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Kann China seinen Milchdurst selbst stillen?

Lesezeit: 5 Minuten

China will mehr Milch. Davon sollen nicht nur europäische Molkereien profitieren, sondern auch die heimische Milchproduktion. Ob das gelingt, haben Dr. Sven Grupe und top agrar-Redakteurin Anke Reimink vor Ort recherchiert.


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Stickstoffhaltiger Kunststoff in der Babynahrung. 300000 Kleinkinder erkranken, sechs Babys sterben. Von diesem Imageschaden vor zehn Jahren hat sich die chinesische Milchbranche bis heute nicht erholt. Wer es sich leisten kann, kauft für seine Kinder ausländische Produkte.


Davon profitieren die Milchländer weltweit. Mit insgesamt über 14 Mio. t Milch und Milcherzeugnissen (in Milchäquivalenten) ist China der weltweit größte Milchimporteur. Für die EU ist China mit einem Anteil von 12% und 1,27 Mrd. € Umsatz (2017) der wichtigste Exportmarkt. Und die Marktaussichten sind positiv: 2019 soll China seine Einfuhren um 13 bis 15% steigern.


Denn die chinesische Selbstversorgung liegt nur bei rund 60% – Tendenz sinkend. Das ambitionierte Ziel von 100% eigener Milchproduktion hat die Regierung ad acta gelegt. Zu groß sind die strukturellen Herausforderungen im Land.


Doch 1,4 Milliarden Menschen konsumieren pro Kopf und Jahr im Schnitt 33 kg Milchprodukte. Mit steigendem Einkommen steigt die Nachfrage. Davon soll auch die heimische Landwirtschaft profitieren, findet die Regierung und verordnet einen Strukturwandel.


Strukturwandel angeordnet:

Peking will an das Wachstum vor einigen Jahren anknüpfen. Von 2000 bis 2008 stieg die Zahl der Milchkühe von 4,8 auf über 8 Millionen. Der Melamin-Skandal beendete diese Entwicklung.


Heute ist die Regierung überzeugt, dass nur große Milchanlagen in der Lage sind, effizient und mit hohen Qualitätsstandards Milch zu produzieren. Kleinbetrieben, dazu zählen sie teilweise Herden mit weniger als 200 Kühen, räumen Politik und Handel keine Chance ein und werden nicht unterstützt. Häufig holen Molkereien deren Milch von einem auf den anderen Tag nicht mehr ab. Weil aber neue Großanlagen nicht schnell genug entstehen, sinkt der Milchkuhbestand im Land aktuell um 5 bis 6% pro Jahr. Um diesen Trend zu stoppen, entstehen Milchviehanlagen mit bis zu 36000 Kühen an einem Standort und mit bis zu 90% staatlicher Förderung. Über 60% der Kühe stehen nach Angaben des Pekinger Agrarministeriums heute in Betrieben mit über 100 Kühen. Vor zehn Jahren waren es schätzungsweise 5%.


Vertikal integriert:

Gleichzeitig geht die Konzentration in der chinesischen Milchindustrie weiter. Es werden Betriebe mit 2000 bis 6000 Milchkühen aufgebaut, die zu großen Konzernen mit bis zu 100000 Kühe gehören. Die großen Molkereien erzeugen im Schnitt 40% der verarbeiteten Milch in eigenen Betrieben selbst. Ihren Betrieben schreiben sie mit Standard Arbeitsanweisungen detailliert die Milchproduktion vor.


Die beiden größten Molkereien Mengniu und Yili haben einen Marktanteil von 60%. Diese großen Player schreiben sogar Verbrauchsmittel, wie Futtermittel oder Mischwagen, aus und finanzieren ihren Milchlieferanten den Kauf. Damit binden sie die Milcherzeuger langfristig an Lieferverträge.


Die Milchpreise bewegen sich heute mit großen regionalen Unterschieden um rund 0,44 Cent/l (3,50 RMB/Liter; Wechselkurs 7,8:1). Doch selbst bei diesen Auszahlungspreisen sind moderne Großbetriebe oft nicht wettbewerbsfähig. Ein Knackpunkt ist, dass Tierhaltung und Futteranbau nur selten in einem Betrieb integriert sind. Alleine für Futter zahlen die Milcherzeuger so 70% und mehr ihrer Produktionskosten. Viele Betriebe im Osten des Landes importieren bis zu 100% ihres Futters aus Übersee. So erhalten sie zwar sehr gute Qualitäten, jedoch zu enormen Kosten.


Da die Flächen fehlen, werden die importierten Nährstoffe auf engstem Raum ausgebracht. Im Ballungsgebiet um Peking liegt man zum Teil über 15GV pro ha. Das führt zu steigenden Umweltproblemen und Bodenbelastung. Auch neugebaute Großbetriebe haben häufig keine Lösung für Güllelagerung oder -ausbringung.


Umsiedlung ins Hinterland:

Um die Milchproduktion anzutreiben und Umweltprobleme zu vermeiden, finanziert und fördert die Regierung die Verlagerung der Milchproduktion in weniger besiedelte Gebiete. Dazu dient unter anderem der National Agricultural Modernization Plan von 2016. So nehmen bereits heute die nordöstlichen Provinzen einen Großteil der Produktion ein, wie die Innere Mongolei (16%), Hebei (13%) und Heilongjiang (13%) sowie Xinjiang im Nordwesten (14%).


Die Milchviehanlagen sollen Arbeitsplätze und Vorteile für Kommunen schaffen. So werden zu jedem Neubau auch Biogasanlagen subventioniert. Das Gas soll zum Kochen und Heizen in der Region dienen. Doch es gibt keine Einspeisevergütung und Strom aus dem Netz ist günstig. Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Pläne in Peking und die Realität weit draußen auf dem Land oft voneinander abweichen können.


Die staatliche Vorgaben führen auch dazu, dass selbst moderne Betriebe 150 Arbeitskraftstunden je Kuh und Jahr benötigen. Häufig sind 50% der Mitarbeiter in die Verwaltung eingebunden und auch Mitglieder der Regierung eingestellt.


Die aktuell größte Herausforderung für Chinas Milcherzeuger ist, Arbeitskräfte und junge Leute zu gewinnen. Stallarbeit als Job in der Landwirtschaft ist am wenigsten angesehen. Gut ausgebildete Studenten suchen Jobs in staatlichen Unternehmen oder Behörden. So werden Milchviehbetriebe, die keine Löhne und Arbeitsbedingungen wie in der Industrie bereitstellen können, in Zukunft nicht mehr produzieren können. In den Ballungsgebieten verlangen Melker vergleichsweise hohe Gehälter von mehr als 1000 € pro Monat. Große Betriebe setzen notgedrungen auf Automatisierung und Digitalisierung.


China bleibt abhängig:

Mit weiter wachsenden und professionell aufgestelten Betrieben soll die Milchproduktion im Land steigen. Die Milchleistung soll von heute 7000 l pro Kuh und Jahr bis 2027 auf 9000 l im Schnitt ansteigen. Nach Schätzungen von OECD und FAO könnte die Milchproduktion insgesamt um etwa 20% auf 43,8 Mio. t steigen.


Im selben Zeitraum soll aber der Verbrauch von Milchprodukten um 25% auf 63,3 Mio. t wachsen und damit die eigene Produktion weiter übersteigen. China wird somit weiter auf Importe angewiesen sein.

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