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Mehr Tierwohl für Kälber

Lesezeit: 6 Minuten

Die Kälberhaltung rückt immer mehr in den öffentlichen Fokus. Neue Ansätze für die Haltung und Aufzucht sind gefordert. Darüber haben wir mit Beratern, Herstellern und Landwirten gesprochen.


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Milcherzeuger, die aktuell in die Kälberaufzucht investieren wollen, stehen vor einigen offenen Fragen. So soll das Mindesttransportalter auf 28 Tage (Deutschland) bzw. 35 Tage (EU) heraufgesetzt werden. Die einfachste Lösung scheinen mehr Iglus zu sein, in denen Kälber bis zur achten Lebenswoche gehalten werden dürfen.


Zu zweit aufstallen?


Doch die könnten in wenigen Jahren schon unbrauchbar werden. Denn die EU-weite Bürgerinitiative „End the Cage age“ (dt: „Beendet das Käfigzeitalter“) will die „Käfighaltung“ für landwirtschaftliche Nutztiere bis 2027 verbieten. Das betrifft auch die Einzelhaltung von Kälbern. Die EU-Kommission will die Vorschriften überarbeiten.


Ein Lösungsansatz könnte das paarweise Aufstallen der Kälber ab den ersten Lebenstagen sein (siehe Reportage, Seite R26). Jannifer Van Os von der Universität Madison (Wisconsin, USA) forscht zu diesem Thema: „Die Kälber profitieren von einem besseren Sozialverhalten und weniger Stress beim Absetzen. Außerdem zeigen Studien, dass die Kälber vor und während des Absetzens mehr fressen. Sie nehmen besser zu und sind fitter.“ Und die paarweise Haltung sorge für eine hohe Akzeptanz in der Öffentlichkeit, berichtet Van Os. Es gibt aber auch noch offene Fragen, zum Beispiel wann der optimale Start in die paarweise Haltung ist.


Die Hersteller für Haltungstechnik bieten bereits Lösungen für das Aufstallen zu zweit an. Dazu gehören Doppeliglus, Verbindungsmodule für die Auslaufgitter, herausnehmbare Wände für Kälberboxen oder eine fahrbare, automatische Tränke für zwei Kälber.


Prof. Anke Schuldt und Dr. Regina Dinse von der Hochschule Neubrandenburg sehen aber auch Herausforderungen: „Die paarweise Aufzucht setzt ein hohes Angebot an Milch oder Milchaustauscher voraus. Die Investitionen in neue Haltungssysteme sind für viele Betriebe aktuell nicht zumutbar.“ Zudem erfüllten Iglus mit Auslauf, die in Sichtkontakt zu anderen Kälbern aufgestellt sind, die derzeitigen Anforderungen an eine tiergerechte Haltung.


Kleingruppen von Anfang an?


Neben der paarweisen Kälberhaltung in Iglus könnten auch eine frühzeitige Gruppenhaltung an Bedeutung gewinnen. Beispielsweise mit sogenannten Kombisystemen, bei denen die Kälber vom ersten bis letzten Tränketag an einem Standort bleiben und das System per herausnehmbaren Wänden mitwächst. „Ich bin mir sicher, dass wir solche Systeme in Zukunft häufiger sehen als Einzeliglus“, sagt Dr. Ilka Steinhöfel vom Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie.


Die Gruppenhaltung hat weitere Vorteile. So lassen sich Wasser, Kälbermüsli bzw. Raufutter einfacher anbieten. Auch das Milchtränken ist arbeitseffizienter möglich, zum Beispiel in Tränkewannen mit mehreren Nuckeln oder automatischen Abrufstationen. „Die hohe Arbeitsbelastung und fehlende Mitarbeiter schränken die Betriebe zunehmend ein. Der Zeitaufwand für das wochenlange Tränken der einzelnen Kälber mit Eimern wird oft unterschätzt“, sagt auch Thomas Sprock, Geschäftsführer der Firma Urban.


Für Milcherzeuger wird sich vor allem das Management der Bullenkälber verändern müssen, wenn diese länger auf dem Hof bleiben. Eine Lösung sieht Dr. Christian Koch vom Hofgut Neumühle: „Denkbar wäre es, die Bullenkälber zu viert oder sechst zu halten und als Gruppe zu vermarkten. So ließe sich der Arbeitsaufwand reduzieren und höhere Erlöse erzielen. Einige Betriebe vermarkten so ihre Fleischrasse-Kreuzungen nach vier bis sechs Wochen für bis zu 600 €/Kalb – also fast 400 € mehr als mit 14 Tagen.“


Die frühzeitige Paar- oder Gruppenhaltung hat aber auch ihre Grenzen, warnt Steinhöfel. „In der Natur sondert sich das Kalb für die ersten Tage ab. Es schützt sich damit instinktiv vor Infektionen, weil das eigene Immunsystem noch nicht stabil genug ist.“ Sinnvoll sei eine Gruppenhaltung frühestens ab dem siebten Lebenstag. Voraussetzung dafür sind eine optimale Hygiene und hohe Haltungsstandards.


Kuhgebunden aufziehen?


Neben der Einzelhaltung von Kälbern, steht auch die Trennung von Kuh und Kalb in der Kritik. Ein Lösungsansatz ist die kuhgebundene Aufzucht. Dabei sollen die Tiere ihr natürliches Verhalten ausleben können.


Es gibt verschiedenste Haltungsformen, wie die Aufzucht mit der eigenen Mutter, mit Ammenkühen, restriktives Säugen der Kälber sowie mit oder ohne zusätzlichem Melken der Kühe. Mit einem von der EU gefördertem Projekt haben Bioland, das Thünen-Institut und die Uni Kiel einen Leitfaden für die kuhgebundene Kälberaufzucht erarbeitet. Der soll Tipps, Beispiele und Handlungsempfehlungen geben.


„Noch ist die kuhgebundene Aufzucht vorrangig für ökologisch wirtschaftende Betriebe ein Thema. Doch das könnte sich ändern. Wir müssen klären, wie sich die Haltung praktisch am besten umsetzten lässt“, sagt Koch. Und die Haltung verursacht Mehrkosten von 130 bis 300 € pro Kalb laut Thünen-Institut. Ohne entsprechende Honorierung für Milch und Bullenkalb, die es bisher nur bei einigen Biomolkereien oder bei einer Direktvermarktung gibt, ist die Umsetzung für Betriebe schwierig.


Offen sind zudem Fragen zur Haltung, zur Eutergesundheit oder dem Abtränken. Die wollen einige Lehr- und Versuchsanstalten klären. So berichtet Steinhöfel: „Wir planen eine Untersuchung zur Frage, wie eine Abkalbebox für Kuh und Kalb für die ersten sechs Tage optimalerweise aussehen könnte.“


Auch die Hersteller beschäftigen sich mit der kuhgebundenen Aufzucht. Holger Kruse von Holm&Laue erklärt: „Offen ist, wann und wie das Abtränken am besten gelingt. Denkbar wäre die zeitweise Kombination von Kuh und Tränkeautomaten. Dafür müssen wir unsere Systeme neu denken.“


Die Basics als Erfolgsfaktor


Zusätzlich zur Haltung könnte die Kälberfütterung in den öffentlichen Fokus geraten. Darauf sollten sich Milcherzeuger einstellen, prophezeien Experten. Das zeige das Verbot von importierten Futterfetten oder Milchaustauschern insgesamt in Österreich.


Zudem führen Wissenschaftler zu hohe Kälberverluste und geringe Zunahmen auf eine zu geringe und zu kurze Tränke zurück. Eine restriktive Milchtränke sehen auch Schuldt und Dinse kritisch: „Für eine bedarfsgerechte Versorgung sind mindestens 12 l, besser 14 l Milchtränke pro Tier und Tag bis zum Ende der siebten Lebenswoche nötig. Das Absetzen sollte nicht vor dem 90. Lebenstag erfolgen.“


Für die Tränkephase entwickeln die Unternehmen neue Sensoren und technische Lösungen: Tränkeverhalten, Bewegungsaktivität oder automatische Gewichtskontrolle. Infos aus dem Kälberstall spielen eine immer größere Rolle. In einem Projekt wollen die sächsischen Wissenschaftler eine Risikoanalyse etablieren und Prognosen zur späteren Leistungsfähigkeit geben, sagt Steinhöfel. „Wir wollen einen Index entwickeln, der die Umwelteinflüsse von der embryonalen Phase bis zur Trächtigkeit der Färse bewertet. Damit soll frühzeitig das spätere Leistungspotenzial der Kuh abschätzbar sein.“


Hersteller und Berater machen aber auch deutlich: Die neueste Technik, Automatisierung oder künstliche Intelligenz bringen wenig, wenn die Basics der Kälberaufzucht nicht umgesetzt werden. Wichtige Erfolgsfaktoren bleiben: ausreichend Kolostrum, Hygiene und gutes Klima. Wer das umsetzt, sorgt für gesunde Kälber und viel Tierwohl. Ihr Kontakt zur Redaktion:anke.reimink@topagrar.com

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