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Das Geschäft mit der„Gentechnik-freien“ Milch

Lesezeit: 10 Minuten

Immer mehr Molkereien verkaufen Gentechnik-freie Milch und Milchprodukte. Was bringt das wirklich? Wo liegen die Chancen und Risiken? Österreichs Molkereien verarbeiten seit Jahresanfang nur noch Gentechnik-freie Milch. Einmal, weil es der Verbraucher wünscht, aber auch, um den Markt vor Importen zu schützen. Jetzt schwappt diese Welle auch nach Deutschland und nimmt kräftig an Fahrt auf. Die Zahl der Molkereien, die auf Milch ohne Gentechnik setzen, steigt: FrieslandCampina, Berchtesgaden, Breisgaumilch, Allgäuland. In der Planung sind zudem Bauer, Ehrmann, Humana, und Zott. In erster Linie wollen die Unternehmen damit ihr Marken-Image pflegen und sich im Kühlregal des Handels abheben. Gleichzeitig kommt Druck vom Handel. So fordert der Discounter Lidl für die eigene Regionalmarke nur noch Milch ohne Gentechnik. Außerdem will man stärker auf die Verbraucherwünsche eingehen. Denn nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung, GfK, lehnen etwa 57 % der Verbraucher gentechnisch veränderte Lebensmittel ab: „Der Verbraucher ist massiv gegen Gentechnik bei Lebensmitteln. Diesem Wunsch wollen wir entgegen kommen“, erklärt z. B. Florian Bauer von der Privatmolkerei Bauer in Wasserburg. Er plant derzeit die schrittweise Umstellung der Produktion. Aufweichung der Kennzeichnungs-Regeln Losgetreten wurde diese Welle aber auch durch die deutliche Aufweichung des Gentechnik-Kennzeichnungs-Gesetzes für tierische Lebensmittel im Mai 2008 und dem von Bundesministerin Ilse Aigner eingeführten Logo „Ohne Gentechnik“. Dadurch ist es mittlerweile sehr einfach geworden, Milch, Fleisch und Eier „ohne Gentechnik“ auszuloben. So muss dafür lediglich ein paar Monate vor der Schlachtung oder Milchanlieferung auf genverändertes Futter verzichtet werden. Dieser Umstellungs-Zeitraum beträgt z.B. für Mastrinder zwölf Monate vor der Schlachtung, für die Milchgewinnung drei Monate. Und auch innerhalb dieser Frist werden im Futter noch 0,9 % genveränderte Bestandteile als zufällige oder technisch nicht vermeidbare Beimischungen toleriert. Trinkmilch ohne Gentechnik kann deshalb heute im Handumdrehen durch die Umstellung der Fütterung produziert werden, so dass die Molkereien damit relativ schnell an den Start gehen können. Damit geht die Rechnung der Politik, dem Verbraucher in kurzer Zeit Produkte ohne Gentechnik anbieten zu können, zumindest bei der Trinkmilch auf. Für höher veredelte Produkte wie beispielsweise Joghurt oder Sahne gelten aber immer noch strengere Regeln für die Umstellung. Hier müssen alle Zuta-ten so gut wie frei sein von Beimischun-gen (maximal 0,1 %) und sie dürfen auch nicht mit Hilfe von gentechnisch-veränderten Mikroorganismen hergestellt sein. Früher war die Gesetzgebung für die Kennzeichnung von Lebensmitteln deutlich schärfer. Für die Auslobung „ohne Gentechnik“ musste der gesamte Produktionsprozess Gentechnik-frei sein. Diese Auflage konnten nur sehr wenige Produkte erfüllen, da z. B. in der Milchproduktion und Verarbeitung gentechnische Verfahren längst Einzug gehalten haben. So zum Beispiel bei Futtermittel-Zusatzstoffen oder auch bei Lab und Bakterienkulturen für die Käseherstellung. Die Molkereien beziehen einen Teil ihres Labbedarfs aus Neuseeland und Australien, wo Gentechnik zur Produktionsstei­gerung Standard ist: „Diese Produkte werden in der Milchverarbeitung zwar nicht bewusst eingesetzt. Doch Verschleppungen kann man nicht ausschließen“, erlärt Johann Peschek von der Molkereischule in Kempten. Für die Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ spielen diese Dinge heute allerdings keine Rolle mehr. Auch Tierarzneimittel, die mit Hilfe von Gentechnik herstellt wurden, sind heute erlaubt. Rapsschrot statt Soja Der Schritt zur Gentechnik-freien Fütterung ist vor allem für Bauern in Grünlandgebieten, wie z. B. im Alpenvorland oder im Allgäu, kein Problem. Einen etwas größeren Aufwand haben dagegen Betriebe in Ackerbaugebieten. Ohne Gentechnik zu füttern, heißt für sie: entweder GVO-freies Soja einzusetzen oder auf heimische Eiweiß-Futtermittel wie Raps oder Schlempen umzusteigen. Für GVO-freies Soja muss derzeit ein Aufpreis von 2,50 bis 4 €/dt, z. T. sogar bis 7 €/dt in Kauf genommen werden. Diese Mehrkosten entstehen vor allem durch einen höheren Aufwand für getrennte Lagerung und Transport. Beim Landliebe-Programm von FrieslandCampina ist Soja sogar ganz verboten. Außerdem schreibt das Molkereiunternehmen, das im Herbst 2008 deutschlandweit die erste Trinkmilch ohne Gentechnik auf den Markt gebracht hat, die Fütterung mit europäischen Futterpflanzen vor. Und da in Europa der Anbau von Futterpflanzen mit gentechnischer Veränderung ohnehin verboten ist, wird mit dieser Vorgabe automatisch eine Fütterung ohne Gentechnik sichergestellt. Probleme bei der Futterumstellung auf den Betrieben habe es bisher kaum gegeben: Nur ein bis zwei von insgesamt 1 000 Betrieben im Programm seien mit der neuen Fütterung nicht zurechtgekommen, heißt es bei Campina. Die Betriebe stehen über ein Daten-Austauschprogramm ständig mit der Molkerei in Kontakt, was die Kontrolle auf beiden Seiten erleichtere. Bevor die Erzeuger ihre Milch abliefern dürfen, müssen sie sich einer umfangreichen Zertifizierung unterziehen. Die nicht unerheblichen Kosten dafür trägt in der Regel die Molkerei. Die Berchtesgadener Molkerei beziffert die Zertifizierungskosten für ihre rund 1 800 Erzeuger auf bis zu 60 000 €. Die Lieferanten müssen lückenlos den Bezug und den Einsatz der Futtermittel dokumentieren. Bei Landliebe muss ein Rückstellmuster von jedem zugekauften Futtermittel gezogen werden. Eine unabhängige Kontrollstelle überprüft den Betrieb im Auftrag der Molkereien regelmäßig. In der Regel haftet jede Stufe in der Kette dafür, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Molkereien sichern sich ihrerseits über spezielle Verträge bei den Milcherzeugern ab, denn letztlich sind sie haftbar, wenn das Lebensmittel im Regal falsch deklariert sein sollte. Neben der getrennten Erfassung und Verarbeitung der Milch sind sie auch für den Aufbau eines lückenlosen Rückverfolgungs-Systems zuständig. Zuschläge für die Bauern? Die Mehrkosten für die Fütterung, Dokumentation und Kontrolle auf den Betrieben schätzen Experten auf mindestens 0,5 Ct/kg Milch. Mit den bisher von den Molkereien gezahlten Zuschlägen scheinen die Milchviehhalter auf ihre Kosten zu kommen: Bei der Molkerei Schrozberg erhalten die 20 Lieferanten des „Ohne Gentechnik“-Programms für ihren Mehr-Aufwand einen Zuschlag von 2 Ct/kg. Bei FrieslandCampina gibt es 1 Ct/kg oben drauf: „Mit diesem Aufschlag sind die Mehrkosten durch das teurere Futter abgedeckt“, ist Michael Feller von FrieslandCampina in Heilbronn sicher. Marktposition stärken Eine ökonomische Betrachtung durch ein unabhängiges Institut habe ergeben, dass die Mehrkosten aktuell unter 1 Ct seien und dem Landwirt damit ein geringer Mehrwert verbleibe. Der Zuschlag werde jährlich anhand der Kostensituation neu kalkuliert. Bisher dämpfen die Molkereien die Erwartungen an höhere Erlöse: „Ich gehe nicht davon aus, dass wir mit Produkten ohne Gentechnik höhere Preise erzielen können. Allerdings werden wir damit unsere Marktstellung gegenüber den Wettbewerbern stärken können“, so Florian Bauer von der Molkerei Bauer. Auch Michael Feller von FrieslandCampina schätzt die Chance auf Mehrerlöse nüchtern ein: „Landliebe ist bereits im Hochpreissegment platziert. Da ist es schwer, noch einen höheren Erlös zu erzielen. Langfristig brauchen wir den natürlich, denn unser Aufwand ist deutlich höher.“ Die Landliebe-Milch ohne Gentechnik bewege sich im selben Preissegment wie zuvor: Landliebe-Frischmilch (3,8 % Fett) steht derzeit für 99 Ct/l im Regal, H-Milch (3,8 %) kostet 95 Ct/l. Mehr als zufrieden ist FrieslandCampina aber mit der Absatzentwicklung der neuen Schiene: Seit der Markteinführung konnte der Absatz von Landliebe-Milch ohne Gentechnik um 15 % gesteigert werden. „Auch in Zukunft rechnen wir mit einem Wachstum in Höhe von 6 bis 12 %!“, ist Feller optimistisch. Gerade wurde das Sortiment um Naturjoghurt, Sahne, Butter und Schichtkäse erweitert. Weitere Produkte wie z. B. Fruchtjoghurt sollen folgen. Von kontinuierlich steigendem Ab-satz berichtet auch Friedhelm Vogt, Geschäftsführer der Molkerei Hohenlohe-Franken in Schrozberg, der seit zweieinhalb Jahren die Milch für die Handelskette tegut abfüllt. Bisher macht der Absatz rund 15 % der Gesamtmenge der Genossenschaftsmolkerei aus. Das sind etwa 6 Mio. kg jährlich. Zwei-Klassen-Milch Doch nicht alle in der Branche sehen das Geschäft so optimistisch wie diese Pioniere. Viele Insider sehen das gute Image der Milch gefährdet und die konventionelle Milch abgewertet. Von der Zwei-Klassen-Milch ist die Rede. So warnt Susanne Nüssel vom Verband der Bayerischen Privaten Milchwirtschaft: „Das Image der Milch wird verschlechtert, da der Zusammenhang zur Gentechnik hergestellt wird. Bisher wurden keine gentechnisch veränderten Bestandteile in der Milch nachgewiesen, die über das Futter in die Milch gelangen können.“ Sie verweist auf die aktuellen Ergebnisse eines Langzeitversuchs aus Grub, die dies untermauern (s. Kasten). Mit Skepsis reagieren auch einige Bio-Molkereien auf den neuen Trend. Sie befürchten einen Verdrängungswettbewerb, vor allem, wenn die neue Gentechnik-freie Milch günstiger ist als Biomilch, die per se Gentechnik-frei ist. Um sich im Regal noch abheben zu können, zögern manche, das neue Aigner-Logo auf ihre Produkte zu drucken. Aber auch Molkereien, die konventionelle Milch verarbeiten, können sich nur schwer mit dem Logo anfreunden. FrieslandCampina setzt bei der Landliebe-Schiene auch in Zukunft auf das eigene Logo. „Zu viele Detailfragen sind bei dem Aigner-Logo noch ungeklärt“, so Konzernsprecherin Sibylle Erhardt. Bei Humana möchte man die Gentechnik-freie Fütterung der Lieferanten für die Schulmilch und Babynahrung auf den Produkten überhaupt nicht erwähnen: „Unsere Marketing-Abteilung hat sich entschieden, andere Aussagen in den Vordergrund zu stellen“, teilt eine Humana-Sprecherin mit. Vor allem Unternehmen mit starken Marken fürchten um ihre Glaubwürdigkeit: „Die umfassende Auslobung „ohne Gentechnik“ schürt beim Verbraucher Erwartungen, denen die Produkte nicht standhalten“, erklärt Dr. Claudia Döring vom Deutschen Raiffeisenverband in Berlin. Sie bezieht sich damit unter anderem auf eine Studie der Universität Gießen aus dem Jahr 2009. Danach verbindet der Verbraucher mit dem neuen Logo die vollständige Abwesenheit von Gentechnik auf allen Stufen der Produktionskette und nicht nur das zeitweise Verbot einzelner Gentechnik-Anwendungen. „Dem Verbraucher wird Transparenz und Wahlfreiheit suggeriert, die er gar nicht hat. Für die Branche kann das schnell zum Bumerang werden“, kritisiert Döring (s. S. R 10). Problem Verschleppung Ein weiteres ungelöstes Problem ist die Haftung bei Verschleppungen, denn zufällige oder technisch unvermeidbare Einmischungen gentechnisch veränderter Bestandteile sind in den weltweiten Handelsströmen der Futtermittelrohstoffe nicht mehr auszuschließen. Wer z.B. GVO-freies Soja einsetzen will, muss immer mit geringfügigen Verschleppungen und Vermischungen mit gentechnisch-verändertem Soja rechnen. „Schon allein aufgrund der geringen Menge an nicht-kennzeichnungspflichtigem Soja aus Übersee kann eine getrennte Logistik gar nicht gewährleistet werden“, sagt Bernd Krüsken vom Deutschen Verband Tiernahrung (DVT). GVO-freies Soja ist mit 20 Mio. t ein Nischenmarkt. Die nach wie vor geltende Nulltoleranz in der EU verschärft das Problem zusätzlich. Kein Importeur will das Risiko eingehen, dass komplette Lieferungen aufgrund geringfügiger Beimischungen von nicht zugelassenen Sojasorten zurück geschickt werden. Aber auch wer ganz auf Soja verzichtet, ist vor künftigen Rohwaren-Engpässen nicht gefeit. Die Ölmühlen könnten z.B. jederzeit aus Kostengründen auf genveränderten kanadischen Raps zurückgreifen. Hinzu kommt, dass man bei der Fütterung im Hochleistungsbereich mit Raps sehr schnell am Limit fährt. Dr. Michael Baum, Fütterungsexperte bei Agravis in Münster: „Bei einem Leistungsniveau von 10 000 kg Milch und mehr spielt das Aminosäuremuster der Futtermittel eine zunehmende Rolle. Und da ist Soja eine der wichtigsten Lysinquellen.“ Obwohl mit FrieslandCampina bereits ein großes Molkereiunternehmen voran geht und einzelne Markenhersteller nachziehen, bezweifeln Experten, dass Milch künftig in Deutschland flächendeckend ohne Gentechnik produziert wird. Wird Bayern GVO-frei? Die Diskussion darüber wird derzeit vor allem bei Markenartiklern im Süden geführt. Nur bei wenigen norddeutschen Molkereien wie z. B. Humana ist die GVO-Freiheit bisher ein Thema. Die Nordmilch findet den Ansatz zwar interessant, man wolle das Interesse der Verbraucher und die Entwicklung am Markt aber erstmal beobachten, heißt es. Der Milch-Industrie- Verband rechnet auf lange Sicht mit einem Marktanteil von maximal 5 %. Paul Ritter von Allgäuland bringt es auf den Punkt: „Das Geschäft ist ausbaufähig, aber kein Massengeschäft. Weil der Verbraucher zwar GVO-Freiheit wünscht, aber nicht in größerem Stil kauft.“ Vorstellbar ist, dass sich Regionen wie etwa Bayern im Rahmen einer Tourismusstrategie komplett für die Umstellung entscheiden. Florian Bauer ist überzeugt: „Milch ohne Gentechnik wird in Bayern in zwei bis drei Jahren Standard. Das ist ein Wettbewerbsvorteil gegenüber der Milch aus dem Norden!“ S. Lehnert

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