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Ein Drama ohne Ende

Lesezeit: 4 Minuten

Jetzt schlage ich mich schon fünf Jahre mit viszeralem Botulismus in der Herde herum, aber die Ursache ist immer noch nicht abgestellt, klagt Milchviehhalter Hermann Bormann aus Hilgermissen bei Nienburg. Der Schaden ist immens: Bisher sind über 200 Tiere verendet. Die Milchleistung ist von 10 000 kg auf knapp 6 000 kg eingebrochen, die Fruchtbarkeitsprobleme und Stoffwechselstörungen sind gravierend. Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen beziffert den in den ersten vier Jahren entstandenen Schaden auf über 320 000 E. Hinzu kommt, dass der Landwirt selbst an Botulismus erkrankt ist und durch Konzentrationsschwächen, Kopfschmerzen, Sehstörungen und Schleimhautentzündung phasenweise gar nicht arbeiten kann. Tod aus dem Kraftfutter? Als Ursache vermutet der Landwirt eine verunreinigte Kraftfutterlieferung im Jahr 2001 sowie ständige Staub-Emissionen aus einem benachbarten Kraftfutterwerk. Hinzu kommen eine lange Verkettung von unglücklichen Umständen und die Ignoranz vieler Beteiligter: Der Rest der Kraftfuttercharge wurde zwar vom Mischfutterwerk sofort wieder abgeholt. Sein langjähriger Fütterungsberater ließ sich nach den ersten Vorfällen aber nicht mehr auf dem Hof blicken. Bei meiner damaligen Hoftierärztin gingen die Untersuchungsergebnisse der Getreidemischung angeblich verloren. Und die Ergebnisse der mikrobiologischen Untersuchung der Sondermischung wurden mir von der Tierärztlichen Hochschule in Hannover erst fast zwei Jahre später ausgehändigt, zählt der Landwirt auf. Trotz eindeutiger Diagnose zeigten die eingeleiteten Therapie- und Impfmaßnahmen keine durchschlagende Wirkung. Auch die Umstellung der Futterration, die Gülledüngung ausschließlich auf Ackerflächen und die Einhaltung besonderer Hygienemaßnahmen, haben wenig gebracht. Mit dem Einsatz von Calcium- Bentoniten als Toxinbinder im Futter konnte die Situation zwar stabilisiert werden, trotzdem kommt es bis heute regelmäßig zu neuen Krankheitsschüben mit Tierverlusten. Auch die Tierärzte und Wissenschaftler vermuten, dass die Erkrankung durch die Kraftfuttercharge im Melkstand im Mai 2001 ausgelöst wurde. Doch für sie ist ein Rätsel, warum die Probleme trotz Futterwechsel immer wieder auftreten. In diesem Jahr sind schon wieder 16 Tiere eingegangen, berichtet Bormann. Ist Getreidestaub die Ursache? Bormann hat bezüglich der Ursache eine Vermutung: Durch die regelmäßigen Staub-Emissionen des benachbarten Mischfutterwerks wird das bereits geschwächte Immunsystem der Tiere immer slwieder aufs Neue belastet. Vor allem bei entsprechender Windrichtung und in der Erntezeit komme es deshalb häufig zu neuen Gesundheitsproblemen in der Herde, so seine Beobachtung. Tierarzt Jan Flatemersch sieht das ähnlich: Vermutlich flammt die unterschwellig vorliegene Infektion durch Immissionen immer wieder neu auf. Die Gesundheitslage kann sich so nicht stabilisieren. Auch Bormanns jetziger Hoftierarzt Dr. Ernst Grimmelmann sowie Dr. Birgit Schwagerick vom Rindergesundheitsdienst Mecklenburg-Vorpommern, stützen diese Theroie: Bei leberbedingter Immunschwäche reichen geringe Botulinumtoxin- Dosen für eine klinische Wirkung, erklärt Dr. Schwagerick, die den Fall im September 2004 vor Ort untersucht hat. Der Verdacht eines ständigen Toxineintrages wird durch Untersuchungen bestätigt, bei denen in Pflanzen und im Boden um das Mischfutterwerk nicht spezifizierte Fusarientoxine und Bakterien der Gattung Clostridien perfringens gefunden wurden. Beim Kraftfutterwerk will man von solchen Vorwürfen nichts wissen: Wir sehen keinen kausalen Zusammenhang zwischen eventuell auftretenden Emissionen aus unserem Werk und den Problemen im Betrieb Bormann. Wir produzieren seit Jahren ordnungsgemäß nach ISO-Qualitätsnormen, der Getreidestaub liegt innerhalb des tolerierbaren Bereiches. Daher sehen wir keinen Handlungsbedarf, erklärt der Geschäftsführer. Die Kraftfuttercharge vom Mai 2001 sei damals untersucht worden, mit negativem Ergebnis. Bormann fühlt sich mit seinen Problemen von den berufsständischen Verbänden und Organisationen allein gelassen: Vom Landvolk Mittelweser hat sich bisher keiner bei mir blicken lassen, obwohl sie meine Situation kennen. Auch von der Raiffeisengenossenschaft Nienburg gab es keine Unterstützung, beklagt der Milchviehhalter. Die Antwort des Gesundheitsamts Nienburg/Weser, das sich um die Emissionsmessungen kümmern wollte, lasse auch seit Monaten auf sich warten. Entschädigung fraglich Ungeklärt ist zudem weiterhin, wer für den Schaden aufkommt: Die Niedersächsische Tierseuchenkasse gewährt eine Ausgleichszahlung im Rahmen der Härtebeihilfe nur, wenn Botulismus als alleinige Ursache einwandfrei nachgewiesen ist. Der Sektionsbericht reiche als Nachweis nicht aus, wenn noch andere Ursachen für das Krankheitsbild in Frage kommen. Von der Vereinigten Tierversicherung (VTV) hat Bormann gegenwärtig nichts zu erwarten, da sie sich auf eine verspätete Schadensmeldung beruft und weil die viszerale Form des Botulismus nicht unter den Versicherungsschutz falle. Die erste Klage wurde zugunsten der VTV entschieden. Bormann will dagegen jetzt Berufung einlegen. Ein vorzeitiger Rentenantrag durch Erwerbsunfähigkeit wurde von der niedersächsischen Berufsgenossenschaft im Frühjahr 2006 vorerst abgelehnt, da die Krankheit noch nicht als Berufskrankheit anerkannt sei. Man wolle erst neue Versuchsergebnisse über die Krankheit abwarten, heißt es. Unterdessen geht das Drama auf dem Betrieb weiter: Seit dem Sommer hat sich die Gesundheitslage in der Herde und auch bei Bormann selbst nochmal verschärft. Aus Verzweiflung hat der Landwirt jetzt Minister Seehofer in einem Brief um Hilfe gebeten. Eine Antwort steht noch aus.

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