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Mortellaro zeigt einneues Gesicht

Lesezeit: 8 Minuten

Immer häufiger tritt eine neue Form der Mortellaroschen Krankheit auf. Tierärztin Dr. Andrea Fiedler erklärt, wie man sie erkennt und wieder loswird.


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top agrar: In letzter Zeit tritt immer häufiger in Milchviehherden eine neue Form der Mortellaroschen Krankheit (digitale Dermatitis) auf. Was sind die typischen Kennzeichen und wo liegen die Unterschiede zur bekannten Form?


Dr. Fiedler: Ganz typisch für die neue Form von Mortellaro sind Wucherungen, die entweder großflächig warzenartig auftreten oder aus der veränderten Oberfläche fadenförmig, also ganz dünn und lang herauswachsen. Deshalb wird dieses neue Krankheitsbild auch als „wuchernde“ Form der Mortellaroschen Krankheit bezeichnet. Mit der „klassischen“ Form hat dieses Krankheitsbild die scharfe Abgrenzung zum umgebenden Gewebe und die langen, abstehenden Haare gemeinsam. Außerdem kann die wuchernde digitale Dermatitis, wie die klassische Form, entlang des Kronsaums und in der Fesselbeuge bis hoch zu den Afterklauen oder bis in den Ballenbereich auftreten.


top agrar: Wie häufig tritt die neue Form auf?


Dr. Fiedler: Die neue wuchernde Form tritt vor allem in größeren Herden auf. Ich schätze, dass davon etwa die Hälfte betroffen ist. Beide Formen können sogar gemeinsam mit der klassischen Form auf einer Klaue vorkommen. Insgesamt nimmt die Mortellarosche Krankheit in den Betrieben weiter zu. Es gibt kaum noch Regionen, wo sie nicht zu finden ist. Außerdem werden immer mehr Fälle chronisch, d.h. die Krankheit bricht nach gewissen Ruhezeiten immer wieder aus.


top agrar: Was weiß man bisher zu den Ursachen?


Dr. Fiedler: Es handelt sich dabei um eine bakterielle Erkrankung. Pilze und Viren konnten bisher noch nie als Ursache nachgewiesen werden. Sie kann ansteckend sein, muss aber nicht. Dies hängt von der Empfänglichkeit der Tiere ab. Eine Vorschädigung der Haut, insbesondere durch Gülle, scheint ein wichtiger Wegbereiter zu sein. Der größte Risikofaktor, sich diese Bakterien in den Stall zu holen, ist der Tierzukauf. Gefährlich sind vor allem subklinisch erkrankte Tiere, die als Überträger fungieren. Deshalb haben geschlossene Betriebe mit guter Hygiene die größte Chance, frei zu bleiben.


top agrar: Welche Keime sind konkret beteiligt?


Dr. Fiedler: Beteiligt ist ein ganzer Mix an Erregern, die sich gegenseitig in ihrer Wirkung unterstützen. Dazu gehören z.B. auch Staphylokokken, E.coli oder Streptokokken. Diese Keime schädigen die Haut und schaffen Platz für so genannte Spirochäten. Diese sind die Leitkeime bei Mortellaro und auch dafür verantwortlich, dass es verschiedene klinische Formen gibt. Das Tückische ist, dass sich diese beweglichen Bakterien tief in die Unterhaut des Tieres einbohren können und dadurch nur schwer zu bekämpfen sind.


top agrar: Welche Rolle spielen genetische Faktoren bei der Krankheitsentstehung?


Dr. Fiedler: Es gibt neue Untersuchungen, die bestätigten, dass bestimmte Gene an der Krankheitsentstehung beteiligt sind. Der letzte Beweis dafür steht allerdings noch aus. Fest steht aber, dass die äußeren Umstände im Stall und das Immunsystem des Tieres eine große Rolle bei einem Krankheitsausbruch spielen. So sind ältere Tiere in der Regel widerstandsfähiger und erkranken seltener.


top agrar: Müssen wir bei der neuen Mortellaro-Form auch bei der Therapie umdenken? Was ist konkret zu tun?


Dr. Fiedler: Am Wichtigsten ist ein fachgerechter Klauenschnitt zur Stellungskorrektur. Der Ballen wird entlastet und damit die Schmerzen eingedämmt. Dabei kann die Einzeltierbehandlung erfolgen. In Problembetrieben muss dreimal im Jahr eine Klauenpflege durchgeführt werden. Zunächst ist (wie bei der klassischen Form) der Einsatz eines Antibiotika-haltigen Sprays das Mittel der Wahl (vom Tierarzt erhältlich). Dabei ist aber wichtig, dass die Wunde vorher gründlich gereinigt und ggf. danach getrocknet wird. Die Trocknung verbessert die Haftung des Präparates. Nun wird einmal gesprüht – bei handelsüblichen Sprays reicht dies inzwischen aus. Dabei bitte nicht einatmen – so vermeidet man die Inhalation des Sprühnebels.


Zum Trocknen darf nun auf keinen Fall eine offene Flamme eingesetzt werden. Denn das kann zu schweren Verbrennungen führen und würde dem Tier nicht nur Schmerzen bereiten, sondern die Wunde wäre erneut eine Eintrittspforte für Erreger. Die tiefsitzenden Spirochäten werden so auch nicht erreicht. Viel besser eignet sich ein lauwarmer (!) Fön für die Trocknung des Sprays. Diese Spraybehandlung sollte nach 24 Stunden wiederholt werden. Ein Verband ist dabei nicht nötig.


Wichtig ist zudem, dass die Behandlung möglichst im Klauenstand erfolgt und nicht im Melkstand, da dort durch verbleibenden Schmutz und Feuchtigkeit die Wirksamkeit des Sprays massiv leidet.


top agrar: Und was ist zu tun, wenn diese Therapie nicht anschlägt?


Dr. Fiedler: Wenn eine Woche nach der beschriebenen Behandlung noch keine Besserung eingetreten ist oder schon bekannt ist, dass dies nicht mehr ausreicht, sollte lokal die Paste „Novaderma“ (Fa. WDT, vom Tierarzt erhältlich) aufgebracht und ein Verband angelegt werden. Dann ist allerdings für die Milchabgabe ein Tag Wartezeit einzuhalten. Mit dieser Paste, die Salicylsäure in hoher Konzentration enthält, können auch die angesprochenen, sehr tief sitzenden Bakterien erfasst werden. Nach drei Tagen ist dann der Verband zu erneuern. Wichtig ist, die Paste auch im Zwischenklauenspalt und in den Spalt im Ballenbereich aufzutragen, z.B. mithilfe einer Kompresse. An diesen Stellen sitzen oft auch versteckte Krankheitsherde. Der Verband muss unbedingt nach drei bis fünf Tagen abgenommen und ggf. erneuert werden.


top agrar: Wie schnell ist mit einer Heilung zu rechnen?


Dr. Fiedler: Mit dieser Behandlung ist in ein bis zwei Wochen mit einer Heilung zu rechnen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, kann als allerletzte Möglichkeit noch eine zusätzliche Antibiotika-Injektionsbehandlung durchgeführt werden. Hier stehen dem Tierarzt Präparate zur Verfügung, die speziell für (digitale) Dermatitis zugelassen sind. Diese Therapie kann bei chronisch betroffenen Tieren während der Trockenstehphase durchgeführt werden, damit keine Wartezeit eingehalten werden muss und der Schaden begrenzt bleibt. Außerdem sollte sie lange genug, das heißt mindestens drei Tage lang, durchgeführt werden, um Resistenzen zu vermeiden.


top agrar: Ist eine vollständige Heilung bei Bestandsproblemen möglich?


Dr. Fiedler: Beim Einzeltier schwierig, aber nicht unmöglich. Oft flackert die Erkrankung nach sechs bis zwölf Wochen wieder auf. Vor allem in Problembetrieben sollte deshalb dreimal im Jahr eine Klauenpflege durchgeführt werden. Denn dann erfasst man neue Krankheitsfälle bereits bevor sie schmerzhaft werden. Dagegen ist die Wahrscheinlichkeit, die Keime vollständig aus dem Stall zu bringen, gering. Aber man kann mit bestimmten Maßnahmen auf ein Niveau mit einer Befallsrate von 5 bis 10 % kommen. Damit kann man auf Dauer leben. Insbesondere „geschlossene“ Betriebe ohne Zukauf haben reelle Chancen.


top agrar: Welche Maßnahmen sind das konkret?


Dr. Fiedler: Gute Stallhygiene mit sauberen Laufflächen und bequemen Liegeboxen sind das A und O. Je länger die Tiere liegen, desto besser. Je sauberer sie dann noch stehen und gehen, ebenfalls. Zweiter Punkt ist eine gute Klauenhygiene mit regelmäßiger Klauenpflege. Unbedingt zu empfehlen ist auch Weidegang, denn jeder Schritt auf der Weide bedeutet gleichzeitig Reinigung und Pflege der Klauen! Bei Bestandsproblemen halte ich auch geprüfte Klauenwaschanlagen für sinnvoll, allerdings sind sie nur das Tüpfelchen auf dem i. Vorher sollten alle anderen Vorbeugemaßnahmen ergriffen werden.


top agrar: Was muss beim Klauenschnitt einer Mortellaro-kranken Klaue beachtet werden?


Dr. Fiedler: Ganz wichtig ist dabei, die Trachtenhöhe der hinteren Innenklaue zu erhalten! Das wird oft falsch gemacht, so dass es Jahre dauert, bis die Trachten wieder auf einem akzeptablen Niveau sind. Die Außenklaue wird entsprechend auf diese Höhe angepasst. Wichtig ist zudem, auf einen sauberen Zwischenklauenspalt auch im Ballenbereich zu achten. Denn dort sitzen gern Krankheitserreger.


top agrar: Können Sie Präparate empfehlen, die sich speziell für die Klauenreinigung im Klauenbad eignen?


Dr. Fiedler: Um einen guten Hygienestatus zu erreichen und zu halten, wären die als so genannte „Biozide“ registrierten, nicht-antibiotischen Fertigprodukte möglich. Dabei sind Produkte der Produktklasse 3 speziell zur Veterinärhygiene an der Klaue zugelassen. Diese Produkte sollen vor allem die Keim-belastung reduzieren. Sie sind keine Arzneimittel und daher auch nicht zur Behandlung kranker Tiere zugelassen. Ich empfehle bei der Auswahl auch auf das DLG-Qualitätssiegel zu achten (siehe Kasten).


top agrar: Wie weit ist die Forschung bei der Entwicklung eines Mortellaro-Impfstoffes?


Dr. Fiedler: Es gab bereits mehrere Anläufe, einen Impfstoff zu entwickeln. Aber bisher ist der Durchbruch noch nicht gelungen. Problematisch ist dabei vermutlich die große Vielfalt der beteiligten Keime in den Betrieben und eine komplizierte Probenentnahme und Anzüchtung im Labor.


top agrar: Was wird in der Praxis bei der Behandlung häufig falsch gemacht?


Dr. Fiedler: Der größte Fehler liegt darin, dass die Betriebe ihre Tiere nicht regelmäßig kontrollieren. Daher sehen sie nicht rechtzeitig, wenn ein Tier beginnt lahm zu werden und mit gekrümmtem Rücken geht.


Oft erkennt man schon an der Gangnote, dass die Mortellarosche Krankheit mit im Spiel ist. Bei Gangnote 3 ist dies gehäuft der Fall. Dabei ist der Rücken des Tieres bereits im Stehen gekrümmt und die Schritte sind kürzer.


Zudem werden mangelhafte Haltungsumstände einfach nicht verändert. Die Mortellarosche Erkrankung ist eine Indikatorerkrankung. Wie keine andere Erkrankung weist sie auf gravierende Schwächen bei der Stall- und Klauenhygiene hin. Wenn jedes Tier einer Herde aufgrund von Klauenproblemen nur 0,5 Liter Milch pro Tag weniger gibt, entsteht über das Jahr gesehen doch ein Riesenschaden. Hinzu kommen Fruchtbarkeitsprobleme und weitere Leistungseinbußen. Leider scheinen das viele Betriebsleiter nicht wahrzunehmen.


Das Interview führte top agrar-Redakteurin Silvia Lehnert.

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