Betriebsblindheit stellt sich im Alltag schnell ein. Es lohnt sich, die eigenen Arbeitsabläufe kritisch zu hinterfragen. Was hilft ist ein regelmäßiger Austausch mit anderen, Selbstkritik und Konsequenz.
Betriebsblindheit ist menschlich. Je langsamer sich ein Problem einschleicht, desto weniger Beachtung findet es. Ein schlechter Zustand wird so irgendwann zur neuen Normalität. Ein Beispiel dafür ist die Behandlung eines kranken Kalbes: Das ist ärgerlich, kostet Zeit und Mühe, ist aber keine wirkliche Katastrophe im Alltag. Auch eine einzelne Totgeburt hat unmittelbar keine wirklich negativen Konsequenzen – obwohl klar ist, dass sich aus gehäuften Totgeburten langfristig fatale Folgen ergeben.
Hinzu kommt, dass sich am Beispiel Kälberhaltung potenzielle Gewinne erst in mehreren Jahren ergeben, wenn die Tiere laktieren. Damit ist der Erfolg jetzt noch nicht greifbar und der Arbeitsbereich rückt in den Hintergrund.
Akute Probleme wichtiger
Im Vergleich dazu scheinen akut auftretende Arbeiten wie das Melken oder Probleme, wie der Ausfall der Waage am Futtermischwagen, viel wichtiger als spätere ökonomische Vorteile.
Eine weitere Ursache für Betriebsblindheit ist das Ignorieren von Problemen im Alltag. Betroffene blenden aus, dass die Zellzahl seit Monaten zu hoch ist, dass die Kühe durch ungenügende Boxenpflege dreckig sind oder dass die Zitzenkondition zu wünschen übrig lässt.
Dieses Verhalten steht Verbesserungen im Arbeitsalltag häufig im Weg: Gehäufte Lahmheiten sind ein Beispiel für fatale Konsequenzen. Betriebsleiter wissen, dass die Klauengesundheit von zentraler Bedeutung für die Milchleistung, die Höhe der Futteraufnahme sowie das Erkennen von Brunstsymptomen ist. Sie wissen auch, was zu tun ist: Regelmäßige funktionelle Klauenpflege der gesamten Herde, Kontrolle der Klauen beim Trockenstellen sowie von auffälligen Tieren im Klauenstand. Und trotzdem: Basierend auf Ergebnissen vieler Erhebungen geht in deutschen Milchviehbetrieben jede fünfte Kuh lahm.
Der Grund für einen hohen Anteil lahmer Kühe in einer Herde ist nicht eine hohe Erkrankungsrate oder eine extrem lange Ausheilungsdauer. Die Ursache ist der Umstand, dass Milchviehhalter lahme Kühe nicht zeitnah behandeln. Das bedeutet, dass sich viele Betriebsleiter offensichtlich an lahme Kühe gewöhnt haben. Es entstehen hohe ökonomische Verluste. Betriebsblindheit gilt daher als große Kostenfalle auf Betrieben.
Kommunikation ist wichtig
Wenn sich mehrere Personen um die Geburten und um die Kälberversorgung kümmern, kommt es vor, dass relevante Informationen nicht aufgezeichnet, bzw. weitergegeben werden. Es entstehen vermeidbare Fehler. Und das, obwohl die Kälberaufzucht eine zentrale Schraube bei der Verbesserung der ökonomischen Situation eines Betriebes ist.
Dabei lässt sich eine Verbesserung der Betriebszahlen mit einfachen Maßnahmen erreichen (siehe Checkliste). Wichtig ist, dass der Betriebsleiter bereit ist, seine eigenen Routinen in Frage zu stellen. Ein Blick von Außen von (ehemaligen) Lehrlingen oder vertrauensvollen Kollegen kann dabei unterstützen.
Fest im Terminkalender eingeplant sein sollten auch Betriebsrundgänge bspw. mit dem Tierarzt oder einem Berater – auch dann, wenn kein akutes Problem vorliegt. Unabdingbar ist auch das Erfassen von Zahlen, um Entwicklungen im Betrieb besser bewerten zu können. Denn um Erfolge objektiv beurteilen zu können, müssen möglichst exakte Zahlen verfügbar sein. Möglich ist das am Beispiel Jungvieh über Kälberkarten oder mittels einer App. Diese Zahlen gilt es regelmäßig auszuwerten und, wenn möglich, mit Daten anderer Betriebe zu vergleichen, zum Beispiel in einem Arbeitskreis. Damit die Auswertung der Kennzahlen im Alltagsstress nicht unter geht, sollten Landwirte dafür einen Termin im Kalender festlegen.
Betriebsleiter sollten möglichst konkret formulierte Handlungsempfehlungen im Bezug auf ihre Arbeitsabläufe festlegen sowie klare Ziele und den Zeitpunkt, wann diese überprüft werden müssen, definieren.
Auch regelmäßig notwendige Arbeiten wie die Klauenpflege sollten fest als Termin verankert sein.
kirsten.gierse-westermeier@topagrar.com
Unser Autor
Prof. Dr. Martin Kaske, Kälbergesundheitsdienst Schweiz
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Betriebsblindheit stellt sich im Alltag schnell ein. Es lohnt sich, die eigenen Arbeitsabläufe kritisch zu hinterfragen. Was hilft ist ein regelmäßiger Austausch mit anderen, Selbstkritik und Konsequenz.
Betriebsblindheit ist menschlich. Je langsamer sich ein Problem einschleicht, desto weniger Beachtung findet es. Ein schlechter Zustand wird so irgendwann zur neuen Normalität. Ein Beispiel dafür ist die Behandlung eines kranken Kalbes: Das ist ärgerlich, kostet Zeit und Mühe, ist aber keine wirkliche Katastrophe im Alltag. Auch eine einzelne Totgeburt hat unmittelbar keine wirklich negativen Konsequenzen – obwohl klar ist, dass sich aus gehäuften Totgeburten langfristig fatale Folgen ergeben.
Hinzu kommt, dass sich am Beispiel Kälberhaltung potenzielle Gewinne erst in mehreren Jahren ergeben, wenn die Tiere laktieren. Damit ist der Erfolg jetzt noch nicht greifbar und der Arbeitsbereich rückt in den Hintergrund.
Akute Probleme wichtiger
Im Vergleich dazu scheinen akut auftretende Arbeiten wie das Melken oder Probleme, wie der Ausfall der Waage am Futtermischwagen, viel wichtiger als spätere ökonomische Vorteile.
Eine weitere Ursache für Betriebsblindheit ist das Ignorieren von Problemen im Alltag. Betroffene blenden aus, dass die Zellzahl seit Monaten zu hoch ist, dass die Kühe durch ungenügende Boxenpflege dreckig sind oder dass die Zitzenkondition zu wünschen übrig lässt.
Dieses Verhalten steht Verbesserungen im Arbeitsalltag häufig im Weg: Gehäufte Lahmheiten sind ein Beispiel für fatale Konsequenzen. Betriebsleiter wissen, dass die Klauengesundheit von zentraler Bedeutung für die Milchleistung, die Höhe der Futteraufnahme sowie das Erkennen von Brunstsymptomen ist. Sie wissen auch, was zu tun ist: Regelmäßige funktionelle Klauenpflege der gesamten Herde, Kontrolle der Klauen beim Trockenstellen sowie von auffälligen Tieren im Klauenstand. Und trotzdem: Basierend auf Ergebnissen vieler Erhebungen geht in deutschen Milchviehbetrieben jede fünfte Kuh lahm.
Der Grund für einen hohen Anteil lahmer Kühe in einer Herde ist nicht eine hohe Erkrankungsrate oder eine extrem lange Ausheilungsdauer. Die Ursache ist der Umstand, dass Milchviehhalter lahme Kühe nicht zeitnah behandeln. Das bedeutet, dass sich viele Betriebsleiter offensichtlich an lahme Kühe gewöhnt haben. Es entstehen hohe ökonomische Verluste. Betriebsblindheit gilt daher als große Kostenfalle auf Betrieben.
Kommunikation ist wichtig
Wenn sich mehrere Personen um die Geburten und um die Kälberversorgung kümmern, kommt es vor, dass relevante Informationen nicht aufgezeichnet, bzw. weitergegeben werden. Es entstehen vermeidbare Fehler. Und das, obwohl die Kälberaufzucht eine zentrale Schraube bei der Verbesserung der ökonomischen Situation eines Betriebes ist.
Dabei lässt sich eine Verbesserung der Betriebszahlen mit einfachen Maßnahmen erreichen (siehe Checkliste). Wichtig ist, dass der Betriebsleiter bereit ist, seine eigenen Routinen in Frage zu stellen. Ein Blick von Außen von (ehemaligen) Lehrlingen oder vertrauensvollen Kollegen kann dabei unterstützen.
Fest im Terminkalender eingeplant sein sollten auch Betriebsrundgänge bspw. mit dem Tierarzt oder einem Berater – auch dann, wenn kein akutes Problem vorliegt. Unabdingbar ist auch das Erfassen von Zahlen, um Entwicklungen im Betrieb besser bewerten zu können. Denn um Erfolge objektiv beurteilen zu können, müssen möglichst exakte Zahlen verfügbar sein. Möglich ist das am Beispiel Jungvieh über Kälberkarten oder mittels einer App. Diese Zahlen gilt es regelmäßig auszuwerten und, wenn möglich, mit Daten anderer Betriebe zu vergleichen, zum Beispiel in einem Arbeitskreis. Damit die Auswertung der Kennzahlen im Alltagsstress nicht unter geht, sollten Landwirte dafür einen Termin im Kalender festlegen.
Betriebsleiter sollten möglichst konkret formulierte Handlungsempfehlungen im Bezug auf ihre Arbeitsabläufe festlegen sowie klare Ziele und den Zeitpunkt, wann diese überprüft werden müssen, definieren.
Auch regelmäßig notwendige Arbeiten wie die Klauenpflege sollten fest als Termin verankert sein.
kirsten.gierse-westermeier@topagrar.com
Unser Autor
Prof. Dr. Martin Kaske, Kälbergesundheitsdienst Schweiz