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Biogas als zweites ­Standbein?

Lesezeit: 7 Minuten

Milchviehhalter suchen nach zusätzlichen Einkommensquellen. Dabei entscheiden sich viele für den Bau einer Biogasanlage.


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Immense Höhenflüge und tiefe Talsohlen: Auch Milcherzeuger müssen künftig mit heftigen Preisschwankungen rechnen. Um auch bei extrem niedrigen Milchpreisen zahlungsfähig zu bleiben, stellen immer mehr Landwirte ihren Betrieb auf ein zweites Standbein.


Besonders beliebt bei den alternativen Einkommensquellen ist die Biogasproduktion. Das geänderte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bietet neben der festen Vergütung mit dem zusätzlichen „Gülle-Bonus“ eine lukrative Geldquelle – staatlich garantiert über 20 Jahre (vgl. Kasten unten). Für die gängigen Anlagengrößen von 150 bis 190 kW bedeutet das zusätzliche Betriebseinkommen von bis zu 50 000 € pro Jahr! Daher finden bundesweit immer mehr Milcherzeuger Interesse an der Stromerzeugung.


Das gilt besonders für Schleswig-Holstein, wo die Grundpreise für Milch schon seit Monaten bei teilweise nur noch 18 Cent/kg Milch umherdümpeln. „Die meisten der dieses Jahr geplanten 50 Anlagen entstehen in den Milchregionen. Die Landwirte suchen händeringend nach zusätzlichem Einkommen“, erläutert Dirk Wietzke von der Landwirtschaftskammer.


In Ostdeutschland ist die Situation ähnlich. „Wir schätzen, dass etwa die Hälfte der mindestens 100 Anlagen, die dieses Jahr ans Netz gehen, von Milcherzeugern betrieben werden“, sagt Albrecht Schünemann von der Deutschen Kreditbank (DKB) mit Sitz in Berlin.


Aber auch in Süd- und Westdeutschland steigt das Interesse der Milchbauern. In Baden-Württemberg werden dieses Jahr bereits 30 % der 70 neuen Biogas-anlagen von Milcherzeugern gebaut. „Nächstes Jahr werden es voraussichtlich sogar 45 % der bisher geplanten Anlagen sein“, prognostiziert Dr. Manfred Dederer vom Bildungs- und Wissenszentrum Boxberg.


In Nordrhein-Westfalen machen in diesem Jahr die Milchviehhalter etwa ein Drittel der ca. 45 Anlagenbauer aus. „Zwar liegt der Schwerpunkt weiterhin in den typischen Veredlungsregionen. Doch immer mehr Anfragen kommen auch aus den Grünlandregionen, also dort, wo die Milch sitzt“, erklärt Dr. Arne Dahlhoff, Biogasberater bei der Landwirtschaftskammer.


Biogas und Milch ergänzen sich


Die Anlagengröße ist meist von der Tierzahl auf den Betrieben abhängig. Denn um den „Gülle-Bonus“ zu nutzen, müssen Gülle beziehungsweise Festmist jeden Tag mindestens 30 % der Substratmenge ausmachen. „Deshalb ist ein klarer Trend zu güllebasierten Anlagen mit einer Leistung zwischen 100 und 250 kW erkennbar“, sagt Manuel Maciejczyk vom Fachverband Biogas. Beispielsweise fallen auf einem Betrieb mit 60 Kühen plus Nachzucht etwa 2 500 m3 Gülle pro Jahr an. Diese Menge würde für eine 150 kW-Anlage ausreichen, um den zusätzlichen Bonus zu kassieren.


Dass sich die Milchbauern für die Biogaserzeugung als zweites Standbein entscheiden, ist durchaus nachvollziehbar. Die beiden Produktionszweige bieten einige Gemeinsamkeiten und damit Synergieeffekte:


Die Tierhaltung liefert der Biogasanlage Gülle. So können Milcherzeuger den „Gülle-Bonus“ nutzen, der die Biogaserzeugung besonders lukrativ macht.


Viele Maschinen, bspw. zum Silieren oder Füttern, sind bereits vorhanden und müssen nicht zusätzlich angeschafft werden. Fahrsilos und Güllebehälter können ebenfalls von beiden Betriebszweigen genutzt werden.


In der Biogasanlage lassen sich auch spätere Grünlandschnitte einsetzen, die für die Fütterung von Kühen nicht geeignet sind.


Milcherzeuger sind tägliche Arbeitsroutinen gewöhnt.


Doch trotz der Synergieeffekte erwartet Schünemann keinen „Milchanlagen“-Boom: „Jetzt in die Biogaserzeugung einzusteigen ist nicht für alle Milcherzeuger interessant. Denn der Standort muss langfristig beide Betriebszweige versorgen können.“


Drei Knackpunkte


Den größten Knackpunkt sehen fast alle Berater in der Flächenausstattung. Denn auch wenn die Substratmenge aus mindestens 30 % Gülle bzw. Festmist bestehen muss, ist der Flächenbedarf immer noch relativ hoch. Grund: Der Gasertrag der Gülle ist vergleichsweise gering. „Für eine 200 kW-Anlage, die ausschließlich mit Maissilage betrieben wird, werden etwa 80 ha benötigt. Werden in der gleichen Anlage 30 % Gülle eingesetzt, sinkt der Flächenbedarf nur um 3,2 ha“, verdeutlicht Dr. Dahlhoff.


Somit sind die Betriebsleiter häufig auf die Zupacht von Flächen angewiesen. Allerdings haben die Pachtpreise insbesondere in den viehintensiven Regionen schwindelerregende Höhen erreicht, in manchen Gegenden ist gar keine Fläche zu bekommen. „Eine Alternative wäre der Zukauf der Substrate. Das ist aber sehr risikoreich, wie zuletzt das Jahr 2007 gezeigt hat, wo die Substratkosten explodiert sind“, sagt Dr. Dederer.


Zu einem Problem für Betriebe in Grünlandregionen kann auch der vorgeschriebene Gülleanteil werden. Da dieser jeden Tag einzuhalten ist, müssen Milcherzeuger eventuell die Weidehaltung der Kühe oder Jungrinder einschränken. Zudem ist Gras in der Biogasanlage tendenziell schwerer zu handhaben als Mais und die Anlagentechnik ist teurer.


Der Einstieg in die Biogasproduktion belastet aber auch die Arbeitskapazitäten des Betriebes. Viele Milchviehbetriebe stoßen bereits jetzt an ihre arbeitswirtschaftlichen Grenzen. „Eine 200 kW-Anlage erfordert aber zusätzlich 800 bis 900 Arbeitskraftstunden pro Jahr. Das sind gut zwei Stunden pro Tag. Denn nur mit einer optimalen Betreuung ist ein wirtschaftlicher Anlagenbetrieb möglich“, warnt Dr. Dederer. Eine Chance sieht der Berater allerdings darin, dass der Betrieb durch den Einstieg in die Biogaserzeugung einen (längst überfälligen) Mitarbeiter einstellt.


Um bei den derzeitigen Milchpreisen zahlungsfähig zu bleiben, knabbern viele Milcherzeuger bereits an ihren Reserven. Die Investition in die Biogasanlage verlangt jedoch meist viel Fremdkapital. Je nach Anlagengröße schwanken die Kosten zwischen 5 000 und 6 000 € pro kW. Das heißt, die komplette Investitionssumme inklusive Fahrsilo, Güllebehälter usw. beläuft sich schnell auf 1 Mio. €! „Vor allem für kleinere Betriebe sind das ganz neue Größenordnungen. Zudem sollten etwa 5 bis 10 % Eigenkapital eingebracht werden“, erklärt Schünemann. Der Anteil des Eigenkapitals könne aber auch durch Eigenleistungen und Fördermittel gedeckt werden.


Bei der Vergabe der Kredite zeigen sich die Banken aber relativ kooperativ. Als Sicherheit dient meist die Biogasanlage. Zudem wissen die Banken, dass durch die garantierte Einspeisevergütung regelmäßig Geld auf den Betrieb fließt.


Allerdings hat die auf 20 Jahre garantierte staatliche Einspeisevergütung auch einige Schattenseiten. „Die Vergütung ist gedeckelt, die laufenden Kosten werden inflationsbedingt aber steigen. Wir kalkulieren mit einem Anstieg der Betriebskosten von 1,5 % pro Jahr, was die Anlagen in der Regel jedoch tragen können. Dennoch sollte der Kredit nach spätestens 15 Jahren abbezahlt sein, damit die letzten Jahre keine Tilgungen mehr anstehen“, empfiehlt Schünemann.


Außerdem raten alle Berater den Milcherzeugern, auch über die Vermarktung der Abwärme nachzudenken. „Zwar ist momentan auch ohne Wärmekonzept meist ein wirtschaftlicher Betrieb möglich, langfristig sollte aber auch die zusätzliche Vergütung durch den Wärme-Bonus genutzt werden“, sagt Wietzke.


Noch 20 Jahre lang melken


Bedenken sollten Milcherzeuger auch, dass die Einspeisevergütung die Betriebsstrategie für die nächsten 20 Jahre festlegt. Das gilt nicht nur für Biogas, sondern auch für die Tierhaltung. „Wer auf den Gülle-Bonus setzt, muss auch die nächsten 20 Jahre noch melken. Denn ohne den Bonus laufen die Anlagen längst nicht so rentabel“, mahnt Schünemann.


Deshalb sollten seiner Meinung nur Milcherzeuger in die Biogasproduktion einsteigen, die eine rentable und moderne Milchproduktion betreiben. Dazu zähle, dass sie ihren Betrieb in den letzten Jahren weiterentwickelt haben und dies auch zukünftig planen. „Zudem hat sich gezeigt, dass gesunden, gut wirtschaftenden Milchviehbetrieben der Einstieg in die Biogaserzeugung leichter fällt. Keinesfalls sollte Biogas der letzte Rettungsanker für den Betrieb sein“, ergänzt Dr. Dahlhoff. Wichtig sei auch, dass die Betriebsleiter über ausreichend Technikverstand verfügen, „da sich die Fütterung eines Fermenters und einer Kuh doch erheblich unterscheiden.“


Betriebe, die den Einstieg in die Biogaserzeugung als Ausstieg aus der Milcherzeugung sehen, sollten dies bei der Berechnung der Wirtschaftlichkeit unbedingt beachten. „Zwar ließe sich die benötigte Gülle auch zukaufen, allerdings treiben lange Transportwege die Kosten in die Höhe“, warnt Dr. Dederer. Für die Substratbeschaffung empfiehlt der Berater langfristige Lieferverträge.


Wir halten fest


Durch den Einstieg in die Biogasproduktion wollen Milcherzeuger die niedrigen Milchpreise abfedern. Die staatlich garantierte Einspeisevergütung schafft zusätzliches Einkommen und Liquidität.


Allerdings läuft die Biogasanlage nicht „nebenbei“. Für einen wirtschaftlichen Betrieb ist eine intensive Betreuung, sprich Arbeitszeit, notwendig. Zudem benötigen die gängigen Anlagengrößen trotz des 30 %-igen Gülleanteils relativ viel Fläche. Außerdem müssen Milcherzeuger aufgrund der hohen Investitionskosten bereit sein, viel Fremdkapital aufzunehmen.


Wer über Biogas als zweites Standbein nachdenkt, sollte sich von Fachleuten gründlich beraten lassen. Auch sollte er sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen, da Biogas trotz vieler Parallelen zur Milchproduktion ein komplett neuer Betriebszweig ist.P. Liste

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