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Multilactor: Nur Ansetzhilfe oder ein Quantensprung?

Lesezeit: 8 Minuten

Ein neues Melkzeug ohne Sammelstück soll das Melken für Melker und Kühe verbessern. Was es wirklich bringt, erläutert Dr. Dirk Hömberg, Spezialberater für Melktechnik und Eutergesundheit, Münster.


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Bei der Entwicklung des „Multilactor“, ließ sich der Erfinder, Jakob Maier von der Fa. Siliconform, vom natürlichen Melkvorgang inspirieren. So wird das Vakuum in den Melkbechern nach jedem Saugtakt deutlich abgesenkt – genauso wie im Maul eines saugenden Kalbes. Zudem wird das Stoßen des Tieres gegen das Euter der Mutter durch rhythmisches Heben und Senken der Melkbecher imitiert.


Melkzeug ohne Sammelstück


Nimmt man den Multilactor einmal genau unter die Lupe, findet man sowohl Merkmale konventioneller Melkanlagen als auch Eigenschaften automatischer Melksysteme. So werden die Melkbecher weiterhin manuell angesetzt. Anders als in konventionellen Melkanlagen sind die vier Melkbecher aber nicht über ein Sammelstück miteinander verbunden, sondern jeweils separat an die Milchleitung angeschlossen.


Daher hat das neue Melksystem gegenüber konventionellen Melkzeugen dieselben Vorteile wie Melkroboter, nämlich eine unabhängig von der Euterform gleichmäßige Verteilung der auf die Zitzen wirkenden Zugkräfte. So werden auch bei weiten Eutern oder nach außen zeigenden Zitzen Störungen der Milchabgabe infolge verbogener Zitzen und Lufteinbrüche vermieden.


Solche Lufteinbrüche sind äußerst problematisch, denn sie haben unkontrollierte Vakuumschwankungen und eine vorzeitige Abnahme der Melkbecher zur Folge. Hinzu kommt bei klassischen Melkzeugen die Übertragung krankmachender Keime zwischen den Eutervierteln. Eine solche Kreuzkontamination ist bei Melk­einheiten ohne Sammelstück prinzipiell ausgeschlossen, da die Melkbecher ja nicht miteinander verbunden sind. Ein weiteres wesentliches Kennzeichen des Multilactors ist sein so genannter „Aktuator“. Dabei handelt es sich um einen Arm, auf dem die vier Milchschläuche lagern. Während des Melkens bewegt sich dieser Arm auf und nieder. Diese Bewegung überträgt sich auf die Melkbecher und letztlich deutlich sichtbar auch auf das gesamte Eutergewebe.


Euter werden rhythmisch geschüttelt


Dabei ändert sich die Intensität, mit der die Melkbecher geschüttelt werden. Direkt nach dem Ansetzen werden die Becher schneller und heftiger bewegt als in der Hauptmelkphase. Sinkt der Milchfluss dann gegen Ende des Melkens auf weniger als 800 g/min, wird wieder heftiger geschüttelt. Diese Vorgehensweise orientiert sich am Verhalten von Kälbern, die ebenfalls zu Beginn und gegen Ende des Saugens intensiver gegen die Euter stoßen als in der übrigen Zeit.


Dabei ist ein Ziel, die vom Pulsator vor dem Melken begonnene Stimulation während des Melkvorgangs fortzuführen und so die Melkbereitschaft der Kühe aufrecht zu erhalten. Unterstützt wird das durch ein spezielles Pulsationsverfahren, das die Zitzengummis während der Saugphasen in leichte Schwingungen versetzt.


Das sanfte Schütteln der Euter hat laut Maier zudem eine Lockerung der Milchgänge, eine Entspannung des Eu­tergewebes und so eine beschleunigte Verlagerung der Milch von den Alveolen in die Zisternen zur Folge. Erst dadurch würden die Voraussetzungen geschaffen, um die Euter mit dem für saugende Kälber typischen und schonenden Vakuum von nur 33 bis 34 kPa zügig und vollständig zu entleeren.


Beim Melken mit den bisher üblichen Melkzeugen hat ein solch geringes Vakuum hingegen unweigerlich eine längere Melkdauer mit entsprechend höherer Gewebebelastung und insbesondere eine unvollständige Euterentleerung zur Folge. Dies wird durch wissenschaftliche Studien und die leidvolle Erfahrung unzähliger Milchviehhalter zweifelsfrei belegt.


Guter Ausmelkgrad trotz Niedrigvakuum


Ob das neue Melksystem diese Versprechungen halten kann, haben wir uns in der Praxis angesehen und Betriebsleiter befragt.


Ausmelkgrad: Dass die Euter mit dem neuen Melksystem tatsächlich beeindruckend gut entleert werden, bestätigten die befragten Betriebsleiter übereinstimmend. Auch wenn der vollständige wissenschaftliche Beweis für die Ursachen dieses Erfolges noch aussteht, ist dessen Nutzen eindeutig belegt.


So wird beispielsweise die Rate neuer Euterentzündungen allein durch das Ausmelken der Zisternen drastisch verringert. Zudem heilen bestehende Entzündungen deutlich schneller, wenn richtig nachgemolken wird. Grund dafür ist das vollständige Entfernen von Nährstoffen, Krankheitserregern und deren Stoffwechselgiften.


Und auch die Milchleistung wird durch eine möglichst vollständige Entleerung der Euter äußerst positiv beeinflusst. Und zwar sowohl kurz- als auch langfristig. Die Ursache hierfür liegt darin, dass mit der Milch ein so genannter „Alveoleninhibitor“ aus dem Euter entfernt wird.


Dieser Stoff verringert nicht nur die momentane Sekretionsrate der Alveolen, sondern bewirkt im Verlaufe der Laktation zudem eine frühe und starke Rückbildung des Milchbildungsgewebes. Dementsprechend konnte in umfangreichen wissenschaftlichen Studien durch Nachmelken die Persistenz der Kühe derart stark verbessert werden, dass die Laktationsleistung um bis zu ca. 17 % stieg.


Sanfter Entlastungstakt


Zitzenkondition: Nicht nur die Gestaltung der Saugphasen, sondern auch die Entlastung orientiert sich beim Multilactor am natürlichen Saugen von Kälbern. Zahlreiche Messungen belegen, dass Kälber nicht mit einem anhaltend hohen Vakuum saugen. Sie legen vielmehr immer wieder Pausen ein, in denen sie die Saugkraft reduzieren und mit der Zunge sanft auf die Zitzen drücken.


Ähnliche Verhältnisse ergeben sich beim Multilactor dadurch, dass während der Entlastungsphasen über spezielle Ventile Frischluft in die Schaugläser der Melkbecher eingelassen wird. Eine solche periodische Belüftung ist einerseits Voraussetzung dafür, dass das Saugphasen-Vakuum trotz der fehlenden Sammelstücke nicht zu gering wird. Andererseits bewirkt es während der Entlastungsphasen eine deutliche Absenkung des Vakuums im Inneren der Zitzengummis.


Und diese „Verschnaufpause“ ist den Kühen nicht nur sehr angenehm, sie wirkt sich auch äußerst positiv auf die Zitzenkondition aus. Denn infolge der verminderten Saugwirkung ziehen sich die zuvor gestreckten Zitzen wieder zusammen. Gleichzeitig wird die Zirkulation von Körperflüssigkeiten in den Zitzen erneut ermöglicht, so dass zuvor in die Zitzenspitzen gesaugtes Blut mit sanftem Druck wieder vollständig nach oben massiert werden kann. Letztlich wird das Zitzengewebe so wesentlich schonender behandelt als in den meisten konventionellen und automatischen Melkanlagen, wo leider immer noch mit hohem Entlastungsphasen-Vakuum gemolken wird. Harte Zitzenspitzen, Hyperkeratosen und entsprechende Schädigungen der Infektionsbarrieren sind die vermeidbaren Folgen dieses Mankos (s. top agrar 1/ u. 3/2009).


Zwischendesinfektion nach jeder Kuh


Zwischendesinfektion: Das System des Multilactors ist auch darauf ausgelegt, die Übertragung von Krankheitserregern zwischen den Kühen zu verhindern.


Dazu werden die Melkbecher nach dem Melken jeder Kuh von außen und innen vollständig gereinigt. Dies schließt auch eine Desinfektion der Zitzengummis ein. Die Zitzengummis werden zunächst mit Wasser gespült, anschließend mit 0,5 %iger Peressigsäure benetzt und nach einer Einwirkzeit von mindestens 60 Sekunden erneut mit Wasser gespült. Vorgenommen wird diese desinfizierende Reinigung in speziellen Magazinen, in denen sich die Melkbecher auch während der Ruhezeiten befinden.


Arbeitserleichterung für den Melker


Arbeitserleichterung: Nicht nur die Euter der Kühe, auch die Melker sollen durch den Einsatz des Multilactors geschont werden. Begründet wird das vorwiegend damit, dass die Melkbecher zum Ansetzen einzeln aus den Magazinen entnommen werden.


Diese Rechnung geht offensichtlich auf. So schätzten die befragten Milchviehhalter, dass sie nicht mehr stundenlang immer wieder mit ca. 2 kg schweren Melkzeugen hantieren müssen. Die lediglich 400 g schweren Melkbecher ließen sich mit einer Hand ohne nennenswerte Anstrengung aus den Magazinen entnehmen und in der Summe mindestens genauso schnell ansetzen wie die Becher konventioneller Melkzeuge. Auch die vollautomatische Reinigung der Melkbecher nach jedem Melkvorgang schätzten die Betriebsleiter als Zeiteinsparung und Arbeitserleichterung.


Hinzu kommen weitere Funktionen, die nach Aussage der befragten Betriebsleiter die Arbeit erleichtern. So können beispielsweise die Melkbecher mit einem Druckschalter per Knie zum Ansetzen freigegeben werden. Damit entfällt der auf Dauer ermüdende Griff zu einem Startschalter in Kopfhöhe. Die Technik wird besonders in großen Gruppenmelkständen und Karussells eingesetzt, in denen der Multilactor auch zu finden ist. Möglich wird das durch die Kooperation der Fa. Siliconform mit dem Melkanlagenhersteller Impulsa, der die neue Technik an seine Melkanlagen angepasst hat.


Hoher Aufwand


Dem schonenden, vollständigen Melken und der körperlichen Entlastung stehen jedoch auch einige Nachteile gegenüber. So liegt der vorläufige Verkaufspreis laut Angaben des Herstellers bei 7 500 bis 8 000 € pro Melkplatz. Für Anlagen mit konventionellen Melkzeugen und vergleichbarer Ausstattung liegen die Preise zwischen 5 000 bis 6 000 € pro Platz. Begründet wird der Mehrpreis vom Hersteller hauptsächlich mit der Verwendung hochwertiger Materialien, einer robusten Konstruktion und der vollautomatischen Reinigung der Melkbecher. Weiterhin weist er darauf hin, dass die Unterhaltskosten geringer seien. So müssten die Zitzengummis erst nach 3 000 Stunden gewechselt werden. Zudem wird durch den Verzicht auf kurze Puls- und Milchschläuche gespart.


Zu den höheren Anschaffungskosten gesellt sich der nicht unerhebliche technische Aufwand. Die befragten Betriebsleiter lobten zwar alle die Zuverlässigkeit und den modularen Aufbau des Systems. Letzterer ermöglicht es, eine komplette Melkeinheit in kurzer Zeit durch ein Austauschmodul zu ersetzen. Die defekte Einheit wird dann vom Servicetechniker in dessen Werkstatt instand gesetzt. Dennoch sind, wie bei allen komplexen Anlagen, Störungen nicht auszuschließen.


Auf der folgenden Seite berichten Praktiker über ihre Erfahrungen.

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