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So bauen zwei Betriebe Kamille im großen Stil an

Mit über 700 ha Kamille zählen zwei Thüringer Betriebe zu den größten Heilpflanzenanbauern Deutschlands. Sie setzen dabei auf Tradition, Eigenbau-Technik und sichere Partnerschaften.

Lesezeit: 6 Minuten

Was andernorts als Unkraut gilt, steht in Thüringen in voller Blüte. Kamille, so weit das Auge reicht. Die beiden Agrarbetriebe Agrarprodukte Ludwigshof eG und Agrargenossenschaft Nöbdenitz eG bauen die Arzneipflanze auf über 700 ha an – und zählen damit zu den größten Heil- und Gewürzpflanzenproduzenten Deutschlands.

Ludwigshof bewirtschaftet rund 4.000 ha Ackerland im Südosten Thüringens. Auf 540 ha wachsen jedes Jahr Heil- und Gewürzpflanzen. Mit 370 ha ist die Kamille die wichtigste Kultur. Daneben gedeihen dort Pfefferminze, Johanniskraut, Kapuzinerkresse, Goldrute, Mutterkraut, Brennnessel, Salbei und Melisse.

Auch die Agrargenossenschaft Nöbdenitz, mit 1.900 ha Ackerfläche im Osten Thüringens, setzt auf Kamille: 350 ha entfallen dort auf die Pflanze. Zusätzlich baut sie Fenchel und Pfefferminze an.

Warum Thüringen ein Heilpflanzen-Hotspot ist

Beide Betriebe greifen auf jahrzehntelanges Wissen zurück. Denn der Anbau von Arzneipflanzen hat in Thüringen Tradition. Schon in der Nachkriegszeit wurden in der Region erste Heilpflanzen kultiviert. Zu DDR-Zeiten spezialisierten sich die beiden LPGs – die Vorgänger der heutigen Betriebe in Ludwigshof und Nöbdenitz– auf diese Nische.

Was macht Kamille so besonders – und worauf kommt es beim flächenmäßigen Anbau an? Wir haben nachgefragt: bei Gunnar Jungmichel, Vorstandsvorsitzender der Agrarprodukte Ludwigshof und Matthias Schnelle, Vorstandsvorsitzender der Agrargenossenschaft Nöbdenitz.

Fruchtfolge beim Kamilleanbau: Darauf kommt es an

Kamille wird einjährig angebaut. In Ludwigshof wächst sie zwei Jahre hintereinander auf derselben Fläche, danach folgen drei bis vier Jahre Anbaupause. Die Kamille selbst sei nicht das Problem, weiß Jungmichel: „Die ist ziemlich selbstverträglich – in der Natur kann Kamille locker 10 bis 20 Jahre an der gleichen Stelle stehen“. Herausfordernd sei vielmehr der Durchwuchs von anderen Unkräutern wie Klatschmohn. „Früher haben wir Kamille öfter hintereinander angebaut. Dann kamen die Beikräuter – Klatschmohn hat uns ganze Flächen rot eingefärbt. Da half nur noch der Mulcher.“, erklärt Gunnar Jungmichel. Die Agrargenossenschaft Nöbdenitz geht noch vorsichtiger vor: Dort wird Kamille nur ein Jahr lang auf einer Fläche angebaut. Anschließend folgen zwei bis drei Jahre Pause. Weil die Rohstoffe für den menschlichen Verzehr vorgesehen sind, führt auch der Durchwuchs von Weizen zu Problemen. „Weizen ist ein Allergen – da muss man vorsichtig sein“, weiß Matthias Schnelle.

Die richtige Zeit für die Aussaat

Die Aussaat erfolgt gestaffelt. In Ludwigshof wurden im letzten Jahr 300 ha zwischen Ende August und Anfang September eingesät, der Rest folgte im März und April. „Die Kamille braucht Feuchtigkeit zum Auflaufen – im Herbst sind die Bedingungen meist besser als im Frühjahr“, sagt Jungmichel. Im Frühling 2025 war es so trocken, dass ein Teil der Frühjahrsaussaat umgebrochen und neu gesät werden musste. Die Nöbdenitzer haben dieses Jahr erstmals komplett auf die Frühjahrsaussaat verzichtet.

Angepasste Technik für den Lichtkeimer

Beide Betriebe säen die Kamille mit einer Drillmaschine aus. Um sie an die Kamille anzupassen, schweißten sie kleine Platten an die Schleppschare. So bleiben die Samen auf der Bodenoberfläche liegen. Denn die Kamille braucht Licht zum Keimen – darf also nicht zu tief im Boden liegen. „Der Bodenschluss ist dadurch geringer als bei einer normalen Saat“, erklärt Matthias Schnelle. Umso wichtiger sei es, dass der Boden ausreichend feucht ist, damit die Saat gut auflaufen kann.

Gedüngt wird nicht. „Die Kamille kommt mit dem vorhandenen Stickstoff aus“, sagt Jungmichel. Ein zu starkes Wachstum erhöht das Lager-Risiko – fällt die Kamille um, ist sie kaum noch erntbar.

Pflanzenschutz in der Kamille unkompliziert

Der Pflanzenschutz fordert die Arzneibauern. Denn: „Für Heilpflanzen gibt es keine zugelassenen Pflanzenschutzmittel“, sagt Jungmichel. Die Kulturen seien zu klein, um für die Pflanzenschutzindustrie wirtschaftlich zu sein. Die einzige Möglichkeit Pflanzenschutzmittel auszubringen besteht über entsprechende Sondergenehmigungen, die es erlauben, auch andere Herbizide einzusetzen. In der Kamille gelingt das: Sowohl die Agrarprodukte Ludwigshof als auch die Agrargenossenschaft Nöbdenitz führen dort eine reguläre Herbizidbehandlung im Aufgang durch – Handarbeit ist in diesem Fall nicht erforderlich. Hier liegt ein Vorteil der Kamille gegenüber den übrigen Arzneipflanzenkulturen.

Denn bei denen sieht es anders aus: Hier bleibt die Unkrautbereinigung per Hand unerlässlich. In Ludwigshof sind dafür rund 60 Saisonarbeitskräfte beschäftigt. „Der Arbeitsaufwand für die Handarbeit kann bis zu 100 Stunden pro ha betragen“. Bei einem stetig steigenden Mindestlohn sieht Gunnar Jungmichel schwarz: „Das ist unser größtes Problem. Wir stehen in direkter Konkurrenz mit Ware aus dem Ausland. Wenn Handarbeit in Deutschland immer teurer wird, wird man uns früher oder später das Wasser abgraben.“ Das steigende Lohnniveau versuchen die Agrarprodukte Ludwigshof daher mit technischen Lösungen zu kompensieren. Seit zwei Jahren testen sie einen Hackroboter der Firma Farming Revolution. Der Roboter des Modells „Farming GT“ kann im Gegensatz zu Hacke und Striegel auch zwischen den Reihen arbeiten – über Kamerasysteme erkennt er Unkräuter und entfernt diese gezielt. „Das menschliche Auge ersetzen, kann der Roboter aber nicht“, so Jungmichel.

Ernte in Etappen

Die Ernte der Kamille findet in drei Etappen statt – etwa alle zwei Wochen, je nach Witterung ab Mitte Mai bis Juni. „Nur mit drei Pflücken erreichen wir den vollen Ertrag“, sagt Schnelle. Das Ziel sind mindestens 400 kg getrocknete Kamille pro ha. Im Gegensatz zu anderen Arzneipflanzen wie Pfefferminze oder Baldrian ernten die Landwirte bei der Kamille nur die Blüte. Dafür setzen beide auf eigens gebaute Pflückmaschinen aus 1972. Bei der Agrargenossenschaft Nöbdenitz sind heute noch sechs Maschinen im Einsatz – allerdings mit nachgerüsteten moderneren Kabinen. In Ludwigshof ernten jedes Jahr acht solcher Pflückmaschinen.

Danach stirbt die Pflanze ab. Das verbliebene „Kamillestroh“ wird gemäht, getrocknet und als Tierfutter zu Quaderballen gepresst.

Zwei Wochen in der Trocknung

Nach der Ernte der Köpfe muss es schnell in die Trocknung gehen, bevor erste Verderbprozesse in Gang kommen. Um die Kamille haltbar und lange lagerfähig zu machen, haben beide Betriebe eigene Trocknungsanlagen – in Ludwigshof mit Abwärme aus der Biogasanlage. In Nöbdenitz dauert die Trocknung einer sogenannten „Pflücke“ von 350 ha insgesamt 14 Tage. Danach erfolgt die zweite Pflücke.

Riskanter Anbau verlangt Mut

Der Anbau von Arzneipflanzen verlangt viel Risikobereitschaft. „Wenn es schiefgeht, kann man nichts machen“, sagt Gunnar Jungmichel. „Es stehen große Summen im Raum – damit muss man erst mal umgehen können.“ Der Deckungsbeitrag der Kamille ist nach Angaben von Matthias Schnelle mit dem von Zuckerrüben vergleichbar. Umso wichtiger sind stabile Absatzwege. Sowohl die Agrargenossenschaft Nöbdenitz als auch die Agrarprodukte Ludwigshof arbeiten mit dem Großhändler Martin Bauer aus Oberfranken zusammen. Martin Bauer bezieht weltweit Rohwaren von Arzneipflanzen und verarbeitet sie zu Vormischungen für seine Kunden, die vor allem Tee und pflanzliche Arzneimittel herstellen. Mit dem Unternehmen haben die Betriebe von Beginn an Lieferverträge und eine vertrauensvolle Partnerschaft. Das gibt ihnen Sicherheit – auf beiden Seiten.

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