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Revolution in den Lieferbeziehungen?

Lesezeit: 8 Minuten

Gibt es auch in Genossenschaftsmolkereien künftig klar definierte Milchlieferverträge mit Menge, Preis, Qualität und Laufzeit? Die Diskussion dazu läuft auf Hochtouren. top agrar fasst den aktuellen Stand zusammen.


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Es käme einem Paradigmenwechsel gleich: Künftig sollen auch Mitglieder von Genossenschaftsmolkereien Lieferverträge mit ihrer Molkerei abschließen. Darin sollen Menge, Preis, Qualität und Laufzeit klar definiert sein. Vorbei wären die Zeiten, in denen die Molkerei sämtliche auf dem Hof produzierte Milch abholt, vermarktet und der Erlös als Milchgeld später wieder zurück auf den Hof fließt.


Anzeige beim Kartellamt:

Neu angestoßen hat dies die Milcherzeugergemeinschaft MEG Milch Board. Sie fordert, die Andienungspflicht abzuschaffen und Milchkaufverträge einzuführen (top agrar 4 und 11/2015). Deshalb hat sie jetzt sogar Anzeige beim Bundeskartellamt eingereicht.


Inzwischen mehren sich aber die Stimmen, die eine Überprüfung der Lieferbeziehung zwischen Milcherzeuger und Genossenschaftsmolkerei fordern. Denn das Modell mit voller Andienungs- und Abnahmepflicht, nachträglicher Preisfestlegung und langer Kündigungszeit stößt an seine Grenzen. Prof. Dr. Holger Thiele vom ife Institut in Kiel nennt Gründe für das Überdenken von genossenschaftlichen Lieferbeziehungen (gelten auch für Privatmolkereien):


  • Volatilität: Die Preise und Kosten für Milcherzeuger schwanken immer stärker.
  • Liquidität: Durch Investitionen haben viele Betriebe nur eine schwache Liquidität. Das ist bei volatilen Märkten gefährlich.
  • Stabilität: Milcherzeuger wünschen sich eine höhere Preissicherheit bzw. eine Sicherheit für ihre Marge.


Jede Genossenschaftsmolkerei regelt ihre Lieferordnung über die Satzung. Für Änderungen oder Aufhebungen ist nach dem Genossenschaftsrecht eine Dreiviertelmehrheit der Mitglieder in der Generalversammlung nötig. Das ist heute schon Praxis: In Bayern gibt es beispielsweise Molkereien, die die Andienungspflicht teilweise aufgehoben haben – für Betriebe, die ihre Kühe alpen oder für Direktvermarkter, die ihre Milch nur an bestimmten Tagen selbst verarbeiten.


Einigen, vor allem größeren, Milcherzeugern geht das nicht weit genug. Sie fordern eine grundlegende Änderung für die Lieferbeziehung zwischen Genossenschaftsmitglied und Molkerei.


Einer von ihnen ist Sylvio Key, Vorsitzender der Agra-Milch eG Frohndorf/Orlishausen mit 1 200 Kühen in Thüringen. Er ist grundsätzlich vom Genossenschaftsgedanken überzeugt, plädiert aber dennoch für eine Änderung. Er betont dabei, dass nur wenn Erzeuger und Molkereien gemeinsam etwas ändern, die Wertschöpfung in der Kette steigt. Das gelte vor allem für Genossenschaftsmolkereien, die am globalen Wachstum teilhaben wollten.


Reformen gefordert:

Diese Unternehmen sollten nach Ansicht von Key folgende Punkte diskutieren:


  • Andienungspflicht: Genossenschaftsmolkereien verarbeiten etwa zwei Drittel der deutschen Milch. Die Mitglieder haben wegen der Andienungspflicht keinen Zugang zum Wettbewerb. In der Regel dauert die Kündigungszeit zwei Jahre. Zudem trägt der Milcherzeuger das Preis- und Liquiditätsrisiko allein. Eine Reform der Andienungspflicht könnte die Position der Erzeuger stärken. Sie könnten am Wettbewerb um die Milch teilnehmen.
  • Abnahmepflicht: Genossenschaften müssen sämtliche Milch ihrer Mitglieder abnehmen. Dadurch können sie keine Mengenplanung vornehmen, die optimal zu ihren Produktionskapazitäten und Marktzugängen passt. Die beste Milchverwertung ist auf feste Kontrakte begrenzt. Übermengen erfordern Investitionen in weitere Verarbeitungskapazitäten mit geringer Rentabilität und eine Vermarktung mit schlechter Verwertung. Eine Reform der Abnahmegarantie könnte die Molkereien stärken. Sie würden nur noch so viel Milch annehmen, wie sie optimal verwerten können. Erforderlich wären dafür satzungs- und vertragsrechtliche Regelungen über die Liefermenge. Es wäre eine gewisse Mengensteuerung.
  • Milchpreise mit Marktsignal: Angebot und Nachfrage bestimmen die Preise. Allerdings müssen die Preise auch ein Signal für die Anpassung von Angebot und Nachfrage ergeben. Der monatliche Milchpreis als Durchschnittspreis über alle Verwertungen ist in seiner Signalwirkung zu träge. Die Milchproduzenten nehmen Fehlentwicklungen zu spät wahr, die zyklischen Läufe verstärken sich. Eine Reform des Vergütungssystems könnte das verbessern. Wichtig ist ein Milchpreissystem mit klarer Signalwirkung. Denkbar wäre zum Beispiel ein Preisstaffelsystem mit einem Basispreis auf Kontraktniveau und einem Marktpreis, z. B. dem Spotmarkt-Preis.
  • Stimmrecht und Gremiumarbeit: Die Verteilung der Stimmrechte in Genossenschaftsmolkereien (1 Mitglied gleich 1 Stimme) darf nicht ohne Berücksichtigung der Liefermenge erfolgen. Die Gefahr unternehmerischer Fehlentwicklung wächst mit zunehmender Disharmonie zwischen größeren und kleineren Betrieben. Das genossenschaftliche Mehrstimmrecht sollte im vollen gesetzlichen Umfang einfließen.


Die Verantwortung und Bedeutung der Gremienarbeit wächst. Deshalb sind die besten Köpfe im Ehrenamt gefragt, die regelmäßig Weiterbildungen angeboten bekommen. Für das Risikomanagement sollten zusätzlich externe Experten in den Gremien unterstützen.


  • Bindung ans Unternehmen: Die Molkerei sollte die Milcherzeuger stärker an sich binden. Das gelingt beispielsweise durch das regelmäßige Ausschütten von Dividenden oder das Zuschreiben von Geschäftsanteilen und/oder Beteilungsfonds zur „Entlohnung“ von Wachstum aus Milchgeld (Eigenkapitalbildung).


Was sagen Bund und Länder?

Die Diskussion über die Reformvorschläge für die Lieferbeziehung läuft auf vollen Touren – und natürlich kontrovers.


Die Bundesregierung ist gegen eine rechtliche Vorgabe zur Einschränkung oder Abschaffung der Andienungspflicht. Staatssekretär Peter Bleser weist darauf hin, dass die Genossenschaftsmitglieder die Lieferordnungen ohne staatliches Zutun ändern könnten.


Einigen Bundesländern gefällt das nicht. Gegenüber top agrar erklärt das Landwirtschaftsministerium in Niedersachsen, dass es die Andienungspflicht skeptisch sieht. Es fordert die Bundesregierung auf, die Andienungspflicht zu kippen und gesetzliche Vorgaben für Rohmilchlieferverträge auch für Genossenschaftsmolkereien einzuführen.


Ganz so weit geht Mecklenburg-Vorpommern nicht. Doch auch Minister Dr. Till Backhaus meint, dass Anpassungen bei der Andienungspflicht dazu beitragen könnten, die Position der Milcherzeuger in der Vermarktungskette zu stärken. Der Minister ist offen für die Diskussion.


Das könnte Signalwirkung haben. Die nächste Agrarministerkonferenz ist in Mecklenburg-Vorpommern. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass Peter Guhl, Vorsitzender der MEG Milch Board und Milcherzeuger aus Mecklenburg-Vorpommern, gut mit dem Landwirtschaftsministerium vernetzt ist.


Was sagen die Befürworter?

Guhl fordert die vertragsbebundene Milchproduktion: „Verträge sind in einer Marktwirtschaft das Normalste der Welt. Sie regeln schuldrechtliche Beziehungen zwischen Marktpartnern in schriftlicher Form. Es empfiehlt sich, Liefermengen, Preise, Laufzeiten und Produktstandards zu formulieren.“


Unterstützung erhält Guhl vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter. „Für jedes Kilogramm Milch sollte vor der Lieferung eine konkrete Mengen- und Preisvereinbarung abgeschlossen sein“, fordert Hans Foldenauer. Er sieht darin einen besseren Wettbewerb um die Milch und eine gewisse Planungssicherheit über den Erlös aus dem Verkauf der Milch. „Zudem können Molkereien Mindererlöse aus Kontraktabschlüssen nicht ohne Weiteres durchreichen und müssen somit härter verhandeln.“


Auch der Deutsche Bauernverband findet Gefallen an dem Modell, lehnt die gänzliche Abschaffung der Andienungspflicht und gesetzliche Vorgaben zu Milchlieferverträgen aber ab. „Wir setzen uns für eine modernere Ausgestaltung der Andienungspflicht für die Vereinbarungen zu Menge, Preis, Qualität und Dauer ein. Denn der größere Teil der Milcherzeuger will sich nicht dem Risiko des ständigen Aushandelns von Verträgen stellen“, sagt Ludwig Börger.


Eines stehe dabei im Fokus: Die Preissignale des Weltmarktes kämen zu spät beim Erzeuger an. Beispiele aus dem Ausland zeigten aber, dass die Preisabsicherung eines Anteils der Milchanlieferung über Warenterminbörsen oder eine Absicherung „Back-to-Back“ (langfristige Kontrakte der Molkereien mit Verarbeitern, die 1 : 1 an Erzeuger weitergegeben werden) möglich sind. Die Preise für Milchanlieferungen, die darüber hinausgehen, könnten die Schwankungen des Weltmarktes voll mitnehmen.


Welche Nachteile und Risiken?

Doch die vertragsgebundene Milchproduktion hat auch ihre Klippen: Die Milcherzeuger stehen stärker in der Verantwortung, die Planungssicherheit sinkt.


Einig sind sich auch die Befürworter darin, dass sich die Milcherzeuger stärker mit dem Verkauf der Milch befassen müssten. Und, dass sie sich streng an die vereinbarten Konditionen halten müssen, sonst drohen Sanktionen.


Dr. Björn Börgermann vom Milchindustrie-Verband nennt Szenarien, die jedem Milcherzeuger klar sein sollten:


  • Der Milchliefervertrag läuft z. B. am 31.03. aus. Der Milcherzeuger hat vergessen, ihn zu verlängern. Am 01.04. kommt dann ggf. kein Tankwagen mehr.
  • Milcherzeuger und Molkerei haben eine feste Liefermenge pro Monat vereinbart. Diese Menge ist bereits am 25. des Monats erreicht. Der Vertragspartner holt aber erst am 1. des nächsten Monats die Milch wieder ab.
  • Der Milchmarkt ist zum Zeitpunkt der Vertragsverlängerung übersättigt. Von den Mitgliedern nimmt die Genossenschaft die Milch satzungsgemäß weiter ab. Lieferverträge könnte sie hingegen auslaufen lassen. Gegebenenfalls lässt sich dann nur der Spotmarkt-Preis abzüglich Transportkosten erlösen.


Noch eine Klippe hat die vertragsgebundene Milchproduktion: Da jeder Milcherzeuger individuell verhandelt, kann jeder Vertrag verschiedene Konditionen, sprich Laufzeiten, Preise und Qualitäten haben – auch innerhalb einer Molkerei. Der „Wildwuchs“ nimmt zu, die Transparenz verschwindet. Die Diskussionen dürften zunehmen.


„Wenn in einer Genossenschaft unterschiedliche Verträge mit unterschiedlichen Inhalten abgeschlossen werden, gerät die Solidargemeinschaft gegenüber dem Wettbewerb zwischen den Mitgliedern in den Hintergrund. Das Ziel der Genossenschaft, für alle Milcherzeuger gemeinschaftlich die Milch zu vermarkten, wird sich ändern“, sagt Joachim Burgemeister vom Genossenschaftsverband und fügt hinzu: „Milchlieferanten, die den größten Profit versprechen, würden eher bevorzugt. Es wird fraglich, ob Milcherzeuger mit weniger optimalen Bedingungen weiterhin gleichberechtigt an der Profitabilität der Genossenschaft teilhaben können.“


Die nächsten Monate werden zeigen, in welche Richtung sich die Diskussion dreht. Es wird spannend. P. Liste

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