eigentlich zu groß“, erinnert sich Andreas. Aber das Beispiel einer ähnlichen Salzgrotte in einem Naherholungsgebiet in Erlangen, die auch dank eines Cafés gut funktionierte, änderte seine Ansicht. „Da wussten wir, spazieren gehen und Kaffee trinken kann man bei uns auch. Das probieren wir.“
Nachdem Andreas Hulsmeier 2020 die Landwirtschaft verpachtete, sind wieder Kapazitäten für neue Ideen entstanden. Die Blumenfläche zum Selbstpflücken soll an weiteren Standorten ausgebaut, die Heidelbeeren voraussichtlich eingestampft werden. Im Winter gibt es wieder eine Curling-Fläche mit Glühwein. Stets gilt die Prämisse: Ein Geschäftsmodell muss mindestens so viel einbringen, wie wenn die erforderliche Fläche verpachtet wäre. Die Ideen reißen nicht ab. Senior Bernhard sagt: „Für mich und meine Frau war es schon damals schön zu sehen, dass es mit Café und Irrgarten hier für beide Familien weitergehen konnte.“ Die Idee scheint sich fortzuführen. Auch die Enkel springen jetzt schon fleißig mit von einem Standbein zum nächsten.