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Wie bekommen wir bessere Zuchtwerte?

Lesezeit: 6 Minuten

Das Rechenzentrum vit in Verden erfasst alle Informationen zur Zuchtwertschätzung. Wie werden die Zuchtwerte noch sicherer? Wie profitieren Landwirte?


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Das Projekt „KuhVision“ läuft seit über einem Jahr. Die Zuchtorganisationen wollen damit eine Kuh-Lernstichprobe etablieren. Wie ist der Stand der Dinge?


Reinhardt: Das Projekt ist besser angelaufen als gedacht. 550 Betriebe machen mit. Sie typisieren ihre kompletten Herden und liefern Leistungs- und Gesundheitsdaten. Dafür bekommen sie drei Jahre eine finanzielle Unterstützung der Verbände. Zusätzlich machen über 100 Betriebe freiwillig mit.


Wir haben bisher rund 146000 Tiere typisiert. Besonders wichtig für uns sind die Phänotypen, die erst langsam folgen: 50000 Tiere haben gekalbt, 26000 Tiere sind linear eingestuft und 17000 haben die erste Laktation abgeschlossen. Auf Gesundheitsdaten warten wir zum Teil noch.


KuhVision kann aber nur der Beginn sein. Wir brauchen langfristig Betriebe, die für das eigene Management in die Herdentypisierung einsteigen und Leistungs- bzw. Gesundheitsdaten erfassen und zur Verfügung stellen.


Weshalb ist das so wichtig?


Reinhardt: Eine Kuh-Lernstichprobe ist zwingend nötig, um Zuchtwerte sicher schätzen zu können. Die Bullen-Lernstichprobe enthält geprüfte Vererber, die stark vorselektiert sind. Sie repräsentieren nicht mehr die gesamte Population. Künftig fließen die Daten der Produktionsherden in die Schätzformeln ein, das macht die Zuchtwerte stabiler. Und wir wollen Gesundheitsmerkmale direkt schätzen, wie zum Beispiel die Mastitisanfälligkeit.


Dafür brauchen wir Daten aus den Ställen. Ideal wäre es, wenn wir automatisch erfasste Sensordaten nutzen können, z.B. Aktivität aus den Brunsterkennungssystemen. Herausforderungen dabei sind Schnittstellen und die Bereitschaft der Software-Anbieter die Daten zur Verfügung zu stellen.


Langfristig bietet die Kuh-Lernstichprobe die Chance einer „entkoppelten Zuchtwertschätzung“. Aktuell beruht die Zucht auf der Zweitverwertung von Management-Daten eines Großteils der Population, wie beispielsweise der Milchleistungsprüfung. Zukünftig würden Daten von einem Teil der Population ausreichen. Das bietet Chancen für Merkmale, die sich nur mit großem Aufwand erfassen lassen.


... wie die Futtereffizienz. Wann gibt es dafür einen deutschen Zuchtwert?


Rensing: Die Effizienz direkt über die Futteraufnahme zu schätzen, wird schwierig. Einzeltierdaten gibt es nur in Versuchsherden. Selbst wenn wir europaweit kooperieren, sind das weniger als 7000 Tiere. Das reicht nicht aus.


Zusätzlich brauchen wir den indirekten Weg für die Schätzung der Futtereffizienz: Leichtere Tiere haben einen geringeren Erhaltungsbedarf und sind daher bei gleicher Milchleistung effizienter. Die Lebendmasse lässt sich möglicherweise aus den Exterieur-Daten abschätzen, wenn wir Daten von gewogenen und eingestuften Tieren haben. Bis zum Frühjahr wollen wir 5000 Tiere erfassen und dann entscheiden, ob wir so einen ersten Hinweis auf die Effizienz schätzen können.


In den letzten Zuchtwertschätzungen fällt der schmelzende Punkte-Abstand zwischen geprüften und genomischen Bullen auf. Woran liegt das?


Reinhardt: Das hat zwei Gründe. Zum einen bekommen jetzt die Vererber Töchterleistungen, die als genomische Bullen schärfer selektiert wurden als die Jahrgänge zuvor. Das genetische Niveau der geprüften Vererber steigt also zeitlich versetzt parallel zu den genomischen Bullen an. Weil das Selektionsniveau von etwa 1:10 im Jahr 2009 auf aktuell 1:40 gestiegen ist, werden sich auch die geprüften Bullen noch weiter an die aktuelle genomische Topliste annähern.


Zum anderen wurden die genomischen Top-Bullen früh stark eingesetzt. Als geprüfte Vererber haben sie schneller mehr Töchter und damit höhere Sicherheiten. Statistisch gesehen gilt: Je höher die Sicherheit für einen Zuchtwert, umso größer ist die Streuung. Das führt dazu, dass einzelne Bullen mit hohen Zuchtwerten an der Spitze stehen.


Und gleichzeitig wechseln die genomischen Bullen extrem schnell. Wie sollen Milcherzeuger hier einen Überblick für Anpaarungen behalten?


Rensing: Der schnelle Wechsel an der Spitze ist Sinn und Zweck der genomischen Selektion: Das bringt Zuchtfortschritt. Für das Marketing mag es schwierig sein – aber wofür müssen Landwirte heute noch die Namen von Bullen kennen? Der Einsatz eines Bullen-Anpaarungsprogrammes sollte Standard sein. Die Systeme berechnen, welcher Bulle zu welcher Kuh passt und kennt die Verwandtschaften. So können Milcherzeuger festlegen, welche Merkmale ihnen wichtig sind oder wie viel eine Portion kosten darf.


Vorsichtig müssen wir aber beim Generationsintervall sein: In den USA werden schon Eizellen von sechs Monate alten Rindern genutzt. Theoretisch könnten dann Kälber geboren werden, von denen wir keine Leistungsdaten der Eltern oder Großeltern haben. Eine sichere genomische Zuchtwertschätzung ist dann nicht möglich.


Die Zucht auf hohe Milchleistungen wird kritisiert. Brauchen wir einen neuen Gesamtzuchtwert (RZG)?


Rensing: Nein. Der Gesamtzuchtwert für Holstein-Kühe enthält 45% Milchleistung, 15% Fundament und Euter sowie 40% Gesundheitsmerkmale. Damit lassen sich gesunde und leistungsorientierte Kühe züchten – wenn er tatsächlich so genutzt würde.


Allerdings legen Rinderhalter noch immer viel Wert auf das Exterieur. Ein Beispiel: Im letzten Jahr wurden rund eine Mio. Anpaarungen mit unserem Programm (BAP) gemacht. Etwa 2/3 der Betriebe hat ein eigenes Zuchtziel definiert. Ein Großteil gewichtet die Exterieur-Merkmale stärker als im offiziellen Gesamtzuchtwert und zwar zu Lasten von Gesundheit und Leistung. Ökonomisch macht das keinen Sinn.


Warum nicht?


Rensing: Vor 50 Jahren mag es sinnvoll gewesen sein, indirekt die Nutzungsdauer oder Leistung über das Exterieur zu verbessern. Heute sind wir weiter: Wir haben direkte Zuchtwerte, wie Kalbeverlauf, Zellzahl oder Fruchtbarkeit, und können diese Merkmale damit effizient verbessern.


Einige Exterieur-Merkmale beeinflussen die Nutzungsdauer und Gesundheit sogar negativ, wie z.B der Milchcharakter. Trotzdem will jeder im linearen Profil die Balken nach rechts sehen. Das ist ein Trugschluss.


Milcherzeuger sollten mehr auf die verfügbaren Zuchtwerte vertrauen. Bei der Nutzungsdauer ist das genetische Niveau der eingesetzten Bullen seit Beginn der genomischen Schätzung in 2011 deutlich gestiegen (s. Übersicht). Bis sich dieses Potenzial in der Population widerspiegelt dauert es aber einige Jahre, denn diese Töchter leben noch und das immer länger. Diesen Trend soll ein neuer Zuchtwert unterstützen.


Welche Vorteile bietet der neue Zuchtwert Nutzungsdauer?


Reinhardt: Die Aussage über die Nutzungsdauer wird früher und genauer möglich sein. Aktuell schätzen wir die „gesamte Nutzungsdauer in Tagen“. Diese Daten laufen erst spät auf und ermöglichen auch keine Aussage dazu, weshalb die Tiere abgehen.


Demnächst nutzen wir die Überlebensrate in drei Laktationsabschnitten und das bis zur vierten Kalbung. Die Gründe für einen Abgang zu Laktationsbeginn (bis 50. Tag) sind z.B. Stoffwechsel oder Kalbeverlauf, in der Mitte der Laktation (50. bis 250. Tag) sind es Zwangsabgänge wegen Mastitis oder Klauen. Am Ende der Laktation gehen die Tier ab, weil sie nicht tragend sind. Diese Infos nutzt das neue Modell und kann mit den frühen Teilinformationen die tatsächliche Nutzungsdauere realistischer vorausschätzen.


Das erhöht die Sicherheit. Diese liegt aktuell für den genomischen RZN bei 53%. Wie hoch die Sicherheit konkret sein wird, evaluieren wir aktuell. Den neuen RZN wollen wir mit der April-Zuchtwertschätzung einführen.


Interview: Anke Reimink

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