Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

topplus Aus dem Heft

Irisches Weidesystem mitten in Brandenburg

Lesezeit: 8 Minuten

Ein Dach über dem Kopf haben die 850 Kühe der Emster Land mbH meist nur beim Melken. Denn Paul und Stephen Costello führen ihren Betrieb „auf irische Art“.


Das Wichtigste zu den Themen Rind + Milch mittwochs per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Die Brüder Paul und Stephen Costello haben das irische Weidemanagement in Brandenburg etabliert: 850 Kühe, 200 Tage Vollweide, kein Stall.


Dafür stellen sie die Emster Land mbH in Kloster Lehnin bei Potsdam seit Kauf dieses Betriebs vor zwei Jahren um. „80% unserer gesteckten Ziele haben wir bisher erreicht“, berichtet Paul Costello. Dabei kümmern sich die Unternehmer selbst um die überbetriebliche Organisation. Denn zusätzlich zu dem Kuhbetrieb und 1500 ha Acker- und Grünland besitzen sie große Sauenanlagen in Brandenburg und in Irland.


Vor Ort trägt Betriebsleiter Kevin Kearns mit zehn weiteren Angestellten und Saisonarbeitskräften die Verantwortung für die Kühe.


Weideführung per Software


Der Betrieb ist von rund 500 ha Grünland und Ackergras umgeben. 70% der Flächen sind Niedermoorschläge, 30% sandige Böden. „Das sind optimale Bedingungen für unser System. Man muss sie nur nutzen“, erklärt Paul Costello.


Ein irisches Weidemanagementprogramm organisiert die intensive Beweidung der Fläche. Alle Flächen sind in dem Programm in Parzellen aufgeteilt. Jede Parzelle bewirtschaften die Mitarbeiter teilflächenspezifisch. Wegenetze, Wasserverfügbarkeit und Zaunstruktur sind hinterlegt.


Betriebsleiter Kevin Kearns misst mindestens wöchentlich, oft auch täglich, mit einem „Plate-Meter“ die Aufwuchshöhen aller Weideflächen. „Für bis zu 30 Messungen pro Fläche kommen schnell mal 15 km Laufstrecke für Kevin zusammen“, lacht Stephen Costello.


Das Messgerät übermittelt diese Daten direkt an die Weidemanagement-Software. Diese berechnet dann Anhand der Aufwuchshöhen den Ertrag pro ha und pro Parzelle. Als Ergebnis liegt Kearns eine detaillierte Übersicht der aktuellen Ertragssituation jeder einzelnen Parzelle vor. Anhand dieser legt er die Beweidungsintensität fest. Liegt der Ertrag einzelner Flächen über dem aktuellen Bedarf der Herde, fahren die Mitarbeiter dort einen Schnitt als Winterfutter in Siloballen ein.


Im letzten Dürrejahr erzielte der Betrieb 10,5 t Trockenmasse (TM) je ha Ertrag im Grünland, was den Erfolg des Weidemanagements laut den Brüdern bestätigt. 12,5 t TM/ha wollen sie in normalen Jahren mindestens erreichen.


Futterangebot steuern


Die Mitarbeiter treiben die Kühe bei 1300 bis 1500 kg TM/ha Grasangebot auf eine Parzelle und lassen diese jeweils auf maximal 4 cm Stoppelhöhe heruntergrasen. „Ein großes Futterangebot ist manchmal schwieriger zu managen als ein geringes“, erklärt Stephen Costello. Wenn das Gras beim Auftrieb schon zu lang ist, ist der Vertritt zu hoch und damit auch die Weidereste. Mehr als 50 kg TM/ha sollen auf einer beweideten Fläche nicht stehen bleiben. Die Mitarbeiter teilen den Kühen alle zwölf bis 36 Stunden – je nach Ertrag und Größe – eine neue Parzelle zu.


Die Grassortenauswahl ist jeweils an die Bodenverhältnisse angepasst. Für die moorigen Flächen verwenden die Costellos hauptsächlich Mischungen mit hohem Anteil an Deutschem Weidelgras und Lieschgras. Eine Nachsaat von 10 bis 15 kg/ha erfolgt nach Bedarf auch schon im ersten Jahr nach Einsaat.


Der Betrieb düngt mit Schweinegülle und Gärresten ausschließlich im Schlitzverfahren. Anschließend schleppen sie die Flächen nicht ab. Die Kühe akzeptierten die gedüngten Parzellen ohne Probleme.


„Zwei Schwierigkeiten, mit denen wir hier kämpfen, kennen wir aus Irland nicht: Maulwürfe und Gänse“, so Paul Costello. Gänsescharen aus dem benachbarten Schutzgebiet fressen den gesamten Frühjahrsaufwuchs weg. „Da wir daran nichts ändern können, sehen wir die positiven Seiten. Die Bestockung ist anschließend besser und es gibt wenig Schnecken. Dennoch müssen wir deswegen im Frühjahr länger zufüttern.“


Die passende Kuh


Die Costellos haben auch gelernt, dass nicht jede Rasse für das spezielle Weidesystem geeignet ist. Von den derzeit 850 Kühen sind noch knapp 170 reinrassige Holsteins. Die restliche Herde bilden Jersey x Holstein F1-Kreuzungstiere, die wesentlich robuster sind.


Beide Rassen laufen in zwei getrennten Herden. „Während die Holstein-Herde beispielsweise bei Hitze planlos um die Wassertröge steht und wartet, fressen die F1-Tiere unverändert weiter“, erklärt Paul Costello. Gerade im letzten Jahr fehlte den Holsteins schnell Körpermasse und die Costellos mussten besonders diese reichlich zufüttern und von der Weide nehmen.


Für die Holsteins muss im Winter auch noch ein Stall vorgehalten werden. Dazu haben die Kreuzungen weniger Probleme mit den Klauen und langen Laufwegen. Schneller sind sie zudem auch: Rundum passender für die ganzjährige Weidehaltung. Daher stellen Costellos die gesamte Herde laufend auf die robuste Genetik um und importierten auch einige Kühe aus Irland. Der Altersdurchschnitt der Kreuzungsherde liegt wegen der Genetik-Umstellung derzeit bei 1,6 Laktationen.


Auch die Melktechnik passte der Betrieb auf die neue Genetik an und ersetzte den alten mobilen Melkstand in diesem Jahr durch ein Waikato Melkkarussel – das erste seiner Art in Deutschland. Das neuseeländische Modell sei passender für die kleinrahmigen Tiere. Da alle Flächen arrondiert liegen, die Wege gut erschlossen und die Kühe gut zu Fuß sind, sei der mobile Melkstand ohnehin nicht nötig gewesen.


Die Herdenleistung lag im Mai 2019 bei 5000 kg Milch im Gesamtschnitt. Die Kreuzungen melken 25 kg Milch pro Tag bei maximal 5 kg Kraftfutter, die Holsteins 32 kg Milch mit bis zu 8 kg Kraftfutter im Melkstand. Eine tierindividuelle Kraftfutterzuteilung gibt es nicht. Als Winterfutter nutzen Costellos hauptsächlich Gras- und Maissilage.


Abkalbung ist Arbeitsspitze


Um die Laktationskurve an das Futterangebot anzupassen, stellten die Costellos in den vergangenen zwei Jahren auf eine saisonale Abkalbung um. Zum Dezember stehen alle Kühe trocken. In den Wintermonaten und zum Kalben laufen die Kreuzungskühe ausschließlich auf den sandigen, meist trockenen Flächen an der Hofstelle. Die Holsteins kommen bei Bedarf in einen Stall.


Ab Februar beginnt die Kalbesaison – eine Arbeitsspitze auf dem Betrieb, denn 80% der Tiere sollen innerhalb von sechs Wochen kalben. Den hohen Arbeitsaufwand fangen Saisonarbeitskräfte auf – meist Studenten aus Irland. „In Spitzentagen kalben schon einmal bis zu 40 Kühe“, so die Brüder.


Alle Kälber erhalten direkt 2,5 Liter Kolostrum. „Das Kolostrum überprüfen wir konsequent mit dem Brix-Refraktometer und werten es, wenn nötig, mit Kolostrum-Pulver auf“, erklärt Kevin Kearns. Die Bullenkälber verkauft der Betrieb mit zwei Wochen. Die Kuhkälber stehen im Stall. Ein umgebauter Laufstall bietet Platz für Gruppen zu je zehn Kälbern im Rein-Raus-Verfahren. Da im Abkalbeblock sehr große Mengen Kolostrum anfallen, saufen alle Kälber dies über möglichst zwei Wochen ausschließlich. Im Alter von vier Wochen kommen die Kälber auf die Weide und erhalten dort einmal täglich sechs Liter Milch. Zusätzlich erhalten sie hier eine Fertigmischung, Heu und ein Seealgenpräparat. „Im letzten Jahr lagen die Kälberverluste bei 1%, das bestätigt unser Vorgehen“, so Kearns.


Einen Großteil der Nachzucht zieht ein Vertragspartner auf. Doch in Zukunft ist für die Costellos ein anderes System denkbar: Sie besamen alle Kühe des Betriebes mit Fleischrassen, um sämtliche Kälber zu einem besseren Preis zu verkaufen. Für die nötige Remontierung würden Holstein-Betriebe sorgen, die einen Teil ihrer Kühe für die Costellos mit gesextem Sperma von Jersey-Bullen anpaaren und die Färsen mit ihrer eigenen Nachzucht großziehen. Damit wäre die zeitintensive Aufzucht ausgelagert. Zudem sei die Vermarktung der leichten Kreuzungsbullen-Kälber derzeit zwar abgesichert, der Preis aber sehr schlecht.


Aktuell werden alle F1-Kühe mit neuseeländischer Kreuzungsgenetik besamt und die Holsteins mit Jersey-Bullen. Um einen möglichst engen Abkalbezeitraum zu erhalten, legen Costellos Wert auf das Fruchtbarkeitsmanagement. Dazu arbeiten sie mit Brunstpflastern. Wird eine Kuh besprungen, färbt sich das Pflaster zwischen den Hüfthöckern rot. Die Mitarbeiter können die Kuh dann nach dem Melken selektieren und am gleichen Tag bzw. am nächsten Morgen im Karussell besamen lassen. Dazu hat der Außenmelker eine extra Plattform. Nach der Besamung markieren die Mitarbeiter den Schwanzansatz der Kuh mit blauer Kreidefarbe. Diese löst sich ab, falls die Kuh wieder brünstig wird. Nach einem Zeitraum von drei Wochen mit künstlicher Besamung setzt der Betrieb für sechs Wochen einen Deckbullen ein. Kühe, die auch mit dem Bullen nicht aufgenommen haben, werden am Ende des Jahres ausselektiert. Die  Remontierungsrate liegt derzeit bei  20%.


Nächstes Ziel: Vermarktung


Aktuell ist der Betrieb noch in der Umstellung von Zucht und Weidemanagement. Bis zum nächsten Jahr wollen sie auf 1000 Kühe aufstocken und langfristig die Produktionskosten auf unter 25 Cent/kg Milch senken. Im nächsten Schritt will Paul Costello dann die Vermarktung optimieren.


Denn derzeit vermarktet Costello die Milch ohne jegliche Zuschläge für die Weidehaltung an die Molkerei Fude und Serrahn. „Irgendwann möchte ich die Nähe zu Potsdam und Berlin nutzen und eine eigene Marke aufbauen. Schließlich zeichnet uns die Außenhaltung an 365 Tagen im Jahr in Deutschland besonders aus.“ Das könne er z.B. für eine Direktvermarktung mit gläserner Produktion nutzen.


julia.hufelschulte@topagrar.com

Die Redaktion empfiehlt

top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.