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Grenzenlose Freiheit?

Lesezeit: 9 Minuten

Große Liegeflächen statt einzelner Liegeboxen? Kompost-Matratze oder Sand-Einstreu statt Stroh und Sägemehl? In Holland suchen Bauern und Wissenschaftler nach neuen Stallkonzepten für die Kühe.


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Die Kuhställe der Zukunft sind anders. Mehr Kuhkomfort sollen sie bieten, weniger Euter- und Klauenerkrankungen verursachen sowie die Verluste an Ammoniak und Treibhausgasen reduzieren. Aber gleichzeitig müssen die Ställe in puncto Arbeitswirtschaft und Ökonomie einfach und effizient zu bewirtschaften sein.


Die Lösung könnten Freilaufställe sein, bestehend aus einer großen Liegefläche – ohne Liegeboxen und ohne Abtrennungen. Vielleicht sogar mit integrierten Futter- und Melkrobotern. Das glauben zumindestens einige Wissenschaftler und Bauern in Holland.


„Der Freilaufstall ist die beste Alternative zum traditionellen Boxenlaufstall“, ist sich Paul Galama sicher. Er ist Leiter des Projekts „Freilaufställe“ der Animal Science Group an der Universität Wageningen, in dem Wissenschaftler und Milcherzeuger gemeinsam nach neuen Stallkonzepten suchen.


Abgase und Tierschutz verändern Stallbau


Aber warum soll der bewährte Boxenlaufstall plötzlich ausgedient haben? In den Niederlanden treiben vor allem die höheren Auflagen beim Stallbau die Veränderungen an. So schreibt der nationale Ammo­niak-Plan eine deutliche Reduzierung der Ammoniak-Emissionen aus Kuhställen vor. Normaler Spaltenboden ist in Neubauten bei ganzjähriger Stallhaltung schon ab 2012 verboten. Emissionsarme Stallböden sind gefragt, der Staat will klimafreundliches Bauen fördern.


Auf der anderen Seite rechnen die Wissenschaftler aufgrund der EU-Pläne mit schärferen Haltungsvorschriften für Milchkühe. „Nicht nur ein Anbindeverbot ist denkbar, wie in Dänemark, auch Vorgaben zur Größe der Liegefläche pro Kuh für neue Ställe könnten kommen. Eine einzelne Liegebox könnte dann nicht mehr dem Standard entsprechen, daher müssen wir neue Systeme ausprobieren, die weniger Emissionen und mehr Tierkomfort versprechen“, sagt Galama.


Ideen aus Israel und Amerika


Neue Ideen dazu hat man in Israel und den USA bereits umgesetzt. „In Israel ist die Idee des Freilaufstalls schon weit fortgeschritten. Dort gibt es kaum Kuhställe mit Liegeboxen. Vielmehr bestehen die Kuhställe aus großen, mit getrocknetem Mist eingestreuten Flächen, die meist täglich mit einer Fräse oder Egge bearbeitet werden“, so der israelische Architekt Yehuda Sprecher. Fast 95 % der is-raelischen Kuhställe sind so konzipiert.


Die Ställe haben einen zentralen Futtergang, links und rechts befinden sich jeweils große überdachte Liegeflächen (siehe Zeichnung). An der Stirnseite der Ställe oder mittig kann jeweils ein Melkroboter platziert werden. Den Tieren steht eine Fläche zwischen 13 und 20 m2 je Tier zur Verfügung.


Der Unterbau besteht meist aus Sand und Schotter. Eingestreut wird mit getrocknetem Mist. Das Bodenmanagement läuft sehr unterschiedlich ab. Die teilweise bis zu 100 cm dicken Einstreu-Schichten werden ein- bis dreimal täglich 20 bis 40 cm tief kultiviert. Die Anbaugeräte zum Kultivieren der Böden sind fast alle von den Betrieben selbst entwickelt worden.


Ein Teil der Betriebe mistet die Ställe jährlich. Andere Betriebe haben seit zehn Jahren nicht mehr entmistet, so dass die Matratze jährlich um einige Zentimeter wächst.


Die israelischen Betriebe sind begeistert von ihrem System. Die Milchleistungen sind hoch (durchschnittlich 11 461 kg Milch pro Kuh), Fundamentprobleme selten. Die Zellzahlen sind stabil geblieben. Die Abgangsraten von 25 % sind im Vergleich zu Deutschland unterdurchschnittlich, wie eine Auswertung der niederlän-dischen Forschungsgruppe auf mehreren israelischen Betrieben zeigt.


Unterschiede zwischen den Betrieben gibt es in puncto Sauberkeit der Kühe, was vor allem auf die Bewirtschaftung der Liegeflächen zurückzuführen ist. Nur regelmäßiges Kultivieren garantiert einen gut funktionierenden Freilaufstall. Vorteilhaft in Israel ist sicherlich das trockene Klima.


Die Kompostställe in den USA sind oft zweigeteilt. Längs des Futtertisches ist ein 3 m breiter Fressgang betoniert. So wird verhindert, dass der Kompost am Futtertisch zu feucht wird. Der Fressgang wird täglich gereinigt und ist durch eine Mauer von der Liegefläche getrennt. Mehrere Durchlässe ermöglichen es den Kühen, zwischen Futtergang und Liegefläche zu wechseln. Die Liegefläche bietet jeder Kuh zwischen 7,5 und 9,2 m2 Platz. Seit 2001 gibt es vor allem im Raum Minnesota Kompostställe. Inzwischen sind es schon über 70.


Die Matratze besteht aus Sägespänen und Sägemehl. Zweimal täglich wird die gärende Matratze bis zu einer Tiefe von 25 cm bearbeitet. In den Ställen sind Ventilatoren angebracht, die den Luftaustausch fördern und Wärme und Feuchte aus dem Stall blasen. Gelingt es nicht, den Stall trocken zu halten, werden Sägemehl oder Sägespäne nachgestreut.


Die Eutergesundheit in den Freilaufställen hat sich nicht verändert. Lahmheiten (7,8 %) treten im Vergleich zu normalen Boxenlaufställen (ca. 26 %) weniger auf.


Freilaufställe auch bei uns?


Doch lassen sich diese Stallkonzepte 1:1 auf die Niederlande und Deutschland übertragen?


„Sicherlich nicht, verglichen mit Nordwest-Europa ist die Sonneneinstrahlung in Israel doppelt so stark und die durchschnittliche Luftfeuchtigkeit ist 10 % geringer“, sagt Galama. Den Boden in unseren Breiten trocken zu halten, ist die größte Herausforderung.


Unabhängig davon, aus welchem Material der Boden besteht, muss die Feuchtigkeit möglichst schnell entfernt werden, damit die Oberfläche trocken bleibt. Ist der Boden feucht oder sogar nass, sind Mastitis- und Klauenprob­leme vorprogrammiert.


Um den richtigen Boden für das nordwesteuropäische Klima zu finden, testen die Wissenschaftler an drei Versuchsstationen in den Niederlanden seit Anfang 2009 verschiedene Verfahren (s. Kasten).


In Lelystad wird ein Kompostsystem aus Sägemehl und Sägespänen getestet, bei Aver Heino ein Liegebett aus Lavastein und Sand und in Zegveld eine Matratze aus geschnittenem Schilf und Lehmboden. In allen Versuchsställen werden ca. 15 bis 20 Kühe gehalten. Rund 12 m2 pro Kuh stehen zur Verfügung.


Die Versuchsställe mit einem Sandboden bzw. einem Boden aus Lehmboden (Klei) und Schilf haben vor allem arbeitswirtschaftliche Nachteile, da die Sandböden per Hand gereinigt werden müssen bzw. das Lehm-Schilf-Gemisch nur mit viel Aufwand eben gehalten werden kann. Zudem führten die unterschiedlichen Bodensysteme sogar zu höheren Ammoniakemissionen (Sand) und zu stärkeren Verschmutzungen der Kühe (Lehm und Schilf).


Kompost funktioniert


Nur der Kompoststall aus Sägemehl und Sägespänen scheint auch unter hiesigen Bedingungen zu funktionieren.


Für den Aufbau der Matratze wurde auf dem Versuchsbetrieb in Lelystad eine Mischung aus Sägemehl und Sägespänen (ca. 35 % Trockensubstanz) Schicht für Schicht bis zu einer Höhe von ca. 50 cm eingebracht, so wie es in den US-Ställen praktiziert wird. Durch den Kot und Urin der Tiere fängt die Matratze an zu gären.


Um die Liegefläche einzuebnen und die Gärung zu kontrollieren, wird die Matratze ein- bis zweimal täglich mit einer angehängten Fräse oder Egge bis zu einer Tiefe von 20 bis 25 cm aufgelockert. So gelangt Luft in die Matratze, die für die aeroben Bakterien wichtig ist. Für das Durchmischen werden rund fünf bis zehn Minuten benötigt.


Die Temperatur in der Matratze kann durch die Vergärung bis zu 50 °C erreichen. Die entstehende Wärme sorgt dafür, dass die obere Auflage der Matratze trocken bleibt. Gleichzeitig sollen so krankmachende Keime abgetötet werden.


Zusätzlich ist eine ausreichende Belüftung durch eine offene Stallbauweise (Curtains) und Ventilatoren wichtig, da sonst vor allem bei feuchter Witterung keine ausreichende Trocknung des oberen Teils der Matratze erfolgt.


Bislang ist der Stall in Lelystad ausreichend trocken geblieben, so dass nur vereinzelt nachgestreut werden musste. Galama: „Wir empfehlen allerdings, den Stall halbjährlich auszumisten und eine neue Matratze aus Sägemehl und Sägespänen aufzubauen.“


Der Ammoniak-Ausstoß ist nach ersten Messungen etwas geringer als in einem traditionellen Stall, dagegen ist der Methan-ausstoß erhöht. Zur Entwicklung der Eu­tergesundheit können die Forscher derzeit noch keine Aussagen machen.


Knackpunkt der Variante mit Sägemehl sind die Kosten. „Denn Sägemehl und Sägespäne sind in den Niederlanden knapp und teuer“, versichert Galama. Daher prüfen die Wissenschaftler zusätzlich auf dem Betrieb von Pascal und Gerrit Peeters im niederländischen Dorst auch eine Variante mit Fertig-Kompost aus gehäckselten Holz- und Heckenresten.


Peeters haben 2009 den ersten Kompoststall in der Praxis gebaut. Er wurde ausschließlich mit Kompost (45 bis 50 % Trockensubstanz) aus einem Kompostwerk eingestreut. Die Erfahrungen sind bislang gut (s. Seite R 11). Vorteil dieser Variante: Der Kompost ist deutlich günstiger als die Variante mit Sägemehl und Sägespänen. „Denkbar wäre aber auch eine Einstreu aus getrockneten Gärresten, die bislang aber noch nicht geprüft wurde“, erklärt Galama.


Kosten der Einstreu entscheidet


Die Kompostvariante aus Sägemehl und Sägespänen scheint also auch unter unserem Klima zu funktionieren. Doch wie wirtschaftlich ist der Einsatz? Wie teuer darf die Einstreu sein? Letztlich entscheiden die Einstreukosten über die Rentabilität der Kompostställe, das gilt vor allem für Gebiete wie die Niederlande, in denen das Sägemehl teuer ist.


Um die Wirtschaftlichkeit zu prüfen, haben die Wissenschaftler der Uni Wageningen die Baukosten und laufenden Kosten eines konventionellen Spaltenstalls mit einem Kompoststall mit günstiger und teurer Einstreu verglichen (Übersicht 1, Seite R 8 ). Dabei bewegen sich die Baukosten für einen Kompoststall auf dem Niveau eines normalen Boxenlaufstalls.


Zwar ist die überbaute Fläche der Kompostställe deutlich größer anzusetzen, da sie in westeuropäischen Klimaten schon 15 bis 20 m2 Liegefläche pro Kuh benötigen (in trockenen Klimaten reichen 7 bis 10 m2 pro Kuh). Aber der teure Unterbau beim konventionellen Spaltenstall sorgt letztlich für gleich hohe Investitionskosten von ca. 3 452 €/Kuh beim Spaltenstall und 3 424 €/Kuh beim Kompoststall. Kalkuliert wurde mit 240 Stallplätzen.


Der größte Knackpunkt in puncto Rentabilität sind die Kosten für die Einstreu (Übers. 2). Gibt es Kompost, Gärreste, Sägemehl oder -späne zum Nulltarif, ist der Kompoststall pro Kuh und Jahr 35 € günstiger. Wenn allerdings für die Einstreu 110 €/Tonne gezahlt werden, wie in den nördlichen Niederlanden, ist der Kompoststall 65 € pro Kuh und Jahr teurer.


Die potenziellen Vorteile der Freilaufställe in puncto Lebensdauer der Kühe und einem geringeren Aufwand für Mastitis und Klauenbehandlungen kalkulieren die Wissenschaftler mit ca. 182 €/Kuh. Sie gehen davon aus, dass die Leistung pro Kuh und Jahr um 250 kg ansteigt und die Abgangsrate um 10 % auf 20 % sinkt.


Fazit


Die Holländer suchen nach neuen Konzepten für Kuhställe. Der Freiraumstall, wie er in Israel und den USA schon praktiziert wird, ist eine Alternative. Wesentliche Ziele wie höherer Tierkomfort, ge-ringere Ammoniak-Emissionen und effiziente Arbeitswirtschaft, werden im Kom-poststall erreicht. Offen ist, welches Bo-denmaterial dauerhaft funktioniert und ob es in ausreichender Menge kostengünstig verfügbar ist. Offen ist auch, ob unter unseren Klimabedingungen eine gute Euter- und Klauengesundheit sichergestellt werden kann. Ansgar Leifker

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