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Muttergebundene Aufzucht als Zukunftsmodell?

Lesezeit: 6 Minuten

Die Gesellschaft kritisiert die frühe Trennung von Mutter und Kalb nach der Geburt. Die muttergebundene Kälberaufzucht könnte mehr Akzeptanz schaffen. Was fehlt, ist ein Entlohnungsmodell.


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Die Trennung von Kuh und Kalb nach der Geburt ist in der modernen Milchviehhaltung gängige Praxis. Obwohl sich diese Methode aus produktionstechnischer Sicht bewährt hat, muss sich die Branche zunehmend für genau diese frühe Trennung rechtfertigen. Wissenschaftler der Georg-August-Universität in Göttingen und der University of British Columbia in Kanada stellten beispielsweise eine deutliche Ablehnung von Verbrauchern gegen die frühzeitige Trennung fest. „Für die Landwirtschaft bedeutet das, sich über neue Verfahren Gedanken machen zu müssen“, erklärt Versuchsleiterin Dr. Gesa Busch von der Uni Göttingen in Deutschland.


„Bisher setzen etwa 100 Milcherzeuger die muttergebundene Kälberaufzucht um“, schätzt Dr. Kerstin Barth vom Thünen-Institut. „Es ist nicht einfach, auf das System umzustellen, denn seit Jahren wurde die getrennte Unterbringung vorangebracht“, weiß die Wissenschaftlerin.


Eine Untersuchung des Thünen-Instituts hat gezeigt, dass die muttergebundene Kälberaufzucht pro Kalb mindestens 137 € teurer ist. „Die Direktvermarktung eignet sich dazu, den Kunden die Mehrkosten zu erklären“, sagt Barth.


Biobetriebe sind Vorreiter


In den Reihen der Milchverarbeiter, die im Milchindustrieverband (MIV) zusammengeschlossen sind, nimmt die muttergebundene Kälberaufzucht noch keine vordergründige Rolle ein. „Mir ist keine Molkerei bekannt, die das System derzeit als Vermarktungstool für große Milchmengen in Betracht zieht“, erklärt MIV-Sprecher Dr. Björn Börgermann und verweist auf die Biobranche.


Rüdiger Brügmann vom Bioland-Verband bestätigt, dass es schon viele Biomilchviehbetriebe gibt, die meistens eine ammengebundene Kälberaufzucht durchführen. „Bioverbände und Biomolkereien greifen das Thema immer wieder in Arbeitsgruppen und Beratungstreffen auf“, sagt Brügmann.


So auch die Andechser Molkerei Scheitz (Bayern). „In einem Arbeitskreis können sowohl Interessenten als auch Betriebsleiter, die das System bereits umsetzen, Fragen klären und Erfahrungen austauschen“, erklärt Christian Wagner, Leiter Rohstoffmanagement. Eine Vergütung für den Zusatzaufwand erhalten die Andechser-Lieferanten bisher nicht. „Aufgrund vieler unterschiedlicher Systeme gibt es noch keine konkrete Definition für die muttergebundene Kälberaufzucht“, so Wagner. Weil damit ein Prüfsystem fehlt, könne die Molkerei (noch) keine Zuschläge festlegen. Vor dem gleichen Problem steht Hubert Böhmann von der Berliner Milch & Käse Manufaktur (Brandenburg). Drei Lieferanten setzen die muttergebundene Kälberaufzucht bereits um. Aufgrund eines fehlenden Regelwerks lobt die Biomolkerei die Haltungsform nicht aus. „Weil wir mit der muttergebundenen Kälberaufzucht bislang keinen Mehrerlös erzielen, können wir dafür keine Zuschläge zahlen“, erklärt Böhmann.


Auch für die Milchleistungsprüfung fehlt es bisher an konkreten Vorgaben, bestätigt ein Landeskontrollverband (LKV). Bisher würden noch keine expliziten Anfragen zur Berechnung der Milchleistung von Kühen aus muttergebundener Kälberaufzucht vorliegen. Der LKV zeigte sich aber offen für das Thema.


Kein einheitliches System


„Die muttergebundene Kälberaufzucht ist kein System mit einem allgemeingültigen Konzept. Mit der Entwicklung dieser Haltungsform ist man nie fertig“, bestätigt Dr. Claudia Schneider vom Forschungsinstitut für Ökologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz.


Laut dem FiBL-Merkblatt für muttergebundene Kälberaufzucht in der Milchviehhaltung, sind grundsätzlich drei Systeme voneinander zu unterscheiden:


  • Langzeitiges, restriktives Säugen mit zusätzlichem Melken. ▶
  • Langzeitiges Säugen mit unbegrenztem Zugang und mit zusätzlichem Melken.
  • Langzeitiges Säugen (ganze Tränkeperiode) ohne zusätzliches Melken.


Zusätzlich unterscheiden sich die Betriebe darin, wann und wo sie Kuh und Kalb zusammen laufen lassen und wie viel Zeit zwischen den Melkzeiten liegt. Landwirte handhaben es außerdem unterschiedlich, ob sie die Kälber bei den eigenen Müttern oder bei Ammen saugen lassen. Weiterhin legen einzelne Betriebe Wert darauf, sowohl Kuh- als auch Bullenkälber von Müttern oder Ammen aufziehen zu lassen. Andere behalten ausschließlich die weiblichen Kälber zur Aufzucht. „Es gibt vermutlich so viele unterschiedliche Systeme wie es Betriebe gibt“, bringt es Schneider auf den Punkt.


Die Wissenschaft ist gefragt


„Betriebe, die sich für das System entscheiden, wollen Kuh und Kalb aus ethisch-moralischen Gründen nach der Geburt nicht trennen“, sagt die Expertin. Dass diese Entscheidung vielfach auf der eigenen Einstellung beruht, erklärt, dass viele Milcherzeuger diese Haltungsform ohne finanziellen Anreiz praktizieren. Und das, obwohl eine nicht unerhebliche Milchmenge in die Kälber geht. Wissenschaftler gehen von 10 bis 15 l pro Tag aus, die das Kalb am Euter aufnimmt.


„Viele Betriebe erhoffen sich durch die eigenständige Milchaufnahme bei der Mutter oder Amme eine bessere Kälbergesundheit“, weiß Schneider. Aber das ist kein Selbstläufer. Die Wissenschaft hat in puncto Tiergesundheit bisher keinen Unterschied zwischen der muttergebundenen und der herkömmlichen Kälberaufzucht nachgewiesen. „Eine sehr gute Kälbergesundheit ist auch am Tränkeautomaten möglich“, so Schneider. Entscheidend ist das Management. Sie appelliert, auch in der muttergebundenen Kälberaufzucht eine zeitnahe Gabe von gutem Kolostrum in ausreichender Menge sicherzustellen.


Es ist bewiesen, dass Kälber am Euter langsamer saugen. So speicheln sie die Milch stärker ein und können diese besser verdauen. Gegenseitiges Besaugen tritt bei der Haltungsform weniger auf, da der Saugtrieb befriedigt ist. Positiv soll sich das Zusammenleben von Kuh und Kalb auch auf das Sozialverhalten der Kälber auswirken.


Nachteile kann das System wiederum im Melkstand haben: Schneider beobachtet, dass ein Teil der Kälber aufziehenden Kühe die Milch im Melkstand nicht hergibt. Das kann zu Eutererkrankungen führen. Andere Tiere kommen gut mit dem parallelen Melken und Säugen zurecht. Wiederum andere eignen sich gar nicht für das zweigleisige System. „Das ist abhängig vom Charakter der Kuh“, erklärt Schneider. Kühe, die im Melkstand nicht gut zurechtkommen oder wenig Milch geben, können aber die Funktion der Amme übernehmen. „Das ist möglicherweise auch ein Lösungsansatz bei der Diskussion um die Nutzungsdauer“, sagt Schneider. Denn so können die Tiere länger im Bestand bleiben.


Ein Für und wider


Fakt ist, dass sich auch in der muttergebundenen Kälberaufzucht Jung und Alt irgendwann voneinander trennen müssen. „Bereits nach einer Woche besteht eine enge Bindung zwischen Kuh und Kalb“, erklärt Schneider. Der Trennungsschmerz steigt. Besonders für Betriebe in Siedlungsnähe können wegen blökender Tiere Probleme entstehen.


kirsten.gierse-westermeier@topagrar.com

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