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New Farming: Indoor Weizen anstatt Ackerfrucht

Das Berliner Unternehmen Infarm hat den Anbau von Weizen in Vertical Farming-Anlagen getestet. Trotz hoher Erträge sehen Wissenschaftler die Wirtschaftlichkeit im vertikalen Anbau bislang kritisch.

Lesezeit: 5 Minuten

Vertical Farming konzentriert sich bislang hauptsächlich auf den Anbau von Kräutern, Obst und Gemüse. Angesichts der steigenden Weltbevölkerung stellt sich jedoch zunehmend die Frage, ob auch der vertikale Anbau von Weltnahrungspflanzen wie Weizen möglich wäre. Erste Versuche zeigen: Die Erträge sind sehr viel höher, aber die Kosten sind der Knackpunkt.

Kürzlich hat Infarm, ein Unternehmen für vertikale Landwirtschaft, an seinem Standort in Berlin erstmals Weizen in einer Indoor-Farm angebaut. Unternehmensangaben zufolge zeigten die Versuche positive Ergebnisse. Demnach seien Prognosen von 11,7 kg pro m2 Ertrag pro Jahr möglich. „Hochgerechnet entspricht das 117 Tonnen pro Hektar und Jahr“, heißt es von Infarm.

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Das 2013 gegründete Unternehmen ist zuversichtlich, dass der Weizenanbau als klimaresistente Alternative in großem Maßstab in geschlossenen Räumen erfolgreich sein kann. Den Ertrag will es in den kommenden Jahren durch eine verbesserte Genetik, Hardware und bessere Wachstumsbedingungen um weitere 50 % steigern. Laut Infarm sind pro Jahr sechs Ernten realistisch, da ein Wachstumszyklus acht bis zehn Wochen dauert. Es handelte sich bei dem Weizen um einen Brotweizen, der im Laborversuch bis zu 50 cm hoch wuchs. Eine von der NASA für die Raumfahrt entwickelte Weizensorte wächst dort ohne Boden und wird rund um die Uhr mit Licht, Nährstoffen, Wasser, Raumklima versorgt. Eine Pflanzenschicht braucht mit Beleuchtung etwa 1 m, das macht 10 m Höhe für zehn Schichten.

Laut Studie bis zu 6.000 mal höhere Erträge möglich

Infarm ist laut eigenen Angaben das erste Unternehmen, das einen solchen Versuch durchgeführt hat. Die Forschungslage für den Anbau von Weizen in Vertical Farming-Anlagen ist bislang relativ dünn. In einer Studie aus dem Jahr 2020 beschäftigen sich verschiedene Wissenschaftler bereits mit dem Potenzial von Weizen in vertikalen Farmen, darunter auch Senthold Asseng, Professor für Digitale Landwirtschaft an der TU München und Direktor des Hans-Eisenmann Forums für Agrarwissenschaften.

Das Team, das an der TUM diese Indoor-Weizenversuche ebenfalls durchführt, simulierte das Weizenwachstum unter Verwendung von zwei Erntesimulationsmodellen auf einem Hektar Land in einer 10-stöckigen vertikalen Indoor-Anlage unter optimiertem künstlichem Licht, Temperatur und Kohlendioxidwerten. Dabei prognostizierte es bis zu 6.000-mal höhere Erträge pro Hektar als bei derzeitigen Anbaumethoden möglich (mit 100 Lagen). Ob das tatsächlich so ist, bleibt offen. Der Anbauversuch von Infarm habe laut Senthold Asseng aber die Simulation (zweiter Balken von unten) bestätigt.

Unabhängig von äußeren Einflüssen

Laut Senthold Asseng ist der Indoor-Weizenanbau verlässlich, da die Pflanzen von äußeren Witterungseinflüssen geschützt sind. Der Weizen lässt sich indoor unmittelbar dort produzieren, wo er gebraucht wird. Nicht zuletzt wegen der aktuellen Energie- und Nahrungsmittelkrise zeigen dem Wissenschaftler zufolge besonders nordafrikanische und arabische Länder Interesse am Vertical Farming, um sich unabhängiger mit Lebensmitteln versorgen zu können.

Aber auch deutsche Landwirte könnten von der neuen Technik profitieren und etwa im Winter Früchte anbauen, die hierzulande nicht wachsen, zum Beispiel Beerenfrüchte.

Weizenbrot aus vertikaler Farm wäre unbezahlbar

Auch wenn das Anbauverfahren zunächst vielversprechend klingt, sieht die wirtschaftliche Situation laut Studie bislang anders aus. Denn mit über 50 % der Gesamtkosten schlagen die Energiekosten im Vertical Farming deutlich zu Buche. Der Großteil fällt für Klimasteuerung und Licht an.

Laut Studie ist es in Zukunft wahrscheinlich nicht wirtschaftlich, mit den aktuellen Marktpreisen konkurrenzfähig zu herkömmlichem Weizen zu sein – im Gegenteil: Unter derzeitigen Bedingungen wäre ein Brot mit Weizen aus vertikalem Anbau knapp 50-mal teurer als herkömmliches. „Niedrigere Kosten und höhere Renditen könnten das Kosten-Ertrags-Verhältnis von heute 46:1 auf künftig ∼6:1 senken, aber dies wäre immer noch nicht wirtschaftlich“, heißt es.

Trotz der sehr hohen potenziellen Erträge ist der Betrieb einer 1 ha großen Indoor-Weizenanlage mit 10 oder sogar 100 Lagen unter normalen Marktbedingungen wahrscheinlich nicht kostendeckend. Eine Herausforderung für die Zukunft, so Asseng, sei es daher, kostengünstigen Strom zu produzieren.

Langfristig werden die Energiepreise seiner Ansicht nach aber sinken. Wenn sich die Technologie durchsetzt, wird sie auch günstiger, ist er überzeugt. Dazu müssen aber zunächst Energie- und Rentabilitätsprobleme gelöst sein. „Die aktuelle Energie- und Preiskrise wirft Vertical Farming in seiner Entwicklung zurück und bringt auch Start-ups in eine Krise.“ Im Moment könne man, wenn überhaupt, Geld mit Salaten und Blattgrün verdienen. Auch der Bau neuer Farmen sei teuer. Wenn nachhaltige Energien subventioniert würden, wie etwa in den Arabischen Emiraten, wäre Vertical Farming schon heute wirtschaftlicher.

Nichtsdestotrotz tragen die Ergebnisse möglicherweise nur zu einem relativ kleinen (noch zu bestimmenden) Bruchteil der globalen Getreideproduktion bei, die erforderlich ist, um in naher Zukunft eine globale Ernährungssicherheit zu erreichen.

Verbraucherakzeptanz entscheidend

Welche Auswirkungen das Anbausystem auf die Inhaltsstoffe des Produkts hat, ist noch offen. Offen ist bislang auch, wie gesund Lebensmittel aus Vertical Farming-Anbausystemen sind und ob sie den herkömmlichen in Sachen Nährstoffen über- oder unterlegen sind.

Pflanzen, die ohne Boden und Sonnenlicht wachsen, müssen Verbraucher akzeptieren. Noch ist offen, wie skeptisch oder aufgeschlossen die Bevölkerung sich demgegenüber zeigt. Und auch als Bio-Lebensmittel würden Produkte aus Vertical Farming derzeit keine Zulassung erhalten, da nur Kulturen aus natürlichen Böden erlaubt sind.

Eine Option für Landwirte?

Asseng betont, dass sich der Berufsstand neuen Technologien gegenüber offen zeigen sollte. „Die Technik wird in Zukunft Teil der Landwirtschaft sein und hat das Potenzial, den Druck von einigen Flächen zu nehmen und die Erträge pro Fläche zu steigern. Vertical Farming wird die herkömmliche Landwirtschaft aber nicht ersetzen.“ Aus seiner Sicht kann die Technologie Landwirten helfen, konkurrenzfähiger zu werden und zum Beispiel auch über den Winter regionales Beerenobst anzubauen. Landwirte haben das Know-how im Bereich Pflanze und seien damit vielen Start-ups und Industrieunternehmen einen Schritt voraus.

Quelle: https://www.pnas.org/doi/pdf/10.1073/pnas.2002655117

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